Infobrief 370 (28/2017): Übersetzung von Weltpolitik

14.7.2017

1. Presseschau vom 7. bis 13. Juli 2017

  • Übersetzung von Weltpolitik
  • Unsäglicher Diminutiv
  • Bildungskluft bei Migrantenkindern

2. Unser Deutsch

  • Großer Wurf

3. Berichte

  • Sprachvorbild
  • Buchübergabe in Nürnberg

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Peter Härtling gestorben
  • Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen

 

1. Presseschau vom 7. bis 13. Juni 2017

Übersetzung von Weltpolitik


Foto: VDS e. V.

Zum G20-Gipfel in Hamburg sprach Deutschlandfunk Kultur mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes der Konferenzdolmetscher, Karin Walker, über die Probleme beim Übersetzen politischer Reden. Wichtig sei, so Walker, nicht nur die Bedeutung der einzelnen Wörter, sondern auch das Heraushören von Zwischentönen. Schwierig sei dies besonders, wenn Politiker inhaltlich leere Sätze produzieren oder sich unverständlich ausdrücken. Hier dürfe es nicht zu Übersetzungspausen kommen. Zur Not greifen erfahrene Übersetzer in solch heiklen Situationen auf unverbindliche Standardsprüche zurück. So würden inhaltliche Lücken elegant überbrückt und der berühmten „heißen Luft“ der Politiker werde man wohl in den meisten Fällen gerecht. (deutschlandfunkkultur.de)

 

Unsäglicher Diminutiv

Unternehmen entdecken den Dialekt zum Bewerben ihrer Produkte. Das soll Bodenständigkeit und Regionalgefühl vermitteln. Besonders die Schwaben tun sich dabei hervor. Dass Schwäbisch in anderen Region Deutschlands kaum verstanden wird, ist dabei anscheinend egal. (Bestes Beispiel: „Woischd Karle, du sollschd emol e Seitenbacher Müsli esse.“)

Jetzt stößt Dialektwerbung sogar bei den eigenen Landsleuten auf Kritik. Die Stuttgarter Nachrichten beschweren sich über die Verwendung der Diminutivendung -le (Stöffle, Herzle). Nur die Schwäbisch-Muttersprachler wüssten, wann man die Verkleinerung nehme und wann nicht. So wirbt ein neues Ladengeschäft auf der Stuttgarter Königstraße mit dem Spruch: „Ein Stück New York kommt nach Stuttgart – ein ‚New Yörkle‘“. „Von der Aussprache ganz zu schweigen: „New Yörkle“ ist für einen Schwaben unsagbar. Unsäglich.“, so der Kommentar des Redakteurs Jan Sellner. Werbetextern empfiehlt er einen Kurs „Schwäbisch für Anfänger“. (stuttgarter-nachrichten.de)

 

Bildungskluft bei Migrantenkindern

Innerhalb von acht Jahren habe sich die Zahl der Abiturienten mit Migrationshintergrund von elf auf 16 % erhöht, schreibt SPIEGEL ONLINE. Trotzdem schließen in Deutschland immer noch weit weniger Nachkommen aus Zuwandererfamilien ein Studium ab. Bei den Kindern mit türkischen Wurzeln sind es nur acht Prozent, wie das Statistische Bundesamt nun herausfand. Dagegen haben 24 Prozent der Absolventen keinen Migrationshintergrund. Nicole Haag vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) sucht nach Gründen für diese Kluft: So sei der Ehrgeiz der Zuwandererkinder teilweise größer als bei Jugendlichen ohne ausländische Wurzeln. Aber sie bekämen oft zu wenig Unterstützung aus dem Elternhaus. Zwar helfen laut einer Studie „türkischstämmige Eltern ihren Kindern besonders häufig bei den Hausaufgaben“ und motivieren sie zum Studium, sind dafür aber oft durch den eigenen Bildungsweg nicht ausreichend gerüstet. Eine aktuelle Studie der Universität Mannheim fand außerdem heraus, dass Kinder mit Migrationshintergrund an Gymnasien schlechter benotet werden – trotz gleicher Leistungen. Aus dem selben Grund gelangen Migrantenkinder häufiger gar nicht erst auf ein Gymnasium. Neben diesen Hürden ist es bei Berufsantritt mitunter sogar der ausländisch klingende Name, durch den Jugendliche geringere Chancen bei Bewerbungen haben, wie eine Studie 2016 ermittelte.(spiegel.de, uni-mannheim.de, iqb.hu-berlin.de)

 

2. Unser Deutsch

Großer Wurf

Dem Rat für deutsche Rechtschreibung ist ein großer Wurf gelungen: Die 40 Mitglieder aus den deutschsprachigen Ländern haben einen neuen Buchstaben kreiert: das ß als Großbuchstaben. Warum? Auf deutschen Ausweisen werden die Namen in Großbuchstaben geschrieben. Den gab es beim ß nicht, weil der Buchstabe nie am Wortanfang vorkommt. Bei Bedarf wurde dafür SS gesetzt. Herr Groß und Herr Gross fielen orthographisch in GROSS zusammen. Endlich ist dieser Makel beseitigt. Ein letzter Baustein der Rechtschreibreform.

Kurioserweise wurde aber dieses, nun als Versalie geadelte ß, vor 20 Jahren weitgehend aus der deutschen Rechtschreibung getilgt. Das häufige ß am Wort- oder am Stammende in muß und müßte, in Faß und Fäßchen, in Kuß, Verdruß und tausenden anderen Wörtern wurde – in Analogie zur Markierung des Kurzvokals in Mann, hell, Ritt, Galopp usw. – durch ss ersetzt. Nur nach Langvokal und Diphthong, z. B. in Maß und bloß, Fleiß und Strauß, grüßen und fließen wurde es zur Bezeichnung des scharfen s geduldet. So blieben z.B. Masse und Maße auch orthographisch unterscheidbar. Diese Regel hatte als erster der Grammatiker und Lexikograph Johann Christian August Heyse (1764-1829) entworfen, sie wurde von vielen angewandt, aber 1901 getilgt. Die Rechtschreibreform hat sie wiederentdeckt, ein Hüh und Hot deutscher Orthographiegeschichte. Mancher vermisst seitdem diese graphische Markierung am Wortende, die in Millionen Büchern fortlebt und besonders in komplexen Wörtern wie Mißstand, Meßergebnis (jetzt Missstand, Messergebnis) für Klarheit sorgte.

Im Übereifer des Reformierens wurde vor 20 Jahren auch die Sonderschreibung der Konjunktion daß durch dass ersetzt. Das eigentliche Rechtschreibproblem, die sinnige aber für Schüler schwierige Unterscheidung der Konjunktion von Artikel und Pronomen, blieb erhalten: Statt daß und das, müssen jetzt dass und das unterschieden werden. Praktiker sagen: ähnlicher und noch schwieriger, für Leser auf jeden Fall ein Verlust. All das wird in Erinnerung gerufen durch die jüngste Bereicherung der Reform, sozusagen ein Krönchen auf dem urdeutschen, aus der Frakturschrift stammenden Eszet. Dies hat nun auch die deutsche Kultusministerkonferenz genehmigt, die oberste und letzte Instanz in Sachen deutscher Rechtschreibung.

Horst Haider Munske

 

3. Berichte

Sprachvorbild

Dem Unternehmen für Backmischungen „Kathi“ in Halle/Saale hat der VDS Sachsen-Anhalt für die hohe Qualität seiner sprachlichen Außendarstellung den Titel „Sprachvorbild“ verliehen. „Wir wollen, dass uns der Verbraucher versteht. Dazu gehört auch die Sprache“, sagte Pressesprecherin Susen Thiele dem MDR. An der Preisverleihung nahmen neben dem Geschäftsführer Marco Thiele, VDS-Vorstandsmitglied Dr. Reiner Pogarell (Institut für Betriebslinguistik) und der Regionalleiterin Arne-Grit Gerold auch die Beigeordnete für Kultur und Sport, Dr. Judith Marquardt, teil. „Kathi“ steht für Kaethe Thiele, eine der Gründerinnen des Unternehmens. Der MDR stellt in seinem Beitrag auch noch einmal die jährliche Negativauszeichnung des VDS vor: die Wahl des Sprachpanschers.

(mdr.de, kathi.de, hallespektrum.de, vds-ev.de/pressemitteilungen)

 

Buchübergabe in Nürnberg

„Achtung, die Motz-Monster kommen“ heißt das Lesebuch, das bei der Aktion „Ein Buch für jeden Schulanfänger“ in Nürnberg verteilt wurde. Die Aktion soll die Leselust bei Kindern fördern und ihnen einen guten Start für den weiteren Bildungsweg ermöglichen. Bei der Übergabe der Buchpakete vertrat Regionalleitern Annette Scheil den VDS. Scheil erläuterte den anwesenden Kindern die Ziele des VDS mit dem Hinweis, dass man für einfache englische Wörter schöne deutsche Wörter finden kann. „Die Kleinen waren auch sofort bereit, deutsche Entsprechungen für das Wort cool zu suchen“, so Scheil. Einige Vorschläge: schön, toll, wundervoll, brillant, prima, hervorragend, eindrucksvoll und noch viele andere. Das Projekt erhält finanzielle Unterstützung von der Manfred-Lochner-Stiftung und dem VDS. (bildungscampus.nuernberg.de)

 

4. VDS-Termine

15. Juli, Region 31 (Hameln)
Eröffnung der Ausstellung: „Denglisch in Karikaturen“ von Friedrich Retkowski

Die zwanzig Karikaturen von Friedrich Retkowski zum Thema Denglisch finden sich vielfach als Illustrationen zu Artikeln über Anglizismen wieder. In Tageszeitungen, Zeitschriften und Schulbüchern sind sie erschienen, sogar im Ausland. Einige Retkowski-Karikaturen waren auch in Wanderausstellungen des Bonner Hauses der Geschichte und des VDS zu sehen.

Die Ausstellung ist im Kunstkreis Hameln vom 15. Juli bis zu 4. August 2017 zu folgenden Zeiten geöffnet: Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag: 10:00-13:00 Uhr, Donnerstag: 16:00-19:00 Uhr, Sonntag: 11:00-14:00 Uhr.

Eröffnung: 8:00 bis 17:00 Uhr
Ort: Rolf-Flemes-Haus, Rathausplatz 4, 31785 Hameln

 

15. Juli, Region 60 (Frankfurt/Main)
VDS-Informationsstand
Zeit: 11:00-14:00 Uhr
Ort: Fressgasse (Kalbächergasse Ecke Börsenstraße 1), 60313 Frankfurt am Main

 

5. Literatur

Peter Härtling gestorben

Er galt als einer der Großen der deutschen Literaturwelt. Nun ist Peter Härtling im Alter von 83 Jahren gestorben. Neben seinen Kinderbüchern, darunter „Theo haut ab“ (1977) oder „Ben liebt Anna“ (1979), machte er sich vor allem mit gesellschaftspolitischen Themen einen Namen. Sich zu erinnern und „die Auseinandersetzung mit der Geschichte und politischen Vergangenheit“ waren sein zentrales Anliegen, schreibt SPIEGEL ONLINE. Und die Süddeutsche zitiert aus einem Artikel der Frankfurter Rundschau aus dem Jahr 2008: Er war ein „engagierte Zeitgenosse, der sich eingemischt, mitgeredet, widersprochen hat“. Für seine sprachlichen Verdienste erhielt Härtling 2012 den Kulturpreis Deutsche Sprache, der zusammen mit der Eberhard-Schöck-Stiftung jährlich vom Verein Deutsche Sprache vergeben wird. (sueddeutsche.de, spiegel.de, welt.de)

 

Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen

Den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt vergangene Woche der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz, der mit bürgerlichem Namen Matthias Schweiger heißt. Bei dem Wettlesen während der 41. „Tage der deutschsprachigen Literatur“ konnte Schmalz sich mit seinem Text „mein lieblingstier heißt winter“ gegen 13 weitere Mitstreiter durchsetzen. „Das in Kleinbuchstaben geschriebene Stück dreht sich um den geplanten Suizid eines krebskranken Mannes, seine Vorliebe für gefrorenes Rehragout und die ungewöhnliche Bitte an seinen Tiefkühlkost-Lieferanten“, erklärt die Süddeutsche den Titel. Schmalz gelinge die Mischung zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit, befand die Jurorin Meike Feßmann, und der Kritiker Stefan Gmünder bezeichnete den Beitrag als einen Text, „der wirklich rockte“. (deutschlandfunkkultur.de, welt.de, sueddeutsche.de)

 


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Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

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