Infobrief 400 (6/2018): Verdächtige Adverbien

9.2.2018

1. Presseschau vom 2. bis 8. Februar 2018

  • Verdächtige Adverbien
  • Sprachmissbrauch
  • Ich verstehe die Frage nicht
  • Vorbild Sprachenunterricht

2. Unser Deutsch

  • Sachgrundlose Befristung

3. Berichte

  • Englisch nur als Ergänzung

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Streit um Sachbuch

6. Denglisch

  • Gut und böse

 

1. Presseschau vom 2. bis 8. Februar 2018

Verdächtige Adverbien


Foto: pixabay, Counselling, CC0-Lizenz

Kann man die psychische Verfassung eines Menschen anhand der Sprache erkennen? Diese Frage haben sich Forscher der britischen Universität Reading gestellt und 6.000 Beiträge aus Online-Foren untersucht, die sich mit Depressionen und Suizid beschäftigen. Mithilfe eines Analyseprogramms kam die Forschergruppe zu dem Ergebnis, dass absolute Formulierungen mit Adverbien wie „immer“, „nie“ oder „völlig“ auf eine Störung hindeuten. Die Sprache von Menschen mit Angststörungen oder Depressionen unterscheide sich demnach messbar von der in anderen Internetforen zu medizinischen Themen. Zwar könne die Diagnose einer Depression nicht allein auf sprachliche Merkmale zurückgeführt werden, auch seien Internetforen als Datenquellen nur bedingt aussagekräftig, betont Markus Wolf, Psychologe der Universität Zürich, allerdings könne die Studie zukünftig helfen, vor allem Suizidabsichten frühzeitig zu erkennen. (sueddeutsche.de)

 

Sprachmissbrauch

Im Interview mit der Tagespost hat sich der Linguist Peter Eisenberg zur Debatte um geschlechtergerechte Sprache geäußert. „Ich meine, dass die Sprache missachtet und missbraucht wird und dass diejenigen, die das aus gruppenegoistischen Zwecken tun, so wenig von der Sache verstehen, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass sie der deutschen Sprache damit Schaden zufügen“, kritisiert Eisenberg und stellt klar, dass eine Veränderung der Sprache keineswegs auch zwangsläufig eine Gleichstellung der Geschlechter mit sich ziehen könne und würde. Grundsätzlich befürworte er das Vorhaben, „Frauen in der Sprache sichtbarer“ zu machen, dies dürfe allerdings nicht durch Missachtung der Grammatik und Rechtschreibung geschehen. Die Reflektion über Geschlechterauffassungen könne nicht auf sprachlicher Ebene erzwungen werden, wie es beispielsweise die DIE GRÜNEN anstreben.

Auch auf internationaler Ebene ist die geschlechtergerechte Sprache ein ständiges Thema der Politik. Erst in dieser Woche war der kanadische Premierminister Justin Trudeau in Kritik geraten, weil er eine Frau während einer Diskussionsrunde korrigiert hatte. Diese hatte den Begriff „mankind“, das im Englischen übliche Wort für Menschheit, benutzt. Trudeau entgegnete daraufhin, er bevorzuge „,peoplekind‘ (ein Fantasiewort, im Deutschen etwa: „Menschenheit“), nicht unbedingt ,mankind‘. Das ist integrativer.“ Besonders in den sozialen Netzwerken sorgte dieser Kommentar für Hohn und Spott, auch, weil seine Art der öffentlichen Zurechtweisung als Widerspruch seiner feministischen Argumentation aufgefasst wurde. (die-tagespost.de, welt.de, derstandard.at)

 

Ich verstehe die Frage nicht

Während Regelschulen und ihre Schüler stets im Blickfeld von Studien und Medien sind, werden Berufsschulen sowie die dort lernenden Auszubildenden viel seltener auf Lernqualität und Sprachkompetenz überprüft. Wie die Deutsche Handwerks Zeitung nun beklagt, scheitern jedoch viele Azubis an den ihnen vorgelegten Texten und Prüfungsfragen. „Dabei kennen die sich fachlich oft gut aus“, betont Georg Schärl von der Bayerischen Handwerkskammer. Um Berufsschullehrern ein einheitliches Regelwerk zu bieten, hat eine Arbeitsgemeinschaft zusammen mit dem Wirtschaftspädagogen Detlef Buschfeld einen Leitfaden zur „Sprachsensiblen Gestaltung von Prüfungsaufgaben“ herausgegeben, der es den Prüflingen ermöglichen soll, „durch eine unmissverständliche Formulierung der Prüfungsaufgaben ihre vorhandenen Berufskompetenzen abzubilden“. (deutsche-handwerks-zeitung.de, hwk-bayern.de)

 

Vorbild Sprachenunterricht

Um der Mathematikverdrossenheit der Schüler entgegenzuwirken, schlägt der Astronom und Wissenschaftsjournalist Florian Freistetter vor, für den Mathematikunterricht andere Fächer zum Vorbild zu nehmen. Mathematik sei vergleichbar mit einer fremden Sprache, von der in der Schule ja auch nicht nur Vokabular und Grammatik vermittelt würden, sondern auch kulturelle Besonderheiten, Geografie und Geschichte. Durch solche Zusammenhänge könnte den Schülern vermittelt werden, was sie mithilfe der Mathematik über die Welt erfahren könnten. Kenntnisse in der Mathematik seien wichtig, um die heutige durch Mathematik geprägte Welt zu verstehen. Die Zivilisation sei ebenso der Mathematik zu verdanken wie der Schrift. Deshalb sei auch die Mathematik ein Kulturgut wie Kunst, Musik oder Literatur. (scienceblogs.de)

 

2. Unser Deutsch

Sachgrundlose Befristung

Das Ringen um gesetzliche Regelungen für den Arbeitsmarkt bringt immer neue Blüten verquetschter Prägungen ans Tageslicht. Es beginnt schon mit einer Lücke: Befristung wovon? Natürlich Arbeitsverträgen. Ohne dies entscheidende Wort ist der Ausdruck leer und unverständlich. Befristung selbst ist ein Fachbegriff des Arbeitsrechts. Damit wird die Dauer der Beschäftigung festgelegt, der Vertrag ist zeitlich befristet. Weiter geht es mit sachgrundlos? Was heißt das? Was ist ein Sachgrund? Wieder ein Fachwort der Juristen, das der Alltagssprache fremd ist. Gemeint ist ein sachlicher Grund, das heißt eine konkrete, eine sachliche Begründung. Fehlt sie im Vertrag, dann ist er ohne Angabe eines sachlichen Grundes befristet, verkürzt also sachgrundlos. So sagt es das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).

Uns geht es darum, welche Rolle dieser ‚sperrige Ausdruck‘ – so nannte ihn die Moderatorin Marietta Slomka –, in der politischen Auseinandersetzung spielt. Das Fatale liegt darin, dass höchst wichtige Dinge, um die zu Recht politisch gestritten wird, im Gewand solcher komprimierter, schwer verständlicher Ausdrücke versteckt sind. Dass sich die Streithähne nur diese um die Ohren hauen, ohne zu erklären, worum es konkret geht, wer denn betroffen ist, wer welchen Schaden erleidet. Warum leistet sich gerade der Öffentliche Dienst so viele befristete Arbeitsverhältnisse? Es sind offenbar nicht nur Ausbildungsverträge oder Schwangerschaftsvertretungen. Warum fürchten sich Handel und Gewerbe vor unbefristeten Verträgen? Und wer die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen verteidigt, der muss den Mut aufbringen zu erklären, warum das nötig und richtig ist.

Und natürlich hat alles weitreichende Folgen: Wer sich von Vertrag zu Vertrag hangeln muss, der lässt das Heiraten, von Kindern ganz zu schweigen. Das nennt man dann Familienplanung, die behindert wird. Auch ein lächerlicher Ausdruck. Wem Geld und Wohnung fehlen, der kann‘s einfach nicht, von Planen kann keine Rede sein. Im übrigen gilt: späte Kinder – wenig Kinder. Und wenn sie ganz ausbleiben, dann fehlen die künftigen Zahlmeister für die Rentner von morgen.

Das Ärgerliche an der öffentlichen Debatte sind diese Schlagwörter ohne Fleisch und Blut. Im Gesetzbuch mögen sie ihren Platz haben. Aber wir Wähler wollen Klartext hören. Sonst nehmen wir die Politiker nicht mehr ernst, unterstellen ihnen Postengerangel, Parteiinteressen. Waren das noch Zeiten, als Friedrich Merz die Steuererklärung auf dem Bierdeckel propagierte. Die Politiker sollten Übersetzer einstellen, die uns verraten, was sie meinen und was sie wollen. Denn Bürgernähe muss sich in der Sprache beweisen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Englisch nur als Ergänzung

Das Oberste Verwaltungsgericht (Consiglio di Stato) in Rom hat am 29. Januar die Freiheit der Wissenschaft in Europa gestärkt. Die Technische Universität Mailand muss ihren Plan begraben, alle Studiengänge nur noch auf Englisch anzubieten. Einheimische wären mit ihrer Landessprache an einer Hochschule ihres Landes faktisch zu Fremden gestempelt geworden.

Auch deutsche Studenten und Hochschullehrer dürfen aufatmen. Die Technische Hochschule München verfolgt nämlich ähnliche Kahlschlag-Pläne. Andere Hochschulen bieten längst ganze Studiengänge ausschließlich auf Englisch an. Die Grundrechte der Freiheit der Wissenschaft und der freien Berufswahl verbieten jedoch, in Italien wie in Deutschland, ein Monopol einer Sprache, die nicht offizielle Landessprache ist. Auch unser Bundesverfassungsgericht könnte nicht anders entscheiden. Fremdsprachliche Studienangebote haben einen wichtigen Platz an unseren Hochschulen, allerdings nur ergänzend.

Die deutschen Bundesländer sollten in ihren Hochschulgesetzen endlich klarstellen: Alle Studiengänge sind in deutscher Sprache anzubieten, daneben je nach Bedarf auch in anderen Sprachen. Sie kämen damit einer Verfassungsklage zuvor. (vds-ev.de/pressemitteilungen, nwzonline.de)

 

4. VDS-Termine

12. Februar, Deutsches Musikradio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Holger Klatte.
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

13. Februar, Region 48 (Münsterland)
Treffen der Regionalleitung mit dem katholischen Bildungswerk und dem Arbeitskreis Kunst, Kultur, Kirche zur Vorbereitung einer gemeinsamen Veranstaltung in Saerbeck.
(interne Veranstaltung, Ort und Uhrzeit ggf. erfragen)

16. Februar, Region 38 (Münsterland)
Der Regionalvorstand trifft sich, um die Veranstaltungen im Jahr 2018 sowie die Mitgliederversammlung vorzubereiten.
(interne Veranstaltung, Ort und Uhrzeit ggf. erfragen)

26. bis 27. Februar, Akademie für politische Bildung Tutzing
„Die Sprache von Forschung und Lehre. Lenkung durch Konzepte der Ökonomie?“
Gemeinsame Tagung des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache e. V. (ADAWIS) und des Zentrums für Europäische Bildung in der Akademie für politische Bildung Tutzing.
Referenten u. a. Prof. Dr. Ralph Mocikat, Bundestagsvizepräsident a. D. Johannes Singhammer, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Prof. Dr. Harald Lesch.
apb-tutzing.de

 

5. Literatur

Streit um Sachbuch

Um das derzeit beste deutsche Sachbuch ist ein fachlicher Streit entbrannt. „Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur‟ der Germanistin Sandra Richter enthalte mehrere sachliche Fehler zu historischen Fakten, so die Kritik. War das nun Wilhelm von Humboldt, der im Hause der Madame de Staël unterrichtete oder August Wilhelm von Schlegel? Thorsten Jantschek, der als Jurymitglied das Buch auswählte, meint: „Es handelt sich hier um kleinere biographische Details‟. Aufgrund der Menge von Fakten in einem Werk zur Literaturgeschichte könnten immer Fehler vorkommen. Kritikerin Maike Albath vom Deutschlandfunk hingegen legt Wert auf Genauigkeit und unterzieht das Buch in ihrer Rezension einer Prüfung der Fakten. „Die vielen Ungenauigkeiten irritieren‟, befindet sie – mit einem Sachbuch scheinen Sachfehler schlecht vereinbar. (deutschlandfunkkultur.de, deutschlandfunk.de)

 

6. Denglisch

Gut und Böse

Die Saarbrücker Zeitung teilt Anglizismen in die Kategorien „gut“ und „böse“ ein und verweist dabei auf den Verein Deutsche Sprache. „Wir vermeiden englische Wörter, wenn sie ein deckungsgleiches deutsches Wort verdrängen“, stellt die Redaktion klar und unterstreicht so die Forderung des VDS nach einem bewussten Umgang mit Anglizismen, zumal der Verein mit dem Anglizismen-Index deutsche Entsprechungen für unnützes Denglisch vorschlägt. (saarbruecker-zeitung.de)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

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