Infobrief 403 (9/2018): Aussterbende Sprache?

2. März 2018

1. Presseschau vom 23. Februar bis 1. März 2018

  • Aussterbende Sprache?
  • Kritik an Wetterwort
  • Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen
  • Jubiläum der Augsburger Puppenkiste

2. Unser Deutsch

  • Erst verarbeiten

3. VDS-Termine

4. Literatur

  • Für die Katz
  • Die erste Frauenzeitschrift

5. Denglisch

  • Verschleiernde Sprache

 

1. Presseschau vom 23. Februar bis 1. März 2018

Aussterbende Sprache?

Eugen Ruge bei der Frankfurter Buchmesse (2016)  | Foto: © JCS‘ , via Wikimedia Commons (GFDL)

Der Schriftsteller Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) hat in seiner Rede mit dem Titel „Versuch über eine aussterbende Sprache“ im Dresdner Schauspielhaus seine Sorge über den Zustand und die Zukunft der deutschen Sprache ausgedrückt. Was hat es für Folgen, wenn die eigene Sprache mehr Angreifer als Beschützer findet, fragte Ruge und berichtet über Berliner Szene-Restaurants, die sich international geben und auf deutschsprachige Speisekarten verzichten. „Das Deutsche stirbt aus, weil die Deutschen ihre Sprache nicht lieben“, so Ruge. Für Akademiker, Künstler und Firmen werde Englisch immer mehr zur Pflicht, der sie sich willig unterwerfen. Der Schriftsteller denkt auch über dir Gründe nach: „Deutsch ist, ob man will oder nicht, die Sprache Hitlers und Eichmanns. Die Sprache der Bürokraten des Todes.“ Dies bedeute jedoch nicht, so Ruge, dass man die Sprache den Nazis überlassen dürfe.
Ruges Auftritt war der letzte in der Reihe „Dresdner Reden“, die gemeinsam von Staatsschauspiel und Sächsischer Zeitung veranstaltet wird. Sein jüngster Roman mit dem Titel „Follower“ entführt die Leser in die fiktive chinesische Stadt Wu Cheng im Jahr 2055. (staatsschauspiel-dresden.desz-online.de)

 

Kritik an Wetterwort

Für die derzeitigen niedrigen Temperaturen fanden Nachrichtendienste die Bezeichnung „Russenpeitsche‟. Während der Ausdruck von einigen Seiten als „treffend‟ gelobt wird, weil sich darunter jeder sofort etwas vorstellen könne, regt sich auch Kritik. Markus Übel, Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes, erklärte im Interview mit der WELT: Sowohl das Wort „Peitsche‟ als auch das Erleben der Widrigkeiten der Kälte seien negativ belegt. Das Auto springt nicht an, die Finger frieren ab und man hat das Gefühl, der eisige Nordostwind „peitscht‟ einem ins Gesicht – es sei nachvollziehbar, dass solche unangenehmen Erlebnisse nicht mit Russland in Verbindung gebracht werden sollten.
Statt „Russenpeitsche‟, das in diesem Zusammenhang erstmals 2004 in Internetforen aufgetaucht, könne besser „arktische Kälte‟ verwendet werden. (welt.denachdenkseiten.de)

 

Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen

Kultureinrichtungen kämpfen häufig mit Finanzierungsproblemen. Beim Millowitsch-Theater in Köln kommt das Fehlen eines Nachfolgers dazu. Deshalb wird dort am 25. März die letzte Vorstellung gegeben. Das seit 1936 bestehende Volkstheater der Familie Millowitsch schließt. Der Deutsche Kulturrat möchte auf solche Verluste für das kulturelle Leben aufmerksam machen und setzt deshalb von der Schließung bedrohte Häuser und Projekte auf eine „Rote Liste‟. Neben dem Millowitsch-Theater führt der Kulturrat hier auch die Gemeindebücherei Leseinsel Waldbronn und das Luna-Filmtheater in Metzingen. Im kommenden Jahr auslaufende Mietverträge gefährden die Existenz der beiden Einrichtungen. (general-anzeiger-bonn.de)

 

Jubiläum der Augsburger Puppenkiste

Am 26. Februar feierte die Augsburger Puppenkiste ihr 70-jähriges Bestehen. Das erste Stück, das 1948 aufgeführt wurde, war das Märchen „Der gestiefelte Kater‟. Bekannteste Figuren sind Jim Knopf und Urmel aus dem Eis. Beide traten allerdings nur in den Fernsehproduktionen auf, die 1995 eingestellt wurden. In der Spielstätte in Augsburg gibt es jährlich rund 420 Aufführungen, die insgesamt rund 90.000 Zuschauer besuchen. Damit ist die Puppenkiste 70 Jahre nach ihrer Gründung durch Walter und Rose Oehmichen immer noch zu 95 Prozent ausgelastet. (deutschlandfunkkultur.debr.deaugsburger-allgemeine.de)

 

2. Unser Deutsch

Erst verarbeiten

„Lichters Trödelschau“ fördert nicht nur Rares zu Tage, sondern ist auch ein Schaufenster unserer Alltagssprache. „Das muss ich erst verarbeiten“, rief die Dame mit dem Gemälde aus der Courbet-Schule, als der Schätzpreis überraschend hoch war. Damit hat sie sich eine modische Wendung angeeignet. Erst verarbeiten müssen Schauspieler einen unerwarteten (aber natürlich erhofften) Preis, Sportler einen besonderen Sieg, Lottospieler einen Super-Gewinn. Aber auch eine Rechnung oder die Nachricht über einen ärztlichen Befund kann solche Reaktionen auslösen. Immer kommt es überraschend. Und das erst deutet an, dass der Betroffene Zeit braucht, damit fertig zu werden, Gewinn oder Verlust geistig und seelisch zu bewältigen.
Wir suchen nach dem Ursprung dieses Wortes und finden in den Wörterbüchern zwei Bedeutungen: einen Rohstoff durch Arbeit zu einem Produkt umformen‚ zum Beispiel Wurst (aus Fleisch) verarbeiten, aber auch kognitiv, beispielsweise ein Erlebnis literarisch verarbeiten. Damit nähern wir uns einem übertragenen Gebrauch. Das Grimm’sche Wörterbuch zitiert Bettina von Arnim mit dem Satz „mein Sohn hat gesagt, was einen drückt, das muss man verarbeiten“.
Wir fragen: Was ist neu in der aktuellen Verwendung? Nicht die geistige, die seelische Bewältigung sondern das erst, dies Leiden an der Überraschung, die larmoyante Bitte um Aufschub. Es ist unüblich geworden, fröhlich oder tapfer mit den Wechselfällen des Lebens fertig zu werden. Darauf haben sich auch die Katastrophenhelfer eingestellt. Immer werden gleich Psychologen ins Feld geschickt, um beim Verarbeiten geschulten Beistand zu leisten. Wenigstens erst einmal. Kann es sein, dass das Unglück der Betroffenen damit entwürdigt, zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit herabgesetzt wird?

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. VDS-Termine

5. März, Deutsches Musikradio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Holger Klatte und Stefan Ludwig.
Schwerpunkt: Eurovision Song Contest
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

5. März, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis (HH-Wandsbek), Pappelallee 61, 22089 Hamburg

 

4. Literatur

Die erste Frauenzeitschrift

Zeitschriften wie Brigitte, Gala oder Vogue sind ebenso beliebt wie verschrien. Das darin vermittelte Frauenbild ist nicht selten veraltet und darauf ausgerichtet, „das weibliche Selbstwertgefühl zu unterminieren“, kritisiert Tanya Kirk, Kuratorin für die Printkollektion der British Library in London. Da erstaunt es umso mehr, dass man die Frauenrolle vor über 300 Jahren vergleichweise fortschrittlich betrachtete. 1693 erschien unter dem Titel „The Ladies‘ Mercury“ in London die erste Frauenzeitschrift, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte „die hübschesten und kuriosesten Fragen über Liebe, Ehe, Gebaren, Gewandung und Gemütszustand des weiblichen Geschlechtes zu beantworten, ob es sich nun um Jungfrauen, Ehefrauen oder Witwen handelt.“ Die Frauen konnten per Leserbrief ihr Anliegen schildern, darunter das Leid nach einer Vergewaltigung oder die Scham, nicht mehr jungfräulich in die Ehe gegangen zu sein. Antworten bekamen sie von der Athenian Society – ausschließlich bestehend aus Männern –, die eine würdige und liberale Antwort auf die Probleme der Frauen verfassten und so den Weg für die Frauenratgeber der Zukunft bereiteten. (deutschlandfunk.de)

 

Für die Katz

Zehn Jahre dauerten die Übersetzungsarbeiten von James Joyces „Ulysses“ des Suhrkamp Verlags, nun fiel die Veröffentlichung einem Urheberrechtsstreit zum Opfer. Grundlage war die Übersetzung des Klassikers von Hans Wollschläger aus dem Jahr 1975. Dessen Erbin untersagte jetzt die Publikation mit der Begründung, diese – mit Änderungen und Korrekturen – sei nicht im Sinne Wollschlägers. Jonathan Landgrebe äußerte sich enttäuscht über die Entwicklung, besonders angesichts der einst erteilten Erlaubnis Wollschlägers, die er kurz vor seinem Tod im Jahr 2007 erteilt hatte. „Es geht hier um eines der bedeutendsten Bücher der Literatur überhaupt und darum, dieses Werk zu pflegen und damit gut umzugehen.“ Besonders für die beteiligten Übersetzer sei eine Lebensaufgabe zunichte gemacht worden. (deutschlandfunkkultur.de)

 

5. Denglisch

Verschleiernde Sprache

Englisch ist nicht nur die Sprache der Globalisierung, sondern bewusst genutzte Anglizismen sind häufig auch ein Mittel „zur Verschleierung oder Verklärung von Herrschaftsverhältnissen“, so der Kulturwissenschaftler Falko Schmieder im Interview mit NachDenkSeiten.de. Deutsche Begriffe, die negativ gemeint oder konnotiert sind, würden somit durch englische ersetzt, um von der eigentlichen Aussage abzulenken oder sie in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Beispielsweise habe die Umbenennung des Arbeitsamtes in Jobcenter der Institution eine symbolische Aufwertung ermöglicht, erklärt Schmieder. „Mit der Verwendung solcher Begriffe kapselt sich die Politik von den Aufklärungsinteressen der Öffentlichkeit ab; sie wird intransparent und zieht sich quasi in sich selbst zurück.“ Auch entsprächen solche Anglizismen nicht der Alltagssprache. (nachdenkseiten.de)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

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Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund

Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

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