1. Presseschau vom 5. bis 11. Oktober 2018
- Sind Wahlprogramme lesbar?
- Deutsch in der Wallonie
- Integration der Deutschen in Amerika
- Namhafte Politiker
2. Unser Deutsch
- Eingeschläfert
3. Berichte
- Lehrer-Welsch-Preis
4. VDS-Termine
5. Literatur
- Deutscher Buchpreis
- Mehrsprachigkeit im Krimi
1. Presseschau vom 5. bis 11. Oktober 2018
Sind Wahlprogramme lesbar?
Dieser Frage widmet sich eine erneute Studie der Universität Hohenheim. Was meinen die Grünen mit Haltungskennzeichnung, oder die CSU mit Smart- und Bürgerbussen, was meint die AfD mit Vergemeinschaftung, oder die Linke mit Selbstvertretungsorganisationen, und wenn die SPD von energetischer Sanierung, die FDP von der Bildungskette und dem Sachaufwandsträger spricht? Kann der Leser ihre Wahlprogramme noch würdigen? Fachbegriffe behindern das Verständnis, das ist nichts Neues. Auch die in allen Parteien offenbar unersetzbaren Anglizismen sind zu glatt, um noch ernstgenommen zu werden: Smart Grids, Fast Lanes, Share Deals, Learning Management Systeme, Gender Mainstreaming, Gender Budgeting oder Teamteaching. Längst ist bekannt, dass auch bürokratisch zusammengestoppelte Wörter die Konzentration der Leser aufweichen, zumal so verdauliche wie die Allgemeinverbindlichkeitserklärung, die Abschiebehafteinrichtung und der Finanzkraftstrukturausgleich, womöglich noch als Bestandteil von Satz-Ungetümen mit mehr als 40 Wörtern.
Wie gut ein Text zu verstehen ist, lässt sich mit einem Textanalyseprogramm ermitteln. Das Ergebnis ist ein Zahlenwert auf der Skala des Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Zum Vergleich dienen Doktorarbeiten in Politikwissenschaften, sie erreichen im Durchschnitt den Wert 4,3, sowie Hörfunk-Nachrichten mit erfreulichen 16,4 Punkten. Wie schon bei der bayerischen Landtagswahl 2013 und bei der Europawahl 2014 hat die CSU auch zur Landtagswahl 2018 das sprachlich mit Abstand verständlichste Wahlprogramm vorgelegt, sagt der Leiter der Studie, Prof. Dr. Frank Brettschneider. Den höchsten Wert der aktuellen Untersuchung erreichte sie (12,8 von 20), den niedrigsten die AfD (6,2). Welchen Wert die CDU erreicht hätte, lässt sich im bayrischen Wahlkampf nicht ermitteln. (idw-online.de, focus.de, deutschlandfunk.de)
Deutsch in der Wallonie
In Belgien findet am 17. Oktober erstmals ein Tag der deutschen Sprache statt. Dann will der wallonische Ministerpräsident Willy Borsus gemeinsam mit seinem deutschsprachigen Amtskollegen Oliver Paasch Schüler empfangen, die Immersionsschulen besuchen oder an Austauschprogrammen teilnehmen. Deutschsprachige Politiker des Parlaments in Namur sollen dazu ermutigt werden, in der Plenarsitzung ihre Muttersprache zu gebrauchen; und, beginnend mit diesem Anlass, soll die Rubrik Praktische Informationen des vierteljährlichen Magazins Vivre la Wallonie künftig dauerhaft ins Deutsche übersetzt werden. (grenzecho.net)
Integration der Deutschen in Amerika
In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur berichtete Michael Hochgeschwender, Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, anlässlich des German-American-Day, also des Tages der Deutschamerikaner, über die deutschen Einwanderer Amerikas im neunzehnten Jahrhundert. Der größte Teil sei zwischen 1841 und 1890 wegen Missernten und der Börsenkrise 1873 aus wirtschaftlichen Gründen nach Amerika ausgewandert. Dort haben die Deutschen bis zur dritten Generation nach Einwanderung häufig in einer Art Parallelgesellschaft gelebt, Deutsch gesprochen, eigene Zeitungen herausgegeben, und ihre Gottesdienste erlebten sie auf Deutsch. Das habe sich erst in langwierigen Prozessen der Anpassung und Integration durch das bürgerliche Miteinander geändert. Benjamin Franklins These, die Deutschen seien „nicht integrierbar“, wurde widerlegt. Einige Gruppierungen, wie die Hutterer und die Amischen, lebten jedoch bis heute abgegrenzt und sprächen einen halbwegs verständlichen pfälzischen Dialekt, so Hochgeschwender, der nebenbei die Muhlenberg-Legende als Verdrehung der Tatsachen, als fake news entlarvt; ihr zufolge soll Deutsch als Landessprache der USA zur Debatte gestanden haben. Tatsächlich ging es nur im Bundesstaat Virginia lediglich darum, ob Gesetze ins Deutsche übersetzt werden sollten, um sie für die Einwanderer zugänglich zu machen. (deutschlandfunkkultur.de)
Namhafte Politiker
Zwar gehört die Sprache zum Handwerkszeug des Politikers, aber nicht alle Politiker machen sich mit gutem Deutsch einen Namen. Erfreuliches Beispiel ist Norbert Lammert, der im vergangenen Jahr mit dem Kulturpreis Deutsche Sprache ausgezeichnet wurde. Im kollektiven Gedächtnis der älteren Bürger lebt der ehemalige Bundespräsident Heinrich Lübke; allerdings sind viele der ihm nachgesagten Satzverdrehungen frei erfunden.
Jürgen Udolph betrachtete jetzt Wörter, die Politikern ohne ihr eigenes Zutun anhaften: Wer seinen Namen nicht freiwillig erheiratet, erbt ihn von seinen Eltern. Der Namensforscher untersuchte die Namen einiger Politiker. Merkel bedeute etwa kleiner, süßer Markwart, von der Leyen sei nicht adelig, sondern habe darauf verwiesen, wo jemand herkam, nämlich von einer Ley genannten Stelle. Dies sei ein rheinisches Wort für Schiefer. Gregor Gysis Nachname verweist Udolph zufolge auf jemanden, der gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Der Name ist Programm? (de.sputniknews.com)
2. Unser Deutsch
Eingeschläfert
Fritz, der älteste Gorilla in einem Zoo, im Nürnberger Zoo, musste eingeschläfert werden. Musste? Ja, er hatte furchtbare Schmerzen, konnte sich kaum mehr rühren, fraß nicht mehr, war für einen Affen uralt. Der Tod als Erlösung. Allerdings nicht freiwillig.
Einschläfern, was ist das? Eine Spritze, und der Tod tritt ein. Das Wort ist ein Euphemismus. Der Schlaf, ein ‚Bruder des Todes‘, steht für diesen selbst. Aber einschläfern ist nicht ‚in den Schlaf begleiten’ wie ein Kind mit einem liebevollen Schlaflied, es meint den Schlaf in den Tod, einen gewaltsamen.
Schade, dass wir das bei Menschen nicht dürfen, war der Kommentar einer Frau, die ihren todkranken Mann bis zu seinem natürlichen Lebensende pflegen musste. Bei Menschen nennt man es Euthanasie, ‚guter Tod‘, die Übersetzung ein anderer Euphemismus. Fürchterlich dagegen der Missbrauch: die Ermordung psychisch Kranker durch Nazi-Mediziner und ihre Gehilfen, dieser unmenschliche Sündenfall der Psychiatrie. Es war geplanter Massenmord, getarnt als Aktion T4 (nach der Berliner Tiergartenstraße 4, dem Hauptsitz der Aktion). Davon grenzt sich die Sterbehilfe ab, die den Willen des Sterbenden vollzieht. Sprache vertuscht, beschönigt, verfremdet das Unsagbare.
Tierärzte sagen den besorgten Herrchen und Frauchen ihrer schwer erkrankten Tiere, eine Heilung sei langwierig, wohl garnicht möglich und teuer – ob nicht besser Erlösung vom Leiden?
Auch Fritz wurde eingeschläfert, vom Tierarzt des Zoologischen Gartens. Hätte man ihn nicht auch, mit schmerzlindernden Medikamenten, einfach natürlich sterben lassen können? Wurde das erwogen? Ist es überhaupt möglich? Je mehr viele Tiere zu geliebten Begleitern des Menschen werden, umso mehr gelten menschliche Maßstäbe auch für sie. Wir geben ihnen menschliche Namen, wie Fritz für den berühmten Nürnberger Gorilla. Darum bekommen wir ein schlechtes Gewissen, wenn einschläfern die letzte Hilfe ist.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Berichte
Lehrer-Welsch-Preis
Fast einen Monat nach der Preisverleihung am 16. September fand ein Bericht über den Lehrer-Welsch-Preis noch den Weg in die Presse. Der Kölner Wochenspiegel berichtete über die Feierstunde, bei der die Regionalgruppe 51 des VDS Wicky Junggeburth mit dem Preis ehrte. Die Jury hatte er durch sein Engagement für die leisen Töne des Karnevals überzeugt. Pikant war die Einladung von Christoph Kuckelkorn (Präsident des Festkomitees des Kölner Karnevals) als Laudator, denn dieser wurde von derselben Jury bereits als Sprachtünnes des Jahres ausgezeichnet, ein Negativpreis, auf den er mit Genugtuung hinwies. Er hob den Preisträger als echtes Original und als Archivar des Kölner Karnevals hervor. Laut einem Augenzeugen hat die Verwendung einiger Anglizismen die fröhliche Stimmung im Saal nicht gestört. Dafür sorgte eine überzeugende Reihe Kölner Mundartsänger: Der Dialekt der Domstadt macht Freude. (rheinische-anzeigenblaetter.de)
4. VDS-Termine
13. Oktober, Region 34 (Kassel)
Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache an Die Fantastischen Vier, die Kampagne Sprechen Sie lieber mit Ihrem Kind des Netzwerks Frühe Hilfen des Jugend- und Sozialamtes der Stadt Frankfurt am Main und das Bundessprachenamt für seine vorbildliche Arbeit in der Sprachausbildung im Bereich Deutsch als Fremdsprache.
Zeit: 16:00 Uhr
Ort: Kongress Palais, Holger-Börner-Platz 1, 34119 Kassel
18. Oktober, Region 70, 71, 73, 74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Regionalversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Straße 46, 70178 Stuttgart
5. Literatur
Deutscher Buchpreis
Der mit 25.000 Euro dotierte Deutsche Buchpreis 2018 des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht an Inger-Maria Mahlke für ihren Roman Archipel. Sie erzählt das Schicksal dreier Familien aus unterschiedlichen Klassen auf der Kanareninsel Teneriffa. Darin verdichteten sich die Geschichte der Kolonien und der europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert, hob die Jury hervor. Sie lobte die schillernden Details, die das Buch zu einem eindrücklichen Ereignis werden ließen. (augsburger-allgemeine.de, zeit.de)
Mehrsprachigkeit im Krimi
Am 18. Oktober läuft bei ARTE Teil zwei des paneuropäischen Krimi-Filmprojektes The Team. Später soll die Serie in der Originalfassung in der Mediathek verfügbar sein. Diese nicht synchronisierte Version verspricht eine seltene Fernsehfreude, versichert Schauspieler Jürgen Vogel im Interview mit prisma. In Deutschland sei man es, anders als in anderen Ländern, gewohnt, Filme und Serien in der deutschen Fassung zu sehen. Dabei geht verloren, dass im Film acht verschiedene Sprachen gesprochen werden. Die Schwierigkeiten der Verständigung in einem Ermittlerteam aus mehreren Ländern, das gemeinsam zum Ziel kommen soll, bleiben unerkannt. Sprachbarrieren werden so glattgebügelt und die Beziehungen der Figuren, die durch die erschwerte Verständigung mitgeprägt werden, wirken weniger intuitiv. Die Figuren gebrauchen immer die der Situation angepasste Sprache. Sind flämische Muttersprachler unter sich, wird Niederländisch gesprochen. Unterhält sich der deutsche Ermittler (Vogel) mit der dänischen und der belgischen Kollegin, weichen sie auf das ihnen fremde Englisch aus. Wer Freude an Sprachen hat, kann sich einmal die Mühe machen und in der Mediathek den Originalton mit Untertitel wählen. (prisma.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Alle Geschlechter werden im Infobrief gleich behandelt. Wo nicht anders gekennzeichnet, sind Männer mitgemeint.
RECHTLICHE HINWEISE
Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Oliver Baer
© Verein Deutsche Sprache e. V.