Infobrief vom 18. September 2020: Befehl zurück

1. Presseschau

Befehl zurück

Bild: Gemen64 / pixelio.de

Erst hü, dann hott – Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist von ihrem Vorhaben abgerückt, neue Dienstgrade für weibliche Soldaten bei der Bundeswehr einzuführen. Widerstand kam dabei vor allem von Soldatinnen. Oberleutnant Wiebke Hönicke hat sich auf Instagram deutlich gegen das Gendern von Dienstgraden ausgesprochen, das habe „nichts mit Emanzipation“ zu tun. Kramp-Karrenbauer habe sich entschieden, entsprechende Pläne aus ihrem Haus vorerst nicht weiter zu verfolgen, so ihr Staatssekretär Peter Tauber. (spiegel.de, deutschlandfunkkultur.de)


Dortmund – Gendersternchen in Wahlunterlagen

Ein Dortmunder Wähler hat gegen die Wahlunterlagen, die zur Kommunalwahl am 13. September 2020 verschickt wurden, Beschwerde bei der Stadt und dem Innenministerium eingereicht. Die Wahlbenachrichtigung enthalte Gendersternchen und verstoße damit gegen die amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung, so der Beschwerdeführer. Der VDS unterstützt sein Ansinnen und kritisiert, dass die Nutzung von Zeichen innerhalb von Wörtern nicht nur sprachlich falsch, sondern auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau keineswegs förderlich ist. (lifepr.de)


Gott* – Mit Sternchen gegen menschengemachte Kategorien

„Weg von dem strafenden, alten, weißen Mann mit Bart hin zu einer Gottes*vielfalt‟ – das will die Katholische Studierende Jugend erreichen und schreibt Gott ab sofort mit Gendersternchen: Gott*. Mit dem Sternchen wolle man Gott aus der geschlechtlichen Ebene herausheben und aufzeigen, dass Gott weder einem Geschlecht noch anderen menschlichen Kategorien zuzuordnen sei. (katholisch.de)


Neuseeland oder Aotearoa?

Nennt sich Neuseeland künftig Aotearoa? Die Partei der Ureinwohner, die Māori Party, fordert eine Umbenennung. Seit Jahren wird die Frage diskutiert und immer wieder gibt es Bestrebungen, den neuen Namen durchzusetzen. Niederländische Entdecker hatten das Land im 17. Jahrhundert Nieuw-Zeeland getauft – in Anlehnung an die heimische Provinz Zeeland. Bei den Ureinwohnern, den Maori, hingegen heißt es Aotearoa – übersetzt: „Land der langen weißen Wolke“. Der Vize-Premierminister Winston Peters kritisiert die Pläne zur Umbenennung. Es sei „schlicht eine Jagd nach Schlagzeilen ohne Rücksicht auf die Kosten für dieses Land“, schrieb er auf Twitter. Eine Umbenennung sei nicht ratsam, vor allem nicht zu einer Zeit, in der Exporte für das wirtschaftliche Überleben entscheidend seien. (ksta.de)


2. Unser Deutsch

sozusagen

Sprachkritiker haben dieses Wörtchen seit langem auf dem Kieker. Wir fragen: Zurecht? Was ist das Zweifelhafte? Warum ist es dennoch so beliebt?

Fragen wir zunächst die Wörterbücher: Das Grimm’sche Wörterbuch (Band X, 1905) drückt sich vor dem Stichwort, aber das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache bringt Textbelege seit 1843. Das 10-bändige Duden-Wörterbuch verzeichnet sozusagen als Adverb mit der Bedeutung ‚wie man es ausdrücken könnte‘. Wir sehen: Es ist ein Wort im Werden. Mit der Zusammenschreibung gilt dieser Vorgang als abgeschlossen. In traditioneller Grammatik nannte man das sprechend ‚Zusammenrückung‘, um zu zeigen, dass mehrere hintereinander stehende Wörter zu einem Wort zusammengerückt seien. Doch was bedeutet dies Wörtchen? Die Bedeutungsangabe im Duden ist nichts anderes als eine Paraphrase in anderen Worten, sozusagen ein etymologischer Rückgriff auf die Entstehung. Über die tatsächliche Verwendung ist damit wenig gesagt.

Wann setzen wir das neue Adverb ein und wozu? Wir schauen in einige Texte: Unser Männerclub ist sozusagen die Seele vom Dorfclub. Hier leitet das Adverb einen Vergleich ein. Deshalb nennt der Duden als Synonym für sozusagen das Adverb gleichsam. In diesem Beispiel wird die Seele vom Dorfclub hervorgehoben. Ähnlich in folgendem Satz: Es geschah sozusagen offiziell. Immer steht das Adverb vor einem Satzglied, das damit pointiert wird. Gesprochen wird es manchmal besonders betont. Oft dient unser zusammengerücktes Wort auch der Distanzierung von einem Ausdruck wie hier: Die Reichsbürger wollen sozusagen das Reich wiederbeleben. Hier hätte man Reich auch in Häkchen setzen können als ‚Reich‘.

Wo aber liegt der Missbrauch, das Lästige, das Überflüssige? Offenbar dann, wenn ein Autor oder Sprecher es wie eine Floskel, ein Füllwort ständig in seinen Text mengt. Es gibt sozusagen Sozusagen-Redner. Es sind zumeist Geisteswissenschaftler, die sich dieser Mode bedienen, die im Ringen um ihren Gegenstand ständig von Zweifeln über das richtige Sagen befallen werden. Solche Texte, mündlich oder geschrieben, haben stets etwas Halbes. Sie relativieren sich selbst und den Verfasser oder die Verfasserin.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Kultur

Kulturboykott oder Beleidigung?

Dem Komiker und Autor Serdar Somuncu wird vorgeworfen, Schwarze und Frauen beleidigt zu haben. In einem Podcast-Projekt mit dem Kabarettisten Florian Schroeder für Radioeins benutzte er laut Medienberichten Wörter, die rassistisch belegt sind, dazu machte er sich auf unflätige Weise über Frauen lustig. Radioeins und der RBB hat für die Provokationen um sntschuldigung gebeten und den Podcast, der ursprünglich live gesendet worden war, zusammengeschnitten; die entsprechenden Stellen fehlen in der neuen Version. Kritik gegen Somuncu und Schröder kam auch von anderen Journalisten und Medienvertretern. Somuncu selbst lässt die Einwände seiner Kritiker an sich abprallen. Die Reaktion „zeige auch, dass diejenigen, die sonst häufig Toleranz fordern, selbst oft sehr intolerant reagieren würden, wenn sie betroffen seien“, so Somuncu bei DWDL. (tagesspiegel.de, dwdl.de)


Sprache der DDR

Die Wiedervereinigung jährt sich zum 30. Mal. In ihrem Buch „Mit der Schwalbe zur Datsche – So sprach der Osten“ erklärt Antje Baumann 50 Begriffe aus der Deutschen Demokratischen Republik. Die meisten werden heute kaum noch verwendet, ihnen fehlt der begriffliche Hintergrund. Die Liste reicht von Antifaschistischer Schutzwall bis Westpaket. Andere haben es in den gesamtdeutschen Sprachgebrauch geschafft: Kulturschaffender, Schwalbe oder Datsche. (mz-web.de)


Dichtertränen

In der Kolumne „Dichtertränen‟ des Internet-Portals „MiGAZIN‟ klagt der 1985 in Schwetzingen geborene Schriftsteller Burak Tuncel die Kulturvergessenheit des Westens an. „Eure Welt ist eine Hölle für die zarten Wesen. Dort kommen nur jene zurecht und haben Erfolg, die keine Seele mehr haben. (…) Die Einheimischen reden kein Deutsch mehr. Ihr Wortschatz ist amerikanisiert. In der Schule hieß es immer Deutsch sprechen. Ihre Zungen lügen wie gedruckt, welch eine Heuchelei.‟

Burak Tuncel ist Autor von acht Büchern, spielt Theater und schreibt Drehbücher. Sein erklärtes Ziel ist es, Dichtkunst im Stile Friedrich Nietzsches wiederzuerwecken. (migazin.de)


4. Berichte

20. Tag der deutschen Sprache

Der Verein Deutsche Sprache hat am 12. September 2020 den 20. Tag der deutschen Sprache gefeiert. Corona-bedingt fanden in diesem Jahr nur wenige Veranstaltungen statt. Guten Zuspruch erhielten die Informationsstände unter anderen in Siegen, Mannheim, Rottweil. Die VDS-Regionalgruppe in Rostock verlieh den mit 1.000 Euro dotierten Sprachpreis „Gutes Deutsch in Mecklenburg-Vorpommern“ an die Rostocker Pastorin Asja Garling.

Auf einer Festveranstaltung im thüringischen Schleiz rechnete der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus in seiner Rede „Sprachdiktaten“ der politischen Korrektheit ab und machte sich dafür stark, weniger Anglizismen zu benutzen und sich wieder auf den Wohlklang der schönen deutschen Wörter zu besinnen. Unterstützt wurde der Tag von den „dudenkern“, einer Arbeitsgruppe innerhalb des Heimatvereins, der sich dem Werk und Wirken Konrad Dudens verschrieben hat. Die Dresdner Regionalgruppe hatte zu einer musikalischen Lesung ins Coselpalais geladen. Der Journalist Jens-Uwe Sommerschuh las Geschichten und Kolumnen „Aus der Nähe und der Ferne‟.

Viele VDS-Vertreter nutzten den Aktionstag für Interviews mit den Medien. So äußerte sich der Aachener Regionalleiter Claus Maas in der Aachener Zeitung zur Gendersprache: Er sei durchaus dafür, geschlechtersensibel zu formulieren, ohne die Sprache kaputt zu machen, denn das hänge viele Menschen ab und schaffe Widerstand, so Maas. (pnp.de, mdr.de, bnn.de, bild.de)


5. Denglisch

„Drinkability“ im deutschen Wortschatz

Vor zwei Wochen berichteten wir im Infobrief über den Begriff „Drinkability“. Demzufolge sei ein Bier „drinkable“, wenn es zum Weitertrinken einlade. Seitens der Brauereien habe man keinen treffenden Ausdruck im Deutschen dafür gefunden. Daher richteten wir die Frage an die Infobrief-Leser und bekamen verschiedene Vorschläge zugesandt. „Das Munden wäre eine deutsche Entsprechung“, schrieb ein Leser, man könne also von der Mundigkeit oder Mundung sprechen, oder einfach sagen: „Das Bier mundet.“

Eine weitere Leserin empfand den Begriff „süffig“ als am passendsten, weil es das einzige Wort sei, das die Eigenschaften „Getränk“ und „guter Geschmack“ miteinander verbinde. Andere Vorschläge für die Beschreibung eines guten Biers waren außerdem Trinkgenuss oder trinkeinladend. Auch auf den Ausdruck trinkig wies ein Leser hin, welcher beispielsweise in Südtirol geläufig sei. (blogs.faz.net)


6. Termine

22. September, Region 67/68/69 (Rhein-Neckar)
Führung durch die Stadtbibliothek Ludwigshafen (Bismarckstr. 44-48) und anschließendes Mitgliedertreffen im Restaurant Sigma
Zeit: 17:00 Uhr / 19:00 Uhr
Ort: Gastwirtschaft Sigma, Kaiser-Wilhelm-Str. 39, 67059 Ludwigshafen

26. September, Region 50/51 (Köln)
Regionalversammlung
Zeit: 15:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln

29. September, Regionen 10-16 (Berlin und Potsdam)
„Nachtwanderung“ in Berlin (Teilnahme nur für Mitglieder)
Zeit: 20:30 – 22:30 Uhr
Ort: Weltzeituhr, Alexanderplatz 1, 10178 Berlin

30. September, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

15. Oktober, Region 44 (Bochum, Dortmund, Herne)
Lesung von VDS-Mitglied Horst Hensel aus seinem aktuellen Romanprojekt
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: literaturhaus.dortmund, Neuer Graben 78, 44139 Dortmund

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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