1. Presseschau
Abstimmung mit Tragweite
In der WELT erinnert Bertold Seewald an die Legende um Frederick Muhlenberg, der die deutsche Sprache in den USA um ihren Status als Amtssprache gebracht haben soll. Muhlenberg stammte aus einer deutschstämmigen Familie, sein Vater schickte ihn zur Ausbildung nach Halle/Saale. Zurück in den USA wurde er Mitglied des Repräsentantenhauses und war mehrmals dessen Sprecher. Deutsche Einwanderer im Bundestaat Virginia forderten 1794 in einer Petition, dass Gesetze auch in deutscher Sprache veröffentlicht werden sollten. Das Anliegen wurde mit 41 zu 42 Stimmen abgelehnt. Muhlenberg wird der Satz zugeschrieben: „Je eher die Deutschen Amerikaner werden, desto besser ist es.“ Dazu sollten sie vor allem Englisch lernen. Deswegen wird ihm die Schuld dafür gegeben, dass Deutsch in den USA keine wichtigere Rolle erlangt hat – „mit allen welthistorischen Konsequenzen“. (welt.de, de.wikipedia.org)
Von Köpfen und Köpfinnen
Der SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans hat das Sprachgendern einen weiteren Schritt vorangebracht. In einem Beitrag auf Twitter stellte er die neue Chefin der SPD-Jugendorganisation vor: „Die Jusos haben eine neue Köpfin.“ Die Reaktionen unter seinem Beitrag sprechen für sich: „Hab geschaut. Steht auch so in der Dudin“, kommentiert ein Nutzer. Eigentlich müsse es doch „Kopfende“ heißen, wird gewitzelt. Ein weiterer Nutzer schreibt: „Ich drücke die Däuminnen, dass Füßin, Ärmin, Fingerin, Zehin, Däumin, Näckin, Mündin, Ellenbogin, Bäuchin und natürlich die Poin nicht lange gesucht werden müssen.“ (twitter.com)
Unwörter des Jahres
Nachdem Österreich und die Schweiz bereits ihr Unwort des Jahres gekürt haben, ist Gleiches nun in Deutschland geschehen: Die Unwörter des Jahres 2020 sind Rückführungspatenschaften und Corona-Diktatur. Damit sei erstmals ein Unwort-Paar gewählt worden, teilte die Jury der Sprachkritischen Aktion mit. Das Thema Corona habe zwar in den Unwort-Einsendungen dominiert, mit der Doppelwahl wolle man aber darauf aufmerksam machen, „dass auch in anderen Themenbereichen weiterhin inhumane und unangemessene Wörter geprägt und verwendet werden“. Mit den Rückführungspatenschaften wurden im vergangenen Jahr neue Mechanismen der Migrationspolitik bezeichnet. Das Wort sei zynisch und beschönigend, es sei nichts anderes damit gemeint als Abschiebung. Der Begriff Corona-Diktatur hingegen verharmlose tatsächliche Diktaturen und verhöhne die Menschen, die sich dort „gegen die Diktatoren wenden und dafür Haft und Folter bis hin zum Tod in Kauf nehmen oder fliehen müssen“, erklärt die Jury in ihrer Begründung. (sueddeutsche.de)
2. Unser Deutsch
Lispeln
Mir fiel unlängst starkes Lispeln bei einer erfahrenen Nachrichtensprecherin auf. Wie konnte das passieren? Vielleicht eine Zahnreparatur, langwierig mit Implantaten? Niemand würde dafür ein halbes Jahr krankgeschrieben. Also lieber lispeln. Zugleich fiel mir die Redakteurin auf durch ihr dezidiertes feministisches Bekenntnis. Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen wurden nun verkürzt zu MinisterpräsidentInnen, mit einem Hick beim großen I. Das steht für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Ihr fühlen sich heute besonders jene verpflichtet, die bereits die oberen Karrierestufen erreicht haben. Das erinnert mich an einen adligen Kultusminister, der in den hessischen Universitäten besonders eifrig für die Gleichberechtigung aller Gruppen, vom Hausmeister bis zum Professor, eintrat, sozusagen als Entschuldigung für die jahrhundertelange feudale Knechtherrschaft seiner Vorfahren. Kurz, hier stand die Frage im Raum: Ist auch das Lispeln arrivierter Frauen ein feministisches Bekenntnis?
Wir gehen der Frage sprachwissenschaftlich und sprachhistorisch nach. Phonetisch gesehen, also von Lautung und Lautbildung aus, entsteht Lispeln durch eine Fehlstellung der Zunge, medizinisch als Dyslalie bezeichnet. Bei den deutschen Reibelauten s und sch liegt die Zunge normalerweise hinter den Zähnen, an den sogenannten Alveolen. Gerät die Zunge weiter an die oberen Zähne oder gar zwischen sie, entsteht Lispeln, am häufigsten bei s, das einen eigenen Namen hat: Sigmatismus (nach dem griechischen Buchstaben Sigma). Bei Vorschulkindern gilt das übrigens als normal, weshalb das Lispeln – zum Beispiel bei einigen Figuren in der Kinderserie Biene Maja – als kindlich, als liebreizend gilt.
Althochdeutsch lispen, später erweitert zu lispeln, ist wohl eine lautmalerische Bildung. Die Disqualifikation als Sprechfehler dürfte mit der Standardisierung der deutschen Aussprache im 20. Jahrhundert durch Theater und Rundfunk zusammenhängen. Denn zuvor haben Poeten vieles lispeln lassen: den Bach, die Blätter des Baumes, das Geflüster von Liebenden und ihr eigenes Lied. Goethe benutzte es öfters, z. B. in den Zeilen Es schwebet nun in ungestimmten Tönen, mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich. Und Platen dichtete im ‚Grab im Busento‘: Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza dumpfe Lieder.
Das Grimmsche Wörterbuch bringt zahlreiche weitere Beispiele. Geblieben ist von dieser Vielfalt allenfalls das ‚tonlose Flüstern‘, was auch Lispeln heißen kann. Wir ersehen, dass auch die vermeintliche Fehlstellung der Zunge, ähnlich dem Silberblick, einen eigenen Reiz besitzt, insbesondere, wenn weiblicher Mund sie erzeugt. Und so bahnt sich hier ein neuer Sprachbrauch an, das geflüsterte große I, ein lispelnd Lied feministischer Befreiung, der Shutdown des generischen Maskulinum.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Sprachenstreit in Spanien
Die aktuelle (linke) Regierung in Spanien will die Regionalsprachen der Peripherie stärken, das sind Katalanisch, Galicisch und Baskisch. Eine Bildungsreform sieht vor, dass Spanisch in Schulen nicht mehr den Status als alleinige Verkehrs- und Unterrichtssprache hat. Benannt ist die Reform nach der Bildungsministerin (Isabel) Celaá. Insbesondere in Katalonien im Nordosten Spaniens führt „Celaá“ seit Monaten zu politischem Streit und öffentlichen Kundgebungen. Denn für Schüler und Studenten in der Region heißt es nun: Katalanisch lernen. Konservative behaupten, dass Spanisch zu einer Fremdsprache im eigenen Land degradiert werde. Das Nebeneinander von Regionalsprache und Amtssprache funktioniert in Spanien aber seit Jahren gut. Der Bamberger Romanist Hans-Ingo Radatz sagte in der Augsburger Allgemeinen: „Obwohl Katalanisch seit vielen Jahren Unterrichtssprache ist, sind die Spanisch-Kenntnisse der Schüler nicht schlechter geworden.“ (augsburger-allgemeine.de)
4. Berichte
VDS-Aufruf: Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden
„Die Zeit des generischen Maskulinums […] ist endgültig vorbei“, sagt Bremens Landesbeauftragte Bettina Wilhelm. Der beste Beleg dafür sei der Duden, der seine Online-Ausgabe konsequent gendert. Neuerdings ist ein „Mieter“ nicht mehr „jemand, der etwas gemietet hat“, sondern eine „männliche Person, die etwas gemietet hat“. Analog dazu gibt es einen Eintrag zur „Mieterin“ als „weibliche Person, die etwas gemietet hat“. Im Online-Duden verhält es sich ab sofort mit jeder Personenbezeichnung so. Auch in Österreich, wo das Drängen auf gendergerechte Sprache nicht so stark ist wie hierzulande, gibt es Kritik am Vorgehen des Dudens. Christina Pabst, die dort im Rat für deutsche Rechtschreibung sitzt und Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs ist, hält die Aktion der Duden-Redaktion für übereilt. Normalerweise werde zuerst „in der gesprochenen Sprache etwas verändert, und dann schlägt es sich in der geschriebenen nieder. In der Genderdebatte wollen viele den umgekehrten Weg gehen. Das widerspricht aber den Regeln, wie Sprachwandel passiert.“
Derselben Meinung ist der Verein Deutsche Sprache. Der VDS fordert in einem Aufruf die Freunde der deutschen Sprache auf, den Bestrebungen der Dudenreaktion zu einem Umbau der deutschen Sprache entgegenzutreten. Aufgabe des Dudens ist es, Sprache in ihrem gegenwärtigen Zustand zu beschreiben. Indem er Sprache aber nicht mehr nur widerspiegelt, sondern sie aktiv verändert, widerspricht er seiner eigenen Unternehmensstrategie. „Der Duden setzt so seinen Status als Standardwerk aufs Spiel“, so der Vorsitzende des VDS, Prof. Walter Krämer. (vds-ev.de, vds-ev.de, derstandard.at, welt.de)
Qualifikation zur Internationalen Linguistik-Olympiade 2021
Die Internationale Linguistik-Olympiade 2020 wurde um ein Jahr verlegt. Sie findet statt vom 19. bis 23. Juli 2021 in Ventspils, Lettland. Die Sprachwissenschaftler von morgen qualifizieren sich über die Teilnahme an der Deutschen Linguistik-Olympiade. Teilnahmeberechtigt sind alle Schüler an Schulen in Deutschland, die noch nicht zum Studium eingeschrieben sind und am ersten Tag der Internationalen Olympiade mindestens vierzehn, höchstens zwanzig Jahre alt sind.
Die erste Runde ist ein Online-Test. Teilnahmezeitraum: 8. bis 28. Februar 2021. Die Besten erreichen die zweite Runde des Online-Tests. Voraussichtlicher Zeitraum: 15. bis 28. März 2021.
Die besten zehn erreichen die dritte Runde und reisen (sofern wieder möglich) für das Finale nach Berlin, voraussichtlich im Mai 2021. Die besten vier aus ganz Deutschland reisen zur Internationalen Linguistik-Olympiade nach Lettland!
Weitere Informationen: leibniz-zas.de.
5. Denglisch
Russischer Sport ohne Anglizismen
Anglizismen nerven auch in Russland. Vor allem im Sport ist es offenbar unmöglich, Neues mit vertrauten Vokabeln der eigenen Sprache zu sagen. Der russische Sportsender Match TV soll nun für mehr russische Begriffe in der Berichterstattung sorgen. Seine Kommentatoren sollen ohne Anglizismen auskommen. So sollen Begriffe wie Loser, Playoff, Coach, Performance oder Derby künftig ins Russische übersetzt werden. Seitens der Reporter gibt es Kritik: Dies sei eine Bevormundung und Einmischung in ihre Arbeit. Die Chefproduzentin von Match TV, Tina Kandelaki, betont jedoch, es handele sich hierbei um Empfehlungen. Sollte dennoch ein englisches Wort durchrutschen, drohten keine Strafen. (mopo.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Oliver Baer