1. Presseschau
Kulturpreis Deutsche Sprache für Mai Thi Nguyen-Kim
Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache bekommen. Deutsch sei ihr Lieblingsfach in der Schule gewesen, nicht Chemie, verriet sie den überraschten Teilnehmern der Preisverleihung. „Mein Vater brachte Chemie ins Leben und so Leben in die Chemie“, erzählte sie von ihrer Kindheit. Das sei wichtig, denn es gehe ihr nicht nur darum, komplizierte Zusammenhänge einfach zu erklären, sondern auch immer um Einordnung und Konsequenzen, um Kontext. Die Laudatio hielt die Autorin und Schauspielerin Adriana Altaras. Sie lobte Nguyen-Kims Hingabe zur Forschung und den Wunsch, diese so zu vermitteln, dass ihre Zuhörer sie verstehen und ebenfalls lieben: „Die Sprache, die Du verwendest, ist präzise und klar. Und obwohl für ein junges Publikum, nie ordinär oder anbiedernd.“ Der mit 5.000 Euro dotierte Initiativpreis wurde dem Deutschen Gymnasium Tallinn verliehen. Der undotierte Institutionenpreis ging an das Projekt „Digitales Wörterbuch Deutsche Gebärdensprache“ (DW-DGS). Der Kulturpreis Deutsche Sprache wird seit 2001 jährlich vergeben, in diesem Jahr erstmals gemeinsam von der Eberhard-Schöck-Stiftung und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. (kulturpreis-deutsche-sprache.de)
Neue indogermanische Sprache entdeckt
Die Sprache Hethitisch wurde vor rund 3.500 Jahren – lange vor der türkischen Besiedlung – in Kleinasien gesprochen. Sie galt bisher als die älteste belegbare indogermanische Sprache. Heute ausgestorben, ist sie in Keilschrift auf Tontafeln überliefert. Die Hauptstadt des Hethiter-Reiches hieß Ḫattuša und lag in einem Gebiet rund 180 km östlich des heutigen Ankara. Archäologen von der Universität Würzburg und vom Deutschen Archäologischen Institut haben dort nun eine Keilschrifttafel entdeckt, die neben dem Hethitischen auch eine Passage in einer bisher unbekannten Sprache enthält. Im hethitischen Text wird das zitierte Idiom als die „Sprache des Landes Kalašma“ bezeichnet. Dieses Land Kalašma lag wahrscheinlich in der Gegend der heutigen türkischen Provinz Bolu. Sprachwissenschaftler wollen nun versuchen, die neue Sprache zu entziffern. Nach einer ersten Einschätzung soll sie zum Zweig der anatolischen Sprachen gehören. (uni-wuerzburg.de, spiegel.de (Bezahlschranke))
Norwegisch an der Volkshochschule
Bemerkenswertes über die norwegische Sprache erfahren die Teilnehmer des Norwegisch-Kurses an der Volkshochschule München-Erding. Geleitet wird der Kurs von dem Skandinavisten Uwe Englert. Norwegisch werde immer beliebter, sagt er. Gründe dafür seien die steigende Zahl deutscher (Wohnmobil-) Touristen, aber auch immer mehr Auswanderer aus Deutschland, die in Norwegen besonders im Gesundheitsbereich gute Berufsaussichten finden. „Wer eine skandinavische Sprache erlernen will, sollte (…) mit Norwegisch beginnen“, sagt Englert. Die Aussprache sei näher am Schwedischen, die Schrift eher dem Dänischen nah. Und der größte Teil des Wortschatzes ist, auch bedingt durch den Einfluss niederdeutscher Kaufleute zur Zeit der Hanse, für deutsche Muttersprachler halbwegs verständlich. (sueddeutsche.de)
2. Gendersprache
Uschi Glas teilt gegen Gendern aus
Seit 60 Jahren ist Uschi Glas als Schauspielerin tätig, die aktuelle Entwicklung der Gesellschaft befremdet sie jedoch. Als Winnetou-Schützling Apanatschi wurde sie jung berühmt, den Wirbel um das Wort „Indianer“ könne sie nicht nachvollziehen, sagte sie den Stuttgarter Nachrichten: „Karl May hat immer dafür gestanden, (…) dass er die Völker verbinden wollte. Sprich: Der Winnetou und der Old Shatterhand, das waren Blutsbrüder. Und die beiden, die waren die Guten.“ Ähnlich direkt positionierte sie sich zum Gendern. Der Ippen-Gruppe sagte sie: „Ich bin kein Freund vom Gendern. Ganz klar. Ich finde, die deutsche Sprache wird dadurch verhunaglt“ (Anmerkung der Redaktion: bairisch für „verunstaltet“). Wenn man schreibe „Liebe Freunde und Freundinnen“, dann sei das okay, „aber liebe Freund*innen – da denke ich immer: ‚Um Gottes willen, jetzt hat sie einen Hänger gehabt.‘“ (tz.de, stuttgarter-nachrichten.de)
Lobin: Gendern nicht abschaffbar
Gendern lasse sich nicht abschaffen – davon ist Prof. Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, überzeugt. Wer gendert oder das Gendern befürwortet, will eine Änderung in der Gesellschaft erreichen. Personenbezeichnungen sollten präzisiert werden, so Lobin auf zdf.de, um in der Sprache die Änderungen nachzuzeichnen, die sich in den letzten Jahrzehnten in unserer Gesellschaft vollzogen hätten. Dabei seien auch die Diskussionen bei den Linguisten beider Lager noch immer im Gange: „Die einen sehen die Sprache als ein System an, das fein wie ein Uhrwerk austariert ist und uns nur dann zu den kommunikativen Leistungen befähigt, die wir benötigen. Gendern ist nach dieser Auffassung so, als ob jemand mit einem Schraubenzieher grob einzelne Rädchen in dieser Mechanik verbiegt – und am Ende ist das ganze Uhrwerk dahin. Die anderen verstehen die Sprache eher als ein Gewässer, das sich den Umgebungsbedingungen anpasst und sich einen neuen Verlauf sucht, wenn am Ufer irgendwo ein Durchbruch entsteht. Das ist die Perspektive des Sprachgebrauchs, und das Gendern ist ein neuer Kanal, der von einigen gegraben wird.“ Lobin vertritt die Meinung, dass Regeln durchaus existierten, sich aber nach und nach im Gebrauch änderten. Niemand wolle eine Umerziehung, aber eben auch keine „Anti-Gendern-Sprachpolizei“. Der Rechtschreibrat, auf den sich die Volksinitiativen in Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg beziehen, entscheide nur über Rechtschreibung. Zu Wortwahl, grammatischen Konstruktionen und sprachlichem Stil fände man dort nichts, so Lobin. Er plädiere daher zu mehr Toleranz – und zwar auf beiden Seiten. (zdf.de)
Knackige Argumente für Verzweifelte
Gegner des Sprachgenderns konzentrieren sich auf die grammatischen Begründungen, weshalb Gendern schlecht für die Sprache (und ihre Anwender) ist. Das ist ungünstig, denn kaum einer kann die Grammatik ausführen, ohne sich zu verheddern, und die Genderfreunde ignorieren linguistische Argumente sowieso. Gegen diese wissenschaftsfeindliche Ignoranz gibt es nun auf baerentatze.de eine Sammlung von kurzen, knackigen Argumenten, geeignet für Mitbürger, die am Gendern verzweifeln, aber nicht wehrlos aufgeben möchten. Sie ist auch als PDF herunterladbar: „Was bringt’s den Frauen? 36 Problemzonen des Sprachgenderns.“ (oliver-baer.de)
Auch Dieburg gegen Gendermätzchen
Gegen Gendersonderzeichen haben sich auch die Dieburger Stadtverordneten entschieden. Der Magistrat muss nun via dienstrechtlicher Anweisung die amtliche Rechtschreibung im Rathaus durchsetzen, also auch sicherstellen, dass die Sonderzeichen sowohl in Arbeitsdokumenten als auch in Presse- oder Website-Mitteilungen nicht verwendet werden. Die Entscheidung fiel auf Antrag der CDU-FDP-UWD-Kooperation, berichtet der Dieburger Anzeiger. Die Zustimmung der SPD scheint die Alltagserfahrung der Infobrief-Redakteure zu bestätigen: Einem aktiven Sozialdemokraten, der freiwillig sprachgendert, ist noch keiner begegnet. Bemerkenswert ist die Begründung der Grünen: Das sprachliche Gendern samt Sonderzeichen spiegele schlicht „die gesellschaftliche Entwicklung wider, die sich nicht aufhalten lässt“.
Bisher lautete die meist gehörte Begründung, dass die gesellschaftliche Entwicklung durch die sprachliche Sichtbarmachung der Frau vorangetrieben werde. Spricht sich nun endlich herum, dass die ganze Sichtbarmacherei nichts bringt? Aber sie gehört weiterhin zum Reisegepäck, und wer dieses zu schleppen nicht bereit ist, verrät seine „frauenfeindliche Einstellung“? Und was, wenn man die Gerechtigkeit für alle Geschlechter befürwortet, aber beim Sprachgendern nicht erwischt werden möchte? Trotzdem ein Frauenfeind? (epaper.echo-online.de (Bezahlschranke))
3. Kultur
Literatur-Nobelpreis geht nach Norwegen
Der Literatur-Nobelpreis geht in diesem Jahr nach Norwegen. Jon Fosse bekommt ihn für seine „innovativen Theaterstücke und Prosa“, die dem Unsagbaren die Stimme gäben, heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. Fosse schreibt auf Nynorsk, eine der beiden Standardvarianten der Schriftsprache; die andere ist Bokmål und wird von der Mehrheit der Norweger genutzt. Fosse ist der vierte Norweger, der die weltweit wichtigste Auszeichnung für literarische Leistungen bekommt. Der Nobelpreis für Literatur ist mit umgerechnet rund 950.000 Euro dotiert. (deutschlandfunkkultur.de)
Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich
So lautet ein typischer Blödsinn, wie er in den Medien immer zu finden ist. Zum Sprachmissbrauch zählt das Falschverstehen von Statistiken, eine immergrüne Beschäftigungstherapie für Journalisten und Leser, die sich weigern, genau hinzuschauen. Aber man kann lernen, die Wirklichkeit richtig zu lesen – bevor man darüber urteilt. Beim Lernen hilft auf amüsante Weise „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich“ von Thomas K. Bauer, Gerd Gigerenzer, Katharina Schüller und Walter Krämer (den Lesern bekannt als Vorsitzender des VDS). Das Buch wurde auf die sogenannte Shortlist (gemeint ist die Kurzfassung einer vorher länger gewesenen Liste) für das beste Sachbuch des Jahres gesetzt, genauer gesagt geht es um den getAbstract International Book Award 2023 in der Kategorie Business Impact. Das Buch, so wurde uns versichert, wurde auf Deutsch verfasst. (journal.getabstract.com)
4. Berichte
Diskussionsrunde um Sprache
Um die „Macht der Worte“ ging es in der Gesprächssendung „Auf Augenhöhe“ des Publizisten Jens Lehrich. Unter anderem diskutierten VDS-Vorstandsmitglied Silke Schröder und VDS-Ehrenmitglied Peter Hahne über Gendersprache, Wortverbote und Meinungsfreiheit. Zu finden auf Youtube: youtube.com.
5. (D)englisch
Englisch im Job
„Darf der Chef die Arbeitssprache einfach verändern?“, fragt die Zeitschrift CHIP. Englisch in der E-Mail-Kommunikation oder am Telefon ist in vielen deutschen Büros alltäglich. Aber darf der Arbeitgeber von heute auf morgen anordnen, englisch zu schreiben oder zu sprechen? Wenn im Arbeitsvertrag Deutsch als Arbeitssprache festgelegt ist, geht das nicht, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht Nathalie Oberthür. Wenn aber der Arbeitsvertrag keine Regelung dazu enthält (was wohl meistens der Fall ist), könne die Arbeitssprache im Wege des Direktionsrechts grundsätzlich angewiesen werden, so Oberthür. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die gewünschte Sprache auch Teil des vereinbarten Berufsbildes ist. (chip.de)
6. Soziale Medien
Zitatfälschung beim Hessischen Rundfunk
Gendern ist das Eine – aber das Verfremden von Zitaten steht auf einem anderen Blatt. Der Hessische Rundfunk (HR) hat auf Instagram ein Interview mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) veröffentlicht. Im Wortlaut sagt dieser: „(…) weil die Leute die Nase voll von Bevormundung haben, sie wollen nicht (…), dass man ihnen sagt, wie sie zu sprechen haben.“ Bei dem entsprechenden Video auf YouTube war in der Startkachel zu lesen: „Die Bürger*innen haben die Nase voll von Bevormundung.“ Das Sternchen wurde vom HR eingefügt. Darauf in der Insta-Story des VDS angesprochen, dankte der HR für den Hinweis und schrieb: „Nach Überprüfung des Sachverhalts haben wir das Zitat auf dem Startbild korrigiert.“ Auf die Nachfrage, wieso die Redaktion ursprünglich eine veränderte, gegenderte Version des Zitats genutzt hat, antwortete der HR, dass aus Platzgründen bei solchen Kacheln oft Zitate zusammengefasst oder umgestellt würden. Hier sei jedoch ein Fehler eingetreten, der bei Zitaten nicht hätte geschehen dürfen: „Da wir in der Regel auf faire und geschlechtergerechte Sprache achten, ist uns der Fehler im weiteren Verlauf bedauerlicherweise nicht aufgefallen.“ Der schnellen Korrektur und dem professionellen Umgang mit dem Fehler gebührt definitiv Respekt, fraglich bleibt, was genau am Sternchen geschlechtergerecht und fair wäre, und was an dem Wort „Leute“ nicht stimmte. (instagram.com/VDS)
7. Kommentar
Ach Henning …
Woher plötzlich die vermeintlich versöhnlichen Worte aus Mannheim? Der Chef des IDS Mannheim, Prof. Henning Lobin, plädiert für einen entspannteren Umgang in der Gender-Sache. Moooment. DER Henning Lobin, der ganz dicke mit der Duden-Chefin Kathrin Kunkel-Razum ist? DER Henning Lobin, der im Duden-Verlag sein Buch „Sprachkampf – wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert“ herausgebracht hat, das nur so von Kampfmetaphern strotzt? Schweig still, mein pochend Herz! Sollte Lobin tatsächlich vorzeitig altersmilde geworden sein? Na, das ist doch zu bezweifeln. Zu sehr verteidigt er in seiner Kolumne das Gendern, greift auf seine 93-jährige Mutter zurück, die er als emanzipatorische Instanz in den Ring schickt. Zu sehr verweist er, als Mitglied desselbigen, auf den Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich kürzlich erneut zum Gendern positioniert hat und Sonderzeichen als nicht korrekt eingestuft hat. Der Hinweis, dass Sternchen und Co. als typografische Zeichen durchaus ihre Berechtigung hätten, darf für Lobin dennoch nicht fehlen, so als ob dieser Passus als eine pro-forma-Erlaubnis zum Gendern herangezogen werden dürfe. Vielleicht sieht Lobin auch einfach nur seine Felle davonschwimmen, denn die Umfragen zum Gendern sagen seit Jahren das gleiche, teils sogar zunehmend: Gendern wird von der Mitte der Gesellschaft abgelehnt. Auch Parteien und Künstler sprechen sich verstärkt dagegen aus, selbst einige Medien kommen von ihrer harten Pro-Gendern-Linie ab. Es hat also ein bisschen was von Anbiedern, wenn Lobin plötzlich mit einem virtuellen Blumenstrauß um die Ecke kommt und zärtlich säuselt: „Sollen wir wieder Freunde sein?“ Nachtigall, ick hör dir trapsen. (Doro Wilke)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Dorota Wilke, Jeanette Zangs