28.07.2107
1. Presseschau vom 21. bis 27. Juli 2017
- Alte Debatte, neuer Zündstoff
- Sächsisch
- Aus für „Lesen durch Schreiben“ in NRW
2. Unser Deutsch
- Warum stirbt der Grislibär?
3. Berichte
- VDS in europaweite Sprachdatenbank aufgenommen
4. Literatur
- Die Kunst des Übersetzens
5. Denglisch
- Es nervt!
1. Presseschau vom 21. Juli bis 27. Juli 2017
Alte Debatte, neuer Zündstoff
Die Genderdebatte ist kurz vor der Bundestagswahl zu einem Lieblingsthema der Parteien und Medien geworden. So ist beispielsweise die FDP mit ihrem neuen Wahlprogramm auf den Zug aufgesprungen und schreibt: „der Liberalismus braucht Feminismus“, weswegen man auch die „Gender Studies ernst nehmen und deren Erkenntnisse nutzen“ müsse.
Nun hat die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung ein Portal namens „Agent*In“ (Anti-Gender-Networks Information) freigeschaltet, das der Diskussion die Krone aufsetzt und „sich wie eine Art Verfassungsschutzbericht der Gender-Szene liest“, schreibt der Tagesspiegel. Dort sind Organisationen und Namen aufgelistet, die die Initiatoren als „antifeministisch“ und „genderkritisch“ verstehen. Selbst von linker Seite hagelte es Kritik. Nicht nur, weil nicht ersichtlich werde, aus welchen Gründen die Genannten auf der Liste erscheinen, sondern vor allem, weil die Stiftung sich so der Mittel bediene, die sonst nur aus dem rechten Spektrum bekannt sind, so die taz. Das sei schlichtweg eine „Massendenunziation“, findet Henryk M. Broder von der WELT. Der Blogger Roger Letsch verlangt auf achgut.com sogar: „Ich will da rein!“. Für den Blog achgut.com schreibt übrigens auch der VDS-Vorsitzende Walter Krämer. (heise.de, tagesspiegel.de, taz.de, achgut.com)
Sächsisch
Regelmäßig führt das Sächsische die Rangliste der unbeliebtesten Dialekte Deutschlands an. Dabei gilt es nicht nur als unattraktiv, sondern viel schlimmer noch als kommunikativer Nachteil. Nicht selten wird der Dialekt mit einem niedrigen Bildungsstand assoziiert. Die Folgen seien Rechtfertigungen und eine öffentliche Isolation nur aufgrund der sprachlichen Herkunft. Aus diesem Grund hat die TU Dresden nun einen Sonderforschungsbereich eingerichtet, der sich mit dem Schmähen und Geschmähtwerden auf kultureller, gesellschaftlicher und politischer Ebene auseinandersetzt. Neben der Stellung Sachsens erforscht die Universität dabei auch, inwiefern Herabsetzungen heute die Gesellschaft prägen und wie es historisch zu diesen Entwicklungen kam. (zeit.de, tu-dresden.de)
Aus für „Lesen durch Schreiben“ in NRW
Nach jahrelanger Debatte über den didaktischen Ansatz „Lesen durch Schreiben“, bei dem Grundschüler schreiben, was sie zu hören glauben („Di Kinda gehn in den Tso.“ statt „Die Kinder gehen in den Zoo.“), erteilt NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) der Methode nun eine Absage: Diese sei „nicht mehr zielführend“, „gerade für Kinder mit Migrationshintergrund“.
Der Status der Lehrmethode lässt sich für NRW aktuell etwa so beschreiben: Weder im Lehrplan verankert noch verboten. Ihre Anwendung liegt im Ermessen einzelner Schulen und Lehrer, deren Ansichten die Schüler und Eltern wehrlos ausgesetzt sind. Andere Bundesländer wie Hamburg, Berlin und Baden-Württemberg haben sich bereits gegen „Lesen durch Schreiben“ ausgesprochen. (rp-online.de, ksta.de)
2. Unser Deutsch
Warum stirbt der Grislibär?
Weil der Rechtschreibrat unlängst beschlossen hat, diese Schreibung des amerikanischen Bären nicht mehr zuzulassen. Der Braunbär der Rocky Mountains darf auch in deutschen Landen künftig nur Grizzlybär heißen wie in seiner Heimat. Ähnlich erging es anderen leicht integrierten Entlehnungen wie Ketschup, Joga, Roulett, Masurka, die künftig nur noch originalnah Ketchup, Yoga, Roulette und Mazurka geschrieben werden dürfen.
Worum geht es hier? Um die Frage, ob häufige Entlehnungen unserer Schreibung angepasst werden – nicht erzwungen, sondern fakultativ, als Variante. Das sichert die richtige Aussprache und erleichtert die Rechtschreibung. Das Deutsche hat hier dank seiner jahrhundertelangen Sprachkontakte, besonders mit dem Lateinischen, Französischen und Englischen, vielfältige Erfahrungen. Am auffälligsten sind Integrationen bei den ca. 700 Gallizismen wie Allee, Affäre, Perücke für allée, affaire, perruque. Im Gegensatz dazu bleiben Anglizismen zumeist unintegriert. Eine Ausnahme ist Streik (engl. strike). Insgesamt sind durch nicht-integrierte Entlehnungen fast 300 neue Laut-Buchstaben-Kombinationen in die deutsche Rechtschreibung aufgenommen worden, z.B. ‚ea‘ in Team, easy, Beach oder ‚ee‘ in Teenager für langes i. Langes e wiederum wird durch ‚a‘ in Baby, ‚ai‘ in Trainer, ‚ea‘ in Steak oder ‚aie‘ in Portemonnaie wiedergegeben. Das macht die Fremdwörter zu einem Rechtschreibproblem. Gleichwohl haben sich integrierte Schreibungen kaum eingebürgert. Wie außerordentlich konstant die originalen Schreibungen sein können, zeigt das Schicksal lateinisch-griechischer Entlehnungen mit ph, th, rh wie Philosoph, Theater, Rheuma. Sie gehen zurück auf die Adaption griechischer Lehnwörter durch die Römer, die damals die aspirierten Laute durch ein zusätzliches h wiedergaben. Die Laute haben sich gewandelt, die Schreibung ist geblieben, über 2000 Jahre. An dieser Konstanz von Schriftsystemen sind auch die jüngsten Reformversuche gescheitert. Die wenigen Reste integrierter Varianten werden nun gestrichen, weil die Deutschen sie nicht gebrauchen. Trotzdem: wenn junge Schreibanfänger die Schreibung des Grizzlybären zu Grislibär vereinfachen, sollte man sie für diese systemgerechte Kreativität nicht mit roter Tinte bestrafen. (Horst Haider Munske)
3. Berichte
VDS in europaweite Sprachdatenbank aufgenommen
Das European Centre for Modern Languages of the Council of Europe (ECML) hat den Verein Deutsche Sprache in seine Datenbank aufgenommen. Die Datenbank entstand im Zusammenhang mit einem Projekt, das die besondere Rolle von Sprachvereinen für die sprachliche Entwicklung innerhalb des europäischen Sprachraumes hervorheben will. Das 1994 in Graz gegründete ECML hat es sich zur Aufgabe gemacht, sprachliche und kulturelle Vielfalt zu fördern und die Sprachlehre zu verbessern. (lacs.ecml.at)
4. Literatur
Die Kunst des Übersetzens
Literatur zu übersetzen bedeutet für viele, einfach nur ein Wort von einer in eine andere Sprache zu übertragen. Doch „daran erkennen Sie eine schlechte Übersetzung“, stellt die Literatur-Übersetzerin Patricia Klobusiczky klar. Vielmehr müsse man die „Aura des Textes“ einfangen, kulturelle und kontextuale Bedingungen berücksichtigen und mit den richtigen Worten die richtigen Emotionen transportieren. Das mache den Übersetzer nicht nur selbst zu einem Autor, sondern auch zu einem „Korinthenkacker erster Güte“, wenn es darum geht, genau dieses eine Wort zu finden, so Patricia Klobusiczky.
Seit 20 Jahren unterstützt der Deutsche Übersetzerfonds Literatur-Übersetzer. Zu seinem diesjährigen Jubiläum hat der Verein alle Interessierten zu einem Übersetzungswettbewerb eingeladen. Noch bis zum 31. Juli 2017 können Sie Ihre Übersetzung des Anfangs des bisher nicht ins Deutsche übertragenen Romans „Greta Jones Street“ von Don DeLillo einreichen. Alle weiteren Informationen finden Sie hier. (deutschlandfunkkultur.de)
5. Denglisch
Es nervt!
Das findet auch die WELT und hat sich einigen besonders unsinnigen Werbesprüchen gewidmet. Fazit: Der Sinn hinter den „hippen Slogans ist selten ersichtlich“. So wirbt die Großhandelskette Metro beispielsweise mit dem Spruch „Going further together“, und man stellt sich unweigerlich die Frage: Wohin denn eigentlich? Versteht das auch der Kioskbesitzer von nebenan, der einfach nur eine Großpackung Kaugummis kaufen will? Eine, wenn auch nicht ganz ernst gemeinte Antwort auf das zunehmende Denglisch in der Werbung hat die WELT auch: „Vielleicht liegt es daran, dass die heute maßgebende Generation der Werbeleute mit Songs von Bob Dylan und Kollegen groß geworden ist, die auf Deutsch fürchterlich desillusionierend klingen.“ Kann aber dann auch nur daran liegen, dass sie die Texte damals nicht verstanden haben. (welt.de)
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Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel
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