Infobrief 373 (31/2017): Liebe und Hass in Sütterlin

4. August 2107

1. Presseschau vom 28. Juli bis 3. August 2017

  • Liebe und Hass in Sütterlin
  • Unsichtbare Verständigung
  • Kulturquote für Österreich

2. Unser Deutsch

  • Herumstehchen

3. Berichte

  • VDS zeichnet Kreativität aus

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Sexismus und Literatur

6. Denglisch

  • Sprachwirrwarr in der Bundesliga

 

1. Presseschau vom 28. Juli bis 3. August 2017

Liebe und Hass in Sütterlin

pixabay / CC0 1.0 / GregMontani

Wer heute noch ältere deutsche Schreibschriften wie Sütterlin beherrscht, darf sich als Hüter eines gefragten Fachwissens sehen, obwohl es für viele einfach nur die erste Schrift in der Schule war. Aber die nach 1945 Geborenen können die Schreibschrift meist nicht mehr entziffern. Der gemeinnützige Verein Sütterlinstube Hamburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte Tagebücher und Briefe zu übertragen. Und er hat viel zu tun – bis heute gingen 3500 Aufträge aus aller Welt ein. Denn das Interesse daran, was die Großmutter oder der Vater einst schrieben, beschäftigt die Menschen. Auf Spiegel Online berichten die Ehrenamtlichen über ihre Arbeit. Neben den formalen Schwierigkeiten, wie unterschiedlichen Handschriften oder ungebräuchlichen Wörtern, sind es oft die Inhalte, die die Arbeit anspruchsvoll machen. Die thematische Spanne reicht von Liebesbriefen bis zu Beschreibungen von Nazi-Gräueltaten: „Man bleibt nie unberührt“, so Rolf Lieberich, der Texte aus einer Zeit übersetzt, die er selbst noch miterlebte. Auch für die Angehörigen sind die Inhalte zuweilen schockierend, beispielsweise wenn die Großeltern sich plötzlich als SS-Funktionäre entpuppen. (spiegel.de, suetterlinstube-hamburg.de)

Unsichtbare Verständigung

Wenn wir uns unterhalten, passiert mehr, als wir an Lauten, Mimik und Gestik hören oder sehen können. Forscher des Baskischen Zentrums für Kognition, Gehirn und Sprache in San Sebastián haben jetzt herausgefunden, dass sich die Gehirnwellen zweier Kommunikationspartner angleichen. „Die Hirne zweier Menschen werden dank Sprache zusammengebracht und Kommunikation schafft eine Verbindung zwischen ihnen, die weiter über das hinausgeht, was wir von außen sehen können“, schlussfolgert der Kommunikationswissenschaftler Jon Andoni Duñabeitia. Praktisch anwenden lassen sich diese Erkenntnisse zum Beispiel bei der Behandlung von Sprachbehinderungen. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher herausfinden, ob sich diese Ergebnisse auch bei Sprechern zweier unterschiedlicher Muttersprachen wiederholen.

Unter einem anderen Blickwinkel haben Forscher der Kansas University die Auswirkungen von Fremdsprachen untersucht. Hierbei erforschten sie unter der Leitung der Linguistin Utako Minai, wie ungeborene Kinder auf Sprache reagieren. Dabei kam heraus, dass die Kinder bereits im Mutterleib zwischen zwei Sprachen unterscheiden konnten – auch wenn sie beide von der Mutter gesprochen wurden. Sie widerlegten somit die Annahme, dass Kinder allein zwischen den Stimmen unterscheiden können und Spracherwerb erst nach der Geburt beginnt. (welt.de, de.catholicnewsagency.com)

 

Kulturquote für Österreich

Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich herrscht derzeit Wahlkampf, und zwar für die Nationalratswahl am 15. Oktober. Die österreichischen Sozialdemokraten, zu denen auch der derzeit amtierende Bundeskanzler, Christian Kern, gehört, fordern nun eine Quote für österreichische Kultur in den öffentlich geförderten Medien. Demnach sollen „österreichische Inhalte mit einer angemessenen Quote von 30% repräsentiert“ sein, so der Entwurf des Wahlprogramms. Der zuständige Minister, Thomas Drozda, bestätigte dieses Vorhaben. Er wolle nun mit Medien und Behörden besprechen, wie man auf eine derartige Quote kommen könne. Ob damit auch eine Förderung explizit deutschsprachiger Angebote einhergeht, lässt der Programmentwurf offen. (kurier.at)

 

2. Unser Deutsch

Herumstehchen

Das Wort hörte ich zum ersten Mal in Horst Lichters Trödelsendung und wusste gleich, was gemeint war: etwas Kleines, das irgendwo herumsteht. In der Vitrine, auf der Anrichte, am Fensterbrett. Irgendwo abgestellt, zum Anschauen, als kleiner Schmuck. Vielleicht von der Oma geerbt und aus Pietät aufgehoben, schon lang in der Familie. Immer wieder abgestaubt und wieder hingestellt. Oft eine Porzellanfigur, ein verführerisches Mädchen oder ein elegantes Tier, auch alte Puppen können da einen Platz finden. Nun wird aufgeräumt, das Herumstehchen endlich zum Verkauf angeboten.

Wir lächeln beim Anhören des neuen Wortes. Warum? Es ist eine ungewöhnliche Bildung. Fast immer werden die sogenannten Diminutiva, die Verkleinerungsformen mit -chen oder -lein von Substantiven abgeleitet. Nur selten von einem Verb wie in Nickerchen (zu nicken) oder Prösterchen (zu prosten), hier gar von einem zusammengesetzten Verb herumstehen. Vielleicht kommt es ursprünglich aus dem niederrheinischen Dialekt, wo Lichter zuhause ist. Denn unsere Dialekte sind oft noch produktiver in der Wortbildung als die Hochsprache. Und sie lieben die Verkleinerungen, die nicht nur Kleines meinen, sondern dem Wort einen emotionalen Touch geben, wie in Küßchen, Händchen, Freundchen. Lichter erfand das Händlerkärtchen und oftmals ertönt sein Ruf „Das ist ein Träumchen!“ Auch mit dem Herumstehchen ist eine gewisse Zärtlichkeit für das Ererbte und Aufbewahrte verbunden. Das ist das Besondere an dem vielen Trödel, der in Schubladen gehegt wird oder nur auf Anrichten oder in Fensterecken herumsteht. Er wird nicht gebraucht und ist dennoch geliebt. Und am Ende finden die Herumstehchen neue Besitzer, die ihnen neue Liebe entgegenbringen, an neuem Platz, auf der Anrichte, der Vitrine oder gar in einem biedermeierlichen Glasschrank.
Horst Haider Munske

Die Artikel der Rubrik „Unser Deutsch“ bieten häufig Anlass zur Diskussion. Wer mitdiskutieren möchte, ist im VDS-Rundbriefforum herzlich dazu eingeladen: http://rundbrief.vds-ev.de.

 

3. Berichte

VDS zeichnet Kreativität aus

Um unnötigem Denglisch in Kleinbetrieben und im Einzelhandel entgegenzuwirken, hat die Cottbuser Regionalgruppe des VDS Unternehmen für ihre sprachliche Kreativität ausgezeichnet. „Die Menschen müssen sofort verstehen, worum es bei einer Sache geht – besonders dann, wenn man etwas verkaufen will“, sagt Enrico Groth, der in seiner Bäckerei bewusst auf Anglizismen verzichtet. Auch Geschäfte wie die Blumenbinderei „Blütenwerk“ beweisen, dass Denglisch nicht nötig ist, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. „Wir wollen mit der Aktion Denkanstöße geben und mit guten Beispielen beweisen, wie aussagekräftig, poetisch und vielseitig unsere Muttersprache ist“, so Annemarie Grimmler von den Cottbuser Sprachfreunden. (lr-online.de)

 

4. VDS-Termine

8. August, Region 45 (Essen)
Stammtisch
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Essener Hof – Raum Berlin, Am Handelshof 5, 45127 Essen

10. August, Region 28 (Bremen)
Treffen des Freundeskreises der deutschen Sprache
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant „Platzhirsch“, Ostertorsteinweg 50, 28203 Bremen

 

5. Literatur

Sexismus und Literatur

Ist der Literaturbetrieb in Deutschland sexistisch? Brauchen wir eine Frauenquote in der schreibenden Zunft? Mit diesen Fragen beschäftigten sich in der vergangenen Woche die Süddeutsche und Neue Zürcher Zeitung. So müssten sich Autoren beiderlei Geschlechts für feministische Texte rechtfertigen, an deutschen Universitäten würde literarisches Schreiben überwiegend von Männern gelehrt, und der Erfolg von Journalistinnen stehe im direkten Zusammenhang mit ihrem Aussehen. Die Süddeutsche legt empirische Beweise vor: „Der Anteil an Rezensionen über Bücher von Frauen beträgt zehn bis 24 Prozent. Sieht man sich die Jurys von Literaturpreisen an, sind Frauen mit nur 23 Prozent vertreten. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass Literaturpreise fünf Mal häufiger an Männer gehen.“ Die Einstellung dazu scheint jedoch auch eine Generationenfrage zu sein: Die Autorin und Trägerin des Georg-Büchner-Preises Sibylle Lewitscharoff meint „vom Sexismus im Literaturbetrieb zu sprechen, erscheint mir in den deutschsprachigen Ländern unsinnig“. In der Neuen Zürcher Zeitung berichten hingegen eher jüngere Autorinnen von sexistischen Strukturen. (nzz.ch, sueddeutsche.de)

 

6. Denglisch

Sprachwirrwarr in der Bundesliga

Dass der Erwerb der Sprache wesentlich zur Integration beiträgt, ist unumstritten. Doch es gibt Berufsgruppen, in denen sich die Akteure weniger anpassen müssen als anderswo. Besonders im Profifußball fällt diese Ungerechtigkeit immer wieder auf. Während von Zuwanderern in anderen Berufen erwartet wird, dass sie sich sprachlich an ihre Umgebung anpassen, sieht man Bundesligaspielern ihre Verweigerung verständnisvoll nach. Beim FC Schalke 04 gibt Trainer Domenico Tedesco Spielanweisungen künftig in Italienisch, Spanisch und Englisch. Man darf sich also auf noch mehr Sprachgemisch in der bald beginnenden Bundesligasaison einstellen.

Positiv fällt dagegen der VfB Stuttgart auf: Zwar findet das Training neben Deutsch auch auf Englisch statt. Dreimaliger Deutschunterricht pro Woche ist dort allerdings verpflichtend für jeden Spieler. (fussball.news, zvw.de)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche über die deutsche Sprache. Bestellbar unter: infobrief@vds-ev.de.

 

RECHTLICHE HINWEISE

Bitte antworten Sie nur dann auf diesen Infobrief, wenn Sie ihn abbestellen oder eine neue E-Post-Adresse angeben wollen. Zur Diskussion bietet sich das VDS-Internet-Forum an: http://rundbrief.vds-ev.de.

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

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