1. Presseschau
Deutsche Fremdwörter im Polnischen
Neben Latein und Französisch hat Deutsch den polnischen Wortschatz am stärksten beeinflusst. Rund 3.000 Entlehnungen aus dem Deutschen nennt das polnische „Große Fremdwörterlexikon“. Einige davon stammen noch aus dem 10. Jahrhundert und sind ein Zeugnis der Christianisierung Polens: ołtarz von ‚Altar‘ oder ofiara von ‚Opfer‘, zwei Wörter, die bereits in althochdeutscher Zeit aus dem Lateinischen übernommen wurden. Viele Fremdwörter stammen aus dem Mittelalter, einer Zeit, als die deutsche Sprache in vielen Regionen des heutigen Polens dominierte und die Städte nach deutschem Recht organisiert wurden. Bei den Wörtern burmistrz (dt. ‚Bürgermeister‘), ratusz (dt. ‚Rathaus‘) und rynek (dt. ‚Ring‘) ist die Herkunft noch zu erkennen. Aber die „meisten Germanismen nehmen wir als solche überhaupt nicht wahr“, sagt die ehemalige Polnischlehrerin Małgorzata Makowska, die im Bericht des MDR befragt wird. Die originellste Wortschöpfung dürfte wihajster (von „Wie heißt er?“) sein. Gemeint ist meistens ein Gegenstand, wofür einem das Wort gerade fehlt. (mdr.de)
Ein Herz für Dialekte
Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege und der Bund Bairische Sprachen wollen mithilfe einer Petition die Dialekte erhalten. Fränkisch, Altbayerisch und Schwäbisch sollen neben der regionalen Variante des Standarddeutschen einen Schutzstatus bekommen. So soll die Vielfalt der deutschen Sprache in Schulen und Universitäten gepflegt und nebenbei auch das bayerische Selbstbewusstsein gestärkt werden. Das „Deutsch-Nordwest“, heißt es in einer Broschüre, würde nur allzu oft für das „reine Hochdeutsch“ gehalten, das aber diskriminiere Menschen, die Südhochdeutsch sprechen. Die sprachliche Vielfalt gehe verloren, betonen die beiden Vereine. (br.de, sueddeutsche.de)
Eine neue Perspektive
Die Journalistin Sandra Schulz berichtet im Spiegel über ihre Erfahrung als Mutter einer Tochter mit Downsyndrom. So habe sie viel über Sprache lernen können. Kommunikation bestehe aus mehr als den gesprochenen Wörtern, um Gefühle und Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Das Downsyndrom verlangsame zwar den Spracherwerb ihrer Tochter, trotzdem könne sie durch das Aufzählen und Abfragen („erst…dann“) ihren Alltag strukturieren. Durch eigene kreative Wortfindungen mache sich ihre Tochter sogar die Sprache zu eigen. „Hutt!“ sei hierbei ein Ausruf des Erschreckens und „Tür zu!“ ruft ihre Tochter, wenn der Reißverschluss der Jacke geschlossen werden soll. Schulz beklagt die langen Wartezeiten für Logopädieplätze. Immerhin könne ihre Tochter bereits trotz ihrer Lerneinschränkung und ohne Logopädieplatz von ihrem Leben munter erzählen. (spiegel.de)
Hässliche Wörter
Sprichwörtlich liegt Schönheit im Auge des Betrachters – in diesem Fall im Ohr des Hörers. Auf der Online-Plattform Reddit fragte kürzlich ein Nutzer, welche Wörter als hässlich gälten. Der Nutzer justarandomdudeausde schreibt: „Ich hasse das Wort Warze. Einfach ekelhaft.“ Und auch ASCENTxyz hat ein Wort, das er nicht mag: „Kratzen. Mit diesem K-r und t-z klingt es einfach von vorne bis hinten ungemütlich.“ TJUE schließlich erklärt seine Abneigung gegen ein englisches Wort sehr ausführlich: „Ich hasse das Wort Vibe. Ersetzt sowohl Sympathie als auch Atmosphäre, die ich viel schöner finde. Noch dazu wird es komisch inflationär verwendet. Geht mir richtig auf die Nerven.“ (merkur.de)
2. Gendersprache
Genderverbot gilt für die Verwaltung
Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Landesregierung im Bundesland Hessen steht, dass „in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird“. Diese Formulierung konkretisiert nun Wissenschaftsminister Timon Gremmels in einer Dienstanweisung: Ein Genderverbot gelte nur für die Verwaltungen der Hochschulen. In die grundgesetzlich geschützte Freiheit von Lehre und Forschung greife die Regelung nicht ein. Auch bei den Staatstheatern Darmstadt, Wiesbaden und Kassel beziehe sich das „Genderverbot“ nur auf die Verwaltungen, so Gremmels. (forschung-und-lehre.de, welt.de)
„Gendern muss sein“
Die Hamburger Komiker, die Zwillinge Emil und Oskar Belton, sind bekannt für ihre Komödie „Die Discounter“. Nun positionieren sich die Zwillinge klar zur Gendersprache. Gegenüber der Deutschen Presseagentur begrüßen sie, dass das Gendern „so extrem in eine Richtung ausgeschlagen“ sei. Die Gendergegner hingegen „fühlen sich in ihrem Lebensstil bedroht. (…) Das ist ja psychologisch das Härteste auf der Welt, wenn man plötzlich sein Weltbild (…) infrage stellen muss“, erklärt Oskar Belton. Diese vermeintliche Identitätskrise sei nur zu überwinden, wenn sich Gendergegner und Genderbefürworter „irgendwann einpendeln“. (mopo.de)
3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit
Systemsprech
Beliebt ist die Behauptung der politisch Korrekten, jeder Rassismus, jede Unterdrückung der Frau, jedes Problem sei systematischer Natur, das System oder die Strukturen seien repressiv. Es gebe strukturellen Rassismus, systemische Benachteiligung von Frauen, Migranten, Transgender usw. Oft werden diese Behauptungen mit Wortspielen unterstützt. Hat man den Begriff Cisgender geprägt als Pendant zu Transgender, so kann man die Unterdrückung des weißen Cismanns Cistem nennen. Der Reggae kennt Shitstem als Bezeichnung der kolonialen, weißen Unterdrückung.
Bei der politisch korrekten Behauptung, alles sei durchs System bedingt, stellt sich sogleich die Frage, warum die Korrekten systematisch und systemisch verwenden. Es sind gewiss keine Synonyme, aber beide sollen dieselbe Unterstellung transportieren. Beide sind von System abgeleitet, wobei systemisch eher in esoterischen Kontexten (systemische Trauma- / Psychotherapie, systemischer Coach, systemische Beratung usw.) verwendet wird. Allerdings ist es schon lange in die Politik hinübergeschwappt: „systemische Delegitimierung staatlichen Handels“ (Thomas Haldenwang). Das Systemsprech wird so weit ausgedehnt, dass es Personen, die man unliebsam machen möchte, denen man unterstellt, sie hätten zu viel Macht oder beteiligten sich an sexueller Ausbeute oder Unterdrückung, mit einem Muster versprachlichen kann. So finden wir: System Putin, System Merkel, System Söder, System Weinstein, System Wedel, System R. Kelly, Machtsystem Homolka und System Lindemann. Es ist das Modell System + Person, das immer negative Bedeutung hat. Oder: Weselsky = Systemsprenger.
In Abgrenzung zum Nationalsozialismus und zur DDR spricht man oft von den zwei totalitären Systemen. Das ist größer als nur: Regime. Die DDR habe ein Spitzelsystem installiert, der NS die systematische Verfolgung von Juden und politischen Gegnern betrieben (systematisch steigert: geplant, organisiert). Auch kann das Wort System positiv gewendet werden, etwa im Zusammenhang mit Demokratie (das demokratische System). Oppositionelle, die in Staaten, in denen sie verfolgt werden, ein regime change fordern, können auch zu system change greifen. Die Klimademonstranten skandieren system change, not climate change.
Wir haben also eine emphatische Belegung, wenn System politisch benutzt wird, und eine neutrale, technische Belegung, wenn der Ausdruck wissenschaftlich gemeint ist: Klimasystem, politische Systeme, Wirtschaftssystem usw. Man sucht übrigens kaum nach einfachen Zusammenhängen, sondern stets nach systematischen Zusammenhängen: „Die Patrix wird von Regeln dominiert, die Frauen systematisch benachteiligen.“ (Carel van Schaik) Israel ist für Amnesty International gleich ein Apartheidsystem. Und Donna K. Bivens ist überzeugt, dass internalisierter Rassismus ein ganz eigenes System ist… Man muss diese sprachliche Mode aber milde beurteilen, schon die Romantiker hatten ihr Lieblingswort. Es war: organisch.
Myron Hurna
Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.
4. Kultur
Standarddeutsch oder Dialekt?
Der Linguist Simon Pickl geht dem Phänomen der Diskrepanz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nach. Geschrieben werde meist im standardisierten Hochdeutsch, also dem Standarddeutsch, dagegen seien mündliche Erzählungen durch alle möglichen Dialekte und regionalen Umgangssprachen geprägt. Das Standarddeutsch werde von Nachrichtensprechern verwendet, sei jedoch in der Regel nicht die Sprache, in der wir miteinander sprechen, so Pickl. Standarddeutsch sei die Sprache des geschriebenen Mediums, während Dialekte und die Umgangssprache „Mundarten“ im eigentlichen Wortsinn seien.
Das normierte Standarddeutsch werde in Wörterbüchern und Grammatiken festgehalten und gelte für den gesamten deutschen Sprachraum. Zudem besitze es eine gewisse Verbindlichkeit und werde in bestimmten Kontexten erwartet, etwa in der Schule, in Behörden oder vor Gericht. Die Standardsprache könne jedoch nicht ohne weiteres beherrscht werden. Der Linguist betont, dass man die Standardsprache durch aktive Instruktion, also in der Schule, erlernen muss. Die Standardsprache bringe auch eine bestimmte sprachliche Ideologie mit sich, erklärt Pickl.
Die Vorstellung einer „korrekten“ Ausdrucksweise sei wesentlicher Bestandteil der Standardsprache. Pickl sieht darin die Gefahr einer Diskriminierung, denn wenn nur die Standardsprache „richtig“ sei, dann hieße es im Umkehrschluss, dass Dialekte und andere Sprachformen „falsch“ oder „unschön“ seien. Diese Diskriminierung habe reale Folgen. Pickl verweist auf eine Metastudie, die zeige, dass Menschen mit erkennbarem Dialekt oder fremdsprachlichem Akzent beim Bewerbungsverfahren benachteiligt werden.
Die Standardsprache bringe sprachliche Wertvorstellungen mit sich, die zu negativen Konsequenzen führen können. Eine völlige Trennung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit im Deutschen gebe es jedoch nicht, betont Simon Pickl. Schon lange gebe es Autoren, die auch im Dialekt schreiben. Wahlplakate und Werbebotschaften seien ebenfalls oftmals umgangssprachlich oder im Dialekt formuliert. Die Befürchtung, dass dadurch „das richtige Schreiben“ verlernt werde, teilt der Linguist nicht. Denn die Anpassung von Standardsprache und Dialekt flexibel und situationsadäquat anzuwenden, gehöre zur sozialen Kompetenz. (derstandard.de)
5. Berichte
Neustart in Freiburg
In Freiburg (Breisgau) gibt es eine neue VDS-Regionalleitung. Im Beisein des VDS-Vorsitzenden Walter Krämer, der einen Vortrag zum Thema Gendersprache hielt, wählten die zahlreich erschienenen Mitglieder Martin Stroe zum Regionalleiter und Uwe Fahrer zu seinem Stellvertreter.
6. Denglisch
Entscheidende Feinheiten
VDS-Vorstandsmitglied Claus Maas war zu Gast beim Infomagazin „Welle-Rhein-Erft“ des Bürgerfunks Rhein-Erft-Kreis, wo er sich mit den Moderatoren Monika Bliem und Burkhard Thom über Anglizismen in der deutschen Sprache unterhielt. Zunächst kommentierten die Moderatoren, seit der Corona-Pandemie sei ein deutlicher Anstieg an Anglizismen wahrzunehmen. Maas klärte darüber auf, dass Anglizismen in der deutschen Sprache ständiger Begleiter sind und manche aus dem Englischen übernommene Begriffe, wie etwa der Computer, das T-Shirt oder der Laptop, auch gerechtfertigt seien.
Andererseits gebe es zunehmend Beispiele, etwa aus der Unternehmenswelt, welche die Kommunikation nicht erleichtern, sondern der „Wichtigtuerei“ dienten. Zudem erinnerte Maas daran, dass es sich bei Anglizismen nicht nur um einzelne Wörter, sondern auch um ganze Satzbaumuster handelt, die aus dem Englischen übernommen werden und im Deutschen wenig Sinn ergeben. Maas betonte, man solle sich bewusst machen, welche Formulierungen das Verständnis erleichtern. Maas war viele Jahre Deutschlehrer, er beklagte, dass der Ausbau des Wortschatzes und das Erlernen sorgfältiger Formulierungen im Deutschunterricht oftmals zu kurz kommen. Man verliere zunehmend das Gespür für differenzierendes, präzises Deutsch. Sprachliche Feinheiten seien entscheidend, nicht nur um Anglizismen zu vermeiden, sondern auch um gesellschaftlichen Konflikten vorzubeugen. (nrwision.de)
7. Soziale Medien
Akronyme im Internet
Bereits Sokrates kritisierte vor fast 2500 Jahren das Verhältnis zwischen Jung und Alt. Heutzutage wird der Generationenunterschied durch sprachliche Barrieren deutlich, berichtet die Augsburger Allgemeine. Die „Sprachlosigkeit“ zwischen den Generationen werde durch die Jugendsprache bestärkt, durch den Wunsch junger Menschen, sich von älteren Generationen abzugrenzen. Die schnelle Kommunikation im Digitalen gebiert immer neue Akronyme und Abkürzungen. In der Netzausgabe entschlüsselt die Augsburger Allgemeine die wichtigsten Buchstabenkombinationen, die bei Jugendlichen beliebt sind.
Besonders viele Abkürzungen stammen aus dem Englischen. Laut der Online-Sprachlernplattform „Preply“ stellt sich heraus, dass die Abkürzung „POV“ am häufigsten missverstanden wird. Das Kürzel „POV“ steht für „point of view“ und bringt zum Ausdruck, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Seit den 1990er Jahren ist die Abkürzung „LOL“ im Internet bekannt. Sie steht für „laughing out loud“, also ein lautes Lachen. Weniger bekannt dürften „NSFW“ oder „TBH“ sein. „Not safe for work“ wird beim Teilen von Inhalten und Informationen verwendet, die möglicherweise als anstößig empfunden werden können. „To be honest“, kurz „tbh“, lässt sich mit „um ehrlich zu sein“ übersetzen.
Für die Sprachexpertin Sylvia Johnson sind die Akronyme beliebt in der Netzsprache der Jugendlichen. Es bleibe, die Bedeutungen herauszufinden, vor allem wenn es Vergleichbares in der Muttersprache nicht gibt. (augsburger-allgemeine.de)
Gewalt sähen
Wer auch immer das Plakat für die beiden CDU-Ministerpräsidenten Henrik Wüst (NRW) und Michael Kretschmer (Sachsen) gebastelt hat – er hätte besser erst einmal im Wörterbuch nachgeschaut. Bei einer Demo in Berlin hielten die beiden ein kleines Pappschild in die Kamera, auf dem „ Wer Hass säht, erntet Gewalt“ stand. Korrekt wäre „sät“ gewesen. Daraufhin schrieb die X-Nutzerin @szteffienchen: „Und wer Dummheit säht (sic), wird Spott und Häme ernten! Selbst moralische Überhöhung sollte orthografisch fehlerfrei sein.“ (twitter.com/szteffienchen)
Alter Balken
Auf der Facebook-Seite des VDS gibt es einen Blick auf die kleinen Dinge, die beim VDS nebenbei auch eine Rolle spielen: die Restaurierung und Erhaltung des Sprachhofs. Der alte Hof in Kamen birgt reizvolle Details, die in die Jahre gekommen sind. So auch ein Balken von 1806 samt Inschrift. Die Schrift auf dem Balken wurde jetzt von Stephanie Zabel aus der Geschäftsstelle restauriert, die Inschrift beinhaltet den Psalm 118 und erstrahlt jetzt wieder an der Scheune. (facebook.com/vdsdortmund)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs