Infobrief vom 29. Juli 2024: Rassistische Pflanzennamen

1. Presseschau

Rassistische Pflanzennamen

In der vergangenen Woche fand in Madrid der Internationale Botanische Kongress statt. Die versammelten Wissenschaftler und Botaniker tauschten sich nicht nur über ihre neuesten Befunde aus der Pflanzenwelt aus, sie diskutierten auch über die Namen bereits bekannter Pflanzen. Mehr als 200 davon bekamen einen neuen Namen. Die Änderung gilt für alle Pflanzen-, Pilz- und Algennamen, die das Wort „caffra“ enthalten. Dieser Beiname sei seit Mitte des 20. Jahrhunderts rassistisch und werde insbesondere in Südafrika abwertend für Menschen mit schwarzer Hautfarbe verwendet, erklärte Sonia Molino, Vorstandsmitglied der spanischen Botanischen Gesellschaft. Somit heißt beispielsweise der afrikanische Küstenkorallenbaum „Erythrina caffra“ jetzt „Erythrina affra“. Die Änderung wurde von den Pflanzentaxonomen Gideon Smith und Estrela Figueiredo von der Nelson-Mandela-Universität in Südafrika vorgeschlagen. (stern.de)


Zurück zum Alten

In Schulen wird zunehmend auf die Digitalisierung der Lernprozesse gesetzt. Insbesondere Dänemark, Schweden, Norwegen und die baltischen Staaten sind bei der Digitalisierung weiter als Deutschland. In Dänemark benutzen alle Schüler bereits ab der ersten Klasse Tablets, und ins Internet vernetzte Smartboards ersetzen die klassische Kreidetafel.

Die dänische Regierung tritt nun jedoch einen Schritt zurück. Unter dem Motto „Switch off“ („Abschalten“) plant Ministerpräsidentin Mette Fredriksen, die Altersgrenze für den Zugang zu den sozialen Netzwerken technisch von 13 auf 15 Jahre anzuheben. Im Unterricht sollen die Smartphones, Tablets, Smartboards und Bildschirme allmählich verschwinden zugunsten des analogen Unterrichts mit Büchern und der Gebrauch von ChatGPT soll in den Schulen nicht mehr gestattet sein. Der Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln führe zu digital gebildeten Menschen, aber die neuen Medien schüfen Abhängigkeit, erklärt die Wissenschaftlerin Aida Bikic von der Universität Süddänemark. Die Techniksucht führe zu Unkonzentriertheit, Abgestumpftheit und Einsamkeit. Diese Folgen wurden durch eine Langzeitstudie der Universität nachgewiesen.

Nicht nur die psychische Gesundheit der Jugendlichen stehe auf dem Spiel, sondern auch die Lese- und Lernfähigkeit. Dass die Schüler wieder mit dem Stift schreiben, die Rechtschreibung auch ohne digitales Korrekturprogramm üben und bei Diktaten bestehen, soll die kognitiven Fähigkeiten der jungen Generation fördern. Es gehe, wie bei ähnlichen Überlegungen in Schweden und Finnland, auch um die „Unabhängigkeit von der Manipulation und den kommerziellen Machtansprüchen der global agierenden Tech-Unternehmen“, schreibt der Politologe Udo Knapp in der taz. Die Verantwortung für den exzessiven Medienkonsum der Jugendlichen solle man nicht nur den Eltern überlassen. (taz.de)


Öffentliche und private Sprache

In der FAZ bescheinigt Mark Siemons den Ostdeutschen ein „feineres Sensorium“ beim Gebrauch formelhafter Bekenntnisse in der öffentlichen und privaten Sprache und ein gewohnheitsmäßiges Misstrauen gegenüber der offiziellen Kommunikation. Denn in der DDR gebrauchte man „die offiziellen Sprachregelungen von Partei und Staat“ immer dort, „wo sie als äußeres Zeichen der Loyalität erwartet wurden, doch im privaten Alltag hätte man sich lächerlich gemacht“, so Siemons, der in dem Artikel auch das Buch „Ungleich vereint“ des Soziologen Steffen Mau vorstellt. Laut Siemons ist schwer zu sagen, ob die Übereinstimmung von privater und öffentlicher Sprache „grundsätzlich ein Ausweis demokratischer Gesinnung“ sei oder eher ein „Ausdruck politischer Naivität“, wodurch die Demokratie sogar in Gefahr geraten könne. Der Beitrag zieht auch Parallelen zur Sprach- und Medienkritik der 68er Generation und fragt schließlich, ob aus einem pluralen Politik- und Gesellschaftsverständnis nicht auch das Bewusstsein folgen müsse, „dass man also als Privatmensch anders redet denn als Vertreter einer Regierung, Partei, Institution oder Lobbyorganisation“. (faz.net (Bezahlschranke))


Nur mit Deutschkenntnissen in die 1. Klasse

In Bayern müssen Erstklässler demnächst sicher Deutsch sprechen können, bevor sie in die Schule kommen. Damit reagiert das Bundesland auf die zunehmenden Sprachprobleme in der Schuleingangsphase. Vor dem Schulbesuch soll es einen verpflichtenden Test geben, hat die bayerische Regierung beschlossen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagt laut Bild: „Nur wer gut Deutsch spricht, kann am regulären Unterricht teilnehmen.“ Gelten soll die Pflicht zum Sprachtest bis zum Beginn des Schuljahres 2026/27. Kita-Kinder zwischen vier und fünf Jahren machen dann einen ersten Sprachtest. Wird Förderbedarf festgestellt, soll das Kind zum Besuch einer Kita mit integriertem Vorkurs Deutsch verpflichtet werden, so Bild. Kurz vor der Einschulung gibt es bei allen Kindern, die den Test noch nicht bestanden haben, eine gesonderte Untersuchung anlässlich der Schulanmeldung. Bei Sprachschwächen sollen sie dann von der Einschulung zurückgestellt werden, damit sie an einem Kurs zur Aufbesserung ihrer Defizite teilnehmen können. (bild.de)


Exotisch diskriminiert

Beim Asian Streetfood Festival am Kreuzberger Spreeufer gibt es im August asiatische Kulturen und Speisen. Eine Jury in der Berliner Landesverwaltung wendet sich nun gegen „diskriminierende Werbung“ für die Veranstaltung. Der Gastronom Sascha Disselkamp vermietet für das Fest seinen Sage Beach Club . Den Werbespruch „Tauche ein in die exotische Welt der asiatischen Straßenküche“, der an seinem Lokal und auf der Netzseite des Festes zu finden ist, hält die Berliner Jury für problematisch. Disselkamp erhielt ein amtliches Schreiben, darin wurde ihm erklärt, das Wort „exotisch“ werde verwendet, um Menschen oder Kulturen als „fremd, andersartig und außerhalb der Norm“ zu beschreiben.

Die Werbung sei ein klarer Fall von Diskriminierung und trage dazu bei, dass sich negative Stereotypen verfestigen, begründet Iris Rajanayagam, Vorsitzende der ehrenamtlichen Jury. Die asiatische Küche sei so vielfältig wie ihre Kulturen und Herkunftsländer und solle deswegen nicht nur auf einen einzigen Begriff reduziert werden. Disselkamp, der die Veranstaltung nicht organisiert, hat das Schreiben der Jury weitergeleitet. Der Veranstalter, Luan Thanh Nguyen, korrigierte die Jury, das Wort „exotisch“ sei bereits seit April nicht mehr in der Werbung und auf der Netzseite der Veranstaltung zu finden. Nguyen hält auch den Schirmbegriff „Asian Food“ für Asiaten „in keiner Weise diskriminierend“. (bild.de, tagesspiegel.de (Bezahlschranke))


2. Gendersprache

FDP Bremen: Kein Gendern in Schulen und Verwaltung

Die Bremer FDP will das Gendern in Schulen und Verwaltung verbieten und dazu in der Bürgerschaft einen Dringlichkeitsantrag einbringen. Die deutsche Sprache werde durch das Gendern verunglimpft – zu Lasten der Verständlichkeit für Einheimische wie auch für Ausländer, so FDP-Fraktionschef Thore Schäck. Es sei inakzeptabel, „wenn bestimmte politische Strömungen die deutsche Sprache für ihre ideologischen Zwecke missbrauchen wollen und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit solche neuen Sprachformen aufzwingen wollen. Das Gendern ist eine Ausprägung grüner Ideologie, die weder Diskriminierung bekämpft noch zu mehr Toleranz in der Gesellschaft führt.“ Daher müsse Schluss sein mit der „Fantasiesprache“, zumindest an Schulen und im Öffentlichen Dienst, so die FDP in einer Mitteilung.

Künftig sollten offizielle Behördenschreiben oder Prüfungen an Schulen in der korrekten deutschen Rechtschreibung verfasst sein. Aktuell gilt in Bremen eine Handreichung aus dem Jahr 2020. Geschlechtersensible und diverse Sprache sei dringend angeraten, aber nicht explizit vorgeschrieben. Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte seien, wie es heißt, bei amtlichen Schreiben jedoch zulässig, um Vielfalt auszudrücken. (butenunbinnen.de, queer.de, fdp-fraktion-hb.de)


Erst entlassen, dann doch nicht

Die Medizinische Universität Graz hatte einem Arzt die Lehrpraxis entzogen, weil er sich gegen das Gendern aussprach. Dr. Nobert Kroißenbrunner hatte von der Uni eine Mail bekommen mit der Bitte um Evaluation einer Arbeit: „Da kürzlich (ein/e) Studierende(r) an Ihrer Lehrordination ausgebildet wurde(n), laden wir Sie hiermit ein, Ihre Erfahrungen rückzumelden“. Kroißenbrunner antwortete, man möge ihm eine Umfrage schicken, die sich an geltende Grammatikregeln halte: „Immerhin verlangt der Rat für deutsche Rechtschreibung, dass geschlechtergerechte Texte lesbar sein müssen.“ 

Das genügte der Universität für die Kündigung. Man müsse aufgrund des Inhalts davon ausgehen, „dass Sie als Lehrordinationsleiter nicht dieselben Werte wie die Med Uni Graz vertreten“, heißt es in der Begründung. Auf Nachfrage der Kronen-Zeitung erklärte die Medizinische Universität Graz: „Wir legen großen Wert auf eine respektvolle und konstruktive Kommunikation, die unsere Grundsätze der Offenheit und Toleranz widerspiegelt.“ Dabei stehe er dem Gendern nicht mal feindlich gegenüber, erklärte Kroißenbrunner. Ihn störe allerdings „das willkürliche Durchsetzen von Rechtschreibregeln“ vonseiten der Hochschule. „Gender-Sternchen und Binnen-I sind nichts anderes als Blendgranaten, um von den tatsächlichen Problemen abzulenken“, so Kroißenbrunner.

Nur kurz nach der Entlassung hieß es: Kommando zurück. Denn nicht nur die Reaktionen in den sozialen Medien hatten es in sich, auch die Politik schaltete sich ein. Die ÖVP-Minister Martin Polaschek (Bildung) und Susanne Raab (Frauen) meldeten sich in der Kronen-Zeitung: „Dass dem Arzt auf Basis der persönlichen Gender-Ideologie von einigen Lehrenden seine Lehrpraxis entzogen wurde, ist nicht hinnehmbar“, kritisierte Polaschek, und Raab wehrte sich gegen „ein übertriebenes verpflichtendes Gendern mit Sonderzeichen, das den Bezug zu den Menschen und den eigentlichen Herausforderungen der Gleichstellung“ verliere. Derart verkrampfte Debatten würden der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen nicht helfen.

Auch der Landeschef Christopher Drexler fand scharfe Worte: „Gerade im Gesundheitsbereich brauchen wir jede Kraft. Es geht darum, Medizin zu vermitteln und auszubilden. Dabei engagierten Menschen Steine in den Weg zu legen, darf nicht sein.“ Bei Gesprächen zwischen Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl, Kroißenbrunner und der Uni gab es dann ein Einlenken, der Arzt darf weiter ausbilden. Kornhäusl stellte klar: „Auch unabhängig von diesem Anlassfall bin ich der Meinung: Es muss Schluss sein mit der überbordenden politischen Korrektheit!“ (krone.at (Bezahlschranke), krone.at)


Bald ausgegendert?

„Hat es sich bald ausgegendert?“ fragt der Spiegel. Der große Trend gehe zur Neutralisierung, zu geschlechtslosen Partizipien, Synonymen, Umformulierungen. Im Großen und Ganzen würden solche Formen immer besser akzeptiert, den meisten fielen sie kaum noch auf. Die Autoren haben beobachtet, dass Gendergegner zunehmend meinen, es gebe „wahrlich Wichtigeres zu tun … als diese ‚Luxusdebatte‘ – was auch stimmt. Und dann drehen sie sich um und kämpfen weiter mit Vehemenz auf dem Nebenschauplatz.“

Die Bürger litten „vielleicht weniger an vermeintlicher ‚Gender-Gängelei‘ als an ‚Veränderungserschöpfung‘“, zitiert der Spiegel den Soziologen Steffen Mau. Es gebe „bei Gender-Progressiven viel Gesinnungstümelei, eine zur Schau getragene Über-Correctness, mit der das breite Publikum vor den Kopf gestoßen wird.“ Die Autoren erwähnen das berühmt gewordene Zitat aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, wo es um die ‚Penisträger*innen‘ und die ‚Sitzpinkler*innen‘ ging. Beim Gendern gehe es um die „nette kleine Geste, ein Zeichen des Respekts gegenüber einer Minorität.“ 

Spiegel zitiert eine Untersuchung des Politologen Sebastian Jäckles: Die Ablehnung des Genderns habe wenig zu tun mit Alter, Geschlecht und Bildungsstand, auch beim Vergleich der Parteienpräferenz ergäben sich keine überwältigenden Unterschiede. Und: „In keiner Gruppe findet sich eine Mehrheit, die die gendergerechte Sprache als wichtigen Beitrag für die Gleichstellung betrachtet.“

Haben die Gendersprachler also den Krieg der Wörter verloren, fragt der Spiegel? Das sei wahrscheinlich der falsche Schluss. Die Entwicklung schlage bloß eine andere, womöglich eher mehrheitstaugliche Richtung ein, meint Simone Burel, Geschäftsführerin der Linguistischen Unternehmensberatung LUB in Mannheim.


3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit

Die Puffmutter aller Probleme

In seinem Wörterbuch äußert sich Jacob Grimm wie folgt zu den drei Genera im Deutschen: „Das maskulinum scheint das frühere, größere, festere, sprödere, raschere, das thätige, bewegliche, zeugende; das femininum das spätere, kleinere, weichere, stillere, das leidende, empfangende; das neutrum das erzeugte stoffartige, generellere, unentwickelte, collektive {zu sein}.“ (J. Grimm 1831, Wörterbuch, 3. Teil, S. 360) Diese merkwürdigen Assoziationen spiegeln wider, was Feministen oft kritisieren, dass nämlich das Weibliche mit der Natur, dem Erdigen, Dunklen, Substanziellen, Empfangenden, Emotionalen assoziiert wird, das Männliche dagegen mit dem Geistigen, Abstrakten, Prinzipiellen, Schaffenden. Bei Abstrakta wie Weibliches und Männliches kann selbstverständlich wunderbar alles Gefällige assoziiert werden, während die Wirklichkeit starke Frauen und schwache Männer, Frauen als Wissenschaftlerinnen und in der Erde buddelnde Männer kennt. Die Geschichte kennt hysterische Männer wie Goebbels und Hitler und verständige, rationale Frauen wie Meitner und Curie.

Anhand vieler Nomen soll immer noch belegt werden, dass unsere Sprache frauenfeindliche Assoziationen tätigt: Mutter Erde, Mutter Natur, Muttertier, Mutterboden und Mutterliebe als starke Verknüpfungen des Weiblichen mit Natur und Substanz, im Unterschied zu Vater Staat, Vaterfigur, Vaterland mit Verknüpfung zu Abstraktem, Geistigem, Formalem. (Gleich bleiben sich Vaterkomplex und Mutterkomplex, Vatergefühle und Muttergefühle usw.) Doch wir kennen Mutter auch in Bezug zu Abstraktem: Mutterwitz, Muttersprache, Mutterhaus, Mutterschiff, und auch die Matrix als etwas Abstraktes, daraus die Ableitung Matrize (Mutterform) sowie die Mutter aller Probleme. Auch der Bezug auf Töchter kann abstrakt sein: Filiale (etwa: Filialbank).

Es ist also kein Sexismus zu erkennen, und die Behauptung, Weibliches werde mit Konkretem, Substantiellem assoziiert, stützt sich nur auf wenige Beispiele. Die Frage ist, welchen Abstraktionsgrad man den Bestandteilen wie Natur, Land, Boden und Erde zuweist, vgl. Heimaterde, Mutterboden, Vaterland, Mutterland. Mutter im Sinne von Mutterland, Mutterschiff, Mutterhaus usw. verweisen immer auf den abstrakten Zusammenhang von Zugehörigkeit eines Abkömmlings. Allerdings ist hier das Denken nicht paarig: Zu Filiale denken wir uns die Zentrale oder das Stammhaus, zum Mutterland die Kolonien, was bedeutet, dass die Antonyme eine andere sprachliche Wurzel haben als das Paradigma Mutter und Vater.

Wenn man Ausdrücke wie Ehrenmann, Kulturfrauen oder Herrenwitz untersucht, die auf Geschlecht referieren, muss man wohl weitere Kriterien entwickeln. Es ist nämlich auch hier die Frage, wie abstrakt der nicht-geschlechtliche Teil zu verstehen ist.

Weibliche KonkretaWeibliche AbstraktaMännliche KonkretaMännliche Abstrakta
Mutter ErdeMutterwitzVater Staat
Mutter NaturMutter Natur?Vaterfigur
MuttertierMutterspracheVaterland
MutterbodenMutterhaus
MutterliebeMutterschiff
Matrix
Matrize
Filiale
Mutter aller Probleme
Hotel Mama
Mutterland
Mutterorganisation

Die Übersicht fällt zuungunsten der Behauptung aus, Frauen seien eher mit Substantiellem als mit Abstraktem assoziiert.

Myron Hurna

Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.


4. Kultur

Der steinige Weg zur Sprachförderung

Anne von Consbruch unterrichtet im Auftrag der Nina-Dieckmann-Stiftung Kinder aus Flüchtlingsfamilien an der Grundschule am Nackenberg in Hannover. Die unterrichtsbegleitende Sprachförderung sei wichtig für die Kinder, erzählt die Lehrerin. Die Kosten dafür werden zum Teil durch das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung getragen. Allerdings werde die Sprachförderung nur für zwölf Monate genehmigt, da die Ämter davon ausgehen, dass Kinder, die länger als ein Jahr in Deutschland leben, bereits ausreichende Kenntnisse besäßen, um in den normalen Unterricht integriert zu werden.

Von Consbruch berichtet allerdings, dass erfahrungsgemäß die Kinder ein umgangssprachliches Sprachniveau erst ab dem zweiten Lernjahr erreichen. Das Bildungssprachniveau sei dann noch nicht erreicht. Zuhause besäßen die Kinder keine Sprachvorbilder, und um die Lernförderung zu beantragen, müsse zunächst ein Antrag beim Jobcenter eingereicht werden. Bereits daran scheitern viele Familien. Laut dem Landesverband Niedersachsen profitieren nur 20.800 Kinder von den Bildungsgutscheinen, die Teil des Bildungs- und Teilhabepakets sind. Anspruchsberechtigt seien hingegen 128.000 Kinder und Jugendliche. Auch die Stiftungsgründerin Nina Dieckmann bemängelt, das Paket schaffe zwar Voraussetzungen für die Sprachförderung der Kinder, aber das Problem läge in der Bürokratie rund um die Anträge. (braunschweiger-zeitung.de)


Sprachtalent aus Korschenbroich

Der Mathematiker Heiner Claessen aus Korschenbroich hat eine besondere Vorliebe für Sprachen. In 30 Sprachen kann er sich problemlos unterhalten und weitere 25 beherrscht er rudimentär. Der 44-Jährige beteiligte sich kürzlich am „Polyglot Gathering“, einer Konferenz für talentierte Sprachliebhaber in Prag. Er tauscht sich auf der Internetplattform „Hypia Portal“ mit weiteren mehrsprachigen Menschen aus. Bei ihm wurde in der frühen Kindheit Autismus festgestellt, im Erwachsenenalter wurde die Diagnose zu Asperger korrigiert. Zum Erscheinungsbild des Syndroms gehören herausragende geistige Fähigkeiten. Claessen ist am Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf tätig, dort arbeitet er als Privatdozent und vermittelt die Grundlagen der Statistik und Epidemiologie. Unabhängig davon, ob er die jeweiligen Länder tatsächlich bereist, lernt er Sprachen mit Vergnügen. Als Nächstes möchte er Mandarin, Tamil und Kisuaheli lernen. Sein Ziel sei es, eine einfache Unterhaltung in 100 Sprachen führen zu können. (rp-online.de)


Dakota-Grammatik

Der Linguist Berthold Simons hat die erste deutschsprachige Grammatik des Dakotas seit 1852 geschrieben. Nur noch wenige Sioux sprechen es. Simons hat sich schon als Jugendlicher für Fremdsprachen interessiert, im Linguistik-Studium in Köln befasste er sich mit den nordamerikanischen Sprachen. Vor allem die Dakota-Sprache habe es ihm angetan. Mittels traditioneller Feldforschung wurde die Sprache systematisch untersucht: „Wenn wir in einem fremden Land ausgesetzt würden, wären wir innerhalb von wenigen Wochen in der Lage, uns mit denen zu unterhalten oder eben sogar eine Grammatik zu schreiben. Sie kennen bestimmt den Film ‚Der 13. Krieger‘. Wie lernt darin der Orientale die Sprache der Nordmänner? Durch Zuhören. Der hört genau zu. Und dann semantisiert er das, was die sagen.“

Auf der Basis habe er die grammatischen Strukturen herausgearbeitet. Hilfreich sei dabei auch Simons Aufenthalt bei einer Familie der Santees gewesen, wo er drei Monate lang lebte und mit ihnen sprach. Noch vier ältere Mitglieder sprachen den Dialekt fließend: „Das war für mich auch der Grund, dass ich diese Grammatik jetzt noch geschrieben habe als Ruheständler – weil ich es denen versprochen habe. (…) Das Dakota ist praktisch keine Sprache mehr, die im Alltag zur Verständigung benutzt wird. Die eine Dame – das war die Mutter des früheren Stammesvorsitzenden, bei dem ich gewohnt habe – hat mir erzählt, sie haben in der Schule noch Schläge mit dem Lineal bekommen, wenn Sie Dakota gesprochen haben.“

Bei der Grammatik stellte Simons fest, dass diese die Lebenswelt der Sioux widerspiegelte: Ortsklassifikatoren bezeichneten die innere Festlegung des Lagers, in dem die Ureinwohner Nordamerikas ihre Zelte aufstellten. Auch die Verben des Kommens und Gehens sind in der Sprache wichtig: „Die Heimkehr an den Ort, an dem man wohnt, ist offenkundig im Dakota-Wortschatz ein ganz eminent wichtiger Faktor.“ Dakota sei eine sogenannte Aktivsprache, erklärt Simons: „Entscheidend bei einer Aktivsprache ist die Frage der Kontrolle über die Verbalhandlung.“ Die Aussage „Ich taue das Fleisch auf“ wäre in Dakota nicht möglich, weil das Auftauen von allein passiere.

Auch die Frage des Genderns lösen Dakota-Sprecher anders, so Simons. Die grammatische Kategorie Sexus kennzeichnet immer die sprechende Person selbst: „Ein Sprecher oder eine Sprecherin sagt etwas und endet mit einem kleinen Partikelchen am Satzende. Und das besagt ‚Ich Dakota-Frau sage das‘ oder ‚Ich Dakota-Mann sage das‘. Zum Beispiel He miye do heißt ‚Ich bin ich. Ich bin‘s‘. Das sagt der Mann, und die Frau sagt He, miye ye, ‚Ich bin‘s, ich Frau bin‘. Der Unterschied zum Deutschen ist der, dass im Dakota diese Kennzeichnung nur als Eigenkennzeichnung verwendet wird.“ (welt.de (Bezahlschranke))


5. Berichte

Handschrift wird unleserlich

Die VDS-Region 59 (Sauerland, Hamm) unter der Leitung von Bernhard Winters hatte am Freitag (19. Juli) zu dem Vortrag der Gymnasiallehrerin Maria-Anna Schulze Brüning „Vom Verschwinden der Schreibschrift und der Misere der Handschrift in der Schule“ in die VHS Hamm eingeladen. Schulze Brüning zeigte anschaulich, wie sich die Schriftkompetenz der Schüler in den Jahren verschlechtert habe. Grund dafür sei vor allem die seit den 2010er Jahren an den Grundschulen eingesetzte Grundschrift. Neu daran war, dass die Schüler ihre individuelle und leserliche Schreibschrift aus der Druckschrift entwickeln sollen, statt aus einer verbundenen Schreibschrift. Die Folgen: Die Handschrift vieler Schüler wird unleserlich, Wortabstände werden nicht eingehalten, die Buchstaben „tanzen“. „Ich habe noch Fünftklässler, die von der Tafel keine Wörter, sondern die einzelnen Buchstaben abschreiben“, so Schulze Brüning. Die Referentin konnte nicht nur auf ihre Erfahrung als Lehrerin zurückgreifen, sie hat in den vergangenen Jahren auch eigene Forschung zur Schriftkompetenz an Schulen betrieben und Schriftproben ausgewertet. Im Anschluss an den Vortrag und an die Diskussion berichtete VDS-Geschäftsführer Holger Klatte von den Deutschen Sprachtagen 2024 in Kamen. (handschrift-schreibschrift.de)


IDS-Sprachberatung liegt falsch

VDS-Vorstandsmitglied Claus Maas kritisiert die Sprachberatung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Auf die Anfrage eines VDS-Mitglieds, ob es korrekt sei, wenn die „Bundeswahlleiterin“ in der amtlichen Veröffentlichung zur Europawahl von „Informationen für Wählende“ spricht, hatte die IDS-Wissenschaftlerin Anja Steinhauer (Mitautorin von „Richtig Gendern“, Duden 2017) geantwortet, die fragliche Verwendung von „Wählende“ sei „keineswegs als grammatischer Fehler anzusehen“, da das Partizip I „nicht nur eine im Verlauf befindliche Tätigkeit“ ausdrücken könne, sondern auch einen „andauernden Zustand“ bzw. eine „inhärente Eigenschaft“.

Maas widersprach dieser Auffassung. Dass jemand wähle, sei keineswegs ein andauernder Zustand – noch gar eine „inhärente Eigenschaft“. Vielmehr könne jedermann – ob Mann, Frau oder diversgeschlechtlich – stets frei darüber entscheiden, ob er zum „Wählenden“ wird (oder „Nicht-Wähler“ bleibt). Logisch nachvollziehbar wäre eine solche Bezeichnung allenfalls in einem Aushang unmittelbar im Wahllokal, nicht aber, wenn offensichtlich die „Wähler“ im Sinne von allen „Wahlberechtigten“ angesprochen seien.

Frau Steinhauer rechtfertigte ihre Auffassung daraufhin mit der Erklärung, die „Sprachgemeinschaft“ sei „auf der Suche nach Möglichkeiten des geschlechtergerechten Formulierens“. Claus Maas, auch VDS-Bereichsleiter für Deutsch in der Schule, betonte jedoch, das sei keine Rechtfertigung für wissentlich falsche oder irreführende, willkürliche Umdeutungen der inhärenten Logik in der Sprachstruktur. Damit werde das IDS seinem Anspruch auf Expertise nicht gerecht. Zitat: „So wird es ganz sicher nichts mit der Verständigung über einen zugleich vernünftigen UND geschlechtersensiblen Umgang mit der Sprache.“.


6. Denglisch

Quälerei im Flugzeug

Fliegen ist eigentlich nie angenehm. Endlose Wartezeiten, Ärger bei der Gepäckabfertigung, anstrengende Sitznachbarn, Schmerzen im Rücken, pappiges Essen. Die Welt berichtet nun über einen „Trend“ – so lautet es in dem Beitrag –, der insbesondere bei männlichen Passagieren zu beobachten sei. Wie bei Trends hierzulande üblich muss eine Bezeichnung aus dem Englischen dafür herhalten: raw dogging, kurz erklärt: einen Flug ohne jegliche Ablenkung oder Komfort überstehen. Über den Sinn kann man rätseln. Die Welt nennt Steigerung der Willensstärke eine Form der Meditation. „Wie lange kann ich mich der völligen Langeweile aussetzen, ohne durchzudrehen?“ Ein Mediziner kommt zu Wort, es fällt der Begriff „Bewusstseinskultivierung“, der als Trend vielleicht stärker anzustreben wäre. Auch ein Psychologe wird zitiert und nennt es „Selbstquälerei“. (welt.de)


7. Soziale Medien

Vorstands-Zeugnis

In den Sommerferien präsentieren wir auf unseren sozialen Medien Zeugnisse unserer Vorstands-Mitglieder. Diese Woche: Sabine Mertens. (facebook.com/vds)


Kernkompetenzen. So wichtig.

Wir beim VDS kennen uns selbstverständlich aus mit Büchern, unsere Vereinsbibliothek ist ein Zeichen für unsere Liebe zum Lesen. Deswegen haben wir diese Kernkompetenz genauer unter die Lupe genommen. (instagram.com/vds)


8. Kommentar

Gendern zum Selbstzweck

Es sei unwichtig, andere Themen seien wahrhaftig bedeutender (Klima, Ukraine, Hamas), aber man macht gerne mit dem Thema weiter. Das hat nun auch der Spiegel beobachtet. Ja, das könnte mit einem Gleichnis aus der Zahnarztpraxis beleuchtet werden: Zwar kümmert mich der Scheidungsprozess meiner Tochter über alle Maßen, aber einstweilen wummert der Backenzahn immer übler. Zur Verständnishilfe: Es gibt wichtige Probleme und es gibt dringende, und manche Probleme passen hier wie dort. Außerdem sind die ganz großen nicht so griffig, da kann man sich schon mal in dringendere Probleme verbeißen, also nach dem Besuch beim Zahnarzt. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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