Infobrief vom 26. August 2024: 3000 neue Wörter

1. Presseschau

3000 neue Wörter

Alle drei bis fünf Jahre erscheint eine neue Ausgabe des Dudens, das Wörterbuch der deutschen Sprache, das für Schule und für den Hausgebrauch als maßgeblich gilt, obwohl es seit 1996 nicht mehr offiziell die amtliche Rechtschreibung verkündet. Offenbar sind drei bis fünf Jahre eine relevante Zeitspanne, in der sich der Wortschatz einer Sprache derart verändert, dass sich der Druck eines neuen Wörterbuchs lohnt. Die nun erschienene 29. Auflage enthält 3000 neue Einträge, insgesamt 151 000 Stichwörter. In der vorigen Ausgabe 2020 suchte man vergeblich: Barfußschuh, Coronaleugner (logisch!), Dürresommer, Entlastungspaket, Kaffeevollautomat und meinungsstark.

Dieses Jahr aus der Wörterliste gestrichen wurden ältere Einträge: bequemlich, ertöten, Luftschiffer, aber auch jüngere: Spar- und Darlehenskasse, (sich) vertwittern. „Das Streichen fällt viel schwerer als die Aufnahme von Wörtern“, erklärte Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum . Es sei schwieriger nachzuweisen, dass ein Wort nur noch selten genutzt wird als umgekehrt. Und manchmal würden Streichungen sogar rückgängig gemacht. So steht das Wort „Hackenporsche“ (scherzhaft für einen Einkaufsroller) wieder in der Wörterliste 2024. Gegen die Streichung habe es Beschwerden gegeben, so Kunkel-Razum. Gestrichen wurden übrigens auch Wörtervarianten wie „Tunfisch“ und „Spagetti“, die im Zuge der Rechtschreibreform eingeführt worden waren. (stern.de, sueddeutsche.de)


Komplizierte Juristensprache

Juristensprache ist für die Allgemeinheit oft schwer verständlich. Die Forschergruppe rund um Edward Gibson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat nun eine Studie in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht, in der 200 Laien Gesetze zu verschiedenen Straftaten verfassen sollten. Dabei stellte sich heraus, dass die Nicht-Juristen ebenfalls versuchten, die Komplexität der Juristensprache nachzuahmen. Gibson erklärt, dass es eine „implizierte Regel“ gebe, die besagt, wie Gesetze klingen sollen. Für die Juristensprache sei das Einbetten von Informationen in der Mitte von Sätzen typisch.

Juristische Dokumente zeigen eine Tendenz, „Strukturen in andere Strukturen einzubauen“, erklärt Gibson, Professor für Kognitionswissenschaften. Dies sei für die menschliche Sprache nicht typisch. Die Forschergruppe wolle Gesetzgeber dazu ermutigen, verständlichere Texte zu schreiben, ohne den rechtlichen Inhalt zu verändern. Im nächsten Schritt soll eine historische Analyse klären, ob diese Sprachkomplexität zufällig oder traditionell bedingt ist. (science.orf.at)


Geregelte Zeichensetzung

Der Rechtschreibexperte Christian Stang erklärt in der WELT einen bisher wenig beachteten Teil der deutschen Rechtschreibregeln: die Orthotypografie, ein besonderer Teil der Zeichensetzung, der die Regeln zu Gedanken- und Querstrichen, Auslassungspunkten und Leerzeichen enthält. Beispielsweise steht der Schrägstrich ohne Leerzeichen, „wenn Wortteile oder einzelne Wörter zusammengehören“, wie in: „Patient/-in, Schüler/-innen, Kaffee mit/ohne Schlagobers. Bei einer „Zusammenfassung von Wortgruppen“ dagegen, kann vor und nach dem Schrägstrich auch ein Leerzeichen stehen. Beispiele: „Englisch – Deutsch / Deutsch – Englisch, Ende Januar / Anfang Februar. Die Regelungen sollen die Lesbarkeit von Texten erleichtern. (welt.de (Bezahlschranke))


2. Gendersprache

Endspurt in Hamburg

Das Hamburger Volksbegehren gegen die Gendersprache in den Ämtern und Bildungseinrichtungen befindet sich im Endspurt. Noch bis zum 28. August werden Unterschriften von Hamburger Bürgern gesammelt, die das Volksbegehren unterstützen. Eine knappe Woche vor Ende der Frist habe man aber bisher nur die Hälfte der benötigten 66.000 Unterschriften gesammelt, teilten die Initiatoren mit. Jens Jeep, Vertrauensperson der Initiative, findet dafür klare Worte. Der Hamburger Senat hatte den Zeitraum für die Unterschriftenaktion mitten in die Sommerferien gelegt, ein klarer Nachteil für die Anhänger des Volksbegehrens. Zudem verkompliziere der Senat das Verfahren, und er informiere die Bürger nicht ausreichend darüber. Ein Scheitern der Unterschriftenaktion sei auch eine „Niederlage für die direkte Demokratie“, kritisieren die Initiatoren. Anja Oelkers, ebenfalls Vertrauensperson der Volksinitiative, plädiert jedoch für mehr Optimismus. Am Wochenende werden zusätzlich vor den Toren der beiden Robbie-Williams-Konzerte an der Trabrennbahn Bahrenfeld Unterschriften gesammelt. (spiegel.de, faz.net, abendblatt.de (Bezahlschranke))


Fast nur Frauen

Eine Super-Idee hatte der Landrat des Kreises Rotenburg (Wümme) in Niedersachsen. In der kürzlich neu gefassten Allgemeinen Dienst- und Geschäftsweisung des Landkreises Rotenburg wird bei Personenbezeichnungen ausschließlich das Femininum verwendet. Laut Landrat Prietz ist diese Form dort „generisch“ zu verstehen. „Da die Mehrzahl unserer Beschäftigten weiblich ist, habe ich mich für das weibliche Geschlecht entschieden“, so Prietz. Dafür habe er „bereits jede Menge positive Rückmeldung erhalten“.

Der Vorgang erinnert an einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2020, komplett mit femininen Endungen verfasst. Die Justizministerin Christine Lambrecht hatte ihn vorgelegt, Innenminister Horst Seehofer seine Verabschiedung verhindert. Es bleibt die Hoffnung, dass das laufende Volksbegehren „Stoppt Gendern in Niedersachsen“ erfolgreich sein werde, so dass Landrat Prietz seine Dienst- und Geschäftsanweisung nach den Regeln der amtlichen Rechtschreibung überarbeiten muss. (kreiszeitung.de, stoppt-gendern-in-niedersachsen.de)


3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit

Grüßen Sie nie aus der Provinz

In Mails an mich verabschiedet man sich oft mit: „Grüße von Hintertupfingen nach Freiburg.“ Es gibt auch: „Grüße von Kleinklotzbach nach Paris“ oder gar „Grüße aus Berlin nach New York City“! Diese Höflichkeitsfloskeln aus dem Postkartenzeitalter leiden unter dem Missverhältnis, dass man vom Kleineren zum Größeren (vom Unwichtigeren zum Wichtigeren) hin grüßt. Es ist logisch möglich, geistig aufgrund der Disproportionen aber hässlich. Dieses Grüßen aufgrund seiner Historizität ist eigentlich tot, hat sich auch als Leiche aber leider nicht überlebt.

An diesem Grüßen aus der Provinz in die größere Region, sozusagen vom Marktflecken in die Dominion ist mangelhaft, dass das Mondäne nur in der Formel nachvollzogen wird. Wer in New York wohnt, ist doch allemal besser dran als in Dreikäsbrödeln und bekommt dort auch mehr weltmännische Geläufigkeit. Aufstieg ist, was gefällt. Also grüßt normalerweise der Weitläufige den Provinziellen, der dorthin will, wo der Weitläufige schon ist. Indem man aus der Provinz auf Augenhöhe grüßt, will man Gleichheit.

Nun ist dieses sozialistische Grüßen gang und gäbe, ja, es ist immer überfreundlich, kumpelhaft, biersüffisant. Zu viele lassen sich davon verlocken, weil sie meinen, das als elitär missverstandene Verhältnis zwischen Kosmopolit und den überall am Wege lagernden Carl-Spitzwegerichen dieser Welt ließe sich einfach beiseite adressieren. Aber hier, bei den Grußformeln, gilt auch, was für den exquisiten Witz gilt: Man soll einen guten Witz nicht zweimal bringen, und gute Ausdrücke soll man nicht verformeln. Natürlich ist gegen Formeln („danke, bitte“; „nein, doch, oh“, „sehr geehrte Frettchen und Frettcherines“) nichts einzuwenden, doch eine Formel übermäßig zu strapazieren heißt so viel wie mit einem Bulldozer einen Flachwitz noch weiter auswalzen. Obwohl ich meine Intuition nicht weiter begründen kann oder andernfalls kopfüber in die Soziologie eintauchen müsste, lege ich Ihnen nahe: Grüßen Sie nie aus der Provinz.

Myron Hurna

Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.

4. Kultur

Jugendsprache der Generation Alpha

„Generation Alpha“ fasst Kinder zusammen, die nach 2010 und somit inmitten des Internet- und Technologiezeitalters geboren wurden. Bereits jetzt zeichnet sich eine sprachliche Eigenheit der Generation Alpha ab, die sogenannte „Skibidi-Sprache“, berichtet focus.de. Der Linguist Adam Aleksic erklärt gegenüber NBC News, dass es bei der Internetsprache dieser Generation gezielt um die Abgrenzung von älteren Generationen ginge, man spreche absichtlich unverständlich. Diese neue Jugendsprache entstehe aus einer Nische des Internets, oftmals durch TikTok, woraufhin sie sich schnell verbreite. Das Wort „Skibidi“ habe keine genaue Bedeutung, es handle sich hierbei um ein sinnloses Füllwort, womit man alberne Gespräche beginnt.

Weitere bekannte Begriffe der neuen Internetsprache seien „sigma“, die Bezeichnung für erfolgreiche und beliebte Männer, sowie „Rizz“, eines der Jugendwörter aus dem Jahr 2023 und die Abkürzung für „Charisma“. Diese Internetsprache wird unter den Nutzern als „Brainrot-Slang“ („Gehirnfäule“) zusammengefasst. Der Linguist Aleksic erwartet jedoch, dass diese neue bizarre Form des Sprechens auch für Generation Alpha irgendwann veralten und durch neue Begriffe ersetzt wird. (focus.de)


Musikalische Mundartpflege

In Deutschland sprechen rund zwei Millionen Menschen, also 2,5 Prozent der Bevölkerung, platt. Klaus Stehr aus dem Landkreis Lüneburg setzt sich dafür ein, dass Plattdeutsch erhalten bleibt. Zusammen mit 15 Kindern der Plattdeutsch-AG an der Hermann-Löns-Schule nahm er eine CD mit sechs plattdeutschen Liedern auf. Sie ist aus Auftritten entstanden, die ursprünglich nur für Eltern gedacht waren, dann aber schnell zu öffentlichen Veranstaltungen auf dem Marktplatz, in Gasthäusern oder Seniorenheimen wurden. Die Lieder auf der CD sind von weiteren Musikern begleitet, das Cover hat ein dreijähriger Junge gestaltet, die Scheibe heißt „Rappelsnuten, Deerten un anner Lüüd“ und kostet 10 Euro. Das Projekt wird vom Verein Lüneplatt unterstützt. (landeszeitung.de)


Der Zensur entgehen

In den sozialen Netzwerken bestimmen Algorithmen, welche Inhalte für die Nutzer sichtbar sind und welche zensiert werden. Beiträge über ernste Themen werden von den Algorithmen oftmals ausgeblendet oder gebannt. Der sogenannte „Algospeak“ bezeichnet kreative Umschreibungen, Abkürzungen und Codewörter, welche die Nutzer trotz der Einschränkungen der Redefreiheit auf Plattformen wie TikTok verwenden, um zensierte Themen dennoch anzusprechen.

In einem Video findet man eine junge Frau, die darüber spricht, dass ihr Freund einem anderen Mädchen „Mascara gegeben hat.“ Es handelt sich hierbei nicht um die wortwörtliche Wimperntusche, sondern es ist eine Umschreibung für einen sexuellen Übergriff gemeint. Wer diese Themen direkt in den sozialen Medien anspricht, riskiert nämlich eine Abmahnung, das Entfernen des Videos oder sogar seines ganzen Profils. Zwar gebe es keine offizielle Liste mit Begriffen und Themen, die zensiert werden, jedoch habe sich bereits eine eigene Sprechweise auf den Plattformen etabliert, die diese Einschränkungen umgeht, berichtet Der Standard. Aus Sex wird „Seggs“, sexuelle Gewalt wird mit „SA“ oder „S.A.“ abgekürzt, vom englischen „sexual assault“, und wer in seinen Videos die Selbstverletzung thematisiert, nutzt die Abkürzung „SH“ aus dem englischen „selfharm“. Es gebe jedoch auch Umschreibungen, die mit dem ursprünglichen Wort nichts mehr zu tun haben. Nutzer, die über Suizide oder Mordfälle berichten, nehmen das Fantasiewort „un-alive“, also „un-lebendig“.

Während der Pandemie konnte man in den sozialen Medien nicht uneingeschränkt über Corona sprechen, also wurde die Pandemie kurzerhand in die „Backstreet Boy Reunion Tour“ umbenannt, um Konsequenzen und Sperrungen zu entgehen. Hannah Krause von Der Standard bezeichnet diese Form der digitalen Kommunikation als „eine Art Dialekt“. Die Nutzer benutzen für bestimmte Themen auch Emojis. In vielen Videos auf TikTok, Instagram usw. findet man das Symbol der Wassermelone, was eine Solidarisierung mit Palästina ausdrücken soll. Die Sonnenblume steht für die Ukraine. Diese neuen sprachlichen Formen sind für den Algorithmus schwerer zu erkennen. So werde der „Algospeak“ zu einer Sub-Sprache, die es sogar in „die echte Welt“, außerhalb des Internets geschafft hat. (derstandard.de)


5. Denglisch

„Concept Creep“

Constantin Hühn vom Deutschlandfunk stellt das Phänomen des „Concept Creep“ vor. Hinter dem Anglizismus versteckt sich die Praxis, aus der Psychologie bekannte Begriffe so auszudehnen, dass sie zusätzliche Bedeutungen übernehmen oder in einem anderen Zusammenhang neuen Sinn ergeben. Als Beispiele hierfür gelten die Begriffe Trauma, Gewalt und Sucht, die laut dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) einen deutlichen Anstieg der Verwendungshäufigkeit verzeichnen. Auch das Wort „toxisch“ verdoppelte seit dem Jahr 2016 seine Häufigkeit in den Printmedien. Dabei wurde toxisch ursprünglich für giftige Substanzen verwendet. Nun jedoch wird „toxisch“ auch zur Beschreibung sozialer Verhältnisse verwendet: toxische Männlichkeit oder toxische Beziehungen.

„Concept Creep“, die schleichenden oder kriechenden Begriffe, finden somit ihren Weg von der Psychologie und Therapie in den allgemeinen Sprachgebrauch. Meist handelt es sich bei den „Concept Creeps“ um Begriffe, die Negatives beschreiben, so auch „Missbrauch“ und „Mobbing“. Diese Ausweitung kann laut dem Philosophen Philipp Hübl zu Verwirrung und Missverständnissen führen, und manchmal werden dadurch ernsthafte Fälle von psychischen oder sozialen Problemen verwässert. Die Publizistin und Philosophin Andrea Roedig plädiert für einen bewussteren Sprachgebrauch. (deutschlandfunkkultur.de)


6. Soziale Medien

Und weiter geht’s!

In den Sommerferien präsentieren wir in den sozialen Medien die Zeugnisse unserer Vorstandsmitglieder. Heute gibt es das Zeugnis des VDS-Vorsitzenden Prof. Walter Krämer. (facebook.com/vds, instagram.com/vds)


Mitstreiter in Niedersachsen

In Emden hat die Volksinitiative „Stoppt Gendern in Niedersachsen“ über die Hintergründe der Initiative aufgeklärt und neue Mitstreiter gefunden. In der Kunsthalle gab es gute Gespräche bei einer angenehmen Atmosphäre. (facebook.com/vds, instagram.com/vds)

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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