1. Presseschau
Sprachgemisch der Bronzezeit
Etwa drei Milliarden Menschen sprechen als Muttersprache eine indogermanische Sprache. Diese große Sprachfamilie hat ihren Ursprung vor rund 6500 Jahren in der Region zwischen dem Kaukasus und der heutigen Ukraine. Wer diese bronzezeitlichen Menschen waren, wo sie herkamen und wie sich ihre Sprache weiter Richtung Westen nach Europa, aber auch Richtung Osten nach Indien ausbreitete, darüber wurden in der Forschung eine Reihe von Vermutungen angestellt. Seit einigen Jahren werden die sprachwissenschaftlichen Forschungsergebnisse durch archäologische Funde und Genanalysen heute lebender und vor mehreren tausend Jahren verstorbener Menschen ergänzt. Besonderen Anteil an der Entwicklung und Verbreitung des Urindogermanischen hatte die Jamnaja-Kultur, die auf 3600 bis 2500 v. Chr. datiert wird.
Eine neue, zunächst im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichte Studie basiert auf DNA-Proben von 435 Menschen, die zwischen 6400 und 2000 v. Chr. im Gebiet der Pontisch-Kaspischen Steppe (heutige Ukraine und Russland) bestattet wurden. Demnach stammten die Vorfahren aus den Steppen zwischen dem Kaukasus und der unteren Wolga. Von dort zogen sie nicht nur Richtung Westen, sondern auch in Richtung Süden in den südlichen Kaukasus (Armenien) bis nach Anatolien. „Dort trugen sie dann zu rund zehn Prozent zum Völkergemisch im Hethiterreich und im bronzezeitlichen Anatolien bei“, so das Magazin Scinexx. Die Forscher wollen damit die 200 Jahre alten Suche nach den Ursprüngen der Indoeuropäer beantwortet haben und können erklären, warum das Hethitische, die älteste bekannte indogermanische Sprache, sich relativ stark von den restlichen Sprachen in dieser Sprachfamilie unterscheidet. (scinexx.de)
Keine pauschalen Sprachverbote für Demonstrationen
Die Berliner Versammlungsbehörde gab in der vergangenen Woche bekannt, dass für Reden, Parolen und Musik im Rahmen von öffentlichen Demonstrationen nur Englisch und Deutsch als Sprachen zugelassen seien. Die Polizeisprecher betonten hierbei, dass dies auch für pro-palästinensische Demonstrationen in Berlin gelte. Berlins Innensenatorin Iris Spranger widersprach der Ankündigung nun jedoch ausdrücklich. Sprachverbote für Demonstrationen seien keine pauschale Entscheidung. Auch die Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel räumt ein, dass sprachliche Auflagen nur für einzelne Demos gelten und erst nach Analyse der Gefahrenlage verkündet werden. Verschiedene Politiker, wie zum Beispiel Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, begrüßen jedoch die strengen Sprachauflagen. Dadurch könne man diverse gewaltverherrlichende und antisemitische Ausrufe auf Arabisch verhindern. CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger betont, dass man viele der „Propagandadelikte“ nicht aufklären könne, da nicht genüg Sprachmittler für das Arabische zur Verfügung ständen. (rbb24.de)
Verständigung mittels Hirnaufzeichnungen
Der Internetkonzern Meta, zu welchem auch die Internetplattformen Facebook und Instagram zählen, stellte im Rahmen der Fundamental-AI-Research-Jubiläumsfeier (FAIR) die neuesten Errungenschaften der Künstlichen Intelligenz (KI) vor. Mittels der von Meta-Wissenschaftlern entwickelten KI könne man Hirnaufzeichnungen durchführen, um Gehirnaktivität in Sprache umzuwandeln. Erste Tests mit gesunden Probanden wurden bereits durchgeführt. Das Verfahren unterscheide sich von ähnlichen Verfahren, wie etwa Elon Musks Neuralink, darin, dass es sich nicht um einen invasiven Eingriff handelt. Es müssen also keine Chips oder Implantate in das Gehirn eingesetzt werden. Meta verspricht zwar eine 80-prozentige Genauigkeit der generierten Sätze, jedoch geben die Wissenschaftler ebenfalls zu, dass es noch dauern werde, bevor das Verfahren in der klinischen Praxis angewendet werden könne. (heise.de)
Verdächtiger „Arbeiterdialekt“
In der Fachzeitschrift Frontiers in Communication erschien eine britische Studie der Universität Cambridge und der Nottingham Trent Universität, welche aufzeigt, dass bestimmte britische Dialekte als „kriminell“ eingestuft werden. Insgesamt 180 Teilnehmer aus Großbritannien sollten im Rahmen der Studie Tonaufnahmen von zehn Männern mit verschiedenen regionalen Dialekten anhören und bestimmten Kategorien, beispielsweise Bildungsgrad, Intelligenz, Reichtum, Mitglied der Arbeiterklasse und Aggressivität, zuordnen. Die Dialekte umfassten das Englisch der Regionen Belfast, Birmingham, Bradford, Bristol, Cardiff, Glasgow, Liverpool, London, Newcastle und das übliche Standard Southern British English. Die Forscher fanden heraus, dass Personen mit Dialekten aus Liverpool, Newcastle, Bradford und London als Teil der Arbeiterklasse wahrgenommen und gleichzeitig von den Studienteilnehmern öfter mit Straftaten oder moralisch schlechten und zweifelhaften Verhaltensweisen assoziiert wurden. Die Studie gilt als Warnung vor möglichen Verzerrungen und Diskriminierungen im britischen Justizsystem. (focus.de)
2. Gendersprache
Roland Kaiser steht zum Gendern
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung spricht sich der Schlagersänger Roland Kaiser fürs Gendern aus. Der in Berlin geborene Musiker erklärt, dass Menschen vielschichtig seien und bestimmte Bedürfnisse hätten, „die wir zulassen müssen – auch sprachlich“. Er ziehe zwar Doppelnennungen (Künstlerinnen und Künstler) den Gendersonderzeichen vor, bleibe damit aber „innerhalb des Toleranzrahmens“. Kaiser betont, dass er weder „wie früher“ sprechen könne noch wolle. (rnd.de)
„Notams“ wieder umbenannt
Die neue US-Regierung, unter Leitung des Präsidenten Donald Trump, hat eine Umbenennung innerhalb der Bundesluftfahrtbehörde beschlossen, welche die vorherige, genderneutrale Bezeichnung rückgängig macht, die unter Präsident Joe Biden erlassen worden war. Die amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) ist unter anderem zuständig für die Übersendung von sogenannten Notam-Sicherheitsmeldungen. „Notam“ stand ursprünglich für „notice to airmen“ und beschreibt Anordnungen und Informationen über Änderungen, die den flüssigen Flugverkehr gewährleisten. Der vorherige Präsident Joe Biden stimmte der gegenderten Version „notice to air missions“ zu, weil diese auch Meldungen ohne menschliche Piloten, etwa Drohnenflüge, enthalte. Die Trump-Regierung verkündet nun jedoch, dass man zur alten Version zurückkehre und die „Notam“-Meldungen für „notice to airmen“ stehen. Bereits 2021 kritisierten die Republikaner Bidens Entscheidung und erklärten, man wolle mit der Namensänderung nur eine „Tugendhaftigkeit“ signalisieren. (airliners.de)
Hügelin und Bergin
Beim kleinen Parteitag der CSU in Nürnberg äußerte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spöttisch über die Gendersprache. Anlass hierfür sind verschiedene Lehrstühle im Bundesgebiet. In Kiel könne man an unterschiedlichen Kursen zur „hegemonialen Männlichkeit“ und dem „kritischen Weißsein“ teilnehmen. Und in Hannover könne man „Genderkompetenz für Landschaftsplanung“ studieren. Söder hinterfragte, ob man im Rahmen dieses Studiums dann von „Hügelin“ oder „Bergin“ sprechen müsse. Die Berliner Morgenpost berichtet, dass die Teilnehmer im Saal amüsiert waren und Söders Kritik zustimmten. (morgenpost.de)
Umfrage zum Gendern
Gendersprache als Wahlkampfthema: Im Kanzlerduell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz in der vergangenen Woche wurde die Frage gestellt: „Soll das Gendern in Behörden verboten werden?“ „Nein“, sagt Scholz, berichtet aber von einer Maurerin, die sich bei einer Begegnung mit ihm vorstellte mit: „Ich bin Maurer“. „Die Frau habe ich geliebt“, so Scholz. Merz ist für das Gender-Verbot in Behörden. Diese hätten sich an das zu halten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung vorgebe. Die nächste Umfrage zum Gendern ließ danach nicht lange auf sich warten, dieses Mal vom Meinungs- und Marktforschungsunternehmen Civey. (civey.com)
3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit
Ich sag so, du sagst so
Gibt es falsche Ausdrücke? Mit welchem Recht behauptet man, das oder jenes zu sagen sei falsch? Es gibt nicht nur politisch korrekte Sprachkritik, sondern auch die Kritiker dieser Sprachkritik. Und viel älter ist die professionelle Sprachkritik der Dichter, Stilwächter, Puristen und Linguisten. Der 2024 verstorbene Freiburger Romanist Hans-Martin Gauger sprach in seinen Glossen davon, dass Sprachkritik schon in der Sprache angelegt sei. Glück gehabt! Dann können wir ja loslegen! Es gibt offensichtlich falsche Ausdrücke, die wir benutzen, und bei denen eine Korrektur gegen den allgemeinen Gebrauch gerichtet und deshalb pedantisch wäre: Wir sagen immer noch Darmflora, obwohl es ein Darmbiotikum ist (weil ohne Pflanzen). Wir reden von Subtropen, obwohl es Tropen auch oberhalb des Äquators gibt. Die Erde ist halt achsensymmetrisch. Wir sagen, der Nationalsozialismus war faschistisch, ein Erbe des alliierten Sprachgebrauchs. Aber nur der Faschismus war faschistisch… Adorno nannte sein Buch Ästhetische Theorie, aber es ist doch wohl eher nicht die Theorie ästhetisch, sondern das Buch ist eine Theorie über Ästhetik. Im Kantjahr aktuell ist die allgemeine falsche Konstruktion, dass der Mensch durch die Vernunft Urteile fällen kann. Nein, die Fähigkeit, Urteile zu fällen, nennen wir Vernunft. Eine falsche Zusammenstellung ist: Hexe und Zauberer statt richtig: Hexe und Hexer, Zauberer und Zauberin. Die bei feministischen Linguisten beliebte falsche Zusammenstellung ist: Reh und Hirsch (wohl durch Bambi) statt Ricke und Bock bzw. Hirschkuh und Hirsch. Fest etabliert ist die Verwechslung: Arbeitgeber gibt Arbeit und Arbeitnehmer nimmt Arbeit statt richtig: Arbeitgeber gibt Arbeitsgelegenheit und Arbeitnehmer gibt Arbeitskraft. In einer aktuellen Werbung heißt es: Meningite, aber eigentlich heißt es auf Deutsch: Meningitis. Die Werbung steht immer unter begrifflichem Innovationsdruck… Man sagt: Zwischen den Jahren. Nun ja, das ist eine Sekunde, aber man meint: zwischen Weihnachten und Neujahr. Jeder versteht es. Wir sind nie genau (wie es die Sprachkorrekten immer sein wollen): Ein Minütchen ist nicht weniger als 60 Sekunden, aber ein Platonisches Jahr ist länger als ein Jahr. In der korrekten Recycling-Esoterik behauptet man, Müll sei ein Rohstoff. Das ist nun wirklich inkorrekt, ein Rohstoff ist immer unverarbeiteter Stoff. Das Wort Rohstoff hat ein klares semantisches Profil. Man kann Müll als Stoff bezeichnen, der wiederverwertbar oder aufbereitbar ist, aber er ist kein Rohstoff (eher Ausgangsstoff für weitere Behandlung). Fragen der Sprachrichtigkeit kann sich jeder selbst vorlegen: Kehrt man jmd. den Rücken oder kehrt man jmd. den Rücken zu? Man sagt: Rahm setzt sich ab. Aber Rahm schichtet sich oben, nicht unten… Eine unnötige begriffliche Zurechtrückung ist „Unterjüngung“ von Ulrich Kutschera statt Überalterung. Natürlich, in dem das eine stattfindet findet auch das andere statt. Aber Überalterung hat sich nun mal als Begriff etabliert, wie Aufzug sich gegenüber Abzug etabliert hat, zumal Abzug ein Begriff für eine andere Sache geworden ist. Oft stehen gemeingebräuchliche Ausdrücke den wissenschaftlichen gegenüber. Wenn Kutschera als strenger Biologe sagt, Sex sei Gametenverschmelzung, dann ist das sein Fachbegriff, aber der allgemeine Begriff Sex (Geschlechtsverkehr mit oder ohne Schwangerschaft) wird davon nicht tangiert. Beide Begriffe stehen in keiner Konkurrenz zueinander; der eine Begriff ist fachspezifischer, in seiner Bedeutung verengt, der andere weiter, allgemeingebräuchlich. Aber keiner wird dadurch richtiger als der andere. Nur weil der eine Begriff enger gefasst ist (was übrigens nicht zwingend heißt, dass er auch präziser ist!), heißt das nicht, dass er richtiger ist. Falschalarm macht den breiteren Gebrauch von Fehlalarm nicht falsch, ebenso wenig, wie sich die Ausdrücke Briefträger, Postbote und Zusteller gegenseitig annullieren. Alle meinen dasselbe mit anderer Konnotation. Es kann also keiner den anderen Begriff als falsch erweisen. Für die Sprachkritik bedeutet das, dass sie zwar auf Missstände und Fehlleistungen hinweisen kann, dass sie das aber nicht dogmatisch tun sollte.
Myron Hurna
Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch „Amoklauf am offenen Lernort“ ist bei Königshausen & Neumann erschienen.
4. Kultur
Dialektortsschilder aufgestellt
Mit der regionalen Aktion „Freiraum Fichtelgebirge“ fördert das bayerische Heimatministerium 17 Städte und Gemeinden im Landkreis Wunsiedel. Hierbei werden rund 100 neue Ortsschilder aufgestellt, welche die jeweiligen Ortsnamen im örtlichen Dialekt tragen. Landrat Peter Berek erklärt, dass Dialekte Teil der regionalen Identität seien und somit Teil der Förderung sind. Die in Grün gehaltenen Ortsschilder dürfen laut Verordnung gut sichtbar aufgestellt werden, jedoch nicht von den offiziellen, gelben Ortsschildern ablenken. Die Bewohner wurden zunächst gefragt, wie der jeweilige Heimatort im Heimatdialekt heißt. Somit wurde aus Wunsiedel „Wousiegl“, aus Marktredwitz wurde „Rawatz“ und aus Tröstau wurde „Dräisda“. Das Projekt soll den Dialekt und das Heimatgefühl stärken. Die bisherigen Rückmeldungen sind durchweg positiv. (br.de)
5. Berichte
Referenten gesucht
VDS-Regionalleiter der Region 53, Christwart Conrad, wendet sich mit folgender Bitte an die Leser des Infobriefs:
„In der Arbeitsgruppe VDS-Akademie wurde angeregt, ein Seminar zu Dialekten zu veranstalten. Da ich zweisprachig (hochdeutsch und berndeutsch) aufgewachsen bin, würde ich dieses gerne durchführen, jedoch sehr gerne mit ein oder zwei weiteren Referenten, die andere Dialekte beherrschen. Ziel könnte sein, dialektale Ausdrucksweisen miteinander und mit der Hochsprache zu vergleichen, Vorzüge und Nachteile zu besprechen und zu erörtern, inwieweit es sinnvoll wäre, Dialekte verstärkt zu verwenden.“
Zur Abstimmung erbittet Christwart Conrad Kontaktaufnahme via E-Mail: christwart.conrad@vds-ev.de
6. Soziale Medien
„Autofahrende“ sorgen für Frust
Die Staubilanz 2024 für Hessen, veröffentlicht in der hessenschau, sorgte bei X-Nutzer @jerzy_freitag für Frust. „Sie kacken sich uns und sich in die Gehirne“, kommentiere der Nutzer zwar polemisch, aber dennoch kritisch gegenüber der Wortwahl der hessenschau-Redaktion. Denn im Beitragsbild war nicht von Autofahrern die Rede, sondern von den „Autofahrenden“. Ein weiterer Nutzer kommentierte: „Eigentlich wäre Autositzende richtig, und ganz richtig im Auto Sitzende und nicht Vorankommende.“ (x.com/jerzy_freitag)
Wer ist wer auf der Didacta?
Unsere fleißigen VDS-Standhelfer auf der Bildungsmesse Didacta in Stuttgart stellen sich in den sozialen Medien vor. Dabei offenbaren sie auch einige Fakten über sich selbst, die uns staunen lassen. (instagram.com/vds, tiktok.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Stephanie Zabel