Infobrief vom 16. Mai 2025: Kulturtechnik Schreiben

1. Presseschau

Kulturtechnik Schreiben

Das Schreiben mit der Hand fördert die Gehirnleistung und schult das Gedächtnis, das haben Studien bewiesen. In ihrer Grundschulzeit lernen die meisten Kinder in Deutschland heute zwei verschiedene Schriften: zunächst die Druckschrift, dann die Schreibschrift. Grund dafür ist die umfassende Präsenz der Druckschrift im Alltag der Kinder in Bilderbüchern, auf Tastaturen, Bildschirmen oder Plakaten. Ihren Namen können die meisten Kinder in Druckschrift schreiben, bevor sie in die Schule kommen. Über die Frage nach der richtigen Schrift wird seit den 80er-Jahren gestritten, als die Druckschrift, die Antiqua, die Schreibschriften als Erstschrift ersetzte.

Doch die meisten Bundesländer halten bis heute an der Schreibschrift fest. Denn nur so lernten die Kinder, wie man Buchstaben sinnvoll verbindet, um zügig und flüssig zu schreiben und eine persönliche Handschrift zu entwickeln, so die Begründung. „Die Buchstaben bestehen aus normierten Schleifen, Schnörkeln und Drehrichtungswechseln, die an bestimmten Stellen verbunden werden müssen, um ein durchgehendes Schriftbild zu ergeben“, schreibt die FAZ. Zu Wort kommt in dem Artikel die Linguistin und Schriftdidaktikerin von der Universität Eichstätt-Ingolstadt, Eva Odersky, die es für eine Fehlentwicklung hält, „dass in so kurzer Zeit zwei motorisch unterschiedliche Systeme gelehrt werden“. Zudem habe sie herausgefunden, dass auch die verbundene Druckschrift schnelleres Schreiben ermögliche als Schreibschrift. (faz.net (Bezahlschranke))


Bildungssprache Deutsch

An Grundschulen im Bundesland Hessen haben 43 Prozent der Schüler eine Zuwanderungsgeschichte, nach Bremen die höchste Quote. FAZ-Redakteurin Heike Schmoll gibt einen Einblick in das „tägliche Ringen um die Bildungssprache Deutsch“ in Hessen. Das reicht von Vorlese-AGs und Ferienangeboten bis hin zum neu eingerichteten Kompetenzzentrum zur Stärkung der Bildungssprache Deutsch, das vom Land und von den Universitäten in Frankfurt, Gießen und Marburg ins Leben gerufen worden ist, um die Arbeitsschwerpunkte Rechtschreibung, Literatur, mündliche Kommunikation und Deutsch als Zweitsprache zu bündeln. Denn an den Schulen wisse man, dass die sichere Beherrschung der Bildungssprache Deutsch der zentrale Schlüssel zum Schulerfolg ist, so Schmoll. (faz.net (Bezahlschranke))


Bücherei darf umstrittene Inhalte kennzeichnen

Laut Verwaltungsgericht Münster darf die Stadtbücherei Münster Bücher mit umstrittenen Inhalten kennzeichnen. Außerdem dürfe sie auch kritisch zu Büchern Stellung nehmen, solange dies sachlich geschehe, schreibt der Stern. Anlass ist, dass die Bücherei im vergangenen Jahr zwei Bücher mit dem Hinweis „Werk mit umstrittenem Inhalt“ versehen hat, und dass sie diese nur „aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt“ habe. Der Autor eines der Bücher wollte den Hinweis entfernen lassen. Den entsprechenden Eilantrag hat das Gericht abgelehnt. Die Begründung: Der Inhalt des Buchs sei nachweislich umstritten. In dem Buch würden u. a. bemannte Mondlandungen sowie die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki geleugnet. Die Leugnung historischer Fakten erlaube die Einordnung als „umstritten“. Der Hinweis verstoße nicht gegen die Grundrechte des Buchautors, zudem gebe es für die Stadtbücherei keine Neutralitätspflicht, sondern vielmehr ein Sachlichkeitsgebot. (stern.de)


KI als Tiersprachen-Übersetzer

Das chinesische Tech-Unternehmen Baidu hat ein Patent für eine Künstliche Intelligenz (KI) angemeldet, die die Laute und Körpersprache von Tieren übersetzen soll. Zunächst werden alle „Vokalisierungen, Verhaltenshinweise und physiologische Zeichen“ gesammelt, die dann von der KI analysiert werden, „um die Gefühle des Tieres zu identifizieren und in menschliche Sprache zu übersetzen“. So sollen eine tiefere Kommunikation und mehr Verständnis zwischen Tieren und Menschen entstehen, schreibt Baidu in seiner Einreichung.

In ihrem ironischen Kommentar für die Frankfurter Rundschau bezweifelt Sylvia Staude, dass das für uns Menschen wirklich hilfreich wäre, denn vielleicht würden wir dann Dinge hören, die lieber ungehört bleiben sollten. Denn welches Frauchen oder Herrchen wollte schließlich merken, dass der Hund nur deswegen treudoof guckt, um seinen Napf gefüllt zu bekommen. Katzenbesitzer würden sogar vor noch größere Probleme gestellt, da die meisten Katzen ihre Besitzer, wie jeder weiß, sowieso nur als Dosenöffner duldeten. Wenn aber herauskommt, dass Katzen wirklich eine Weltverschwörung planten, könnte das zu ernsthaften Problemen führen. (fr.de)


Empathische Führung

Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business managers, kritisiert in ihrem Artikel, dass die Sprache in politischen Debatten sowie in Unternehmen immer technokratischer werde. Gemeint sei damit eine bewusste sprachliche Entkopplung, um Empathie zu unterdrücken. Diese „Entmenschlichung“ und Entfernung von Mitgefühl in der Sprache schaffe Distanz. Götsch appelliert in ihrem Artikel an die Unternehmensführer, wieder mehr Mitgefühl in die Kommunikation einfließen zu lassen. Nachrichten an Angestellte müssten wieder persönlicher und ohne Ausreden überbracht werden. Dieser Führungsstil werde auch als empathische Führung bezeichnet. (manager-magazin.de)


2. Gendersprache

GEW gegen Gender-Verbot

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Thüringen will das Gendern an Schulen weiter erlauben. Niemand sollte dazu gezwungen werden, so ein GEW-Sprecher, es dürfe aber auch nicht verboten werden, man plädiere für einen liberalen Umgang mit geschlechtergerechter Sprache. Schulen sollte freigestellt sein, wie sie mit dem Gendern umgingen.

Das Bildungsministerium (CDU-geführt) sieht die Regelung des Rechtschreibrats als Grundlage für den Sprach- und Schriftgebrauch. Die Umsetzung sei noch nicht verschriftlicht, man arbeite aber daran, hieß es von dort. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat Genderzeichen nicht in den Kernbereich der Rechtschreibung aufgenommen, begrüßt aber gendergerechte Sprache, solange sie der Orthographie entspricht. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern gibt es ein explizites Genderverbot für Verwaltungen und Schulen. (mdr.de)


Bundesweites Gender-Verbot?

Dorothee Bär (CSU), die neue Bundesforschungsministerin, ist überzeugt, dass das Genderverbot in Bayern sinnvoll ist. „Ich bin immer schon gegen Binnen-I und Sternchen gewesen“, so Bär in der Bild, „das ist jetzt nichts, was ich persönlich schön finde in der deutschen Sprache.“ Ob es aber auch bundesweit ein solches Verbot geben soll, dazu hält sie sich bedeckt. In Bayern würden die Schulen damit pragmatisch umgehen, bundesweit gäbe es aber andere Herausforderungen. (bild.de)


Universität Greifswald hält an Gendersprache fest

Trotz des Beschlusses der Greifswalder Bürgerschaft, das Gendern in offiziellen städtischen Dokumenten zu untersagen, bleibt die Universität Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern bei ihrer vermeintlich „inklusiven Sprachregelung“. Rektorin Katharina Riedel bekräftigt, dass die Gendersprache ein Ausdruck der Weltoffenheit der Hochschule sei.

Bereits 2019 hatte der Senat der Universität verbindliche Richtlinien zur Verwendung gendergerechter Sprache eingeführt. Ziel war es, die zuvor uneinheitliche Praxis und das Verwenden verschiedener Sonderzeichen zu vereinheitlichen. Seither wird an der Universität das Gendersternchen verwendet. Eine Rücknahme der Regelung hält Riedel für unwahrscheinlich. Sie erklärt zudem, dass es im mündlichen Gebrauch jedem selbst überlassen bleibe, ob und wie gegendert wird. In den wissenschaftlichen Arbeiten werde das Gendern weder vorgeschrieben noch bewertet. Jedoch gesteht die Rektorin ein, dass es an der Universität Greifswald auch einige Vorbehalte gegenüber dem Gendern gebe. (ostsee-zeitung.de (Bezahlschranke))


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Arztbrief

Man bekommt ihn ausgehändigt beim Verlassen des Krankenhauses. Meist steht darauf ‚vorläufiger Arztbrief‘. Er ist gerichtet an einen Kollegen oder eine Kollegin, wie es im Anschreiben heißt, einen Facharzt oder Hausarzt. Aber abliefern muss ihn der Patient selber, vermutlich wegen Datenschutz oder Ersparnis von Porto. Oft ist der Arztbrief die einzige ausführliche Information, welche die Kranken erhalten. Und sie rätseln, was z. B. mit Distale mehrfragmentäre Ulnafraktur ohne sekundäre Dislokation gemeint ist. Sind beruhigt, weiter unten zu lesen: Keine Fraktur, dafür aber ausgeprägtes Galeahämatom links frontal. Ist es das, was die Schmerzen erzeugt? Insgesamt stehen auf drei Seiten über hundert medizinische Fachwörter, die mir trotz neun Jahren Latein ein Rätsel bleiben.

In der Medizin hat sich das Latein der Frühen Neuzeit, diese Mischung mit volkssprachlichen Elementen, bis heute erhalten. Wir kennen das aus den Briefen von Martin Luther und aus manchen Kirchenliedern. Heute können sich Mediziner auf diese Weise sprach- und länderübergreifend verständigen – allerdings ohne Beteiligung der Patienten. Dieses Idiom ist vor allem Teil ihrer ärztlichen Kommunikation untereinander und natürlich der Dokumentation auf ihren PCs. „Dreieinhalb Stunden habe ich bereits für Ihre Frau gearbeitet“, verriet mir eine Assistenzärztin, als ich es wagte, nach dem Befinden der Patientin zu fragen. So ein Unfall mit vielen verschiedenen Verletzungen macht unendlich viel Arbeit am Computer. Am Krankenbett hat man die junge Ärztin selten gesehen, und wenn, dann wortkarg. Überdacht wird dies entartete System von zusätzlichen Regeln, was die Krankenhäuser dürfen, was nur die sogenannten ‚Niedergelassenen‘ (ein Fachwort, das dieser Branche vorbehalten ist).

Rezepte, das einträgliche Privileg der ‚Niedergelassenen‘, dürfen Krankenhäuser nur für wenige Tage ausstellen. So können gefährliche Lücken entstehen. Ein ‚Prof.‘ hatte die Kühnheit, mir einfach eine Packung aus seinem Schrank in die Hand zu geben. Es gibt noch Ärzte, die gegen den Strom schwimmen, aber wenige.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.


4. Kultur

Trend zu lustigen Zahnarztpraxisnamen

Im Friseurberuf kommt kaum ein Salon noch ohne ein lustiges Wortspiel aus. Von Kopfsalat über Schnittstelle bis zur Monhaarlisa ist mittlerweile alles dabei. Das Satire-Magazin Der Postillon hat jetzt einen Artikel dazu verfasst, dass auch Zahnarztpraxen immer häufiger auf die Idee kommen, sich einen witzigen Namen zu geben, um bei den Patienten besser angenommen zu werden. So seien bereits Namen wie Dschingis Zahn, Zahnarchie und Bohr ey im Umlauf. (der-postillon.com)


5. Berichte

Deutsche Sprachtage 2025

Karin Wagner, die VDS-Regionalleiterin für Gera/Jena, hat die Deutschen Sprachtage 2025 nach Gera geholt, berichtet die Ostthüringer Zeitung auf einer ganzen Seite. Sie sei dem VDS 2017 beigetreten, weil sie „vom Denglisch genervt“ war. Ab dem 22. Mai kann sie den rund 180 Delegierten aus dem In- und Ausland ihre Heimat zeigen, unter anderem bei der (ausgebuchten) Bildungsfahrt „Auf der Reußischen Fürstenstraße“. Die Deutschen Sprachtage werden am Freitag, den 23. Mai, abends um 18 Uhr im Rathaus Gera eröffnet.

Hierzu noch eine Anmerkung in eigener Sache: Die gesamte Redaktion des Infobriefs wird ebenfalls vor Ort bei den Deutschen Sprachtagen in Gera sein. Daher wird der nächste Infobrief in der kommenden Woche ausnahmsweise nicht erscheinen. Wir freuen uns auf alle Mitglieder, die wir ebenfalls in Gera begrüßen dürfen, und werden Sie in der darauffolgenden Woche wieder mit aktuellen Informationen rund um das Thema Sprache versorgen. (otz.de (Bezahlschranke))


Blogbeitrag zum Blühstreifen

Der Internetblog klimakurs.org, der sich mit Naturschutz und Nachhaltigkeit beschäftigt, hat den neuen Blühstreifen auf dem Sprachhof, der Geschäftsstelle des VDS, vorgestellt. Er beschreibt, wie auch Unternehmen zu mehr Klimafreundlichkeit beitragen können. Die Auswahl an Pflanzen, die der VDS hier gewählt hat, böten Lebensraum und Nahrung für eine Vielzahl von Insekten, die in unserer Kulturlandschaft immer weniger Rückzugsorte fänden: „Besonders Wildbienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber profitieren von solchen Flächen. Pflanzen wie Thymian und Salbei sind reich an Nektar und ziehen Bienen magisch an. Staudenphlox und Garten-Rittersporn bieten nicht nur Nahrung, sondern auch Schutz und Nistmöglichkeiten“, schreibt Jens J. Korff. (klimakurs.org)


6. Denglisch

Sprachpanscher 2025 gesucht

Die Mitglieder des VDS sind wieder aufgerufen, den Sprachpanscher zu wählen. Jedes Jahr gibt es eine Auswahl von Kandidaten, die besonders schlampig mit der deutschen Sprache umgegangen sind. Dieses Jahr ist unter anderem die Stadt Chemnitz nominiert, die für ihren Auftritt als Kulturhauptstadt auf Englisch wirbt. Der Bund Deutscher Radfahrer hat sich für seine deutschen (!) Mitglieder in „German Cycling“ umbenannt. Der Reifenhersteller Continental treibt es mit seinem Englisch auf die Spitze: „Die Terra Gravel Range ist ausgestattet mit unseren neuesten Innovationen, darunter BlackChili und Pure Grip Compound, unsere fortschrittliche Tubeless- und Hookless-Technologie und führt Grip Compound für Trail Casings ein.“ Anzüglich und unfreiwillig komisch kommt die Bayerische Zugspitzbahn daher. Deren Werbespruch „We love Wank“ meint eigentlich den Hausberg von Partenkirchen, den Wank – auf Englisch heißt „to wank“ allerdings „masturbieren“. Landrat Marco Prietz (Rotenburg/Wümme) setzte per Dienstanweisung durch, dass in der amtlichen Kommunikation „nur noch weibliche statt männliche“ Amtsbezeichnungen verwendet werden sollen. Er selbst macht sich damit zur Landrätin. (vds-ev.de, vds-ev.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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