Infobrief vom 13. September 2025: Wie man Vielredner los wird

1. Presseschau

Wie man Vielredner los wird

„Nur ganz kurz noch …“ – und dann bekommt man etwas erzählt, was man gar nicht hören wollte. Während einige Menschen ein sehr hohes Mitteilungsbedürfnis haben, möchten andere dieser Art von Gesprächen lieber aus dem Weg gehen. Wenn Vielredner einfach nicht aufhören möchten, fällt es vielen Menschen schwer, sich dem Gespräch zu entziehen, ohne unhöflich zu werden. Laut der Psychologin Marina Menges seien Vielredner oft eher extrovertiert oder hätten als Heranwachsende nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie gern gehabt hätten; sie seien also in dem Bewusstsein groß geworden, sich ihren Platz fürs Mitteilen selbst nehmen zu müssen. „Manche Menschen schöpfen Energie daraus, der Mittelpunkt zu sein“, so Menges, andere würden so ihre Einsamkeit verarbeiten oder könnten Stille einfach nicht aushalten. Dennoch sei es legitim, sie zu unterbrechen, wenn man sich als angesprochenes Gegenüber damit nicht wohlfühlt. Man könne zum Beispiel sagen, dass man die Erfahrung schätze, sich aber jetzt anderen Dingen widmen wolle oder selbst erschöpft sei und Ruhe brauche. Wichtig sei es, Ich-Botschaften zu vermitteln, also bei sich selbst zu bleiben und dem anderen nicht zu suggerieren, dass er etwas falsch mache oder unerwünscht sei. Ein Beispiel für eine Formulierung sei: „Meine Aufmerksamkeit ist gerade begrenzt. Tut mir leid, ich würde dir gern zuhören, aber ich schaffe es nicht. Lass uns das Gespräch führen, wenn ich dafür den Kopf frei habe.“ (spiegel.de (Bezahlschranke))


Weniger Faust, mehr KI-Kompetenz

Quentin Gärtner, 18 Jahre alt, kommt aus der Nähe von Stuttgart und meldet sich als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz zu Wort, die (nach eigenen Angaben) mehr als 7,5 Millionen Schüler in Deutschland vertritt. Er fordert Lehrpläne, „die sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren und nicht einfach Bulimie-Lernen verordnen“. Daraus folge „weniger Faust und Hexenverbrennung, mehr KI-Kompetenz und Demokratiebildung“, so der 18-Jährige. Er sieht die Sorgen und Nöte junger Menschen von der Politik nicht ernst genommen, ja sogar „strukturell vernachlässigt“. Sicherlich hat Herr Gärtner nicht ganz unrecht. Auch bei der von Bundesbildungsministerin Karin Prien angestoßenen Debatte über eine Altersbeschränkung für Soziale Medien wurden Schüler gar nicht erst gefragt. Was aber, wie so oft, vergessen wird: Die Schule ist für die meisten der einzige Ort und der einzige Zeitraum, an dem man sich anspruchsvoll mit Sprache und Kultur auseinandersetzen kann und muss. Außerdem: Nichts liegt näher, als Demokratiebildung anhand literarischer Themen zu unterrichten. (spiegel.de)


Neuer Übersetzer-Studiengang mit doppeltem Abschluss

Zum Wintersemester 2025/2026 wird es an der Universität Heidelberg den neuen Masterstudiengang „Fachübersetzen und Sprachtechnologien“ geben. Das Besondere: Die Absolventen erhalten zwei Abschlüsse, einen in Heidelberg und einen in Bologna, wo sie die Hälfte des Studiums verbringen. Das Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IÜD) und der Fachbereich Deutsch des Dipartimento di Interpretazione e Traduzione (DIT) am Campus di Forlì der Universität Bologna sind bereits länger eng miteinander verbunden, das soll durch den neuen gemeinsamen Studiengang vertieft werden. Interessierte können sich noch bis zum 30. September 2025 bewerben. (uepo.de)


2. Gendersprache

Geschlechtergerechte Sprache im Bistum Limburg

Das katholische Bistum Limburg hat für sich einen Ratgeber für geschlechtergerechte Sprache entwickelt. Es sollen neutrale Begriffe benutzt werden („Pflegekräfte“ statt „Pfleger“), alternativ solle mit dem Doppelpunkt gegendert werden. „Die Anwendung einer geschlechtergerechten Sprache gilt als ein Beitrag für die im Grundgesetz formulierte Gleichberechtigung von Frauen und Männern und als wesentlicher Aspekt im Bemühen um Gleichstellung“, so Janina Rikovsky und Katrin Egenolf vom Team Gleichstellung des Bistums. Gleichzeitig sagen sie, dass es derzeit keinen gesellschaftlichen Konsens über eine richtige Sprachweise gebe. Der Ratgeber sei keine Verpflichtung, sondern eine Empfehlung und solle zum Ausprobieren und kreativen Umgang mit Sprache animieren. (katholisch.de, bistumlimburg.de (PDF-Datei))


3. Sprachspiele: Neues aus dem Wort-Bistro

Warum sprechen wir von Stanzen?

Es wiederholt sich: Morgen geht wieder die Sonne auf, mein Computer lädt wieder stundenlang Updates herunter und im Supermarkt stelle ich mich wieder zielsicher in die Warteschlange, die nur besonders langsam vorankommt. Es gibt einfach Dinge, auf die man sich verlassen kann. Ebenso kann man damit rechnen, dass einem Stanzen um die Ohren fliegen, also abgedroschene Formulierungen. Vielleicht kennen auch Sie die Situation, in der ein Passant einen anderen nach dem Weg fragt und dieser antwortet: „Folgen Sie mir unauffällig“. Wieso sollte der Fragesteller zur Abwechslung nicht einmal auffällig folgen? Vielleicht mit Jodelgesang, Händeklatschen und Getrampel? Jedenfalls muss ich den Satz „Folgen Sie mir unauffällig“ einmal zu Wespen gesagt haben. Die sind im Spätsommer sozusagen meine Follower.  Eine weitere Stanze, die mir oft begegnet, taucht in Filmszenen auf. Eine Patientin liegt im Krankenhaus, ihr Angehöriger betritt den Raum und stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit folgende Frage: „Was machst Du denn für Sachen?“. Wie wäre es, wenn ich eben jenen Satz bei einer anderen Gelegenheit anbrächte? Etwa bei einer Hochzeit, wenn ich dem Brautpaar gratuliere und der Braut ins Ohr flüstere: „Was machst Du denn für Sachen?“.  Eine weitere Formulierung, die sich in den Wortschatz vieler Menschen geschlichen hat, ist die Wendung „Stand jetzt“. Zur Hochzeit (langes O, bitte) der Pandemie hat der Gesundheitsminister öfters neue Kontaktregeln verkündet und dies abgerundet mit dem Hinweis „Stand jetzt“. Es würde doch unser Leben bunter machen, wenn wir auch diese Wendung in völlig neuen Situationen zum Besten geben würden. Der Ehepartner fragt: „Schatz, liebst Du mich?“, und die Gemahlin antwortet: „Ja, Stand jetzt“. Es verwundert nicht, dass der Begriff der Stanze mit einem Verfahren zu tun hat, das einen Abdruck oder ein Bohren von Löchern nicht nur einmalig, sondern massenweise erlaubte. Zum Glück haben viele von uns Humor und können die Stanzen in unserem Alltag mit fröhlichen Sätzen wie diesen begrüßen: „Pack die Bücher, schnür den Ranzen, dann kannst Du schön mit Stanzen tanzen“.

Philipp Kauthe

Radio-Journalist, Buchautor, Podcast „Schlauer auf die Dauer“ (philipp-kauthe.de)


4. Kultur

Literaturpreis Ruhr verliehen

Çiğdem Akyol ist mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet worden. Sie bekam den Hauptpreis, der mit 15.000 Euro dotiert ist. Die Jury lobte ihren Debütroman „Geliebte Mutter – Canım Annem“, in dem Akyol von ihrer Familie zwischen Istanbul und ihrer Heimatstadt Herne erzählt, „von einer unglücklichen Ehe, enttäuschten Hoffnungen in Alemanya und viel Gewalt, aber auch von unbedingtem Freiheitswillen und Aufstieg durch Bildung“. Der Roman habe einen enormen emotionalen Glutkern, so die Jury, er sei stilistisch überzeugend und gesellschaftlich relevant.

Den mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis erhielt Julia Regnath für ihre Kurzgeschichte „Erosion“, den Ehrenpreis (eine Skulptur des Künstlers Peter Schloss) erhielt Artur Nickel für seine besonderen Verdienste um die Literatur im Ruhrgebiet. (literaturbuero-ruhr.de)

5. Berichte

Tag der deutschen Sprache 2025

Jedes Jahr am 2. Samstag im September feiert der VDS den Tag der deutschen Sprache. Mit Informationsständen und Kulturveranstaltungen machen die VDS-Mitglieder darauf aufmerksam, wie wichtig die deutsche Sprache als Bindeglied der Gesellschaft ist. Seit 2001 ruft der VDS zu diesem Aktionstag auf. Er wird weltweit aufgegriffen – und mittlerweile nicht mehr ausschließlich von VDS-Vertretungen organisiert. Einen Tag der deutschen Sprache gibt es unter anderem auch in den Niederlanden (Träger sind Institutionen der deutschen auswärtigen Kulturpolitik). Seit 2021 feiert man auch bei den Vereinten Nationen in New York einen Tag der deutschen Sprache, um die Kultur der deutschsprachigen Mitgliedstaaten zu feiern. Das Datum ist dabei nicht immer einheitlich.
Am Samstag, den 13. September organisieren VDS-Regionalvertreter in Leipzig eine Lesung mit der Schriftstellerin Kati Naumann („Fernwehland“), in Schleiz gibt es Führungen durch das Duden-Museum, in Rostock wird der „Sprachpreis für gutes Deutsch“ an den Journalisten Matthias Heine verliehen. Aber auch andere Veranstaltungen laufen in den nächsten Tagen als Beitrag zu dem Aktionstag, beispielsweise eine Festveranstaltung mit Beiträgen der Schauspielerin und Moderatorin Josephine Hoppe (Hoftheater Dresden-Weißig) in Dresden, Infostände in mehreren Städten, die Verleihung des Lehrer-Welsch-Sprachpreises in Köln am 21.09. und auch des Elbschwanenordens in Hamburg am 24.09. sowie der Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Elvira Grözinger am Montag, den 15.09. auf dem Sprachhof in Kamen.
Alle weiteren Veranstaltungen finden Sie im VDS-Terminkalender: vds-ev.de.


Sprachpanscher Continental

Die Fachzeitschrift „Neue Reifenzeitung“ greift die Wahl des Reifenherstellers Continental zum Sprachpanscher des Jahres 2025 auf. Eine Umfrage innerhalb der Redaktion habe ergeben, dass die sprachliche Außendarstellung von Continental „in der Tat schwer verdaulich“ sei. Zweitens stelle man allerdings fest, dass etliche weitere Reifenhersteller Denglisch mindestens genauso gut beherrschten wie Continental. (reifenpresse.de)


Ludwig Sebus 100 Jahre alt

Unser Mitglied Ludwig Sebus – ein echtes kölsches Urgestein – ist vergangene Woche 100 Jahre alt geworden. Seit 70 Jahren ist er aus der Kölner Karnevalszene nicht mehr wegzudenken. Seine Lieder sind Kult, sein Humor, seine Geselligkeit und seine freundliche Art begeistern jeden, der ihm begegnet. Leeve Ludwig, auf die nächsten 100 Jahre! Der WDR hat ihm anlässlich der Doppel-Null einen Film gewidmet, in der Kölner Philharmonie gab es ein Konzert mit verschiedenen Mundart-Künstlern. (facebook.com/VDS, instagram.com/VDS, wdr.de)


6. Denglisch

Englische Flut, deutsche Ebbe

Der Journalist und Autor Peter Littger befasst sich in der Süddeutschen Zeitung mit den Englischkenntnissen des Bundeskanzlers. Friedrich Merz war vor seiner Kanzlerschaft jahrelang im internationalen Rechts- und Wirtschaftswesen beschäftigt. Er bediene sich den „low hanging fruits“ der englischen Sprache, um vielleicht „Entschlossenheit oder Mut“ auszudrücken. Solche englischen Ausdrücke wirkten beim Bundeskanzler oft „leicht verunglückt“ oder „angeberisch“. Littger zählt rund 80 Anglizismen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: „Start-up“, „queer“, „Green Deal“, „Clean Industrial Deal“ oder „De-Risking“. Er stellt fest: Das Einflechten englischer Wörter in die deutsche Alltagssprache wird zunehmend hingenommen. Der Einfluss beschränke sich nicht bloß mehr auf einzelne Wörter und Wendungen, sondern stelle immer mehr Bezüge zur englischen Denkweise her. Das führt dann zu Aussagen wie diese im letzten Wahlprogramm der CDU: „Wir fördern das Erlernen der deutschen Sprache – on the job“. Littger sieht in dieser „Hybridsprachkompetenz“ die Gefahr von Missverständnissen, weil sich Anglizismen im Deutschen und Originalsprache nicht in derselben Weise gegenüberstehen („You are going on my nerves“) und befürchtet eine sprachliche Spaltung der Gesellschaft, denn in einer 2024 durchgeführten Umfrage gab die Hälfte der Befragten an, Englisch „nicht ausreichend“ zu beherrschen. Schließlich fordert Littger zum einen, den Bedeutungsverlust der eigenen Muttersprache nicht einfach hinzunehmen, aber auch, „Englisch für die nächsten Generationen zu einer vollwertigen Landessprache zu machen“. (sueddeutsche.de (Bezahlschranke))


7. Soziale Medien

Präterium … Prätezium …

Die Streaming-Plattform Joyn hat eine neue Reality-Sendung. Seit Anfang September können Prominente jenseits des Alphabets sich im Taktieren und Ränke-Schmieden versuchen. Dabei gilt es auch, Aufgaben zu lösen. Eine dieser Aufgaben drehte sich kürzlich um eine bestimmte Zeitform eines Verbs. Mit der Aussprache hatte der Kandidat allerdings so seine Probleme. (instagram.com/VDS, facebook.com/VDS)


8. Buchwelt

Unser IFB Verlag Deutsche Sprache und der Buchhandel

Im günstigsten Falle meldet sich das VDS-Mitglied frustriert bei Geschäftsstelle, Verlag oder Autor, anstatt schulterzuckend gleich ganz darauf zu verzichten, eines unserer Bücher zu kaufen. Das Buch XYZ sei „nicht gelistet“, habe der Buchhändler erklärt, erfahre ich dann. Er könne das Buch also nicht beschaffen. Stimmt das so? Dazu ein paar Informationen, wie das Zusammenspiel zwischen Verlag, Großhandel und Buchhändler funktioniert und welche Rolle Amazon dabei hat. Die Dachorganisation des deutschen Buchhandels (MVB) vergibt an den Verlag die weltweit identifizierbare ISBN-Nummer und nimmt das angemeldete Buch in das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) auf. Die Deutsche Nationalbibliothek übernimmt diese Angaben. Die Buchhändler beziehen ihre Bücher größtenteils über den Großhandel mit deren eigenen Verzeichnissen, die sogenannten Barsortimente, nämlich Libri, Zeitfracht und Umbreit. Viele Buchhändler verkehren nur mit einem der Drei, meistens Libri. Dieser Großhändler hat schon vor Jahren die Praxis eingeführt, Bücher und auch Verlage aus seinem Verzeichnis zu streichen, die „zu wenig Umsatz machen“. Sie sind dann, wie es im Fachjargon heißt, „nicht mehr gelistet“. Die kleinen Verlage laufen gegen dieses Vorgehen Sturm. Bei meinen Testanfragen in Berliner Buchläden traf dieses Verfahren bereits Bücher, die erst vor einem Jahr erschienen waren. Aktuelles dazu: boersenblatt.net.

Buchläden könnten freilich bei Kundenanfragen über das VLB (s. o.) jedes Buch mit ISBN identifizieren und unmittelbar beim Verlag, in unserem Falle also in Kamen, bestellen. Je nach Buchladen habe ich den Eindruck gewonnen, dass manche sich diese zusätzliche Mühe nicht machen, also gar nicht erst in das VLB schauen, sondern umgehend versichern, das Buch sei nicht gelistet und somit nicht lieferbar. Es fehlt dann nur noch der lakonische Hinweis, man möge sich lieber gleich an Amazon wenden. Motto: „So stärken wir gemeinsam den mittelständischen Buchhandel!“ (Dr. Kurt Gawlitta)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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