17. November 2017
1. Presseschau vom 10. bis 16. November 2017
- Nichts fürs Kulturpessimisten
- Wickert zum politischen Journalismus
- Italienisch verdient Solidarität
2. Unser Deutsch
- Flüchtlinge oder Geflüchtete?
3. Berichte
- 20 Jahre VDS: Sondersendung im WDR
- „Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR
4. VDS-Termine
5. Literatur
- Lesen aus der Distanz
6. Denglisch
- Gefreshte Jugend
1. Presseschau vom 10. bis 16. November 2017
Nichts für Kulturpessimisten
Die Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache hat auch im 17. Jahr nichts von ihrer Attraktivität verloren. Am 11. November kamen mehr als 800 Gäste zu der Veranstaltung im Festsaal des Kongress-Palais Stadthalle Kassel. Den mit 5.000 Euro dotierten Initiativpreis Deutsche Sprache erhielt das Projekt „Klasse! Wir singen“ aus Braunschweig. Das Projekt habe sich um die „seelische Gesundheit der Kinder und um den Zusammenhalt unseres Landes verdient gemacht“, so der Vorsitzende des VDS, Prof. Dr. Walter Krämer, der die Laudatio hielt. Daniel Keding, der Geschäftsführer des Projektes, gab das Lob an die bisher 500.000 Teilnehmer der Liederfeste weiter und sagte: „Wir wollen dafür sorgen, dass die junge Generation ihre Lieder nicht vergisst, und bemühen uns um die Nachhaltigkeit des Singens.“ Der Schulchor der Ernst-Reuter-Grundschule in Edermünde veranschaulichte das Konzept von „Klasse! Wir singen“ während der Preisverleihung. Beim Abschlusslied „Kein schöner Land“ stimmte der ganze Saal mit ein. Die Sendung „Sozusagen“ des Bayerischen Rundfunks erhielt den Institutionenpreis Deutsche Sprache für ihre Diskussionsanstöße zur Sprachkritik. Moderator Knut Cordsen sagte bei seiner Erwiderung: „Sozusagen! ist keine Sendung für Kulturpessimisten, sondern wir wollen auf das Wunderbare der Sprache aufmerksam machen.“
Als erster Politiker in der Reihe der Preisträger nahm der bisherige Bundestagspräsident Norbert Lammert den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache entgegen und sprach sich noch einmal für die Festschreibung der deutschen Sprache im Grundgesetz aus. „Deutsch ist die Sprache, die diesem Land seinen Namen gegeben hat“, so Lammert. Diese Sprache müsse nicht zwingend im Grundgesetz stehen, aber angesichts der übrigen Regelungswut in der deutschen Verfassung sei ein Bezug zur Sprache überfällig. „Die Landessprache ist Deutsch“, sei ein Satz, der in den vergangenen Jahren manche ideologische Diskussion überflüssig gemacht hätte. Der Kölner Literaturwissenschaftler Günter Blamberger lobte Lammert für die Kunst seiner politischen Rede, für seinen Einsatz für die sprachliche Kultur sowie für die Diskussionskultur und für die Qualität seiner Zitate. „Norbert Lammert hat sich stets geweigert, auf komplexe Probleme einfache Antworten zu finden“, so Blamberger. Lammerts Rückzug als Bundestagspräsident sei bedauerlich, denn Lammert wisse Populisten zu entwaffnen, ohne sie zu beleidigen. „Für Norbert Lammert ist die deutsche Sprache das wichtigste Mittel der Identifikation, genauso wie die Vermittlung der Muttersprachen von Zuwanderern wichtig für deren Identifikation ist“, so Blamberger. Langweilig werde es bei Norbert Lammert nie, jeder Satz enthalte einen neuen Gedanken. (focus.de, br.de, deutschlandfunkkultur.de, sueddeutsche.de, peiner-nachrichten.de, news38.de)
Wickert zum politischen Journalismus
Für Deutschlandfunk Kultur äußerte sich der bekannte Journalist und langjährige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert zur Frage, ob der politische Journalismus in einer Krise sei. Seiner Meinung nach mangele es in der Presse an kritischer Distanz, zum Beispiel bei Berichterstattungen über die Bundestagswahl, die Willkommenskultur oder über Flüchtlinge. Die Nähe zu bestimmten Haltungen, denen sich Journalisten verschrieben hätten, zeige sich auch im Sprachgebrauch, so Wickert: „Im Deutschlandfunk höre ich nicht mehr das Wort ‚Flüchtlinge‛, sondern ‚Schutzbefohlene‛. Und das lese ich inzwischen dann auch in Zeitungen. Es sind nicht nur Schutzbefohlene, die kommen – aber das ist politisch korrektes Denken. Und ich halte das für problematisch.“ Diese Thematik behandelt auch der Beitrag in der Rubrik „Unser Deutsch“ in diesem Infobrief. Wickert hält die deutsche Presselandschaft trotz ihrer Schwächen für eine der besten der Welt. (deutschlandfunkkultur.de)
Italienisch verdient Solidarität
Bekanntlich stehen auch die anderen europäischen Sprachen unter Globalisierungsdruck. Die italienische Rechtsprofessorin und Anwältin, Maria Agostina Cabiddu aus Mailand, hat im Februar für mehr als hundert Hochschullehrer als Kläger einen bedeutenden Sieg vor dem Verfassungsgerichtshof in Rom errungen. Der Plan der Technischen Universität Mailand, alle Studiengänge zur Master- und zur Doktorprüfung auf Englisch umzustellen, wurde für verfassungswidrig erklärt. Ähnliche Umstellungspläne gibt es an der Technischen Universität München. Cabiddu hat eine Petition an den Präsidenten der Republik Italien, Sergio Mattarella, gerichtet und eine neue Sprachpolitik gefordert, die der Stellung des Italienischen als offizielle Landessprache gerecht wird. VDS-Vorstandsmitglied Dr. Kurt Gawlitta empfiehlt den Adressaten dieses Info-Briefs, die Petition aus Solidarität für unsere Nachbarsprache, eine der großen Kultursprachen der Welt, zu unterzeichnen. Die deutsche Übersetzung der Petition findet sich auf der Netzseite der Organisation ADAWIS – Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache: (adawis.de, change.org)
2. Unser Deutsch
Flüchtlinge oder Geflüchtete?
Es gibt seit einigen Jahren eine Debatte, ob das Wort Flüchtling die Betroffenen diskriminiere. Man solle sie lieber (und korrekter) Geflüchtete nennen. Dahinter steht die Befürchtung, ein vermeintlich abwertendes Wort schade den Genannten, und andererseits die Erwartung, ein neues Wort schaffe sprachliche Gerechtigkeit und werde auch jene in der Wirklichkeit verbessern. Untersuchen wir, wie es sprachlich mit Flüchtlingen beziehungsweise Geflüchteten steht.
Im heutigen Deutsch gibt es ca. 120 Wörter auf -ling, einige sehr häufig, viele selten. Die meisten charakterisieren Personen nach bestimmten Eigenschaften wie Jüngling, Feigling, Häftling, Abkömmling, Säugling. Auffällig sind außerdem die vielen Namen für Pilze, Vögel, Fische (z.B. Täubling, Sperling, Stichling). Ein Großteil der Wörter ist schon mittelhochdeutsch belegt, viele sind heute nicht mehr durchsichtig (z. B. Zwilling, Engerling), Neubildungen gibt es kaum. Deshalb lässt sich die Funktion des Suffixes nur sehr allgemein bestimmen: mit dem Suffix -ling werden Bezeichnungen für Personen, Tiere, Pflanzen nach bestimmten Eigenschaften gebildet. Diese sind im Grundwort (Adjektiv, Substantiv, Verb) genannt: z. B. Jüngling (nach jung), Günstling (nach Gunst), Täufling (nach taufen). Eine diminutive Funktion, also eine Verkleinerung, liegt nirgends vor. Dagegen begegnet bei einer kleinen Gruppe eine pejorative Funktion. Sie werden aus Substantiven auf -er gebildet wie Dichterling, Schreiberling. Unser Flüchtling hat damit ebenso wenig zu tun wie Lehrling, Zögling, Häuptling. Wenn manche Sprachbeobachter gleichwohl beim Flüchtling etwas Abschätziges wahrnehmen, so spiegelt das nur die öffentliche Debatte um das Verhalten einiger Flüchtlingsgruppen. Mitgefühl vermengt sich manchmal mit Sorge um eine drohende eigene Benachteiligung. Man kann nicht verhindern, dass die Wörter auch Nebenbedeutungen tragen, die auf den Einschätzungen des Bezeichneten beruhen. Die Verbannung des Wortes ist dagegen kein Heilmittel.
Beim Wort Flüchtling sind das nur Nebenaspekte. Das Wort ruft Erinnerungen wach an Flucht, Vertreibung und Emigration in unserer eigenen Geschichte. Es hat seit der Aufklärung einen festen Platz im deutschen Wortschatz, ist Kern einer großen Wortfamilie aus Ableitungen und Zusammensetzungen. Und als übergeordnete Sammelbezeichnungen für die unterschiedlichen Gruppen, die aus Not oder aus Armut zu uns kommen, ist es unentbehrlich.
Das Partizip Perfekt Geflüchtete vom Verb flüchten kann dies nicht ersetzen. Es legt den Fokus auf den Abschluss des Flüchtens und blendet aus, dass eine Flucht aus der angestammten Heimat ganze Schicksalsjahre umfasst: von den Gefahren der Flucht bis zum Ringen um Anerkennung, Arbeit und Wohnung. Geflüchtete ist zunächst nur eine ad-hoc-Substantivierung. Einen festen Platz im deutschen Wortschatz müsste es erst erringen. Das wird schwer sein, weil diese Bildung sich wenig eignet für weitere Ableitungen und Zusammensetzungen. Legen wir also dies Wort beiseite für gelegentlichen besonderen Gebrauch. Den Flüchtlingen hilft nur wirkliche Hilfe, keine Wortklauberei.
Horst Haider Munske
Die Artikel der Rubrik „Unser Deutsch“ bieten häufig Anlass zur Diskussion. Wer mitdiskutieren möchte, ist im VDS-Rundbriefforum herzlich dazu eingeladen: http://rundbrief.vds-ev.de.
3. Berichte
20 Jahre VDS: Sondersendung im WDR
Am 14. November 1997 wurde der Verein Deutsche Sprache e. V. gegründet. Den 20. Jahrestag hat der WDR zum Anlass genommen, um über den Verein und seinen Gründer, Prof. Dr. Walter Krämer, zu berichten. Ziel des Vereins war es von Anfang an, das zu der Zeit bereits aufkommende Denglisch kritisch zu hinterfragen, Alternativen anzubieten und die Identität der Deutschen zu ihrer sprachlichen Kultur zu stärken: „Es gibt viele Landsleute, die meinen, sich mit dieser Art und Weise zu sprechen einen selbstgefertigten Kosmopolitenausweis ausstellen zu können, dass man sie nicht für Deutsche halten möge.“ Hinzu komme, dass die meisten Denglisch-Begriffe in der englischen Sprache selber keinen Sinn ergeben oder ihre Bedeutung eine andere sei. Aus diesem Grund verweist der WDR auch auf den Anglizismen-Index des VDS, der für mehr als 7000 denglische Begriffe deutsche Entsprechungen vorschlägt. (wdrmedien [mp3])
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR
Das Deutsche Musikradio DMR spielt ausschließlich deutschsprachige Musik. Damit hebt es sich von vielen anderen Sendern mit US-amerikanischer Plattenrotation ab. Die zweite einstündige Sendung „Wortspiel“ läuft am Montag, den 20. November. Schwerpunkt ist der Einfluss der Reformation auf die Entwicklung der deutschen Sprache. (deutschesmusikradio.de)
4. VDS-Termine
21. November, Region 79 (Breisgau)
Regionaltreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Hirschen“, Dorfstraße 4, 79249 Merzhausen
25. November, Elfenbeinküste
Treffen der Regionalgruppe
Zeit: 10:00 Uhr
Ort: Arrah
26. November, Region 48 (Saerbeck)
Der Verein Deutsche Sprache lädt zur Veranstaltung „Lied und Lyrik“ ins Bürgerhaus Saerbeck ein. Der Opernsänger Marco Vassalli wird einige Werke aus den Liederzyklen von Franz Schubert vortragen. Außerdem übernimmt Ricarda Cronemeyer den lyrischen Bereich, unter anderem mit Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe und Wilhelm Müller. Eintrittskarten für die Veranstaltung sind erhältlich im Saerbecker Rathaus, bei „Buch und mehr“, telefonisch unter 02574/6265 oder 8546 (Vorverkauf 10 €, Abendkasse 12 €, ermäßigt 5 €).
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Bürgerhaus Saerbeck, Ferrières-Straße 12, 48369 Saerbeck
wn.de
5. Literatur
Lesen aus der Distanz
Der Literaturwissenschaftler Franco Moretti betrachtet die Entwicklung literarischer Gattungen unter der Annahme, das diese vergleichbar mit der Evolution sei. „Klassiker“ seien demnach jene Werke, die sich im literarischen Überlebenskampf durchgesetzt hätten. Um diesen Vorgang untersuchen zu können, hält Moretti es nicht für ausreichend, einzelne Werke genauestens zu lesen, da auf diese Weise der Blick auf das „Große Ganze“ fehle. Zudem könne so nicht geklärt werden, welche Eigenschaften jene Literatur aufweise, die sich nicht durchgesetzt habe.
„Man investiert nur dann so viel in Einzeltexte, wenn man der Überzeugung ist, dass nur ganz wenige von ihnen von Bedeutung sind. Sonst hat das keinen Sinn.“ Moretti geht im von ihm vorgeschlagenen „Lesen aus der Distanz“ deshalb folgendermaßen vor: Er stellt eine Hypothese auf, beispielsweise „Kriminalromane sind dann besonders erfolgreich, wenn Indizien in ihnen eine große Rolle spielen“. Diese Hypothese wird dann überprüft, indem eine große Masse an Werken genau auf dieses Merkmal hin untersucht wird. Hilfreich sind für Moretti hierbei Möglichkeiten der Untersuchung großer digitalisierter Bestände durch Algorithmen.
Kritik an Morettis Vorgehen bezieht sich auf seine Evolutions-Prämisse und die Frage, ob seine Art des Umgangs überhaupt noch als „Lesen“ bezeichnet werden kann. (deutschlandfunk.de)
6. Denglisch
Gefreshte Jugend
Wenn ich genug gegessen habe, bin ich satt. Und wenn ich durstig war, meinen Durst jedoch dann stillen konnte? Sitt wurde in Anlehnung an das Wort satt für diesen Zustand erdacht. Durchgesetzt hat sich diese Schöpfung jedoch nicht. Auf der vorläufigen Liste zum Jugendwort des Jahres mit 30 Einträgen findet sich für diesen Zustand die Bezeichnung „gefresht“. Wenn man der Werbeaktion des Langenscheidt-Verlags zur Wahl des Jugendwortes Glauben schenken darf, zeigen sich die Jugendlichen jedoch auch durchaus kreativ in der Schaffung deutscher Kombinationen: Weitere Beispiele aus der Jugendsprache sind „Teilzeittarzan“ für einen Menschen, der sich manchmal „affig“ benimmt sowie „trumpeten“ für das Machen großer Versprechungen, die dann nicht eingehalten werden. (welt.de)
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Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel
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