Infobrief 421 (27/2018): Sprachliche Generationskonflikte

1. Presseschau vom 29. Juni bis 5. Juli 2018

  •  Sprachliche Generationskonflikte
  •  Die Macht der Sprache

2. Unser Deutsch

  •  Schlicht und ergreifend

3. Berichte

  •  Auszeichnung für gute Werbung
  •  „Sternstunden“ sorgen weiter für Medieninteresse

4. VDS-Termine

5. Literatur

  •  Georg-Büchner-Preis

6. Denglisch

  •  Ein Schuss ins Blaue

 

1. Presseschau vom 29. Juni bis 5. Juli 2018

Sprachliche Generationskonflikte


Foto: Pixabay sasint CC0-Lizenz

Dass Jugendliche anders sprechen als ihre Großeltern, war schon immer so und wird sich wohl nie ändern. Dennoch führt dies häufig zu Konflikten, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Umfeld. Besonders am Arbeitsplatz seien die Kommunikationshürden groß, wie das aktuelle Arbeitsbarometer des Personaldienstleisters Randstad ergab, an dem 400 Arbeitnehmer zwischen 18 und 65 teilnahmen. Demnach klagt fast jeder Zweite zwischen 18 und 34 Jahren über „Schwierigkeiten, mit Kollegen aus anderen Altersgruppen zu kommunizieren“. Für Personen ab 35 sei der sprachliche Generationskonflikt mit zunehmendem Alter hingegen kaum noch ein Thema. Je höher der Altersunterschied, desto deutlicher somit auch die Gesprächskluft. „Jüngere und ältere Arbeitnehmer sprechen am Arbeitsplatz über unterschiedliche Themen“, erklärt Petra Timm von Randstad Deutschland. „Manchmal könnte man sogar meinen, sie sprechen unterschiedliche Sprachen: Digitalisierung, künstliche Intelligenz, „Influencer“ – für manche ältere Arbeitnehmer sind das Bücher mit sieben Siegeln“. Auch sei die Arbeitsweise unterschiedlich, da besonders die jüngere Generation kaum noch zwischen Arbeit und Freizeit trenne. Timm rät deshalb zu teambildenden Maßnahmen und zur Weiterbildung älterer Arbeitnehmer, um kommunikatives Unverständnis im beruflichen Kontext zu minimieren. (betriebsratspraxis24.de, randstad.de)

 

Die Macht der Sprache

Besonders in der Flüchtlingsdebatte sind die Diskussionen derzeit hitzig und die Lager gespalten. Dabei erleichtern bestimmte Begriffe und Ausdrücke die Wahrnehmungslenkung und Verschleierung, wie in der Vergangenheit der „Flüchtlingsstrom“, der durch seine Wassermetaphorik eine bedrohliche Entwicklung suggeriert. Auch aktuelle Bezeichnungen, wie „Transitzentren“ und „Asyltourismus“, dienen der Assoziationsbeeinflussung, dem sogenannten „Framing“, wie die Süddeutsche in ihrer Reihe zu diesem Phänomen erklärt. Demnach seien die von der CSU geforderten und als solche in begrifflicher Hinsicht erst einmal unproblematischen, beispielsweise vom Flughafen bekannten „Transitzentren“ der Lösungsentwurf für den sogenannten „Asyltourismus“, der mit dem Urlaubsvergleich die wahren Gründe für Flucht, nämlich Krieg, Gewalt und Hunger, verschleiert. Anders als jedoch im Flugverkehr sind diese Transitzentren nicht zur Weiterreise gedacht, sondern zur Abweisung. Für eine sachgemäße Debatte und weniger euphemistische Formulierung schlägt die Süddeutsche den Begriff „Abweisungszentren“ vor. (sueddeutsche.de, deutschlandfunk.de)

Nachtrag 6.7.2018: SPD und Union einig: „Transitverfahren“ statt „Transitzentren“ (tagesschau.de)

 

2. Unser Deutsch

Schlicht und ergreifend

Der Moderator des abendlichen Talks ereiferte sich immer mehr und ließ seine Rede schließlich münden in ein Votum, das durch die Wendung schlicht und ergreifend, expressiv gesprochen, eine heftige emotionale Verstärkung erfuhr. Kein Abend ohne dies journalistische Versatzstück.

Woher kommt es, und wie hängt der Sinn der beiden Wörter mit der zweigliedrigen Wendung zusammen? Findige Erforscher von Redewendungen haben einen literarischen Beleg entdeckt, der beide Adjektive, schlicht und ergreifend, noch in ihrer wörtlichen, auch heutigen Bedeutung zeigt. Der Theologe Johann Peter Lange verfasste 1841 eine Würdigung der Schriftstellerin und jugendlichen Goethe-Verehrerin Bettina von Arnim mit den Worten: „So hat sie die Mutter Goethes und Beethovens, so den Rheingau, so den Freiheitskampf der Tyroler schlicht und ergreifend, mit den scharfen Strichen des Genies, mit den ächten Farben liebender Begeisterung gezeichnet.“ Schlicht heißt hier so viel wie ‚einfach‘, ‚ungekünstelt‘ und ergreifend hat noch die unmittelbare Bedeutung des Partizips ‚(herz)ergreifend‘, ‚rührend‘. Die Wendung zeigt charakteristische Züge vieler solcher Paarformeln. Dabei verbinden sich zwei Wörter ähnlicher Bedeutung mit der Konjunktion und. Man vergleiche durch dick und dünn, klipp und klar, kurz und bündig, frank und frei, weit und breit, auch bei Adverbien wie hier und da, dann und wann und Substantiven wie Wohl und Wehe, Hab und Gut, mit Mann und Maus, mit Fug und Recht, außer Rand und Band. Einige entstammen älterer Rechtssprache. Jacob Grimm sah darin ‚Poesie im Recht‘. Eines ist ihnen allen gemeinsam: Durch die lexikalische Verdoppelung wird die Bedeutung expressiv verstärkt. Die Wendung schlicht und ergreifend fungiert dabei wie ein Adverb.

Es bleibt die Frage: Wie kam es zu dem semantischen Wandel? Dazu müsste man 200 Jahre Sprachgeschichte über die Quellen aufdröseln. Wir beschränken uns auf eine allgemeine Erfahrung: Wörter und Wendungen mir einer besonders positive Bewertung, unterliegen einem schnellen Verschleiß. Einige verfallen zu bedeutungsarmen Verstärkern, andere kommen außer Brauch wie zum Beispiel das berlinische knorke oder klasse, prima, 1a, was die jüngeren Zeitgenossen durch cool, geil, super, ätzend ersetzen. Das ist schlicht und ergreifend ganz normaler Sprachwandel.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Auszeichnung für gute Werbung

Die Regionalgruppe 56 des VDS ruft erneut zur Teilnahme am Wettbewerb Werbewerke auf. Zwischen dem 1. Juli und 25. August können Mitglieder und Sprachinteressierte Fotos von Werbung auf Ladenschildern, Zeitungen oder Prospekten einreichen, die durch originellen und pfiffigen Wortwitz „wirklich wirbt und nicht verwirrt“. Der Wettbewerb findet bereits zum 11. Mal statt. Die besten Einsendungen (bitte an borck@obere-meerbach.de) erhalten Geldpreise bis zu 400 Euro. (openpr.de)

 

„Sternstunden“ sorgen weiter für Medieninteresse

Die Tagespost veröffentlichte eine Lobrede auf das Buch „Sternstunden – Große Texte deutscher Sprache“ von Walter Krämer und Josef Kraus. Redakteur Alexander Riebel stellte darin besonders den Beitrag heraus, den die Lektüre in Zeiten des postmodernen Relativismus in Bezug auf den Identitätsdiskurs leiste. Der Artikel wertschätzt die Vielfalt der aufgeführten Gattungen sowie die Erklärungen und Einordnungen. Das Verständnis der Textauszüge werde hierdurch ermöglicht und der Wert des Bandes wesentlich erhöht, so Riebel. Die Bedeutung der großen Klassiker deutscher Sprache sei so leicht ablesbar.

Auch die Presseberichterstattung über die Verleihung der „Sternstunden“ an Abiturienten mit herausragenden Leistungen im Fach Deutsch hielt in dieser Woche an. Der Schwarzwälder Bote sowie die Internetzeitung Leimen – Nußloch – Sandhausen erwähnten den VDS in ihren Beiträgen über die Abiturfeiern in Baiersbronn und Sandhausen. (die-tagespost.de, schwarzwaelder-bote.de, leimenblog.de)

 

4. VDS-Termine

9. Juli, Deutsches Musik Radio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Alina Letzel und Stefan Ludwig
Schwerpunkt: Sprache und Sport
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/

9. Juli, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen – „Bergisch Land“)
Stammtisch der Regionalgruppe
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal

9. Juli. Region 10-14, 16 (Berlin und Potsdam)
Besuch beim Fernsehen der Deutschen Welle (DW) in Berlin
Dieser Besuch entfällt und wird auf die Zeit nach der Sommerpause verschoben.

9. Juli, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliederversammlung der Regionalgruppe (Ab sofort jeweils am 2. Montag im Monat)
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel „Ibis“, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. Juli, Region 65 (Wiesbaden)
Mitgliederversammlung (Gast: Leiter der VDS-Region Elfenbeinküste und Deutschlehrer Franck Adam Kakou)
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa (Stadthalle, gegenüber dem Rathaus), Gagernring 1, 65779 Kelkheim

11. Juli, Region 04 (Leipzig)
Vortrag von Jörg Bönisch (VDS-Vorstandsmitglied und stellvertretender Regionalleiter der Region Sachsen-Anhalt): „Gendersprache – Geschlechter(un)gerechtigkeit und Sprach(zer)störung“
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Raum A 122 im Augusteum der Universität Leipzig, Augustusplatz 11, 04109 Leipzig

 

5. Literatur

Georg-Büchner-Preis

Wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in dieser Woche bekannt gab, geht der diesjährige Georg-Büchner-Preis an die Gegenwartsautorin Terézia Mora. „In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit. Dies geschieht suggestiv und kraftvoll, bildintensiv und spannungsgeladen – mit ironischen Akzenten, irisierenden Anspielungen und analytischer Schärfe“, heißt es in der Begründung der Jury. Mora wuchs in Ungarn auf und kam nach der Wende nach Berlin, wo sie ihre Schriftstellerkarriere begann und bereits in jungen Jahren Erfolg fand. Ihr letzter Roman „Das Ungeheuer“ erhielt den Deutschen Buchpreis. Der Georg-Büchner-Preis gilt als renommierteste Literatur-Auszeichnung und ist mit 50.000 Euro dotiert. Er wird seit 1951 jährlich in Darmstadt vergeben und zeichnet Literaten aus, die „an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben“. (welt.de, deutschlandfunkkultur.de)

 

6. Denglisch

Ein Schuss ins Blaue

Die Nationalelf ist raus, der Frust ist groß. Nun rechnet die FAZ nicht nur mit dem Spielmisserfolg der deutschen Nationalmannschaft, sondern auch mit der Kampagne des DFB ab. Nach dem peinlichen Ausscheiden der Deutschen in der Vorrunde der WM könne man jetzt allenfalls nur noch auf den Gewinn des „Sprachpanschers des Jahres 2018“ hoffen. „Unsere Kicker haben genauso ungelenk und unmotiviert wie die PR-Kampagne gewirkt“, bestätigt die FAZ die Kandidatur des DFB, der sich mit dem Spruch „Best neVer rest“ einen Platz auf dem diesjährigen Wahlzettel sicherte. (faz.net)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Ann-Sophie Roggel
© Verein Deutsche Sprache e. V.

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