Infobrief vom 13. März 2023: Sprachliche Finessen

1. Presseschau

Sprachliche Finessen

Im Interview mit der Welt wirft der luxemburgische Linguist François Conrad einen Blick auf die sprachlichen Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der europäischen Sprachen und ihre Besonderheiten. So hätten zum Beispiel Franzosen Probleme, das H zu sprechen, weil es kompliziert zu bilden ist. Auch Slawen kennen den Laut nicht, sie sprechen ihn als ch (wie in ach) aus. Der Italiener hingegen hat in seinem Sprachsystem keinen palatalen Reibelaut, so Conrad, also keinen Ich-Laut dieser wird mit dem Zungenrücken gegen den Gaumen gebildet. Der nächste ähnliche Laut sei das sch, ein postalveolarer Reibelaut. Zudem habe es über die Jahrhunderte hinweg Lautverschiebungen gegeben, auch innerhalb von Sprachen. Stimmlose Plosive wie das P wurden zu Pf oder F. So kennt man in Deutschland den Pfannkuchen, der im nieder- und norddeutschen Raum Pannekoken genannt wird. (welt.de)


Krieg verändert Sprache

Der russische Angriffskrieg habe die Sprache in der Ukraine verändert, sagt die Linguistin Prof. Monika Wingender im Deutschlandfunk. Das Ukrainische sei zur Sprache des Widerstandes geworden, das Russische hingegen zur Sprache des Feindes, und das, obwohl Russisch ursprünglich in der Ukraine sehr gegenwärtig war, auch nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die Dominanz des Russischen sollte nach der Unabhängigkeit abgelegt werden, Ukrainisch konnte seinen Aufgaben allerdings nicht gerecht werden, so Wingender, es war eher ein politisches Signal. So sprach die Bevölkerung im Westen eher Ukrainisch, in den Städten eher Russisch, auf dem Land wiederum Ukrainisch. Durch den Krieg seien allerdings Tendenzen ins Rollen gekommen, die vorher so nicht vorhanden waren. Russisch sei jetzt stigmatisiert, es wird als Sprache des Aggressors wahrgenommen. Viele der bilingualen Sprecher wechseln jetzt zum Ukrainischen, um durch den Sprachwechsel auch ihre Position auszudrücken. (deutschlandfunkkultur.de)


Mit Rosenduft Sprachen lernen

Freiburger Forscher haben eine Studie im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht, die den Einfluss von Rosenduft auf das Lernen japanischer Vokabeln aufzeigt. 183 deutsche Muttersprachler ohne japanische Sprachkenntnisse erhielten hierbei entweder Beutel mit Rosenduftgranulat oder unparfümierten Papierschnipseln und wurden angewiesen diese Beutel beim Lernen, Schlafen oder bei den Vokabeltests neben sich zu platzieren. Die Probanden mit den duftenden Briefumschlägen erzielten größere Erfolge. Laut den Wissenschaftlern sorgt der Duft als Wiedererkennungsmerkmal dafür, dass Informationen ins Langzeitgedächtnis übernommen werden. Dies geschehe im Schlaf, da die Probanden den Duft während des Vokabellernens und während des Schlafens einatmeten. Bereits 2007 fanden Forscher heraus, dass Duftstoffe dazu beitragen können, Neugelerntes im Schlaf besser speichern zu können. Der Duft helfe zwar beim Lernen, aber nicht gegen das spätere Vergessen. (zeit.de)


2. Gendersprache

Kein Gendern in Bad Saulgaus Schulen

In Bad Saulgau verzichten die Schulleiter in ihren Klassenzimmern aufs Gendern, berichtet die Schwäbische. Zwar setze man sich im Unterricht mit geschlechtergerechter Schreibung auseinander, in den Klausuren und Arbeitsanweisungen ist Gendern allerdings verboten – und zwar für Lehrer und Schüler gleichermaßen. Ein Schulleiter gendert in der Anrede des Kollegiums bzw. bei den Eltern mit der Beidnennung (Lehrerinnen und Lehrer), hier werden gegenderte Texte der Schüler zugelassen, es gibt weder beim Gendern noch Nicht-Gendern Punktabzug. Bei Abiturprüfungen eines Gymnasiums der Stadt sei es jedoch nicht zugelassen, so der dortige Schulleiter. Unterstützung bekommen die Schulleiter von der Lehrergewerkschaft VBE (Verband Bildung und Erziehung). Viele Schülerinnen und Schüler täten sich mit der Sprache schwer, sagte der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand der dpa. Seiner Ansicht nach benötigen Schüler ein klares Regelwerk zum Erlernen der Sprache. „Dieses Regelwerk sieht weder kreative Schreibweisen noch Sternchen, Schrägstriche, Unterstriche und Doppelpunkte vor, schon gar nicht deren willkürlichen Einsatz“, so Brand. (schwaebische.de)

(Anmerkung: Im Artikel wird der Duden als maßgebliche Instanz für das amtliche Regelwerk angegeben. Das ist falsch, seit der letzten Rechtschreibreform übernimmt der Rat für deutsche Rechtschreibung diese Aufgabe.)


Klöckner genervt von „übertriebenem Gendern“

Die rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner nimmt in der Diskussionsrunde „Demokratie-Forum Hambacher Schloss“ Stellung zum Gendern. Die Sendung stand unter dem Motto „Identität“. Darin erklärt Klöckner, dass sie zwar Doppelnennungen verwende, jedoch auf Sternchen und Doppelpunkt verzichte. „Ich darf auch angenervt sein von übertriebenem Gendern“, erklärt die Bundestagsabgeordnete. Die Sichtbarkeit der Menschen auf sprachlicher und schriftlicher Ebene gehöre zwar zur Identitätspolitik dazu, jedoch könne das Beharren auf bestimmte Formulierungen auch zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen. (prosieben.de, swr.de)


Gendern schadet Inklusion

Inklusions-Aktivist Raúl Aguayo-Krauthausen erklärt im Interview mit tz.de, dass das Gendern keinen Beitrag zur Inklusion leiste, sondern Menschen mit kognitiven Einschränkungen eher schade. Krauthausen, der 2013 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, leidet unter sogenannten „Glasknochen“ und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Mit seinem gemeinnützigen Verein „Sozialhelden“ setzt er sich für soziale Gerechtigkeit ein. Im Interview erklärt er, dass gegenderte Texte für blinde Menschen eine große Schwierigkeit darstellen, da ihre Leseprogramme das Gendern nicht richtig wiedergeben. Auch Menschen mit anderen kognitiven Einschränkungen stehen bei gegenderten Texten vor großen Problemen. Krauthausen betont jedoch, dass das Gendern nichtsdestotrotz wichtig sei und gesellschaftliche sowie technische Lösungen in der Zukunft entwickelt werden müssen. (tz.de)


3. Kultur

App soll indigene Sprache erhalten

Mit der MazahuaApp für Mobiltelefone soll die indigene mexikanische Sprache Mazahua vor dem Verschwinden bewahrt werden. Entwickelt wurde sie von einem ehemaligen Mechatronik-Studenten, der selbst aus einer der Regionen stammt, in der Mazahua beheimatet ist. Früher sei hier Spanisch die Ausnahme gewesen, in den vergangenen Jahren habe sich das gewandelt, berichten ältere Sprecher – und das, obwohl Mazahua eine offizielle Sprache ist. Mit dem Handyprogramm soll sie gerade jüngeren Menschen wieder nähergebracht werden und mehr in den sprachlichen Fokus rücken. Nach einer dreimonatigen Pilotphase habe es bereits positive Ergebnisse gegeben: Kinder und Jugendliche, die die App nutzten, zeigten Verbesserungen im Lernprozess der Sprache. (amerika21.de)


Unbeliebtes Fränkisch

Der fränkische Dialekt landet bei Beliebtheitsumfragen meist auf den hinteren Plätzen. Franken gelten als „knorzig“, zurückhaltend und schüchtern. Eine Umfrage des Erotikmagazins Playboy ermittelte vor einigen Jahren sogar, dass die fränkische Mundart eine der unerotischsten sei. In den sozialen Medien findet man jedoch auch Menschen, die sich für den Dialekt einsetzen. Anna Neubauer stellt auf Instagram Videos hoch, in welchen sie fränkische Redewendungen und Sätze präsentiert. Die Videos erfreuen sich großer Beliebtheit und laut Neubauer komme sie kaum noch nach, die Videos für ihre Zuschauer zu produzieren. In den Videos heißt es dann beispielsweise „in Franken sagen wir nicht: Du brauchst dich nicht zu beeilen; in Franken sagen wir: Dou de nehr ned derhudzn“. (sueddeutsche.de)


Unbeliebtes Fränkisch

Der fränkische Dialekt landet bei Beliebtheitsumfragen meist auf den hinteren Plätzen. Franken gelten als „knorzig“, zurückhaltend und schüchtern. Eine Umfrage des Erotikmagazins Playboy ermittelte vor einigen Jahren sogar, dass die fränkische Mundart eine der unerotischsten sei. In den sozialen Medien findet man jedoch auch Menschen, die sich für den Dialekt einsetzen. Anna Neubauer stellt auf Instagram Videos hoch, in welchen sie fränkische Redewendungen und Sätze präsentiert. Die Videos erfreuen sich großer Beliebtheit und laut Neubauer komme sie kaum noch nach, die Videos für ihre Zuschauer zu produzieren. In den Videos heißt es dann beispielsweise „in Franken sagen wir nicht: Du brauchst dich nicht zu beeilen; in Franken sagen wir: Dou de nehr ned derhudzn“. (sueddeutsche.de)


Plattdeutsch in der Altmark vor dem Ende

Die plattdeutsche Mundart steht in Sachsen-Anhalt vor dem Ende, berichtet MDR. Denn um die Mundart auch für kommende Generationen zu bewahren und pflegen, fehle der Nachwuchs. Engagierte Lehrkräfte werden ebenfalls knapp. Die Arbeitsgemeinschaft für das Altmärker Platt könne deswegen mit dem Schuljahresende aufgelöst werden. Heike Kurze ist eine der Lehrerinnen, die sich landesweit als Leiterin einer Plattdeutsch-AG an der Grundschule Flessau engagiert hat. Mit dem Abschluss des Schuljahres gehe sie aber in Rente. In der AG vermittelte Kurze das altmärkische Heimatgefühl mit plattdeutschen Liedern, Sketchen und Gedichten. Fachleute der Arbeitsstelle Niederdeutsch der Magdeburger Otto-von-Gericke-Universität setzten sich jedoch für den Erhalt der Mundart ein und verteilten sogenannte „Plattdeutsch-Büdel“. Dabei handelt es sich um Stofftaschen voller Lehr- und Lernmaterial zur plattdeutschen Sprache. (mdr.de)

Literatur ist nicht Pizza, sondern Zumutung

Es gibt bereits Verlage, die Klassiker wie Mark Twains Tom-Sawyer-und Huckleberry-Finn-Romane nicht mehr veröffentlichen würden – wegen ihrer „anstößigen“ Passagen. Literaturhaus-Chef Professor Rainer Moritz hält herzlich wenig davon, dass Verlage Gebrauchsanweisungen zum Konsum ihrer Produkte veröffentlichen: „Die Angst, irgendjemandem mit irgendwas auf die Füße zu treten, breitet sich in den letzten Jahren auch hierzulande so aus, dass man am Verstand der Beteiligten zweifeln muss.“ Selbstverständlich sagten Figuren in einem Roman Dinge, die jedenfalls nicht die Meinung des Autors wiedergeben. Da treffe man „permanent auf Menschen, die Seltsames, Anstößiges, Widerliches oder Misogynes äußern – so wie das Menschen betrüblicherweise im ‚wirklichen‘ Leben tun.“ Die Verlage würden ihre Leserschaft für dumm verkaufen, wenn sie meinen, sie müssten eigens darauf hinweisen. Literatur sei keine Tiefkühlpizza, betont Moritz, die den Warnhinweis benötigt, dass die Plastikfolie zu entfernen ist, bevor man die Margherita in den Ofen schiebt.

Offenbar fürchten die Verlage Kloakenstürme in den sozialen Medien, wenn sie keine Inhaltswarnungen geben. „Wenn man diese Haltung zu Ende denkt, darf es künftig keine Romane ohne seitenlange ‚Warnungen‘ mehr geben“, sagt Moritz, denn in fast allen ernsthaften Romanen werde gemeuchelt, gemordet, gesoffen, gedealt und gehurt. Moritz verweist auf einen verbreiteten Irrtum im Umgang mit Kunst. Wer gut schreibt, müsse noch lange kein „moralisch integrer oder politisch klug daherredender Zeitgenosse“ sein. Man verfüge als Autor „nicht automatisch über ein besseres Urteilsvermögen als eine Installateurin oder ein Abendblatt-Redakteur.“ Davon abgesehen agierten auch Schriftsteller stets in einem bestimmten historischen Kontext. So aufgeklärt sie auch sein mögen, sie erliegen den Irrtümern und Fehleinschätzungen ihrer Zeit. So fragt sich Moritz, ob „die Sprach- und Textpolizisten unserer Tage gar nicht auf den Gedanken kommen, in zwanzig, dreißig Jahren könnte man ihre Anschauungen als überholt und verfehlt ansehen.“

Auf die Frage, was er von Romanen halte, in denen allein das Moralisch Gute und Schöne seinen Ausdruck findet, meint Moritz, er kenne keine literarisch satisfaktionsfähigen Romane, die so gestrickt seien. Es sei denn, man stelle sich das Dasein wie eine „Traumschiff“-Episode vor. Eine „Alles wird gut“-Haltung habe in der Literatur jedenfalls nichts verloren. Das allerdings müsse einen nicht hindern, in der Edition von Kinderbüchern Sorgfalt walten zu lassen. Man könne sehr wohl Begleittexte anbieten, um verständlich zu machen, warum etwa ein „Negerkuss“ lange Zeit als unbedenkliches Wort galt und warum man das heute anders sehe. Aber Moritz hält es für indiskutabel, „historische Texte zu glätten oder uns heute als anstößig Vorkommendes zu tilgen.“ Das wäre eine völlige Verkennung dessen, was Literatur, was Kunst ist. „Das heutige Besserwissertum gegenüber Texten oder auch Gemälden aus früheren Zeiten hat etwas Unerträgliches und es zeugt von immenser Selbstgerechtigkeit.“

Thomas Andre fragt im Hamburger Abendblatt: Demnach mache die Wokeness die Kunst kaputt? Darauf Moritz: „Wenn Wokeness übergriffig wird und wenn deren Wortführer glauben, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein, kann sie gefährlich sein.“ Dann könne sie die Kunst töten. Kunst ist, „wenn sie Kunst ist, immer eine Zumutung“, sagt Moritz. Wenn das „Zigeunerschnitzel“ von den Speisekarten verschwindet, sei das kein kultureller Verlust. Es sei jedoch fatal, „wenn eine kleine Minderheit im Bewusstsein, moralisch und intellektuell Recht zu haben, glaubt, ihre Auffassung anderen oktroyieren zu können.“ (abendblatt.de (Bezahlschranke))


4. Berichte

VDS auf der didacta

Zum ersten Mal war der Verein Deutsche Sprache mit einem eigenen Stand bei der Bildungsmesse didacta, die in diesem Jahr in Stuttgart stattfand. Mitglieder des VDS und der Arbeitsgemeinschaft „Deutsch in der Schule“ informierten zum Deutschunterricht im Zeitalter von Tablet und Distanzunterricht, außerdem gab es Informationen zur Gendersprache in den Schulen und wie Lehrer damit umgehen sollten. Bei einem interaktiven Quiz konnten Lehrer ins Gespräch kommen und diskutieren, welche Formulierungen heute in Klausuren als Element des Ausdrucks bzw. der Grammatik akzeptiert würden, früher noch als Ausdruck- bzw. Grammatikfehler angestrichen worden wären. „Wir sind außerordentlich zufrieden mit den Tagen auf der didacta, es gab tolle Gespräche und viele spannende Kontakte“, sagt Claus Maas, Leiter der AG „Deutsch in der Schule“ und Mitglied des Vorstands, der gemeinsam mit Kollegen aus der Geschäftsstelle und Mitgliedern aus der Region vor Ort war. Einen interessanten Aspekt stellte die Möglichkeit dar, mit deutschen Auslandsschulen in Kontakt zu treten, die sich von den Angeboten des VDS begeistert zeigten und großes Interesse an Kooperationen bekundeten. (facebook.com/VDS)


Sabine Mertens im Gespräch mit Ulrike Stockmann

Im 45-minütigen YouTube-Podcast der Journalistin Ulrike Stockmann stellt sich Sabine Mertens als Gründerin der Hamburger Volksinitiative gegen Gendersprache in Verwaltung und Bildung vor und erzählt über ihre Beweggründe sowie den bisherigen Verlauf der Initiative. Für sie keineswegs überraschend kam der überwältigende Zuspruch aus der Bevölkerung sowie das bundesweite Interesse an der möglichen Nachahmung der Volksinitiative, zu welcher sie nach eigener Auskunft bereits mehrere hundert Anfragen erhielt. Anschaulich und differenziert erklärt sie die Konzeption der Sprache und ihrer Funktion im Verhältnis zu den Regeln einer sogenannten „geschlechtergerechten Sprache“. Dem – nach dem Start der Unterschriftensammlung gegen sie persönlich erhobenen – Vorwurf der Homophobie begegnet sie gelassen und betont, dass gerade ihr die Diskriminierung von Menschengruppen fernliege. Sie identifiziere sich mit Prinzipien der kulturellen Freiheit. Die Hamburger CDU steht weiterhin hinter dem Volksbegehren, während Mertens eine Zusammenarbeit mit der AfD konsequent ablehnt. Auch der VDS und seine Unterstützung der laufenden Klage eines Vaters an einer Berliner Schule werden thematisiert. Der VDS unterstützt als überparteilicher Verein Personen und Initiativen, die sich gegen erzwungene Gendersprache zur Wehr setzen. Die Aufnahme fand am 13. Februar statt. (youtube.com/Ulrike Stockmann)


5. Soziale Medien

Problemlöser*innen und Drogensüchtig:innen

Gleich zwei Stilblüten haben in dieser Woche die Twitter-Welt in Gender-Verzückung geraten lassen. Emily Vontz (SPD), mit 22 Jahren das jüngste Mitglied des Bundestags, hielt kürzlich ihre erste Rede. Neben den Inhalten hatte die Twitter-Gemeinde jedoch nur Augen für ihre übertriebene Gestik („War die früher Verkehrszeichen auf einer Kreuzung?“ @politikfluid) sowie das gesprochene Gendersternchen. Sie sprach von Problemlöser(Pause)innen und Problemsucher(Pause)innen und zog damit den Spott auf sich. „Ist das eine Theater-Veranstaltung?“ fragte @be_joli verdutzt, @MatthiasWirth2 sieht in ihr die „Bestbezahlte Schülersprecher*in des Landes“, und @TSievers5 resümiert „Vor lauter Moral weiss man gar nicht was die Dame gesagt hat – war wohl nicht so wichtig.“

Der RBB berichtet indes von einem Drogenmobil für Drogensüchtig:innen in Berlin-Wedding. Hier wollte man sich wohl besonders „woke“ (also aufmerksam bzw. sensibel) zeigen, auch wenn den Betroffenen das korrekt gesetzte Genderzeichen vermutlich herzlich egal sein wird. Dass das Gendern hier komplett nach hinten losgegangen ist, scheint den RBB nicht zu stören – trotz massiver Kritik auf Twitter reagiert der Sender nicht auf diesen Griff ins sprachliche Nichts. (twitter.com/VDS, twitter.com/VDS)


6. Kommentar

So ergreifend wie eine Ampelphase

Literatur, die auf keinen Fall wehtut, die nicht mehr leistet als eine Gesinnung des reinen Herzens zu bestätigen, solchen Kitsch gibt es zuhauf. Das sind Geschichten, so ergreifend wie die Ampelphasen an der Bundesstraße. Bei unseren Enkeln landen wir damit nicht: „Omi, lies ruhig weiter vor, ich hör sowieso nicht zu.“ Riskieren wir mal beim Blättern in den Neuerscheinungen unserer Buchhandlung die Frage: Wollte ich mir daraus vorlesen lassen? Zugegeben, der Wettbewerb mit den Verkehrsampeln wird immer härter. Schreiben darf bald nur noch, wer sich keiner kulturellen Aneignung schuldig macht. Also Vorsicht: keine von Weißen verfassten Geschichten aus dem dunklen (!) Kontinent, von wegen Jenseits von Afrika, Frau Blixen: so nicht! Und daraus dann noch Filme machen, Herr Redford, Frau Streep, was denken Sie sich dabei? Um es mal klar zu sagen: Über den Gattenmord darf nur schreiben, wer ihn bereits begangen hat, Krimis gibt es nur noch von Kriminellen, also von Mördern, Päderasten, Vergewaltigern. Und diese werden sich gefälligst zusammenreißen und das Ganze in bekömmlicher Sprache verfassen! Nicht etwa – man stelle sich das vor! – da könnte jemand unangenehm berührt worden sein. So wie im echten Leben, Schreck lass nach. Aber vielleicht ist hier eine Warnung angebracht: Eine Gesellschaft, die es nicht mehr fertigbringt, Huckleberry Finn im unverfälschten O-Ton zu veröffentlichen, wäre möglicherweise der Mühe nicht mehr wert, sie überhaupt noch vor irgendwas zu beschützen. Wer nicht zum Risiko bereit ist, durch Worte der Anderen zum eigenen Denken animiert zu werden, auch wenn es noch so schmerzt, der lebt wahrscheinlich sowieso auf dem falschen Planeten. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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