1. Presseschau
Klimagerechte Sprache
In Dubai treffen sich Vertreter aus der ganzen Welt zur Klimakonferenz und streiten auch über die richtigen Begriffe. Denn „wenn’s um die Sprache geht, gibt’s beim Klima keinen Konsens“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Erwärmt sich die Erde? Ist sie überhitzt? Oder brodelt sie bereits, wie kürzlich UN-Generalsekretär António Guterres sagte? Die Stadt Luzern setzte sogar einen Sprachbefehl um und ließ die öffentliche Kommunikation „klimagerecht“ umgestalten. Luzerner Verwaltungsangestellte dürften deswegen nicht mehr vom Klimawandel sprechen, sondern nur noch von der Klimakrise. Mit der Umbenennung werde „Dringlichkeit“ geschaffen, erklärt der Berner Linguist Hugo Caviola. Von Klimakrise spricht Grünen-Chefin Ricarda Lang und sieht sich damit in der Kritik. Anderen Aktivisten geht das nicht weit genug, Klimakatastrophe treffe es besser. Der Beitrag in der NZZ diskutiert außerdem neue Wörter wie Flugscham oder terran (d. h. ohne Flugzeug reisen) und stellt fest, dass es für Leute, die das Klima besonders belasten, noch gar keine Bezeichnung gibt. (nzz.ch)
Logopädie mit VR-Brillen
„Hast du mal das … Dings … na, das Dings halt …“ Wortfindungsstörungen, falsche Aussprache, ein gestörter Redefluss – mit diesen und ähnlichen Problemen landen Menschen häufig beim Logopäden. Sie üben das Sprechen und bekommen Tipps, wie man mit seiner Stimme und dem Schlucken besser zurechtkommt. Neben traditionellen Stimmübungen kommt die virtuelle Realität (VR) ins Spiel, vielen bekannt aus dem Computerspielebereich, wo die Spieler mit VR-Brillen in virtuelle Welten entführt werden. Bei der „Sprechstunde“ des Hamburger Abendblatts, gemeinsam mit dem Asklepios-Klinikum Harburg, stellt die Logopädin Svenja Jakobsohn das Projekt vor. Dabei kann der Patient eine virtuelle Reise an einen beliebigen Ort unternehmen und dort Stimmübungen machen. Die andere, obwohl nicht echte Umgebung, sei eine gute Möglichkeit, um neue Ideen beim Patienten zu stimulieren und sie zum Üben zu animieren. (abendblatt.de)
Latein ist tot! – Es lebe Latein!
Totgesagte leben bekanntlich länger. So scheint es auch mit Latein zu sein. Die Sprache, die vielen als „tote Sprache“ gilt, weil sie (außer in der Kirche) nicht mehr aktiv gesprochen wird, erlebt jetzt eine kleine Renaissance. Wichtig sei die Herangehensweise, berichtet der SWR. Wer, wie der Lateinlehrer Michael Stierstorfer, es schafft, Latein mit der Moderne zu verbinden, habe gute Chancen, das Interesse dafür wach zu halten. „Denn der Latein-Unterricht vermittelt weit mehr als nur die Sprache, als Kulturfach gibt er auch einen Einblick in die Lebens- und Denkweise der alten Römer“, schreibt Lukas Meyer-Blankenburg auf swr.de. Auch mit ungewöhnlichen Übersetzungen ins Lateinische, z. B. der Harry-Potter-Bücher, könne man die Neugier wecken. Es müsse eben nicht immer Seneca und Cicero sein. Wichtig sei auch, zu zeigen, dass sich viele europäische Sprachen aus dem Lateinischen entwickelt haben, auch Deutsch: Der Adventskalender kommt beispielsweise vom lateinischen Adventus, das bedeutet Ankunft. Ein weiterer Vorteil: Die Satzstruktur im Lateinischen erleichtert im Deutschen den Umgang mit den grammatikalischen Fällen; oft lässt sich der Wortschatz ableiten, das unterstützt die Rechtschreibung. Davon würden vor allem Kinder profitieren, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. (swr.de)
Kein Bock auf Deutsch
Der kürzlich vorgestellte Ländervergleich des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hat gezeigt: Die Sprachkompetenzen von Neuntklässlern in den Fächern Deutsch und Englisch waren im Jahr 2022 deutlich schlechter als bei der vorangegangenen Erhebung sieben Jahre zuvor, deren Ergebnis schon alarmierend genug ausgefallen war. Verbessert haben sich nur Kinder, die schon vorher gute Ergebnisse eingefahren hatten. 44 Prozent der Schüler haben angegeben, sie hätten nur ein geringes Interesse am Fach Deutsch. Englisch wird als interessanter eingestuft, ist es doch die Sprache, die bei den jungen Menschen auf TikTok, YouTube und ähnlichen Plattformen am häufigsten abgespielt wird. „Von einer elektrisierenden Schiller- oder Kafka-Streamingserie fehlt bei Netflix jede Spur“, schreibt Uwe Ebbinghaus in der FAZ. Die Anwendbarkeit des Englischen sei gestiegen, die Deutsch-Didaktiker müssten sich etwas einfallen lassen. Laut Cornelia Rosebrock, die bis zum Sommersemester 2023 Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Literaturdidaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt war, hat das Fach Deutsch Standortnachteile. Es gehe nicht ausschließlich um das fachliche Erlernen, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung und die ästhetische Erfahrung. „Für Schüler sei ‚Deutsch‘ daher oft nicht transparent in seinen Zielen.“ Hinzu komme, dass die Erhebung des Bildungstrends in der 9. Klasse erfolgt, also zur Zeit der Pubertät. Wer vorher gerne las, finde Antworten nicht mehr in den Büchern aus Kindertagen, bekomme aber in der Schule selten neue Ideen für die nun kommenden Fragen. Zeitgemäße Texte und individuelle Leseempfehlungen seien rar. Rosebrock rät deswegen, Schülern zu erklären, worin der Sinn der Auseinandersetzung mit Literatur liegt und – vor allem an nicht-gymnasialen Schulformen – lebensnahe Lektüre auszuwählen. (msn.com, faz.net (Bezahlschranke))
2. Gendersprache
Tagesspiegel schafft Gendersternchen ab
Abstimmung mit den Füßen – das hat jetzt der Tagesspiegel am eigenen Leib erfahren dürfen. Er hört in seiner gedruckten Form auf zu gendern, Sternchen und andere Sonderzeichen gehören damit der Vergangenheit an. Vor allem von den Abonnenten der Print- und E-Paper-Ausgaben sei man „sehr deutlich darum gebeten worden, andere Formen der genderneutralen Sprache zu verwenden als den Genderstern oder den Doppelpunkt“, so der Tagesspiegel. Laut Chefredaktion habe sich gezeigt, dass „sich eine stringente und für unsere Leserinnen und Leser nachvollziehbare Verwendung der Sonderzeichen nicht herausgebildet hat“, die Zeit des Experimentierens sei daher vorbei. Gastbeiträge, deren Autoren Gendersprache wünschten, seien davon nicht betroffen, ebenso gegenderte Interview-Antworten, die auf Wunsch des Gesprächspartners so wiederzugeben sind. Stattdessen verwendet der Tagesspiegel jetzt die Doppelnennung (Künstlerinnen und Künstler) oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen (Studierende). (welt.de, welt.de (Bezahlschranke))
Umfrage mit Kontext
Informierte Befürworter von Gendersternchen und Co. verweisen gerne und schnell auf psychologische Studien, die beweisen, dass die generischen Standardformen im Deutschen weibliche Personen zu wenig berücksichtigen. Diese Studien stehen in der Kritik, weil die in Experimenten und Befragungen verwendeten Beispielsätze ohne jeden Kontext zu bewerten sind und in dieser Form in der Alltagssprache nicht vorkommen. Ein Lehramtsstudent an der Universität Siegen hat nun eine weitere Umfrage anders konzipiert, um das Verständnis geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Deutschen zu erforschen. Wer teilnehmen möchte, hier: umfragen.uni-siegen.de.
3. Kultur
Thomas Gottschalk: Flapsig wie in den 80ern
Deutschland ereifert sich über die letzte „Wetten dass“-Sendung von Thomas Gottschalk (das „Lagerfeuer der Nation“) am Samstag letzter Woche. Hört Gottschalk auf, weil er nicht mehr alles sagen darf? Löschkultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? „Gottschalk rechnet zum Abschied mit Sprachverboten ab“, titelte die BILD-Zeitung. Mehrere Aussagen Gottschalks lassen sich durchaus in diese Richtung deuten, wie: „Inzwischen rede ich zu Hause anders als im Fernsehen – und das ist auch keine tolle Entwicklung“ oder „Gabelstapler-Innen, Gabel-Stapel-Fahrerinnen“. Im Münchner Merkur kommt dazu der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger zu Wort: Gottschalk rede seit den 70er-/80er-Jahren so, „wie das junge Menschen cool fanden – authentisch, flapsig, respektlos, witzig, albern“. Heute achte man bei öffentlichen Aussagen darauf, „Minderheiten nicht zu diskriminieren, alte Geschlechterstereotype aufzubrechen und den Hass zurückzudrängen“. Zuhause dürfe Gottschalk reden, wie er will, so Schweiger. (merkur.de)
Chancen durch Sprache
Das Projekt „Sprache schafft Chancen“ fördert seit Anfang 2023 den interkulturellen, sprachlichen und sozialen Austausch im Mehrgenerationenhaus Haßfurt (MGH). Das Projekt des Bayrischen Roten Kreuzes soll dabei helfen, Flüchtlingen („Geflüchteten“) den Kontakt zu Einheimischen zu erleichtern und ihr Alltagsdeutsch zu üben. Ehrenamtliche kommen regelmäßig dazu, um bei gemeinsamen Unternehmungen ins Sprechen zu kommen. Das können Ausflüge oder Tanzveranstaltungen sein, aber auch so Unspektakuläres wie das Plaudern beim Kaffee trinken. Als Nebeneffekt werde auch das soziale Miteinander gestärkt und die Integration in der neuen Heimat erleichtert. (mainpost.de)
4. Berichte
Kampagne „Stoppt gendern“
Die Leiterin der VDS-AG Gendersprache stellt auf dem Internetsender Kontrafunk die Initiative stoppt-gendern.de vor. Die Kampagne soll dabei helfen, durch Volksabstimmungen in den Bundesländern die Behörden dazu zu bringen, zu einer korrekten und verständlichen Sprache zurückzukehren. Mertens fordert, dass „das Selbstverständliche wieder selbstverständlich sein darf“. (kontrafunk.radio, stoppt-gendern.de)
Sprachnachrichten Ausgabe 100
Hundert Titelbilder der Sprachnachrichten passen nicht auf die erste Seite der Zeitschrift. Deswegen sind auf der aktuellen Ausgabe nur rund die Hälfte der bisher erschienenen zu sehen. Diese Titel behandeln Denglisch, Sprachpanscher, Deutsch ins Grundgesetz, Dialekte, Deutsch als Fremdsprache, Gendersprache und vieles mehr – eine durchaus repräsentative Auswahl der Themen, mit denen der VDS befasst ist. Die 100. Ausgabe enthält auch die Auswertung einer Umfrage: Was macht die Redaktion gut, und was sie besser machen könnte. Zwei Redaktionsmitglieder diskutieren über die Frage, ob eine gedruckte Zeitschrift überhaupt noch zeitgemäß ist. Ansonsten überwiegen die Sachthemen: Ein Politik-Professor darf seinen Studenten die amtlichen Rechtschreibregeln vorschreiben. Kurt Gawlitta hinterfragt die Entscheidung des Goethe-Instituts, sechs Standorte in Europa zu schließen. Ebenfalls das 100. Jubiläum feierte der unvergessliche Loriot, allerdings an Jahren. Und um ihn ebenfalls vor dem Vergessen zu bewahren, stellt diese Ausgabe den Dichter Franz Hessel (1880-1941) vor. Die Sprachnachrichten gibt es auch an allen wichtigen Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen zu kaufen. Eine Liste der Verkaufsorte finden Sie hier: vds-ev.de.
5. Denglisch
Englisch aus Übersetzungen
Es gibt Anglizismen, denen man ihre Herkunft nicht sofort ansieht, weil sie weder in der Lautung noch in der Schreibung nach Englisch aussehen. Es sind englische Wörter und Wendungen, die als Lehnübersetzungen ins Deutsche gelangen. Max Goldt nannte das Phänomen schon „primitiven Übersetzungsanglizismus“. Die Berliner Zeitung stellt eine ganze Liste vor, so dass man fast von einer Welle sprechen kann: Das macht Sinn, ist ja schon lange bekannt, aber Das triggert mich, Das geht gerade viral oder Irgendwas ist toxisch sind Sätze, die man ständig hört und die ihren Ursprung im Englischen haben. Oder auch: Du bist so was von nicht zu meiner Party eingeladen (aus: You are so not invited to my party). Besonders hat es der Verfasser auf das Narrativ abgesehen. Es klinge so wichtig und gebildet. (berliner-zeitung.de)
(Anmerkung der Red.: „so was von“ kennt ein Redakteur schon aus den Siebzigern: „An der Baustelle wird ja so was von geklaut.“)
6. Soziale Medien
Tote Radfahrende
Auf Berlins Straßen sind offenbar Zombie-Radfahrer unterwegs. Anders kann man sich nicht erklären, weshalb der Allgemeinde Deutsche Fahrradclub (ADFC) Berlin auf X (ehemals Twitter) von „toten Radfahrenden“ berichtet. Durch Verbesserung der Abbiegeassistenten von LKW und Bussen sollen Opfer im Straßenverkehr vermieden werden. Dass der ADFC vergessen hat, die Abbiegeassistenten zu gendern, übersehen wir an dieser Stelle großzügig. @alpavaraia merkt zu Recht an: „Das heißt korrekt: Radgefahrene. Denn die sind ja tot.“ Und @Pi_x_Daumen schreibt: „Woke Sprache – schwere Sprache“. @RNeubert hat ebenfalls Grusel-Assoziationen: „Warum muss ich bei diesem Bericht sofort an Zombies denken. Ich komme einfach nicht drauf.“ Wie kritikfähig der ADFC ist, zeigt sich übrigens in seiner Reaktion auf unsere Antwort sowie unser erneutes Posten des ADFC-Beitrags: Wir wurden blockiert, unsere Antworten sowie die vieler anderer Nutzer wurden ausgeblendet. (twitter.com/adfc_berlin, twitter.com/VDS)
Falalalalalalalalaaaa
Die Weihnachtszeit hat auch die Geschäftsstelle des VDS in Kamen erreicht. Vor dem Gebäude steht seit dem Wochenende ein großer Weihnachtsbaum, den die fleißigen Wichtel geschmückt haben. Eindrücke vom Baum samt Wichteln gibt’s hier: facebook.com/VDS.
7. Kommentar
Die Sternchen verglühen, na und?
Zum Frohlocken ist es zu früh. Zwar stimmt es, nach und nach verabschieden sich Gemeinden, Städte, nun sogar ein Bundesland vom „Gendern“. Indes, da geschieht nur, was ohnehin fällig war: Die Sonderzeichen werden abgeräumt! Wie schön. Aber die Sternchen verschnuppen sowieso. Früher oder später hat man sich satt gesehen und gehört, spätestens wenn man sich umschaut : Die Sprechpausen der freundlichen Moderatoren im TV und die Sternchen in den Schreiben der Ämter haben die Gerechtigkeit um kein Nanometerchen vorangebracht! Dabei geht es nicht um die Sonderzeichen, das eigentliche Problem steckt in der Verzerrung der Grammatik, die eh schon schwer genug ist, und als Problem erleben das die Grundschüler, die Einwanderer, die Flüchtlinge, die Jungs in der Nordstadt, denen das Gendertheater die Teilnahme an einer leidlich normalen Gesellschaft verbaut. Das Sprachgendern sind wir erst dann los, wenn die Genderimame aufhören, die Sprache zu verkrüppeln. Wenn die Vorturner aufhören, der Mehrheit im Lande eine Grammatik aufzuzwingen, die sie nicht annimmt. Weil sie nicht passt. Das kann einem nicht entgehen, man muss nur hinschauen, hinhören. Wirklich los sind wir das Sprachgendern – wie auch die vielen woken Übertreibungen –, sobald die Vorbeter merken, dass sie niemand bekehrt haben. Oder sie bleiben unbelehrbar? (Oliver Baer)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs