1. Presseschau
Babysprache der Delfine
Eine internationale Forschergruppe des Fachblatts Proceedings hat herausgefunden, wie sich Delfine mit ihrem Nachwuchs verständigen. Ähnlich wie Menschen verwenden die ausgewachsenen Tiere eine Art Babysprache, eine vereinfachte und verniedlichenden Sprechweise. Bei den Delfinen zeige sich diese Babysprache in den Pfiffen, die sich von der normalen Kommunikation durch andere Frequenzen unterscheiden. Die Forscher beobachteten Delfinmütter und ihre Kälber im US-Staat Florida und stellten fest, dass Mütter und Kälber fast ununterbrochen Pfiffe austauschten, die höhere Maximalfrequenzen und größere Frequenzabweichungen vorwiesen. Die Forscher meinen, diese besondere Form der Kommunikation diene dazu, die Aufmerksamkeit der Kälber zu erhöhen und eine emotionale Bindung zu schaffen. (tagesschau.de)
Jahrtausend der Turteltaube
Ritter, Kreuzzüge und die Pest – das Mittelalter ruft ganz unterschiedliche Bilder in unseren Köpfen hervor. Grob ist damit der Zeitraum zwischen dem 6. und 15. Jahrhundert gemeint, nachdem die großen antiken Reiche des Mittelmeerraums an Bedeutung verloren und bevor die Neuzeit Reformationen und große Entdeckungen und Erfindungen mit sich brachte. An Turteltauben haben vermutlich die wenigsten gedacht, wenn es um das Mittelalter ging. Doch sie sollten dieser Zeit den Namen geben, findet der Frankfurter Historiker Bernhard Jussen. Die grobe Einteilung Altertum / Mittelalter / Neuzeit werde oft als ein europäisches Konstrukt gesehen, schreibt die Welt, und da setzt auch Jussen an. In Europa hätten sakrale und familiäre Strukturen diese Zeit stark beherrscht, das zeigten alte Bilder und Schriften. So habe die Witwe hohes Ansehen gehabt, war sie doch gesellschaftlich im Namen ihres verstorbenen Mannes weiterhin eine wichtige Persönlichkeit und ihm weit über seinen Tod treu ergeben. Die Turteltaube war ein Symbol dieser trauernden Witwe. (welt.de (Bezahlschranke))
Kein „Einwecken“ mehr
Im alltäglichen Sprachgebrauch werden manche Markennamen zu Synonymen für etwaige Kulturtechniken. „Einwecken“ ist dafür ein Beispiel. Einwecken bedeutet, Lebensmittel durch Einkochen haltbar zu machen. Die Firma Weck, die das Einmachglas erfunden hat, hat diese Woche ihre Insolvenz bekanntgegeben, und Matthias Heine fragt sich in der Welt, ob damit „einwecken“ auch aus unserem Wortschatz verschwinden werde. Der Begriff sei ohnehin veraltet, da er aus einer Zeit stammt, bevor Kühltruhen in Haushalten üblich waren. „Einwecken“, „kärchern“ oder das französische „scotcher“ (mit Klebeband kleben) sind Wörter, die aus Markennamen hervorgingen und in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen wurden. (welt.de)
2. Gendersprache
Rechtschreibrat kündigt Regeln an
Die Diskussion ums Gendern ist emotional aufgeladen – das sagte der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, Josef Lange, dem Weser-Kurier. Befürworter sähen sich als fortschrittlich und offen, Gender-Gegner seien für sie daher rückständig und am rechten Rand verortet. Während man in Österreich die Diskussion ums Gendern aus seiner Sicht eher entspannt wahrnähme, würde sie in Deutschland und der Schweiz deutlich heftiger betrachtet. Vor allem die Umsetzung in den Schulen der verschiedenen Bundesländer sei nicht einheitlich: Als Staatsbürger frage er sich, wie staatliche Stellen Kindern in der Schule beibringen wollen, dass es Spielregeln gibt, an die man sich in einem Gemeinwesen halten müsse, damit es funktioniert, obwohl es diese Spielregeln aufweiche und umgehe. Der Rechtschreibrat müsse die Schreibung beobachten und gegebenenfalls Änderungen vorschlagen – und zwar ohne politische Hintergründe und Emotionen.
Bei der nächsten Sitzung des Rechtschreibrats Mitte Juli werde der Rat auch über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zum Gendern informieren und über eine Vorlage entscheiden, wie damit umzugehen sei. Neue Regeln müssten wissenschaftlich begründet werden, gleichzeitig müssten die Hauptanwender damit umgehen können – das betreffe vor allem Schulen und die öffentliche Verwaltung, aus Langes Sicht aber auch die Justiz. Er erwarte aber keine große Revolution in dieser Frage. Möglich sei jedoch, dass sich der Rechtschreibrat grundsätzlich zu Sonderzeichen innerhalb von Wörtern positionieren werde. Die Leserlichkeit müsse gewährleistet sein, auch vor dem Hintergrund verbreiteter Seh- und Hörschwierigkeiten sowie der Tatsache, dass die Gesellschaft immer älter werde und damit die Zahl der Menschen mit körperlichen Einschränkungen steige. (weser-kurier.de (Bezahlschranke))
Genderverbot in Niederösterreich
Die österreichische ÖVP und FPÖ haben beschlossen, dass die Landesbehörden in Niederösterreich künftig nicht mehr gendern. Das Verbot betreffe die Verwendung von Genderzeichen (Sternchen oder Doppelpunkt) in offiziellen Texten und Dokumenten. Die Parteien empfehlen den Verzicht auf Genderzeichen ebenfalls für Universitäten wie auch für Kindergärten. Ein FPÖ-Sprecher gab gegenüber der Tageszeitung Der Standard an, dass durch das Genderverbot in Behörden „die deutsche Sprache wieder gerecht zur Anwendung“ komme und diese Entscheidung auch „im Sinne der Integration“ getroffen wurde. Der Erlass solle laut Reinhard Teufel, FPÖ-Klubchef, noch im Laufe des Sommers präsentiert werden. (focus.de)
Genug Unterschriften in Baden-Württemberg
Die Volksinitiative gegen das Verwenden der Gendersprache an Schulen und in Behörden in Baden-Württemberg hat die erste Hürde bestanden. Klaus Hekking, Heidelberger Rechtsanwalt und Initiator der Aktion, gab bekannt, dass 12.000 Unterschriften gesammelt wurden. Damit wurden die notwendigen 10.000 Unterschriften übertroffen und Hekking hofft, dass es nun vorab mit der Landesregierung zu einer Einigung komme. Durch ein Volksbegehren kann man eine Volksabstimmung herbeiführen. Für die Zulassung eines Volksbegehrens werden zunächst nur 10.000 Unterschriften von wahlberechtigten Bürgern Baden-Württembergs benötigt, im nächsten Schritt benötigt man innerhalb von sechs Monaten die Unterschriften von zehn Prozent der wahlberechtigen Bürger, also von etwa 770.000 Personen. Hekking betont, dass CDU und FDP ihre Unterstützung bereits signalisiert hätten, und er erhofft sich eine Einigung ohne Volksbegehren. (swr.de)
CDU übergibt Unterschriften in Hamburg
Auch in Hamburg hat die Volksinitiative gegen das Gendern das Quorum von 10.000 Unterschriften übertroffen, und das war bereits im Mai der Fall. Die CDU übergab der Initiatorin Sabine Mertens weitere 3.000 Unterschriften, die sie bei ihren eigenen Mitgliedern bzw. an CDU-Infoständen gesammelt hatte. Die Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß und Christoph de Vries erklärten, man habe „in den letzten Wochen eine überwältigende Unterstützung dafür erfahren, die Gendersprache aus Schulen, Hochschulen und Behörden zu verbannen“. Am 21. Juli sollen die gesammelten Unterschriften offiziell übergeben werden, dann geht der Entwurf in die Bürgerschaft. Stimmt diese der Initiative nicht zu, ist der nächste Schritt ein Volksbegehren, bei dem dann innerhalb von 3 Wochen 66.000 Unterschriften zusammenkommen müssen – das könnte frühestens im Sommer 2024 auf dem Plan stehen.
Mertens Volksinitiative ist ausdrücklich unabhängig: „Wir sind keine Politiker und wollen es auch nicht werden,“ sagt sie, es gehe darum, „moralisch, verbal und ideologisch abzurüsten“, wichtig sei „die Relevanz unserer Sprache für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ (welt.de)
Moralische Erpressung
„Gendern ändert nichts“ – das sagte der Politikpsychologe Thomas Kliche, Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal, der Mitteldeutschen Zeitung. Er halte nichts von der vermeintlich geschlechtergerechten Sprache, die Diskussion um sie sei ein „Stellvertreterstreit“, der die wichtigen Fragen unserer Zeit ausblende: Umgestaltung der Arbeitswelt, Abbau sozialer Benachteiligung, wirtschaftliche und technische Stagnation. Gender verfolge zwar gute Absichten, würde aber kein Problem wirklich lösen: „Weil es anonym von selbst ernannten Fachleuten zur Alltagsregel für alle erklärt wird. Mich ärgern die trittbrettfahrenden Tugendwächter, die anderen ohne Argumentation und Risiko Vorschriften machen.“ Daraus könne leicht eine moralische Erpressung werden. „Man ist immer gezwungen, Stellung zu nehmen. Darauf folgt Widerstand, die Menschen verteidigen die Kontrolle über ihr Lebensumfeld.“ Sprache müsse jedoch vor allem ein Mittel zur Verständigung sein, „damit wir gerechte und vernünftige Wege entwickeln, um zu handeln“, so Kliche. (mz.de (Bezahlschranke), presseportal.de)
3. Kultur
Die Sprache der Ausgegrenzten
Der SWR berichtet über das Rotwelsch. Das ist der Sammelbegriff für eine Vielzahl von Soziolekten gesellschaftlicher Randgruppen. Bettler, Vagabunden, Kriminelle – sie alle nutzten ab dem späten Mittelalter eine Sprache, zu der meist nur sie Zugang hatten. Das förderte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, diente aber auch als eine Art Geheimsprache der Tarnung. Mit der Zeit gingen viele Begriffe in die Alltagssprache über, auch weil nach dem Dreißigjährigen Krieg viele Mitglieder dieser Randgruppen in Städten sesshaft wurden. ‚Polente‘ wird z. B. noch heute im Berliner Raum für ‚Polizei‘ genutzt; den Ursprung hat es im Rotwelsch. Und auch ‚Kohldampf‘ (Hunger) und ‚bibbern‘ (frieren) haben die Zeit der Ausgrenzung überdauert und sind in den Sprachgebrauch übergegangen. (swr.de)
Mundart-Landkarte
Der Regionalverband Saarbrücken stellt die neue „Kaat von Dahämm“ vor. Auf der Karte sind die Orts- und Stadtteile der Region in ihrer jeweiligen regionaltypischen Aussprache verzeichnet. Die „Kaat von Dahämm“ beinhaltet ebenfalls Zeichnungen zu regionalen Legenden, Geschichten, Sagen sowie Sehenswürdigkeiten. Auf der Netzseite des Ministeriums hat der Verein für Landeskunde zudem Tonaufnahmen mit der korrekten Aussprache der Orts- und Stadtteile zur Verfügung gestellt. Durch das Projekt solle die Mundart als kulturelles Erbe lebendig gehalten werden, erklärt die Ministerin Petra Berg. Die Karte kann auf der Internetseite des Umweltministeriums in zwei unterschiedlichen Formaten erworben werden. (sol.de)
4. Berichte
Didacta – Auswertung der Befragung
Bei der Didacta hat der VDS eine qualitative (nicht repräsentative) Befragung zum Thema „Sprachwandel“ im Deutschunterricht entwickelt und durchgeführt. Lehrkräfte konnten Formulierungen unter den Aspekten ‚Ausdruck‘ und ‚Grammatik‘ bewerten. Sätze wie „wegen dem schlechten Wetter …“ oder „Die Bedarfe an Lehrkräften nehmen zu…“ konnten sie als ‚Fehler‘, ‚ungenau‘ oder ‚zulässig‘ einstufen. Das Ergebnis: 80 % der Formulierungen, die einen Sprachwandel über die Umgangssprache widerspiegeln, wurden im Rahmen der Unterrichtsnähe als ‚fehlerhaft‘ eingestuft. Es gab jedoch auch Sätze, die kaum beanstandet wurden, wie zum Beispiel „Unser Theaterbesuch hat leider nicht geklappt“ (statt „ist nicht zustande gekommen / musste leider ausfallen“). Sprachwandel findet also durchaus Eingang in die Standardsprache, so Claus Maas, Leiter der AG „Deutsch in der Schule“. Auf die Unterscheidung zwischen Alltagssprache und Standardsprache werde in der Lehrpraxis im Deutschunterricht immer weniger Wert gelegt. Der Fragebogen mit den insgesamt zwölf Satzbeispielen sowie die Übersicht über die Bewertungs-Varianten sind hier aufrufbar: vds-ev.de.
5. Soziale Medien
Bacon of Hope
Die sozialen Medien sind für ihre Gehässigkeit bekannt. Nichts bleibt ungesehen, alles wird genüsslich aufgearbeitet. Jetzt hat es (erneut) Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) getroffen. Dass sie trotz eines Studiums in England mit der Sprache eher auf Kriegsfuß steht, ist bekannt (das hat sie aber mit 99 von 100 Englischsprechern in Deutschland gemein). Bei ihrem Besuch in Südafrika leistete sie sich einen sprachlichen Ausrutscher der eher lustigen Art. „South Africa’s path to freedom has been a beacon of hope inspiring men and women around the world“. Südafrikas Weg zum Frieden sei ein Leuchtfeuer für Männer und Frauen weltweit – das WOLLTE sie sagen. Doch statt ‚beacon‘, gesprochen mit einem langen ‚i‘ (also: ‚biehken‘) sagte sie ‚bacon – und das bedeutet ‚Speck‘. Der Hashtag #BaconOfHope (Speck der Hoffnung) ließ nicht lange auf sich warten. SWR3 textete direkt einen humoristischen Werbespot, Bildcollagen machten die Runde, man fragte nach Zubereitungsideen der vermeintlichen Delikatesse. Jetzt kann man natürlich sagen: „Das kann schon mal passieren…“. Und ja, vermutlich sind die meisten von uns als Nicht-Englisch-Muttersprachler nicht vor solchen Fehlern gefeit. Aber wer als Außenminister ein Land vertritt, für den gelten eben andere Maßstäbe, zum Beispiel für den klugen Einsatz von Dolmetschern und Übersetzern (dazu sind sie nämlich da). Immerhin hat Baerbock nicht wieder Russland versehentlich den Krieg erklärt. (twitter.com/argonerd (ggf. Anmeldung nötig), swr3.de)
6. Kommentar
Es siegt der Flurfunk
Eine schräge Geisteshaltung nimmt Tarek Leitner vom Österreichischen Rundfunk (ORF) ein, indem er den Genderkrieg für beendet erklärt. Er beobachtet, weltoffene Redner „genderten zu Beginn ihrer Vorträge vielleicht zwei, drei Mal, (…) später schon mit etwas Nachlässigkeit, dann (werde) vielleicht noch das eine oder andere Mal die weibliche Form verwendet.“ Offenbar genüge es, meint Leitner, wenn gleich zu Beginn der Stallgeruch nachgewiesen wird: „Seht her, ich bin Teil unseres aufgeschlossenen Milieus.“ Ist die Verortung erst einmal gemacht, wisse das Publikum Bescheid. „Der wohltuende Genderschlendrian dieser Vortragenden ist aber ein Indiz: Der Kulturkampf ums Gendern ist vorbei.“ Nach Leitner kommt es im Alltag mittlerweile überall so vor, „in Vorträgen, Reden, Gesprächen, Texten aller Art und Medienberichten. Wer sich dieser Sprachtechnik bedient, tue das zumeist schon sehr gelassen, wenig belehrend, fast nie kämpfend.“
Fast möchte man sogleich nach Wien auswandern. Leitner meint auch zu wissen: „Wer einen so gelassen gegenderten Text liest, merkt es kaum mehr. Mittlerweile sind viele von konsequent ungegenderten Texten abgelenkt.“ Ach wirklich? Vielleicht verschieben wir die Sache mit der Übersiedlung noch, denn die Wiener Blase, in der Leitner lebt, kennen wir von den bundesdeutschen Medienhäuser: Man nimmt wahr, was um einen herum so gesprochen wird, im Flurfunk, am Espressoautomaten, das ist die Wahrheit, sie muss so stimmen, denn man hört sie täglich wiederholt, bis man glaubt, anders könne es nicht sein. Das ist die schöne Welt. Während draußen Leute herumlaufen, die das Gendern blöde finden – alles Nazis. Ach so, außerdem die nicht aufgeschlossenen Milieus, die Mehrzahl der Bürger, diese breite, unaufgeklärte Masse (einschließlich dieser Ausländer, dieser Flüchtlinge oder dieser Pflegekräftinnen aus Brasilien), diese lästige Mehrheit, die sich beim zweiten Hinsehen doch nur für eines eignet: weiterhin belehrt und bevormundet zu werden. Und dann wundert man sich in den Sendern über den Unmut der Bürger? (Oliver Baer) (msn.com)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs