Infobrief vom 10. August 2024: Sprach- und Kulturschock im eigenen Land

1. Presseschau

Sprach- und Kulturschock im eigenen Land

Ein spanischer Tourist erlebte in seinem Urlaub auf der Insel Mallorca eine böse Überraschung. Als Urlaubsziel hatte er sich den gerade bei britischen Touristen beliebten Ort Magaluf ausgesucht, der jedes Jahr von feierwütigen Urlaubern bevölkert wird. Der Spanier sei fassungslos und geschockt gewesen, dass dort niemand mit ihm in der Landessprache, also Spanisch oder Mallorquinisch, geredet habe: „Wir sind in Spanien und sie sprechen alle mit uns in einer fremden Sprache. Es ist ein Mangel an Respekt, dass man in Spanien in einer fremden Sprache mit uns spricht“, so der Urlauber. Aber nicht nur die Sprache, auch der Massentourismus an sich sorge immer wieder für Ärger in der Bevölkerung, die ihren Unmut mit Protestaktionen und Demonstrationen zum Ausdruck brächte. (focus.de)


Verbindliche Rechtschreibvorgaben für Plattdeutsch

Das niedersächsische Kultusministerium sorgt mit einer Regelung dafür, dass ab dem kommenden Schuljahr in den Schulen für den Plattdeutsch-Unterricht einheitliche und verpflichtende Schreibweisen für jede Region und Varietät vorhanden sind. Ostfriesische Schulen, an denen das ostfriesische Plattdeutsch gelehrt wird, müssten sich demnach künftig nach den Regeln und dem Wörterbuch der Ostfriesischen Landschaft richten. An Schulen, in denen das weit verbreitete nordniedersächsische Plattdeutsch gelernt wird, das in großen Teilen dem ostfriesischen Plattdeutsch ähnelt, gelte die Rechtschreibung aus dem Wörterbuch von Johannes Sass. Lediglich das ostfälische Plattdeutsch rund um die Regionen Braunschweig, Göttingen und Bückeburg habe noch kein Wörterbuch, auf das sich die Schulen beziehen könnten, es müsse erst noch konzipiert werden. Grietje Kammler, Leiterin des Plattdüütskbüros der Ostfriesischen Landschaft, betont, wie wichtig diese Regelung für den gesamten Bildungsbereich sei, weil sie Lehrkräften und Schulen dadurch Rechtssicherheit gäbe. Denn nur mit einheitlichen Regeln könne der Lernerfolg anschließend auch einheitlich bewertet werden, so Kammler weiter. Unabhängig von der jeweiligen Schreibweise dürften in den Schulen jedoch alle regionalen Varianten des Plattdeutschen im Unterricht gesprochen werden, weil damit die Vielfalt der Sprache nicht nur hörbar bleibe, sondern auch weitergegeben werden könne.

Nach den letzten Zahlen aus dem Jahr 2023, die das Kultusministerium veröffentlichte, wird in ganz Niedersachsen an 44 zertifizierten Schulen Niederdeutsch oder Saterfriesisch gelehrt, zusätzlich gebe es Arbeitsgruppen an Modellschulen. (sueddeutsche.de)


Kinder und das Sprachenlernen

Natalia Gagarina, stellvertretende Direktorin des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin, erklärt, warum Kinder bessere Voraussetzungen haben, neue Sprachen zu lernen, als Erwachsene. Ihr Gehirn sauge neue Erfahrungen und Eindrücke auf wie ein Schwamm und stelle Verbindungen zwischen Nervenzellen her, die ständig neu geknüpft und aktualisiert würden. Diese sogenannte Neuroplastizität sei dafür verantwortlich, dass Kleinkinder täglich Fortschritte machten. Mit zunehmendem Alter lasse allerdings die Plastizität und Gedächtnisleistung nach: Während Kinder ein bis zwei Wiederholungen bräuchten, um sich ein neues Wort zu merken, bräuchten Erwachsene viel mehr. Trotzdem sei das Erlernen von Sprachen auch mit zunehmendem Alter zu begrüßen, halte es doch das Gehirn länger fit und beuge Krankheiten wie Alzheimer vor.

Aber auch weitere Faktoren wie Kontinuität, individuelle Förderung oder Stress beeinflussen, wie schnell man eine Sprache lernt: Die meisten Kinder würden diesbezüglich unter idealen Bedingungen lernen. Außerdem hätten sie keine Angst, Fehler zu machen, und dementsprechend auch keine Sprachhemmungen. Zusätzlich stelle sich die Frage nach dem Sinn oder einer Motivation gerade in den ersten Lebensjahren nicht, im Erwachsenenalter hingegen schon. Ein weiterer Aspekt sei das unbewusste Lernen durch soziale Interaktion, bei dem bestimmte Muster erkannt und aus der Sprache übernommen würden: Dadurch, dass aus wiederkehrenden Symbolfolgen sprachliche Konstruktionen geformt würden, entstehe Grammatik. (rnd.de)


Menschliche DNA als Sprache auffassen

Am Biotechnologischen Zentrum (BIOTEC) der Technischen Universität Dresden hat ein Forscherteam ein KI-Modell namens Grover entwickelt, das die menschliche DNA wie eine Sprache behandelt und ihre Regeln und Zusammenhänge lernt. Dieses sogenannte Large Language Model (LLM) lasse sich dazu verwenden, um biologische Bedeutung aus der menschlichen DNA zu extrahieren, so Dr. Anna Poetsch, Leiterin der Forschungsgruppe am BIOTEC. „DNA ähnelt Sprache. Sie besteht aus vier Buchstaben, die Sequenzen bilden, und die Sequenzen tragen eine Bedeutung. Im Gegensatz zu einer Sprache gibt es jedoch kein Konzept für Wörter“. Ihre Kollegin Dr. Melissa Sanabria, federführende Wissenschaftlerin des Projekts, führt weiter aus, dass, während GPT-Modelle menschliche Sprachen lernten, Grover gelernt habe, DNA zu sprechen. Es sei mit einem dafür erstellten DNA-Wörterbuch trainiert worden, für das das gesamte Genom nach den häufigsten Buchstabenkombinationen untersucht worden sei. (heise.de)


2. Gendersprache

Jede Stimme zählt

Seit dem 8. August kann die Hamburger Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ auf ihrem Weg zum Volksbegehren innerhalb des Stadtgebietes Unterschriften sammeln. Bis spätestens 28. August 2024 müssen mindestens 66.000 gültige Unterschriften vorliegen, damit der Senat gezwungen ist, einen Volksentscheid über die Abschaffung von Gendersprachformen in Schulen und Verwaltung durchzuführen. Der VDS unterstützt das Volksbegehren in Hamburg und die verantwortlichen Vertrauenspersonen Dr. Jens Jeep, Dr. Hans Kaufmann und Anja Oelkers. In den derzeitigen Sommerferien sei das Sammeln der benötigten Stimmen jedoch deutlich schwerer, erklärt Jeep. Zum einen seien weniger Helfer vor Ort, allerdings fehlen auch potenzielle Unterzeichner.

Trotz dieser Beschränkungen lassen sich die Organisatoren jedoch nicht vom Ziel abbringen und nutzen stattdessen ihren Einfallsreichtum. Die Ferienzeit wird genutzt, um auch am Hamburger Flughafen Stimmen zu sammeln. Jeep erklärt, dass Menschen auf der Durchreise ohnehin Wartezeiten am Flughafen erwarten werden und es durchaus gute Chancen gebe, dort auf Unterstützer zu treffen. Zwischen dem 8. und 28. August wird der Informationsstand mit Unterschriftenliste täglich vor Ort sein. Weitere Stände der Initiative sind ebenfalls in allen Bezirken Hamburgs, etwa auf Wochenmärkten, zu finden. Jeep und die weiteren Mitstreiter der Initiative könne man anhand der bunten Kleidung und Werbezettel erkennen. Man wolle auffallen, erklärt Jeep, denn die Organisatoren und Helfer haben „Spaß an unserer Sprache.“ Außerdem wolle man zeigen, dass man gegen sprachliche Benachteiligungen kämpfe. Das Gendern benachteilige viele Menschen, „insbesondere diejenigen, die Deutsch erst lernen oder kognitive Sprachschwierigkeiten haben.“

VDS-Mitglieder bundesweit können helfen, indem sie ihnen bekannte Hamburger auf die Abstimmung hinweisen. (ohne-gendern.de, abendblatt.de (Bezahlschranke), welt.de)


3. Kultur

Sprachen im Auto lernen

Krystyna Trushyna bezeichnet sich selbst als Sprachenthusiastin. Die polyglotte Sprachmentorin beherrscht neben Deutsch auch Russisch, Englisch, Ukrainisch, Italienisch und Türkisch. Gegenüber der Freien Presse berichtet sie nun über ihre Erfahrungen, wie man es auch mit wenig Freizeit schaffen kann, eine neue Sprache zu lernen. Zwar habe sie keine Zeit, um Sprachkurse zu besuchen oder interaktive Sprachlern-Apps zu verwenden, allerdings nutze sie die morgendlichen Fahrten zur Arbeit, um die Grundlagen der neuen Sprache zu lernen. Zunächst empfiehlt sie das Anhören von Hörbüchern, Nachrichtensendungen, Podcasts und Musikstationen in der Zielsprache. Die eigene Sicherheit am Steuer geht jedoch in jedem Falle vor, betont Trushyna. Mittlerweile gebe es Sprachlern-Apps, die speziell zum Verwenden während einer Autofahrt entwickelt wurden und die nicht voraussetzen, dass man auf den Bildschirm schauen oder Tasten drücken muss. Diese Apps, die wenig Interaktion erfordern, bieten entweder Audioformate zum Anhören oder Lerneinheiten zum Nachsprechen. Trushyna empfiehlt die Apps Pimsleur und Language Pod101 für unterwegs. Als einfachste Methode nennt sie das Mitsingen von Liedern in der Zielsprache, denn im Auto könne man trotz schiefer Töne und Textunsicherheit ungestört üben. (freiepresse.de)


Mehr Deutsch in Tschechien

Der tschechische Bildungsminister Mikuláš Bek hat einen Fünf-Punkte-Plan durchgesetzt, der unter anderem auch eine bessere Fremdsprachenausbildung an tschechischen Schulen vorsieht. Der Unterricht einer zweiten Fremdsprache ist nun wieder verpflichtend ab der 6. Klasse. Zuvor wurde diese Regelung trotz heftiger Kritik abgeschafft, berichtet die Sudetendeutsche Zeitung. Der Sprecher der deutschen Volksgruppe in Tschechien, Bernd Posselt, begrüßt die Entscheidung des Bildungsministers. Er sehe darin einen bedeutsamen Schritt für die deutschstämmige Bevölkerung Tschechiens, die ihr kulturelles Erbe nun auch durch die Sprache erhalten kann. Bereits im vergangenen Jahr besuchte Bildungsminister Bek die Festveranstaltung zum Sudetendeutschen Tag. Posselt bedankte sich damals persönlich und betonte, dass Deutschkenntnisse auch für die ethnisch tschechische Bevölkerung Böhmens eine große Rolle für den Erhalt des kulturellen Erbes oder dem Zugang zu Archiven spielten. (instagram.com/stiftung_verbundenheit, Sudetendeutsche Zeitung Ausgabe 31/32)


4. Berichte

Gender-Duell

VDS-Vorstandsmitglied Claus Maas war beim „Duell des Tages“ von Welt TV zu Gast und debattierte mit Prof. Heidrun Kämper vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache über die Entscheidung, dass zu Beginn des neuen Schuljahres in Sachsen die Verwendung der Gendersonderzeichen in Schularbeiten als Fehler gewertet wird. Der Rat für deutsche Rechtschreibung lehnt die Genderzeichen weiterhin ab und Maas betonte im Gespräch, dass Schulen die Aufgabe hätten „normsprachliche Ausdrucksformen zu vermitteln.“ Beim Gendern handle es sich nicht um eine natürliche Sprachentwicklung, sondern um das „gesellschaftlich motivierte Eingreifen in die Sprachsystematik.“ Maas erklärte zudem, dass das Gendern keinen natürlichen Sprachgebrauch darstelle und bei der Gesellschaft auch nicht „angekommen“ sei. Kämper argumentierte, dass es ihr beim Gendern nicht um Verbote und Zwang, sondern um „sprachliche Freiheit“ ginge. Das Duell in gesamter Länge ist auf der Netzseite von WELT zu finden. (welt.de)


5. Soziale Medien

Apropos Jugendsprache

In der letzten Woche haben wir bereits bewiesen, wie viel Aura und Rizz wir besitzen, wenn es um die Jugendsprache geht. Diese Woche widmen wir uns der Pyrotechnik. Oder ist es doch die Bürotechnik? (instagram.com/vds)


Runde 2 der Vorstands-Zeugnisse

In den Sommerferien präsentieren wir in den sozialen Medien die Zeugnisse unserer Vorstandsmitglieder. Weiter geht es mit Prof. Bruno Klauk. Er hat zwar keine Zeugnisse gefunden, aber einen alten Aufsatz ausgegraben. (facebook.com/vds)

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Stephanie Zabel

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