1. Presseschau
Tierische Dialekte
Gibt es auch im Tierreich Dialekte? Offenbar ja, ermittelt der Meeresbiologe Dr. Karsten Brensing. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Schwertwale, auch Orcas genannt, sie leben vor Neuseeland oder in der Antarktis. Je nach dem Standort unterscheiden sich ihre Laute. Mithilfe von Unterwassermikrofonen und tragbaren Sendern identifizieren, kombinieren und unterscheiden die Meeresbiologen 50 verschiedene Laute der Tiere und erkennen: Die Schwertwale sind in der Lage, das stimmliche/vokale Lernen anzuwenden. Neben den Menschen seien dazu Singvögel, Mäuse und Robben fähig. Die meisten anderen Tiere verständigen sich mit angeborenen Lauten. Die jungen Schwertwale müssen jedoch erst die verschiedenen Klick- und Pfeiftöne, sowie die pulsierenden Rufe von der Mutter lernen. Diese Walsprache unterscheidet sich von Tiergruppe zu Tiergruppe; und so stellen die Forscher fest, dass Schwertwale tatsächlich eine Art Dialekt sprechen, je nach zugehöriger Familie. Zudem können Schwertwale durch ihre Fähigkeit des vokalen Lernens auch Laute der Delfine und anderer Meeresbewohner nachahmen. (rnd.de)
Kleinkinder ĂĽberraschen Sprachforscher
Eine internationale Forschergruppe fand heraus, dass Kinder im vorsprachlichen Alter bereits in der Lage sind, kombinatorisch zu denken, sie können bestehende Konzepte neuen Gedanken zuordnen. Zwar ging man zunächst davon aus, dass sich diese Fähigkeit erst als Folge des Sprachgebrauchs entwickelt, nun stellt sich heraus, dass die Kinder die kombinatorische Fähigkeit bereits in den ersten zwölf Lebensmonaten entwickeln. In einer Studie mit 60 Kleinkindern wurden Pseudowörter für Zahlen mit bereits bekannten Begriffen wie „Apfel“ und „Ente“ kombiniert. Als man den Kindern dann eine Mehrzahl von Bildern mit den bekannten Konzepten, also Äpfel, Enten etc., zeigte, konnten sie die erfundenen Zahlwörter der entsprechenden Menge zuordnen. Die Forscher bezeichnen daher das kombinatorische Denken nicht als Folge des Sprachgebrauchs, sondern als Voraussetzung für den Spracherwerb. (mdr.de)
Ăśberlegenheit der Geisteswissenschaften?
Zwar galten mathematische und technische Berufe bisher als zukunftssicher und gut bezahlt, aber das könnte sich in Zukunft durch Künstliche Intelligenz jedoch bald ändern. Der Investor, Unternehmer und Milliardär Peter Thiel mutmaßt im amerikanischen Politik-Podcast „Conversations with Tyler“, dass „Mathemenschen“ es im Beruf bald schwerer haben als „Wortmenschen“. Gemeint sei damit, dass mathematisch orientierte Berufe mehr von der KI bedroht seien als sprachlich orientierte, denn die KI könne mathematische Aufgaben bald besser lösen.
Zwar galten Geisteswissenschaftler in der Gesellschaft bisher als weniger „prestigeträchtig“ als Mathematiker, der Fortschritt bei der KI könne laut Thiel jedoch bald zu einer „überfälligen Neugewichtung“ der beiden Berufsrichtungen führen. Für generative KI-Systeme wie ChatGPT stelle die sprachliche Kompetenz weiterhin eine weitaus größere Herausforderung dar als die mathematische. Das hänge mit der Komplexität und dem Reichtum menschlicher Sprache und Kommunikation zusammen, erklärt Peter Praschl in seinem Artikel für die WELT. Für die alltägliche Kommunikation sei eine komplexe Ausdrucksweise jedoch nicht notwendig. Für diesen Bedarf genüge sie auch ohne die Fähigkeit, Texte im Stile Shakespeares zu verfassen.
Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds besagt, dass künftig rund 60 Prozent der Arbeitsplätze in entwickelten Volkswirtschaften durch KI betroffen wären. Das führe nicht zwangsläufig zum Verlust des Arbeitsplatzes, bedeute aber deutliche Veränderungen in den Berufen. Praschl fasst zusammen, dass unabhängig von den persönlichen Fähigkeiten, ob nun mathematische oder sprachliche, die Künstliche Intelligenz aus ökonomischen Gründen weiter in den Arbeitsmarkt vordringen werde. (welt.de (Bezahlschranke))
2. Gendersprache
Sonderzeichen weiterhin falsch
Der Rat für deutsche Rechtschreibung äußert sich in seinem Bericht zur dritten Amtsperiode auch über das Gendern. Zwar sei das Thema auch innerhalb des Gremiums umstritten, jedoch einigte man sich trotzdem auf eine Positionierung. Die Sonderzeichen, Sternchen, Unterstrich und Doppelpunkt bleiben amtlich falsch. Die Einheitlichkeit und Verständlichkeit der Rechtschreibung müsse so weit wie möglich gesichert werden. Weiterhin werde überwiegend das generische Maskulinum verwendet, jedoch stehe die Entwicklung der gegenderten Sprache noch am Anfang, räumt der Expertenrat ein. Auch im Hinblick auf Entscheidungen der Verfassungsgerichte in Deutschland und Österreich wolle der Rat die Entwicklung der Sprache nicht durch „vorzeitige Festlegungen“ beeinflussen. (nordkurier.de)
Gender-Automat
Das Berliner Stadtmagazin Siegessäule, das sich als Sprachrohr fĂĽr queere Menschen versteht, berichtet ĂĽber den „Verein fĂĽr geschlechtergerechte Sprache“. Dieser präsentiert eine Grammatik, die inklusiv sein soll. „Es sollte ein Menschenrecht sein, ĂĽber nicht binäre Personen sprechen zu können“, sagt Averyn Hiell, Vorstandsmitglied des Vereins. Mit dem vorgeschlagenen „De-e-System soll ein neues grammatisches Geschlecht, das Inklusivum, eingefĂĽhrt werden. Substantive werden dabei auf -e oder -er gebeugt, dazu gibt es das neutrale Pronomen en. Aus „die*der gute Ă„rzt*in“ wĂĽrde so „de gute Arzte“, der Genitiv laute entsprechend „ders guten Arztes“, der Dativ „derm guten Arzte“. Nicht-binäre Personen sollen ihr Pronomen bestimmen dĂĽrfen, man halte es aber fĂĽr nĂĽtzlich, „dass ein geschlechtsneutrales Pronomen so bekannt wird, dass man es nicht mehr erklären muss”, so Mit-Vorstandsmitglied Marcos Cramer.
Hiell und Cramer verstehen ihr System nicht als Vorschrift, sondern als Angebot. Man wünsche sich vielmehr einen Konsens, der in den natürlichen Sprachgebrauch übergeht. Auf seiner Internetseite bietet der Verein den „De-e-Automat“ an, er verändert Wörter automatisch zur Geschlechtsneutralität. (siegessaeule.de, geschlechtsneutral.net)
Notärzt*innenwagen?
Laut Bild werden in Hamburg jetzt ältere Notarztfahrzeuge ausgemustert und durch moderne Wagen ersetzt. Diese sollen nicht mehr den Begriff „Notarzt“ tragen dürfen, sie sollen geschlechtergerecht beschriftet sein. Auch die digitale Blaulicht-Leuchtschrift „Notarzt“ müsse weichen. Ob wirklich „Notärzt*in“ auf den Fahrzeugen stehen soll, sei noch unklar. „Die Gender-Norm hat für unseren Rettungsdienst und unsere Notärzte keine Auswirkung“, so Feuerwehr-Sprecher Thorsten Kraatz. Die Diskussion sorge bei den Feuerwehrleuten allerdings für Kopfschütteln:„Als hätten wir keine anderen Probleme“, wird ein Beamter zitiert. (bild.de)
3. Kultur
Dialektforschung in der Schweiz
Forscher der Universität Bern haben die Mundarten der Schweiz mit Blick auf ihre Veränderung in den letzten Jahrzehnten untersucht. Tausend Teilnehmer aus 127 Regionen der Deutschschweiz haben einen bestimmten Text in ihren Dialekt übersetzt. Dabei stellte sich heraus, dass jüngere Schweizer (Jahrgang 1985–2002) zum Teil anders sprechen als ältere (Jahrgang 1940–1960). Bei einigen Wörtern wie Urlaub, bekommen, Tage oder Frau waren die Unterschiede besonders deutlich. Frau gab es u. a. in den Versionen Fraue, Fröiwa, Fraua, Frauä, Froua und Frouwa. Mithilfe einer interaktiven Dialektkarte kann man die Unterschiede der verschiedenen Regionen auf der Internetseite des SRF hören. (srf.ch)
Internationales Sorbisch
Das Sorbische Institut im sächsischen Bautzen veranstaltet einen Sommerkurs zur sorbischen Sprache. Die Organisatoren stellten nun mit Begeisterung fest, dass Sorbisch anscheinend auch internationales Interesse weckt, denn die 35 Teilnehmer stammen aus China, den USA, Slowenien und Frankreich. Neben dem Sprachkurs stehen Vorträge über die sorbische Kultur und Exkursionen auf dem Programm. Das Sorbische Institut stellt seine Forschungsthemen vor, so auch das Tagebuch eines sorbischen Pilgers aus dem 19. Jahrhundert. Knut-Michael Kunoth von Radio Lausitz erklärt das internationale Interesse an der sorbischen Sprache mit den einfachen Worten „Sorbisch ist sexy“. (radiolausitz.de)
Nigerianischer Literaturnobelpreisträger wird 90
Der nigerianische Autor Wole Soyinka wird von vielen als wichtiger politischer Denker und Autor Afrikas verehrt. Den 90-jährigen afrikanischen Literaturnobelpreisträger zeichnen die klare Haltung und seine deutliche Sprache aus. Während des nigerianischen Bürgerkriegs im Bundesstaat Biafra zwischen 1967 und 1970 setzte er sich für den Frieden zwischen den kämpfenden Parteien ein und landete im Gefängnis. Dort schrieb er Gedichte, die er unter dem Namen „Poems from Prison“ veröffentlichte. Er hat sein literarisches Talent stets auf politisches Denken und den Kampf für Menschenrechte gerichtet. Insgesamt hat er mehr als 30 auch weltweit übersetzte und aufgeführte Theaterstücke, Romane, Gedichtbände und Essays verfasst. Seine Bücher und Essays befassen sich mit der Bewältigung der kolonialen Vergangenheit in Ausbeutung und Sklaverei. 1986 erhielt er als erster Schriftsteller des afrikanischen Kontinents den Literaturnobelpreis. (badische-zeitung.de)
4. Berichte
Volksinitiative Hamburg
Hamburger Bürger sind aufgerufen, vom 8.-28. August 2024 beim Volksbegehren gegen Gendersprache in Verwaltung und Bildung mitzumachen. Die Briefeintragung kann man bereits jetzt machen, am 18. Juli werden die Formulare vom Landeswahlleiter verschickt. Benötigt werden 66.000 Unterschriften. Siehe auch das Online-Verfahren: ohne-gendern.de.
5. Denglisch
Geliked, geliket, gelikt?
Im Zuge der neuen Rechtschreibregeln, die seit dem 1. Juli Teil des aktualisierten amtlichen Regelwerks und somit auch verbindlich für Schule und Verwaltung sind, wurden zahlreiche eingedeutschte Anglizismen festgehalten. Bereits in den 2000ern nahm der Duden Wörter wie „timen“, „mailen“, „liken“ und „faken“ auf, der Rat für deutsche Rechtschreibung stellt nun jedoch Regeln für die Partizipbildung der denglischen Wörter auf. Laut Regelwerk werden die „Flexionsendungen in der Regel an die deutsche Laut-Buchstaben-Zuordnung angepasst.“ Konkret sind „geliked“ und „gelikt“ zulässig, jedoch nicht „geliket“. Das Gleiche gilt für „gefaked“ und „gefakt“. Beide Formen sind laut Rat für deutsche Rechtschreibung korrekt, „gefaket“ jedoch nicht. Als dekliniertes Partizip ist „die gefakte Nachricht“ zwar korrekt, „die gefakede Nachricht“ wird vom Rat jedoch als falsch eingestuft. Die aktualisierte Fassung des Regelwerks ist vor allem auf die moderne Sprache aus den sozialen Medien gerichtet. (heise.de)
6. Soziale Medien
Verstorbene Drogengebrauchende
Die Diakonie Hanau-Main-Kinzig gedenkt der „verstorbenen Drogengebrauchenden“. Der Anlass, den @markus_wojahn bei X gepostet hat, ist ein trauriger. Dass ausgerechnet eine kirchliche Organisation sich nicht zu schade ist, ihn mit einem Begriff zu umschreiben, der der Verstorbenen unwürdig ist, erschreckt umso mehr. (x.com/markus_wojahn)
Doppelpunkte. Ăśberall Doppelpunkte.
Der Nutzer @runningtoby wundert sich auf X über eine Beschreibung auf der Internetseite des Immobilienportals Immoscout. „Die Eigentumsumschreibung erfolgt, wenn im Grundbuch das Eigentum von dem:der Verkäufer:in auf den:die Käufer:in umgeschrieben wird.“ Und auch der weitere Teil der Beschreibung strotz nur so von Doppelpunkten an Stellen, an die sie nicht gehören und den Text wie einen Aprilscherz aussehen lassen. (x.com/runningtoby)
7. Kommentar
Perfekt gedacht, besser nicht gemacht
Es rĂĽhrt, ist aber auch ein wenig tragisch zu beobachten, wie viel Intelligenz auf Lösungen eines Problems gerichtet ist, das sich durch noch so gute Ideen keinen Millimeter bewegen lässt. Zum Beispiel die BemĂĽhungen des Berliner Vereins fĂĽr geschlechtergerechte Sprache können stimmig bis ins Detail (und gut gemeint) sein – sie verfehlen ihren Zweck gerade wegen ihres Anspruches auf Perfektion. Sprache funktioniert nicht wie ein Apparat, wo durch Knopfdruck geschieht, worauf sich Menschen zuvor geeinigt haben. Der Apparat ist blöde, er kann nicht anders, als richtig zu reagieren (nein, er kann auch kaputt gehen). Die Menschen reden, wie sie reden. Man kann schon mal, mit viel Aufwand eingreifen, fast immer ohne dauerhaft bleibenden Erfolg. Und wenn der Eingriff doch mal gelingt, und der Patient liegt halbtot, aber noch atmend auf dem OP-Tisch, mĂĽssten sich die Operateure eingestehen, dass schon der Ansatz nicht stimmte. In Wirklichkeit ändern Menschen ihr Bewusstsein, die Sprache folgt dem Bewusstsein, nicht umgekehrt. Dazu bilden die Menschen Wörter und Begriffe. (Oliver Baer)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs