Infobrief vom 17. August 2024: Wenn Deutschsprechen Pflicht ist

1. Presseschau

Wenn Deutschsprechen Pflicht ist

Im Ferienzeltlager des Kinderhilfswerks Arche gilt die Regel, dass dort alle Kinder Deutsch miteinander sprechen müssen – auch, oder gerade weil sie aus den verschiedensten Nationen kommen. Zuhause würden die Kinder oft einen Mix aus unterschiedlichen Sprachen nutzen, daher sei es wichtig, dass sie in der Arche Deutsch sprächen. Denn diese Kinder würden oft an sogenannten Brennpunktschulen „geparkt“, wo sie fast ausschließlich mit anderen geflüchteten Kindern in eine Klasse gingen und somit die deutsche Kultur und Sprache nicht lernten, so Arche-Sprecher Wolfgang Büscher. Kinder, die kein Deutsch sprechen, sollten stattdessen in einer Klasse mit nur wenigen nicht-deutschsprachigen Schülern untergebracht werden, denn „dann lernen sie die deutsche Sprache in unserer Erfahrung in einigen Monaten“, führt Büscher weiter aus. (rtl.de)


Fleißige Brandenburger

Laut Sprachen-App Duolingo sind Nutzer aus Brandenburg die fleißigsten Lerner in Deutschland. Ein Sprecher der Firma, die ihren Sitz in den USA hat, teilte mit, dass die brandenburgischen Nutzer 2023 die meisten Lernübungen absolvierten. Bayern und Nordrhein-Westfalen liegen auf den Plätzen zwei und drei. Die beliebtesten Sprachen waren Englisch, Spanisch und Deutsch. Als Grund für die Nutzung der Sprachlern-App gaben die Nutzer entweder Reisen, Familie oder das allgemeine Gehirntraining an. Im Jahresbericht 2023 wird zudem aufgeführt, dass Englisch die meistgelernte Sprache in 122 Ländern sei. Die meisten Nutzer der App stammen zudem aus Finnland und Deutschland. Deutsch liegt weltweit auf Platz vier der beliebtesten Duolingo-Sprachen, hinter Englisch, Spanisch und Französisch. In Russland, der Türkei, Lettland und zahlreichen weiteren Ländern sei Deutsch sogar die zweitpopulärste Sprache unter den Nutzern. Duolingo nutzen weltweit rund 97 Millionen Menschen. (rbb24.de)


Anders sprechen, anders denken?

Karsten Möbius geht in MDR WISSEN der Frage nach, ob man je nach Sprache auch anders denkt. Spekulationen darüber gebe es jedenfalls, doch fehlte es lange Zeit an Belegen. Zwar habe schon Benjamin Lee Whorf in den 1930er-Jahren Überlegungen angestellt, dass Indianergruppen aufgrund ihrer Sprache auch anders denken würden, handfestere Studien zu diesem Thema gebe es allerdings erst seit etwa 30 Jahren, so Martin Haspelmath, unter anderem Sprachwissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Laut Sarah Schimke, Professorin für Germanistische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, würden Sprachwissenschaftler dazu eher Grammatik, Wortschatz und Gebrauch der Sprache betrachten, weniger das Gehirn an sich. Dabei habe jede Sprache unterschiedliche Eigenschaften und Möglichkeiten, wie die Sprecher die Welt wahrnehmen. So gebe es beispielsweise Sprachen ohne Zahlen oder ohne die Richtungsangaben links, rechts, vorn und hinten. So könne in diesen Sprachen das nördliche Bein weh tun und das Essen auf dem südlichen Tisch stehen, so Schimke. Martin Haspelmath ergänzt, dass es beispielsweise nur in Gemeinschaften mit großen Klassenunterschieden Höflichkeitsausdrücke gebe wie die verschiedenen Anreden Du und Sie im Deutschen oder tu und vous im Französischen. Wegen der Unterscheidungen, die man bei Hofe macht, spreche man übrigens von Höflichkeit. (mdr.de)


Der Duden und der Sprachwandel

Im MDR Thüringen Journal wird das Duden-Museum im Schleizer Rutheneum vorgestellt und anhand der verschiedenen Duden-Ausgaben gezeigt, wie sich Sprache gewandelt hat. So habe man 1872 noch Proceß geschrieben, heute hingegen schreibe man Prozess. Manfred Eckstein vom Geschichts- und Heimatverein Schleiz, der das Museum betreut, erzählt, dass 1869 der Lehrer Konrad Duden ans Rutheneum gekommen sei und dort bei zwölf Lehrern fast genauso viele Dialekte vorgefunden habe, nach denen sich die Schüler mit ihrer Schreibung zu richten hatten. Mit einem Einheitswerk habe er diesen misslichen Zustand am Gymnasium ändern wollen und so entstand 1872 der erste Duden. Im Museum erfährt man, dass zu jener Zeit Wörter wie „Demut“ und „Frieden“ Wörter der Stunde gewesen seien, heute auch „Viagra“ und „Lügenpresse“ dazugehören und im Duden stehen, von dem es mittlerweile 28 Auflagen gibt. (mdr.de)


2. Gendersprache

Genderstern führt zu Punktabzug – außer in Berlin

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte im Juli darauf hingewiesen, dass der Genderstern und weitere Sonderzeichen nicht zur amtlichen deutschen Rechtschreibung gehören. Sachsen hat seine Regeln für das Verwenden von Gendersprache an Schulen deswegen mit Beginn des neuen Schuljahres 2024/2025 verschärft. Sonderzeichen wie der Genderstern werden künftig in Schularbeiten als Fehler angestrichen. Der Sächsische Lehrerverband begrüßte einerseits die „Klarstellung“, sah andererseits aber das Problem, dass Lehramtsabsolventen Genderregeln an den Universitäten beigebracht bekämen, die sie an den Schulen dann nicht umsetzen dürften. Der Landesschülerrat Sachsen übte Kritik und forderte: „Menschen, die gendern wollen, sollen das machen dürfen und nicht dafür bestraft werden“.

Die Schulen in Berlin lassen sich mit einer eindeutigen Regelung allerdings noch Zeit. Das Verbot von Gendersternchen und ähnlichen Formen werde erst ab 2026 durchgesetzt, teilte der Senat mit. Zur Einhaltung und Einführung der Regel müsse es noch Abstimmungen geben. (mdr.de, sueddeutsche.de)


Verplusung der Endungen

ZEIT-Redakteur Ulrich Stock ist die Lösung für die ganze Genderdebatte „letzten Sonntag nach dem Frühstück“ plötzlich eingefallen. Das Grundproblem des derzeitigen Genderns sei die „Verplusung“ der geschlechtsübergreifenden Form, wenn aus den Mechanikern Mechaniker*innen oder Mechaniker:innen werden. Stattdessen schlägt Stock vor, generische Personenbezeichnungen um das r in der Endung zu beschneiden: Mechanike, Auto (statt Autor) im Singular, Mechanikes, Autos im Plural. Das ganze jeweils im Neutrum: also das Direkto, das Gewerkschaftsführe, das Schornsteinfege. „Alles Geschlechtliche ist getilgt, und wir können uns wieder dem Eigentlichen zuwenden“, so Stock. Am Ende lädt er die ZEIT-Leserschaft zur weiteren Diskussion über den Vorschlag ein.

An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang die Vorschläge: Mechaniky oder Mechanikens schon gab. (zeit.de (Bezahlschranke))


Stoppt Gendern in Hamburg

Noch bis zum 28. August können die Hamburger darüber abstimmen, ob sich die Stadtverwaltung und die Bildungseinrichtungen in ihren Veröffentlichungen an die amtliche Rechtschreibung halten müssen oder ob sie weiter Gendersternchen und andere künstliche Sprachregeln verwenden dürfen. Das Volksbegehren in Hamburg wünscht sich, dass die offizielle Sprache wieder der normalen Standardsprache entspricht, in der geschlechtsübergreifende Formen etabliert sind. Das Umfrage-Institut Civey hat über das Volksbegehren schon vergangene Woche alle Internetnutzer abstimmen lassen. Ergebnis: Fast 70 Prozent der über 5.000 Teilnehmer sind für ein Gender-Verbot in Hamburg. (civey.com)

3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Händlerkarte

Deutsch klingt für viele Nicht-Deutsche weniger schön: die vielen ch und sch, ts und tsch, und am Ende der Wörter meistens nur e. Wie schön klingen doch die vollen Vokale im Italienischen, so wie einst auch im Althochdeutschen. Dagegen hat unser Deutsch aber andere unschätzbare Vorzüge. Einer ist die unendliche Vielfalt von Zusammensetzungen, mit denen wir neue Sachverhalte ad hoc benennen können. Ein Beispiel ist die Händlerkarte.

Hatten Sie das Wort schon einmal gehört, bevor Horst Lichter es in seiner erfolgreichen Sendung ‚Bares für Rares‘ eingeführt hat? Wenn er seine Kunden begrüßt und kurz ausgefragt hat, wenn er den zuständigen Fachmann oder die Fachfrau vorgestellt hat (wir kennen sie ja längst, aber das erhöht die Authentizität), dann beginnt der erste Akt von ‚Bares für Rares‘. Das Mitgebrachte wird fachkundig beschrieben und bewertet und die Überbringer dürfen einen Wunschpreis nennen. Jetzt ist der Moment gekommen, wo Lichter in seine Tasche greift, eine postkartengroße Plastikkarte zückt und sie mit den Worten übergibt „hier ist die Händlerkarte“ und ergänzt „da geht’s rüber“. Tatsächlich steht in dicken Buchstaben Händlerkarte drauf, damit es auch die TV-Zuschauer sehen können. Sie wissen ja längst aus vielen angeschauten Sendungen, was es damit auf sich hat. Denn diese Karte ist quasi das Eintrittsbillet zu den vier oder fünf Antiquitätenhändlern, die ihren Gast schon erwarten. Sie können das Mitgebrachte angeblich auf Anhieb einschätzen (hatten wohl schon Vorinformationen, aber das geht die Zuschauer nichts an).

Die Händlerkarte ist eine Erfindung Lichters. Sie symbolisiert gleichsam den Übergang vom Gespräch mit ihm und der Bewertung des Objekts zu dem zweiten Akt, der Versteigerung nebenan. Was eine Händlerkarte ist, wird durch die Überreichung erklärt. Aber wir verstehen ja dank unserer Kenntnis deutscher Wortbildung, was damit gemeint ist: eine Karte (Grundwort) für Händler (Bestimmungswort). Das neue Wort hätte auch ‚Karte von Händlern‘ bedeuten können. Wortbildungen sind flexibel, sie werden erst durch den Kontext eindeutig, in diesem Fall durch den Weg zu den potentiellen Käufern. Das ist es ja auch, was diese Sendung von ähnlichen unterscheidet. Andernorts wird man auch belehrt, was das Mitgebrachte wert sei. Und damit ist Schluss. Bei Lichter kommt jetzt der zweite, der spannendste Teil, die Versteigerung. Nun wird das Rare zum Baren. Wer bietet mit? Gibt es Überraschungen? Das Wort Händlerkarte war eine geniale sprachliche Erfindung. Es zeigt das Besondere dieser Sendung an. Sprache kann kreativ sein, Deutsch besonders.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de


4. Kultur

Französisch bleibt angesagt

Die Deutsch-Französische-Gesellschaft Pforzheim-Enzkreis (DFG) zeichnet seit Jahren Schüler der Region aus, die hervorragende Leistungen im Schulfach Französisch hervorbringen. Zur diesjährigen Preisverleihung wurden 13 Schüler und ihre Lehrer eingeladen. Dabei gehe es dem DFG nicht nur um sprachliche Leistungen, sondern auch um das Interesse der Schüler an der Geschichte, an der Kultur und an den Menschen des Landes. Die Schüler, die in diesem Jahr ausgezeichnet wurden, haben ihr Interesse an Frankreich und der französischen Sprache insbesondere durch Reisen in das Land und die verschiedenen Regionen Frankreichs entdeckt. Der Generalkonsul Frankreichs in Baden-Württemberg, Gael de Maisonneuve, war ebenfalls zu Gast und lobte die Preisträger. Er erklärt, dass durch das Interesse der Schüler auch die Wirtschaftskontakte zwischen Betrieben in Baden-Württemberg und Frankreich unterstützt werden können. Man erhoffe sich in Zukunft eine engere Zusammenarbeit. (pz-news.de)


5. Berichte

Tag der kölschen Sprache

Am 29. September veranstaltet die Stadt Köln zum ersten Mal den Tag der kölschen Sprache. Der „Daach der kölschen Sproch“ soll dazu beitragen, den Dialekt in der Stadt lebendig zu halten und Kölsch wieder in den Alltag der Menschen zu bringen. An diesem Tag wird es im gesamten Stadtgebiet Veranstaltungen geben, die den Menschen die Lust am Dialekt näherbringen sollen. Der Aktionstag wurde durch Bömmel Lückerath, Sänger der Mundartmusikergruppe „Bläck Fööss“, ins Leben gerufen. Er betont, dass man das Aussterben des Dialekts „mit allen Mitteln verhindern“ müsse. Die Stadt Köln, die Akademie för uns kölsche Sproch sowie die Freunde und Förderer des kölnischen Brauchtums unterstützen das Projekt. Fest steht bereits auch schon, dass am 29. September im Rathaus der Lehrer-Welsch-Preis der Kölner Regionalgruppe des Vereins Deutsche Sprache vergeben wird. (radiokoeln.de, wz.de)


6. Denglisch

Abfallprodukt der sprachlichen Zweigleisigkeit

„Ständig in die Dynamik Denglisch zu verfallen, ist weder Zeugnis wahrer Sprachbeherrschung oder -begabung noch von regem kulturellem Interesse, sondern nur Quatsch“, meint die Berlinerin Marlene Massen, die derzeit in Wien studiert, in der WELT. In ihrer Umgebung höre sie ständig Sätze wie „Legit, ich habe das lowkey auch so experienced“. Ein actually, ein you know, ein no doubt, generell Einschübe, gehen immer. Für Massen ist Denglisch „das Abfallprodukt der sprachlichen Zweigleisigkeit“, weil Fremdsprachkenntnisse in allen Lebenslagen von Vorteil sind. Aber „nur weil etwas möglich ist, muss man es noch lange nicht pflegen“, sagt Massen.

Damit bringt die Studentin Massen auf den Punkt, was die Mitglieder des VDS aussagen wollen, die nun der Rektorin der TU Dresden, Ursula M. Staudinger, den Titel „Sprachpanscher des Jahres“ verliehen haben. (welt.de (Bezahlschranke), dnn.de)


7. Soziale Medien

Doch nicht so inklusiv

Der Musikproduzent und YouTuber Sinan Kurtulus stellt auf seinem YouTube-Kanal „Sinans Woche“ den Autisten Auri vor. Auri ist selbst queer, studiert Soziologie und berichtet im Interview von den Problemen, die ihm Gendersternchen und andere Genderzeichen bereiten. Sternchen stören seine optische Erfassung, so Auri. Der Text werde nahezu unsichtbar, rücke in den Hintergrund, Sternchen würden deutlicher herausstechen: „Das lenkt ab, ähnlich wie bei Büchern mit dünnen Seiten, auf denen die Buchstaben der Folgeseiten durchscheinen.“ Gegenderte Pflichtlektüre sorge für regelrechte Erschöpfungszustände. „Texte ohne Sonderzeichen sind ein wichtiger Schritt zur Barrierefreiheit.“
Bei seinen Kommilitonen ecke er damit an. Nachfragen seien unerwünscht: „Ich werde nicht ernstgenommen mit meinem Problem, die glauben mir nicht, dass ich diese Probleme habe, sie haben die Schuld bei mir gesucht“, so Auri. Er habe das Gefühl, dass Menschen nicht mehr alle Argumente hören wollten, gerade wenn es um die Belange von Behinderten gehe, weil man merken könnte, dass Gendern doch nicht nur Vorteile bringt und man dann mit seiner Meinung zurückrudern müsste.
Für eine geschlechtergerechte Sprache, die sowohl die Interessen non-binärer Menschen als auch solcher mit Behinderungen vereint, schlägt er eine universelle Grundform vor, die je nach Adressat verändert wird. So könnte Bäcker die Grundform sein, Bäckerin die weibliche, Bäckeran (wie bei Mann) die männliche, Bäckeron (wie bei non-binär) die für non-binäre Menschen. Bäcker würde ebenfalls genutzt werden, wenn man von allen spricht. (youtube.com/SinansWoche, instagram.com/vds)


300 Jahre Immanuel Kant

Wir feiern 300 Jahre Immanuel Kant. Zeit, „Danke“ zu sagen – nicht nur für den kategorischen Imperativ, sondern auch für viele andere tolle Sachen! (facebook.com/vds, instagram.com/vds)

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Stephanie Zabel

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben