1. Presseschau
Klang des Vertrauten
Wer mehrere Sprachen gut spricht oder zweisprachig aufgewachsen ist, kann durchaus einschätzen, welche Sprache schöner klingt. Aber gibt es wirklich ein objektives Maß für den Wohlklang einer Sprache? Dieser Frage geht die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Spektrum nach. Denn aus linguistischer Sicht gibt es zwischen Klang und Bedeutung, abgesehen von lautmalerischen Wörtern, keinen Zusammenhang. Gleichwohl gilt als besonders schön gemeinhin das Italienische, weil es durch seine vielen Vokale mit der charakteristischen Betonung einen „beschwingten, vollen Klang“ habe. Der Spektrum-Beitrag stellt mehrere Studien aus dem Forschungsfeld der Phonästhetik vor. So wurden an der Universität Wien bis zu 200 Versuchspersonen mit unterschiedlicher Muttersprache Texte in verschiedenen Sprachen vorgespielt. Ergebnis: Besonders die eigenen Vorkenntnisse von einer Sprache, z. B. weil es die eigene Muttersprache ist oder man die Sprache aus dem Urlaub kennt, prägen auch das Bild von dieser Sprache. Minimierten die Wissenschaftler diesen Einfluss, indem unbekanntere Sprachen vorgespielt wurden, landeten Griechisch und Baskisch auf den ersten Plätzen, Walisisch und Dänisch am Ende. Größere, über mehrere Sprachfamilien angelegte Studien zeigten, dass es durchaus Klangsymbolismen gibt, bei denen bestimmte Laute auch sprachübergreifend einheitliche Assoziationen auslösen. „Die akustischen Eigenschaften tragen zur emotionalen Bedeutung bei“, erklärt der Berliner Psychologe Arash Aryani in dem Artikel. Besonders interessant sind entsprechende Studien mit fiktiven Sprachen oder Kunstsprachen, wie sie für Bücher oder Filme erfunden wurden wie Orkisch und Sindarin (aus „Der Herr der Ringe“) oder Dothraki (aus „Game of Thrones“). Solche konstruierten Sprachen haben Eigenschaften, die sie als „gut“ oder „böse“ erscheinen lassen sollen. Alles in allem wurden diese Eigenschaften auch von den Probanden, die unterschiedliche Muttersprachen hatten, entsprechend verstanden. So stand Klingonisch (aus der Star-Trek-Reihe) mit seinen vielen Kehllauten am Ende der Rangliste. Zusammengefasst lassen sich diese Studien so bewerten, dass sich eine gewisse Vertrautheit mit einer Sprache oder ihre Ähnlichkeit mit der Muttersprache positiv darauf auswirken, ob man eine Sprache als „schön“ empfindet. (spektrum.de (Bezahlschranke))
Jugendwort des Jahres
„Aura“ ist das Jugendwort des Jahres. Es beschreibt die Ausstrahlung einer Person, und zwar im positiven wie negativen Sinne. Die Wörter „Talahon“ (bezeichnet junge Männer mit stereotypen Merkmalen oder Verhaltensweisen) und „Schere“ (drückt ein Schuldeingeständnis oder Bekenntnis aus) folgten auf den Plätzen 2 und 3. Laut Langenscheidt-Verlag, der das Jugendwort seit 2008 sucht, lag die Zahl der eingereichten Stimmen im hohen sechsstelligen Bereich. In der entscheidenden Phase, in der es zwischen den drei Favoriten abzustimmen gilt, stimmten sogar im Vergleich zum Vorjahr elf Prozent mehr Teilnehmer ab. (langenscheidt.com)
Katzen schneiden besser ab
Eine Forschergruppe rund um die Kognitionsforscherin Saho Takagi der japanischen Azabu-Universität in Sagamihara untersuchte, inwieweit Katzen in der Lage sind, die menschliche Sprache zu verstehen und auf diese zu reagieren. Im Fachblatt Scientific Reports berichten Takagi und ihre Kollegen, dass Katzen ohne ein spezielles belohnungsbasiertes Training menschliche Gespräche belauschen und sogar Wörter verstehen können. Für die Untersuchung wurden 31 erwachsene Hauskatzen erforscht und einer Art Wort-Test unterzogen, der eigentlich für menschliche Kleinkinder entwickelt wurde. Durch die Wort-Bild-Assoziationen, welche mit Zeichentrickbildern und Tonaufnahmen ihrer Betreuer durchgeführt wurden, konnte die Mehrheit der Katzen innerhalb von nur neun Sekunden die richtigen Wörter identifizieren. Im Vergleich dazu benötigen Kleinkinder deutlich mehr Wiederholungen und Zeit, um ähnliche Verbindungen herzustellen. Laut Takagi deuten die Ergebnisse der Untersuchung darauf hin, dass Katzen aktiver versuchen, menschliche Sprache zu verstehen, als bisher angenommen, und dass ihre kognitiven Fähigkeiten in der Kommunikation meist unterschätzt werden. (derstandard.de)
Navajo-Code
Mit John Kinsel Sr. ist dieser Tage einer der letzten sogenannten „Code-Talker“ des 2. Weltkriegs verstorben. Kinsel Sr. und seine Kameraden waren Stammesangehörige der Navajo, eine der indigenen Volksgruppen auf dem nordamerikanischen Kontinent. Sie waren maßgeblich daran beteiligt, dass die USA in ihren Kämpfen im Pazifik ihre Nachrichten verschlüsseln konnten, ohne dass die japanischen Kräfte sie zu entschlüsseln wussten. Dazu nutzen die Code-Talker Wörter aus der Navajo-Sprache. Das Wort für „Schildkröte“ etwa stand für einen Panzer. 2002 wurde ihre Arbeit mit dem Film „Windtalkers“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Nach dem Tod von Kinsel Sr. sind nur noch zwei der Code-Talker am Leben, beide sind über 90 Jahre alt. (bild.de)
2. Gendersprache
Neue Körpersprache?
Die Frauenzeitschrift Brigitte diskutiert in ihrer Netzausgabe über die Notwendigkeit einer „neuen Körpersprache“. Insbesondere die Begriffe für die weiblichen Geschlechtsorgane seien „schambehaftet“ oder diskriminierend. Auch Ärzte, wie die Berliner Chefärztin Mandy Mangler oder Elena Leinweber, sprechen in den sozialen Medien von der sexistischen Medizinsprache. Insbesondere werden die Begriffe „Schamlippen“, „Schamhaare“ oder „Kitzler“ kritisiert. Mandy Mangler sagte zudem auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), dass Wörter wie „Penetration“ oder „Jungfernhäutchen“ moralisch aufgeladen und irreführend seien. Die beiden Ärztinnen empfehlen, solche Begriffe durch neutrale Wörter wie „Intimbehaarung“, „Klitoris“ oder „vaginaler Kranz“ zu ersetzen, um somit negative Assoziationen zu vermeiden. (brigitte.de)
Weltmädchen*tag
In seiner Kolumne wundert sich Gunnar Schupelius über den neuesten Wurf von Jörn Oltmann (Grüne), Bezirksbürgermeister von Berlin Tempelhof-Schöneberg. Oltmann hatte in einer Erklärung den Weltmädchentag als „Weltmädchen*tag“ bezeichnet. Er lobt die Weltmädchen*party und die Mädchen*arbeit. Bisher habe man das Gendersternchen vor einem *innen gesetzt, um vermeintlich alle Geschlechter anzusprechen. „Wenn der Stern nun aber an ‚Mädchen‘ und ‚Frauen‘ angehängt wird, was ist dann gemeint? Wir fragten bei der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirksamtes, Julia Selge, an. Sie erklärte sich für nicht zuständig, wir sollten uns an die Pressestelle wenden“, so Schupelius. Er habe den Eindruck, dass die Beteiligten selbst gar nicht wüssten, was sie meinten. Denn am Weltmädchentag sollten schließlich explizit Mädchen und Frauen in ihrer Identität angesprochen werden. (bild.de)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Bürger*innengeld
Bisher hat kein Politiker versucht, das bekannte Wort Bürgergeld zu Bürger*innengeld zu gendern. Warum? Befürchtet man, das würde dem Gendern den letzten Kredit nehmen? Weil es offenbar dem Sprachgefühl der meisten Deutschen widerspricht. Die Frage ist, ob man Weiblichkeit oder Männlichkeit überhaupt in Bestimmungsgliedern des Kompositums hervorheben kann.
Dazu hat unlängst Fabian Bross in der hauseigenen Zeitschrift des IDS (Sprachreport 2/2024, S. 38-42) eine empirische Untersuchung mit 49 Studierenden der Universität Stuttgart vorgelegt. Die Probanden erhielten die Aufgabe, einen kurzen traditionellen Anzeigentext gendersensibel umzuformulieren. Unter anderem tauchte dort auch das Wort Besuchereingang auf. Fast 90 % der Probanden sahen hier keinen Änderungsbedarf. Nur einer empfahl Besucher*inneneingang. Der Autor erklärt dies schlüssig linguistisch: Bei Determinativkomposita entstehe die Referenz stets durch den Kopf des Kompositums, also das Zweitglied. Ein Besuchereingang sei eben ein Eingang und keine Person, die man gendern müsse. Genügt diese Erklärung? Ich würde dies ausführlicher begründen. Wenn am Kopf eines Kompositums, also dem Grundwort, die grammatischen Kategorien Genus, Numerus und Kasus ausgedrückt werden, dann büßen die Erstglieder, also die Bestimmungsglieder, ihre kategorialen Eigenschaften ein. Sie verlieren Genus, Kasus und Numerus. (Lediglich bei Einzahl oder Mehrzahl gibt es wenige Ausnahmen wie z. B. in Anwohnerparkplatz). Es gilt nur ihr lexikalischer Gehalt. Dazu ein Beispiel: Man kann den Verlust der Kasusfunktion im Kompositum gut an der Entstehung der sogenannten Fugen-Elemente ablesen. In Liebesdienst, Freiheitskampf, Bratskartoffel hat das -s- nur noch phonetische, keine grammatische Funktion. Das ehemalige Genitiv-s ist zum Fugen-s umfunktioniert worden.
Kurz gesagt: Die Stuttgarter Probanden – auch jene, die das Gendern grundsätzlich befürworten – sind ihrem Sprachgefühl gefolgt: Wo es kein Genus gibt, ist auch kein Gendern möglich. Darum bleibt es beim Bürgergeld und auch bei der Kultusministerkonferenz. Das sollten auch die radikalsten Genderer, die Grünen, begreifen. Einst hatten sie in ihrem Wahlprogramm radikales Gendern praktiziert, auch in Komposita wie Mieter*innenberatung. Dieser Auswuchs des Genderns ähnelt dem misslungenen Heizungsgesetz. Dort sind sie an der Realität gescheitert, hier stolpern sie über Grundregeln der Sprache.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de.
4. Kultur
Dialektpreis in Baden-Württemberg verliehen
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat in Stuttgart den ersten Landespreis für Dialekt im Südwesten verliehen. In sechs Kategorien wurden insgesamt sieben Hauptpreise und 13 Förderpreise vergeben. Der Dialektpreis, welcher in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde, ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert. Kretschmann betonte in seiner Mitteilung wie dankbar er sei, dass sich so viele Menschen für die Dialekte einsetzen. Zu den Preisträgern gehören unter anderem der Komiker Lukas „Cossu“ Staier, der durch seine komödiantischen Dialektvideos in den sozialen Medien Bekanntheit erlangte. Er gewann in der Kategorie „Neue Medien“ den Hauptpreis und teilt sich diesen mit dem Bürgerverein Poppenweiler, welcher für das Projekt „MundArtWeg“ ausgezeichnet wurde. Das Duo „timundjani“, das mit schwäbischem Humor auf TikTok bereits 294.000 Follower erreicht, gewann den Hauptpreis in der Kategorie „Junge Generation“. Weitere Auszeichnungen gingen an die alemannische Erzählung „Friide“ von Sandhya Hasswani, die Musikergruppe „Wendersonn“ sowie die Kabarettgruppe „Oiga Art“. (sueddeutsche.de)
Langsam und unsicher
Eine Studie der Universität Oldenburg belegt, dass jüngere Menschen mehr Schwierigkeiten haben, Plattdeutsch zu sprechen als die älteren Generationen. Dieses Ergebnis sei nicht überraschend, berichtet die Netzausgabe der Nordwest-Zeitung. Anhand der knapp 100 Studienteilnehmer im Alter von 15 bis 88 Jahren fanden die Forscher heraus, dass sich die Sprachschwierigkeiten auch auf die Sprechgeschwindigkeit auswirken, denn die jüngeren Plattdeutschsprecher sprachen deutlich langsamer als die älteren Studienteilnehmer. Der Krummhörner Plattdeutschbeauftrage Heinz Richter betont, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mehr gefördert werden müssen. Richter empfiehlt, neben der Plattdeutschförderung in Schulen und Kitas, auch eine vermehrte Schaffung von Angeboten in Vereinen. Erst wenn die Jugendlichen Plattdeutsch schneller und sicherer sprechen können, werde Plattdeutsch auch an die folgenden Generationen als „Familiensprache“ weitergegeben. (nwzonline.de)
5. Berichte
Außenbeauftragter des VDS zu Gast in Russland und der Türkei
Prof. Dr. Wolfgang Hiller, Regionalleiter der VDS-Region Oberbayern, tauscht sich als Außenbeauftragter des Vereins regelmäßig im Ausland über die deutsche Sprache aus. So war er Anfang Oktober auf Einladung von Prof. Julia Timralijeva, Inhaberin des Lehrstuhls für romanische und germanische Philologie und Translation, an der Staatlichen Wirtschaftsuniversität St. Petersburg, wo er gemeinsam mit der VDS-Regionalleiterin Elena Elistratova verschiedene Aspekte der deutschen Sprache beleuchtete. So ging es u. a. um die Prozesse der Sprachglobalisierung und die Verwendung geschlechtsneutraler Sprache im öffentlichen Rechtsraum. Seine Frau, Dr. Gabriele Hiller, referierte über „Echte und falsche Freunde in deutscher und russischer Sprache“. Anschließend ging es weiter in die Türkei. Prof. Ali Osman Öztürk hatte hier an der Necmettin-Erbakan-Universität in Konya (Fakultät für Pädagogik, Fachbereich Deutsch) einen „Tag der deutschen Sprache“ organisiert. In dessen Rahmen hielt Wolfgang Hiller einen Vortrag über den Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache und zeigte die Probleme auf, die das Gendern im Deutschen mit sich bringt. (unecon.ru, erbakan.edu.tr)
6. Denglisch
Welterbe verpflichtet zur Mehrsprachigkeit
Im Dessau-Wörlitzer Gartenreich (UNESCO-Welterbe) laufen zu viele Wildschweine herum. Der Stadtrat von Dessau-Roßlau setzt nun die Stadtjäger in Marsch, die die Anzahl der Tiere dezimieren sollen. Für die Jagd soll der Landschaftspark zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens für Besucher gesperrt werden. Dazu werden normalerweise Warnzettel im DIN-A4-Format mit der Aufschrift „!!! Achtung Jagd!!!“ aufgehängt. Bevor es losgehen kann, ist nun im Stadtrat eine Diskussion darüber entbrannt, ob diese Hinweise auch in englischer Sprache anzubringen sind. Schließlich kommen mittlerweile viele Besucher aus anderen Ländern in den Park, die der deutschen Sprache nicht mächtig seien. Bürgermeister Robert Reck hält die Aufschrift in der Amtssprache Deutsch dagegen für ausreichend. Man darf gespannt sein, welchen Verlauf die Angelegenheit noch nimmt. Vielleicht geht die Jagdsaison für die Wildschweine wegen einer Diskussion über den Stellenwert der deutschen Sprache glücklich aus. (pirsch.de)
7. Soziale Medien
Faust I – aber auf Jugendsprache
Anlässlich der Feierlichkeit zur Wahl des Jugendworts 2024 haben wir einen Klassiker der deutschen Literatur auf Jugendsprache zusammengefasst: tiktok.com/vds, instagram.com/vds.
Gendern in Hausarbeit
Auf X (vormals Twitter) berichtet der Nutzer @GGGamerLP_ von der Anforderung seiner Lehrerin, dass er in einer Hausarbeit gendern muss. Alternativ drohe Punktabzug. Die Arbeit betrifft das Abitur in der 12. Klasse in Niedersachsen, schreibt er. Er habe die Lehrerin gefragt, woher die Anweisung komme. Sie vermutete vom Land Niedersachsen, wisse es aber nicht genau. Er selbst wolle in dieser Sache Rücksprache mit dem Schulleiter halten. In den Kommentaren weisen mehrere Nutzer darauf hin, dass es keine Genderpflicht gebe, da der Rechtschreibrat Sonderzeichen nicht zum Gendern zulasse. (x.com/gggamerlp_)
Gedankenlesen
Natürlich arbeiten wir in der Geschäftsstelle immer hochkonzentriert. Aber wer Gedankenlesen kann, kann auch erhaschen, was wir manchmal dabei denken: tiktok.com/vds, instagram.com/vds.
Zauberbuch
Auf TikTok freuen sich Buchfreunde gerade sehr über die Sonderausgabe von Sebastian Fitzeks „Das Kalendermädchen“. Der Einband hat eine spezielle Beschichtung, die durchsichtig wird, sobald man mit einem feuchten Tuch drüberwischt. Sobald das Wasser trocknet, wird die Beschichtung wieder undurchsichtig. (tiktok.com/vxh.thrillrbooks22)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel