Infobrief vom 29. Juli 2024: Rassistische Pflanzennamen

1. Presseschau

Rassistische Pflanzennamen

In der vergangenen Woche fand in Madrid der Internationale Botanische Kongress statt. Die versammelten Wissenschaftler und Botaniker tauschten sich nicht nur ĂŒber ihre neuesten Befunde aus der Pflanzenwelt aus, sie diskutierten auch ĂŒber die Namen bereits bekannter Pflanzen. Mehr als 200 davon bekamen einen neuen Namen. Die Änderung gilt fĂŒr alle Pflanzen-, Pilz- und Algennamen, die das Wort „caffra“ enthalten. Dieser Beiname sei seit Mitte des 20. Jahrhunderts rassistisch und werde insbesondere in SĂŒdafrika abwertend fĂŒr Menschen mit schwarzer Hautfarbe verwendet, erklĂ€rte Sonia Molino, Vorstandsmitglied der spanischen Botanischen Gesellschaft. Somit heißt beispielsweise der afrikanische KĂŒstenkorallenbaum „Erythrina caffra“ jetzt „Erythrina affra“. Die Änderung wurde von den Pflanzentaxonomen Gideon Smith und Estrela Figueiredo von der Nelson-Mandela-UniversitĂ€t in SĂŒdafrika vorgeschlagen. (stern.de)


ZurĂŒck zum Alten

In Schulen wird zunehmend auf die Digitalisierung der Lernprozesse gesetzt. Insbesondere DĂ€nemark, Schweden, Norwegen und die baltischen Staaten sind bei der Digitalisierung weiter als Deutschland. In DĂ€nemark benutzen alle SchĂŒler bereits ab der ersten Klasse Tablets, und ins Internet vernetzte Smartboards ersetzen die klassische Kreidetafel.

Die dĂ€nische Regierung tritt nun jedoch einen Schritt zurĂŒck. Unter dem Motto „Switch off“ („Abschalten“) plant MinisterprĂ€sidentin Mette Fredriksen, die Altersgrenze fĂŒr den Zugang zu den sozialen Netzwerken technisch von 13 auf 15 Jahre anzuheben. Im Unterricht sollen die Smartphones, Tablets, Smartboards und Bildschirme allmĂ€hlich verschwinden zugunsten des analogen Unterrichts mit BĂŒchern und der Gebrauch von ChatGPT soll in den Schulen nicht mehr gestattet sein. Der Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln fĂŒhre zu digital gebildeten Menschen, aber die neuen Medien schĂŒfen AbhĂ€ngigkeit, erklĂ€rt die Wissenschaftlerin Aida Bikic von der UniversitĂ€t SĂŒddĂ€nemark. Die Techniksucht fĂŒhre zu Unkonzentriertheit, Abgestumpftheit und Einsamkeit. Diese Folgen wurden durch eine Langzeitstudie der UniversitĂ€t nachgewiesen.

Nicht nur die psychische Gesundheit der Jugendlichen stehe auf dem Spiel, sondern auch die Lese- und LernfĂ€higkeit. Dass die SchĂŒler wieder mit dem Stift schreiben, die Rechtschreibung auch ohne digitales Korrekturprogramm ĂŒben und bei Diktaten bestehen, soll die kognitiven FĂ€higkeiten der jungen Generation fördern. Es gehe, wie bei Ă€hnlichen Überlegungen in Schweden und Finnland, auch um die „UnabhĂ€ngigkeit von der Manipulation und den kommerziellen MachtansprĂŒchen der global agierenden Tech-Unternehmen“, schreibt der Politologe Udo Knapp in der taz. Die Verantwortung fĂŒr den exzessiven Medienkonsum der Jugendlichen solle man nicht nur den Eltern ĂŒberlassen. (taz.de)


Öffentliche und private Sprache

In der FAZ bescheinigt Mark Siemons den Ostdeutschen ein „feineres Sensorium“ beim Gebrauch formelhafter Bekenntnisse in der öffentlichen und privaten Sprache und ein gewohnheitsmĂ€ĂŸiges Misstrauen gegenĂŒber der offiziellen Kommunikation. Denn in der DDR gebrauchte man „die offiziellen Sprachregelungen von Partei und Staat“ immer dort, „wo sie als Ă€ußeres Zeichen der LoyalitĂ€t erwartet wurden, doch im privaten Alltag hĂ€tte man sich lĂ€cherlich gemacht“, so Siemons, der in dem Artikel auch das Buch „Ungleich vereint“ des Soziologen Steffen Mau vorstellt. Laut Siemons ist schwer zu sagen, ob die Übereinstimmung von privater und öffentlicher Sprache „grundsĂ€tzlich ein Ausweis demokratischer Gesinnung“ sei oder eher ein „Ausdruck politischer NaivitĂ€t“, wodurch die Demokratie sogar in Gefahr geraten könne. Der Beitrag zieht auch Parallelen zur Sprach- und Medienkritik der 68er Generation und fragt schließlich, ob aus einem pluralen Politik- und GesellschaftsverstĂ€ndnis nicht auch das Bewusstsein folgen mĂŒsse, „dass man also als Privatmensch anders redet denn als Vertreter einer Regierung, Partei, Institution oder Lobbyorganisation“. (faz.net (Bezahlschranke))


Nur mit Deutschkenntnissen in die 1. Klasse

In Bayern mĂŒssen ErstklĂ€ssler demnĂ€chst sicher Deutsch sprechen können, bevor sie in die Schule kommen. Damit reagiert das Bundesland auf die zunehmenden Sprachprobleme in der Schuleingangsphase. Vor dem Schulbesuch soll es einen verpflichtenden Test geben, hat die bayerische Regierung beschlossen. MinisterprĂ€sident Markus Söder (CSU) sagt laut Bild: „Nur wer gut Deutsch spricht, kann am regulĂ€ren Unterricht teilnehmen.“ Gelten soll die Pflicht zum Sprachtest bis zum Beginn des Schuljahres 2026/27. Kita-Kinder zwischen vier und fĂŒnf Jahren machen dann einen ersten Sprachtest. Wird Förderbedarf festgestellt, soll das Kind zum Besuch einer Kita mit integriertem Vorkurs Deutsch verpflichtet werden, so Bild. Kurz vor der Einschulung gibt es bei allen Kindern, die den Test noch nicht bestanden haben, eine gesonderte Untersuchung anlĂ€sslich der Schulanmeldung. Bei SprachschwĂ€chen sollen sie dann von der Einschulung zurĂŒckgestellt werden, damit sie an einem Kurs zur Aufbesserung ihrer Defizite teilnehmen können. (bild.de)


Exotisch diskriminiert

Beim Asian Streetfood Festival am Kreuzberger Spreeufer gibt es im August asiatische Kulturen und Speisen. Eine Jury in der Berliner Landesverwaltung wendet sich nun gegen „diskriminierende Werbung“ fĂŒr die Veranstaltung. Der Gastronom Sascha Disselkamp vermietet fĂŒr das Fest seinen Sage Beach Club . Den Werbespruch „Tauche ein in die exotische Welt der asiatischen StraßenkĂŒche“, der an seinem Lokal und auf der Netzseite des Festes zu finden ist, hĂ€lt die Berliner Jury fĂŒr problematisch. Disselkamp erhielt ein amtliches Schreiben, darin wurde ihm erklĂ€rt, das Wort „exotisch“ werde verwendet, um Menschen oder Kulturen als „fremd, andersartig und außerhalb der Norm“ zu beschreiben.

Die Werbung sei ein klarer Fall von Diskriminierung und trage dazu bei, dass sich negative Stereotypen verfestigen, begrĂŒndet Iris Rajanayagam, Vorsitzende der ehrenamtlichen Jury. Die asiatische KĂŒche sei so vielfĂ€ltig wie ihre Kulturen und HerkunftslĂ€nder und solle deswegen nicht nur auf einen einzigen Begriff reduziert werden. Disselkamp, der die Veranstaltung nicht organisiert, hat das Schreiben der Jury weitergeleitet. Der Veranstalter, Luan Thanh Nguyen, korrigierte die Jury, das Wort „exotisch“ sei bereits seit April nicht mehr in der Werbung und auf der Netzseite der Veranstaltung zu finden. Nguyen hĂ€lt auch den Schirmbegriff „Asian Food“ fĂŒr Asiaten „in keiner Weise diskriminierend“. (bild.de, tagesspiegel.de (Bezahlschranke))


2. Gendersprache

FDP Bremen: Kein Gendern in Schulen und Verwaltung

Die Bremer FDP will das Gendern in Schulen und Verwaltung verbieten und dazu in der BĂŒrgerschaft einen Dringlichkeitsantrag einbringen. Die deutsche Sprache werde durch das Gendern verunglimpft – zu Lasten der VerstĂ€ndlichkeit fĂŒr Einheimische wie auch fĂŒr AuslĂ€nder, so FDP-Fraktionschef Thore SchĂ€ck. Es sei inakzeptabel, „wenn bestimmte politische Strömungen die deutsche Sprache fĂŒr ihre ideologischen Zwecke missbrauchen wollen und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit solche neuen Sprachformen aufzwingen wollen. Das Gendern ist eine AusprĂ€gung grĂŒner Ideologie, die weder Diskriminierung bekĂ€mpft noch zu mehr Toleranz in der Gesellschaft fĂŒhrt.“ Daher mĂŒsse Schluss sein mit der „Fantasiesprache“, zumindest an Schulen und im Öffentlichen Dienst, so die FDP in einer Mitteilung.

KĂŒnftig sollten offizielle Behördenschreiben oder PrĂŒfungen an Schulen in der korrekten deutschen Rechtschreibung verfasst sein. Aktuell gilt in Bremen eine Handreichung aus dem Jahr 2020. Geschlechtersensible und diverse Sprache sei dringend angeraten, aber nicht explizit vorgeschrieben. Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte seien, wie es heißt, bei amtlichen Schreiben jedoch zulĂ€ssig, um Vielfalt auszudrĂŒcken. (butenunbinnen.de, queer.de, fdp-fraktion-hb.de)


Erst entlassen, dann doch nicht

Die Medizinische UniversitĂ€t Graz hatte einem Arzt die Lehrpraxis entzogen, weil er sich gegen das Gendern aussprach. Dr. Nobert Kroißenbrunner hatte von der Uni eine Mail bekommen mit der Bitte um Evaluation einer Arbeit: „Da kĂŒrzlich (ein/e) Studierende(r) an Ihrer Lehrordination ausgebildet wurde(n), laden wir Sie hiermit ein, Ihre Erfahrungen rĂŒckzumelden“. Kroißenbrunner antwortete, man möge ihm eine Umfrage schicken, die sich an geltende Grammatikregeln halte: „Immerhin verlangt der Rat fĂŒr deutsche Rechtschreibung, dass geschlechtergerechte Texte lesbar sein mĂŒssen.“ 

Das genĂŒgte der UniversitĂ€t fĂŒr die KĂŒndigung. Man mĂŒsse aufgrund des Inhalts davon ausgehen, „dass Sie als Lehrordinationsleiter nicht dieselben Werte wie die Med Uni Graz vertreten“, heißt es in der BegrĂŒndung. Auf Nachfrage der Kronen-Zeitung erklĂ€rte die Medizinische UniversitĂ€t Graz: „Wir legen großen Wert auf eine respektvolle und konstruktive Kommunikation, die unsere GrundsĂ€tze der Offenheit und Toleranz widerspiegelt.“ Dabei stehe er dem Gendern nicht mal feindlich gegenĂŒber, erklĂ€rte Kroißenbrunner. Ihn störe allerdings „das willkĂŒrliche Durchsetzen von Rechtschreibregeln“ vonseiten der Hochschule. „Gender-Sternchen und Binnen-I sind nichts anderes als Blendgranaten, um von den tatsĂ€chlichen Problemen abzulenken“, so Kroißenbrunner.

Nur kurz nach der Entlassung hieß es: Kommando zurĂŒck. Denn nicht nur die Reaktionen in den sozialen Medien hatten es in sich, auch die Politik schaltete sich ein. Die ÖVP-Minister Martin Polaschek (Bildung) und Susanne Raab (Frauen) meldeten sich in der Kronen-Zeitung: „Dass dem Arzt auf Basis der persönlichen Gender-Ideologie von einigen Lehrenden seine Lehrpraxis entzogen wurde, ist nicht hinnehmbar“, kritisierte Polaschek, und Raab wehrte sich gegen „ein ĂŒbertriebenes verpflichtendes Gendern mit Sonderzeichen, das den Bezug zu den Menschen und den eigentlichen Herausforderungen der Gleichstellung“ verliere. Derart verkrampfte Debatten wĂŒrden der tatsĂ€chlichen Gleichstellung von Frauen nicht helfen.

Auch der Landeschef Christopher Drexler fand scharfe Worte: „Gerade im Gesundheitsbereich brauchen wir jede Kraft. Es geht darum, Medizin zu vermitteln und auszubilden. Dabei engagierten Menschen Steine in den Weg zu legen, darf nicht sein.“ Bei GesprĂ€chen zwischen Gesundheitslandesrat Karlheinz KornhĂ€usl, Kroißenbrunner und der Uni gab es dann ein Einlenken, der Arzt darf weiter ausbilden. KornhĂ€usl stellte klar: „Auch unabhĂ€ngig von diesem Anlassfall bin ich der Meinung: Es muss Schluss sein mit der ĂŒberbordenden politischen Korrektheit!“ (krone.at (Bezahlschranke), krone.at)


Bald ausgegendert?

„Hat es sich bald ausgegendert?“ fragt der Spiegel. Der große Trend gehe zur Neutralisierung, zu geschlechtslosen Partizipien, Synonymen, Umformulierungen. Im Großen und Ganzen wĂŒrden solche Formen immer besser akzeptiert, den meisten fielen sie kaum noch auf. Die Autoren haben beobachtet, dass Gendergegner zunehmend meinen, es gebe „wahrlich Wichtigeres zu tun 
 als diese ‚Luxusdebatte‘ – was auch stimmt. Und dann drehen sie sich um und kĂ€mpfen weiter mit Vehemenz auf dem Nebenschauplatz.“

Die BĂŒrger litten „vielleicht weniger an vermeintlicher ‚Gender-GĂ€ngelei‘ als an ‚VerĂ€nderungserschöpfung‘“, zitiert der Spiegel den Soziologen Steffen Mau. Es gebe „bei Gender-Progressiven viel GesinnungstĂŒmelei, eine zur Schau getragene Über-Correctness, mit der das breite Publikum vor den Kopf gestoßen wird.“ Die Autoren erwĂ€hnen das berĂŒhmt gewordene Zitat aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, wo es um die ‚PenistrĂ€ger*innen‘ und die ‚Sitzpinkler*innen‘ ging. Beim Gendern gehe es um die „nette kleine Geste, ein Zeichen des Respekts gegenĂŒber einer MinoritĂ€t.“ 

Spiegel zitiert eine Untersuchung des Politologen Sebastian JĂ€ckles: Die Ablehnung des Genderns habe wenig zu tun mit Alter, Geschlecht und Bildungsstand, auch beim Vergleich der ParteienprĂ€ferenz ergĂ€ben sich keine ĂŒberwĂ€ltigenden Unterschiede. Und: „In keiner Gruppe findet sich eine Mehrheit, die die gendergerechte Sprache als wichtigen Beitrag fĂŒr die Gleichstellung betrachtet.“

Haben die Gendersprachler also den Krieg der Wörter verloren, fragt der Spiegel? Das sei wahrscheinlich der falsche Schluss. Die Entwicklung schlage bloß eine andere, womöglich eher mehrheitstaugliche Richtung ein, meint Simone Burel, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der Linguistischen Unternehmensberatung LUB in Mannheim.


3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit

Die Puffmutter aller Probleme

In seinem Wörterbuch Ă€ußert sich Jacob Grimm wie folgt zu den drei Genera im Deutschen: „Das maskulinum scheint das frĂŒhere, grĂ¶ĂŸere, festere, sprödere, raschere, das thĂ€tige, bewegliche, zeugende; das femininum das spĂ€tere, kleinere, weichere, stillere, das leidende, empfangende; das neutrum das erzeugte stoffartige, generellere, unentwickelte, collektive {zu sein}.“ (J. Grimm 1831, Wörterbuch, 3. Teil, S. 360) Diese merkwĂŒrdigen Assoziationen spiegeln wider, was Feministen oft kritisieren, dass nĂ€mlich das Weibliche mit der Natur, dem Erdigen, Dunklen, Substanziellen, Empfangenden, Emotionalen assoziiert wird, das MĂ€nnliche dagegen mit dem Geistigen, Abstrakten, Prinzipiellen, Schaffenden. Bei Abstrakta wie Weibliches und MĂ€nnliches kann selbstverstĂ€ndlich wunderbar alles GefĂ€llige assoziiert werden, wĂ€hrend die Wirklichkeit starke Frauen und schwache MĂ€nner, Frauen als Wissenschaftlerinnen und in der Erde buddelnde MĂ€nner kennt. Die Geschichte kennt hysterische MĂ€nner wie Goebbels und Hitler und verstĂ€ndige, rationale Frauen wie Meitner und Curie.

Anhand vieler Nomen soll immer noch belegt werden, dass unsere Sprache frauenfeindliche Assoziationen tĂ€tigt: Mutter Erde, Mutter Natur, Muttertier, Mutterboden und Mutterliebe als starke VerknĂŒpfungen des Weiblichen mit Natur und Substanz, im Unterschied zu Vater Staat, Vaterfigur, Vaterland mit VerknĂŒpfung zu Abstraktem, Geistigem, Formalem. (Gleich bleiben sich Vaterkomplex und Mutterkomplex, VatergefĂŒhle und MuttergefĂŒhle usw.) Doch wir kennen Mutter auch in Bezug zu Abstraktem: Mutterwitz, Muttersprache, Mutterhaus, Mutterschiff, und auch die Matrix als etwas Abstraktes, daraus die Ableitung Matrize (Mutterform) sowie die Mutter aller Probleme. Auch der Bezug auf Töchter kann abstrakt sein: Filiale (etwa: Filialbank).

Es ist also kein Sexismus zu erkennen, und die Behauptung, Weibliches werde mit Konkretem, Substantiellem assoziiert, stĂŒtzt sich nur auf wenige Beispiele. Die Frage ist, welchen Abstraktionsgrad man den Bestandteilen wie Natur, Land, Boden und Erde zuweist, vgl. Heimaterde, Mutterboden, Vaterland, Mutterland. Mutter im Sinne von Mutterland, Mutterschiff, Mutterhaus usw. verweisen immer auf den abstrakten Zusammenhang von Zugehörigkeit eines Abkömmlings. Allerdings ist hier das Denken nicht paarig: Zu Filiale denken wir uns die Zentrale oder das Stammhaus, zum Mutterland die Kolonien, was bedeutet, dass die Antonyme eine andere sprachliche Wurzel haben als das Paradigma Mutter und Vater.

Wenn man AusdrĂŒcke wie Ehrenmann, Kulturfrauen oder Herrenwitz untersucht, die auf Geschlecht referieren, muss man wohl weitere Kriterien entwickeln. Es ist nĂ€mlich auch hier die Frage, wie abstrakt der nicht-geschlechtliche Teil zu verstehen ist.

Weibliche KonkretaWeibliche AbstraktaMĂ€nnliche KonkretaMĂ€nnliche Abstrakta
Mutter ErdeMutterwitzVater Staat
Mutter NaturMutter Natur?Vaterfigur
MuttertierMutterspracheVaterland
MutterbodenMutterhaus
MutterliebeMutterschiff
Matrix
Matrize
Filiale
Mutter aller Probleme
Hotel Mama
Mutterland
Mutterorganisation

Die Übersicht fĂ€llt zuungunsten der Behauptung aus, Frauen seien eher mit Substantiellem als mit Abstraktem assoziiert.

Myron Hurna

Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie ĂŒber das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere BĂŒcher ĂŒber die politische Rhetorik, besonders ĂŒber die Rhetorik des Holocaustvergleichs und ĂŒber die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.


4. Kultur

Der steinige Weg zur Sprachförderung

Anne von Consbruch unterrichtet im Auftrag der Nina-Dieckmann-Stiftung Kinder aus FlĂŒchtlingsfamilien an der Grundschule am Nackenberg in Hannover. Die unterrichtsbegleitende Sprachförderung sei wichtig fĂŒr die Kinder, erzĂ€hlt die Lehrerin. Die Kosten dafĂŒr werden zum Teil durch das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung getragen. Allerdings werde die Sprachförderung nur fĂŒr zwölf Monate genehmigt, da die Ämter davon ausgehen, dass Kinder, die lĂ€nger als ein Jahr in Deutschland leben, bereits ausreichende Kenntnisse besĂ€ĂŸen, um in den normalen Unterricht integriert zu werden.

Von Consbruch berichtet allerdings, dass erfahrungsgemĂ€ĂŸ die Kinder ein umgangssprachliches Sprachniveau erst ab dem zweiten Lernjahr erreichen. Das Bildungssprachniveau sei dann noch nicht erreicht. Zuhause besĂ€ĂŸen die Kinder keine Sprachvorbilder, und um die Lernförderung zu beantragen, mĂŒsse zunĂ€chst ein Antrag beim Jobcenter eingereicht werden. Bereits daran scheitern viele Familien. Laut dem Landesverband Niedersachsen profitieren nur 20.800 Kinder von den Bildungsgutscheinen, die Teil des Bildungs- und Teilhabepakets sind. Anspruchsberechtigt seien hingegen 128.000 Kinder und Jugendliche. Auch die StiftungsgrĂŒnderin Nina Dieckmann bemĂ€ngelt, das Paket schaffe zwar Voraussetzungen fĂŒr die Sprachförderung der Kinder, aber das Problem lĂ€ge in der BĂŒrokratie rund um die AntrĂ€ge. (braunschweiger-zeitung.de)


Sprachtalent aus Korschenbroich

Der Mathematiker Heiner Claessen aus Korschenbroich hat eine besondere Vorliebe fĂŒr Sprachen. In 30 Sprachen kann er sich problemlos unterhalten und weitere 25 beherrscht er rudimentĂ€r. Der 44-JĂ€hrige beteiligte sich kĂŒrzlich am „Polyglot Gathering“, einer Konferenz fĂŒr talentierte Sprachliebhaber in Prag. Er tauscht sich auf der Internetplattform „Hypia Portal“ mit weiteren mehrsprachigen Menschen aus. Bei ihm wurde in der frĂŒhen Kindheit Autismus festgestellt, im Erwachsenenalter wurde die Diagnose zu Asperger korrigiert. Zum Erscheinungsbild des Syndroms gehören herausragende geistige FĂ€higkeiten. Claessen ist am Deutschen Diabetes-Zentrum in DĂŒsseldorf tĂ€tig, dort arbeitet er als Privatdozent und vermittelt die Grundlagen der Statistik und Epidemiologie. UnabhĂ€ngig davon, ob er die jeweiligen LĂ€nder tatsĂ€chlich bereist, lernt er Sprachen mit VergnĂŒgen. Als NĂ€chstes möchte er Mandarin, Tamil und Kisuaheli lernen. Sein Ziel sei es, eine einfache Unterhaltung in 100 Sprachen fĂŒhren zu können. (rp-online.de)


Dakota-Grammatik

Der Linguist Berthold Simons hat die erste deutschsprachige Grammatik des Dakotas seit 1852 geschrieben. Nur noch wenige Sioux sprechen es. Simons hat sich schon als Jugendlicher fĂŒr Fremdsprachen interessiert, im Linguistik-Studium in Köln befasste er sich mit den nordamerikanischen Sprachen. Vor allem die Dakota-Sprache habe es ihm angetan. Mittels traditioneller Feldforschung wurde die Sprache systematisch untersucht: „Wenn wir in einem fremden Land ausgesetzt wĂŒrden, wĂ€ren wir innerhalb von wenigen Wochen in der Lage, uns mit denen zu unterhalten oder eben sogar eine Grammatik zu schreiben. Sie kennen bestimmt den Film ‚Der 13. Krieger‘. Wie lernt darin der Orientale die Sprache der NordmĂ€nner? Durch Zuhören. Der hört genau zu. Und dann semantisiert er das, was die sagen.“

Auf der Basis habe er die grammatischen Strukturen herausgearbeitet. Hilfreich sei dabei auch Simons Aufenthalt bei einer Familie der Santees gewesen, wo er drei Monate lang lebte und mit ihnen sprach. Noch vier Ă€ltere Mitglieder sprachen den Dialekt fließend: „Das war fĂŒr mich auch der Grund, dass ich diese Grammatik jetzt noch geschrieben habe als RuhestĂ€ndler – weil ich es denen versprochen habe. (
) Das Dakota ist praktisch keine Sprache mehr, die im Alltag zur VerstĂ€ndigung benutzt wird. Die eine Dame – das war die Mutter des frĂŒheren Stammesvorsitzenden, bei dem ich gewohnt habe – hat mir erzĂ€hlt, sie haben in der Schule noch SchlĂ€ge mit dem Lineal bekommen, wenn Sie Dakota gesprochen haben.“

Bei der Grammatik stellte Simons fest, dass diese die Lebenswelt der Sioux widerspiegelte: Ortsklassifikatoren bezeichneten die innere Festlegung des Lagers, in dem die Ureinwohner Nordamerikas ihre Zelte aufstellten. Auch die Verben des Kommens und Gehens sind in der Sprache wichtig: „Die Heimkehr an den Ort, an dem man wohnt, ist offenkundig im Dakota-Wortschatz ein ganz eminent wichtiger Faktor.“ Dakota sei eine sogenannte Aktivsprache, erklĂ€rt Simons: „Entscheidend bei einer Aktivsprache ist die Frage der Kontrolle ĂŒber die Verbalhandlung.“ Die Aussage „Ich taue das Fleisch auf“ wĂ€re in Dakota nicht möglich, weil das Auftauen von allein passiere.

Auch die Frage des Genderns lösen Dakota-Sprecher anders, so Simons. Die grammatische Kategorie Sexus kennzeichnet immer die sprechende Person selbst: „Ein Sprecher oder eine Sprecherin sagt etwas und endet mit einem kleinen Partikelchen am Satzende. Und das besagt ‚Ich Dakota-Frau sage das‘ oder ‚Ich Dakota-Mann sage das‘. Zum Beispiel He miye do heißt ‚Ich bin ich. Ich bin‘s‘. Das sagt der Mann, und die Frau sagt He, miye ye, ‚Ich bin‘s, ich Frau bin‘. Der Unterschied zum Deutschen ist der, dass im Dakota diese Kennzeichnung nur als Eigenkennzeichnung verwendet wird.“ (welt.de (Bezahlschranke))


5. Berichte

Handschrift wird unleserlich

Die VDS-Region 59 (Sauerland, Hamm) unter der Leitung von Bernhard Winters hatte am Freitag (19. Juli) zu dem Vortrag der Gymnasiallehrerin Maria-Anna Schulze BrĂŒning „Vom Verschwinden der Schreibschrift und der Misere der Handschrift in der Schule“ in die VHS Hamm eingeladen. Schulze BrĂŒning zeigte anschaulich, wie sich die Schriftkompetenz der SchĂŒler in den Jahren verschlechtert habe. Grund dafĂŒr sei vor allem die seit den 2010er Jahren an den Grundschulen eingesetzte Grundschrift. Neu daran war, dass die SchĂŒler ihre individuelle und leserliche Schreibschrift aus der Druckschrift entwickeln sollen, statt aus einer verbundenen Schreibschrift. Die Folgen: Die Handschrift vieler SchĂŒler wird unleserlich, WortabstĂ€nde werden nicht eingehalten, die Buchstaben „tanzen“. „Ich habe noch FĂŒnftklĂ€ssler, die von der Tafel keine Wörter, sondern die einzelnen Buchstaben abschreiben“, so Schulze BrĂŒning. Die Referentin konnte nicht nur auf ihre Erfahrung als Lehrerin zurĂŒckgreifen, sie hat in den vergangenen Jahren auch eigene Forschung zur Schriftkompetenz an Schulen betrieben und Schriftproben ausgewertet. Im Anschluss an den Vortrag und an die Diskussion berichtete VDS-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Holger Klatte von den Deutschen Sprachtagen 2024 in Kamen. (handschrift-schreibschrift.de)


IDS-Sprachberatung liegt falsch

VDS-Vorstandsmitglied Claus Maas kritisiert die Sprachberatung des Instituts fĂŒr Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Auf die Anfrage eines VDS-Mitglieds, ob es korrekt sei, wenn die „Bundeswahlleiterin“ in der amtlichen Veröffentlichung zur Europawahl von „Informationen fĂŒr WĂ€hlende“ spricht, hatte die IDS-Wissenschaftlerin Anja Steinhauer (Mitautorin von „Richtig Gendern“, Duden 2017) geantwortet, die fragliche Verwendung von „WĂ€hlende“ sei „keineswegs als grammatischer Fehler anzusehen“, da das Partizip I „nicht nur eine im Verlauf befindliche TĂ€tigkeit“ ausdrĂŒcken könne, sondern auch einen „andauernden Zustand“ bzw. eine „inhĂ€rente Eigenschaft“.

Maas widersprach dieser Auffassung. Dass jemand wĂ€hle, sei keineswegs ein andauernder Zustand – noch gar eine „inhĂ€rente Eigenschaft“. Vielmehr könne jedermann – ob Mann, Frau oder diversgeschlechtlich – stets frei darĂŒber entscheiden, ob er zum „WĂ€hlenden“ wird (oder „Nicht-WĂ€hler“ bleibt). Logisch nachvollziehbar wĂ€re eine solche Bezeichnung allenfalls in einem Aushang unmittelbar im Wahllokal, nicht aber, wenn offensichtlich die „WĂ€hler“ im Sinne von allen „Wahlberechtigten“ angesprochen seien.

Frau Steinhauer rechtfertigte ihre Auffassung daraufhin mit der ErklĂ€rung, die „Sprachgemeinschaft“ sei „auf der Suche nach Möglichkeiten des geschlechtergerechten Formulierens“. Claus Maas, auch VDS-Bereichsleiter fĂŒr Deutsch in der Schule, betonte jedoch, das sei keine Rechtfertigung fĂŒr wissentlich falsche oder irrefĂŒhrende, willkĂŒrliche Umdeutungen der inhĂ€renten Logik in der Sprachstruktur. Damit werde das IDS seinem Anspruch auf Expertise nicht gerecht. Zitat: „So wird es ganz sicher nichts mit der VerstĂ€ndigung ĂŒber einen zugleich vernĂŒnftigen UND geschlechtersensiblen Umgang mit der Sprache.“.


6. Denglisch

QuÀlerei im Flugzeug

Fliegen ist eigentlich nie angenehm. Endlose Wartezeiten, Ärger bei der GepĂ€ckabfertigung, anstrengende Sitznachbarn, Schmerzen im RĂŒcken, pappiges Essen. Die Welt berichtet nun ĂŒber einen „Trend“ – so lautet es in dem Beitrag –, der insbesondere bei mĂ€nnlichen Passagieren zu beobachten sei. Wie bei Trends hierzulande ĂŒblich muss eine Bezeichnung aus dem Englischen dafĂŒr herhalten: raw dogging, kurz erklĂ€rt: einen Flug ohne jegliche Ablenkung oder Komfort ĂŒberstehen. Über den Sinn kann man rĂ€tseln. Die Welt nennt Steigerung der WillensstĂ€rke eine Form der Meditation. „Wie lange kann ich mich der völligen Langeweile aussetzen, ohne durchzudrehen?“ Ein Mediziner kommt zu Wort, es fĂ€llt der Begriff „Bewusstseinskultivierung“, der als Trend vielleicht stĂ€rker anzustreben wĂ€re. Auch ein Psychologe wird zitiert und nennt es „SelbstquĂ€lerei“. (welt.de)


7. Soziale Medien

Vorstands-Zeugnis

In den Sommerferien prÀsentieren wir auf unseren sozialen Medien Zeugnisse unserer Vorstands-Mitglieder. Diese Woche: Sabine Mertens. (facebook.com/vds)


Kernkompetenzen. So wichtig.

Wir beim VDS kennen uns selbstverstĂ€ndlich aus mit BĂŒchern, unsere Vereinsbibliothek ist ein Zeichen fĂŒr unsere Liebe zum Lesen. Deswegen haben wir diese Kernkompetenz genauer unter die Lupe genommen. (instagram.com/vds)


8. Kommentar

Gendern zum Selbstzweck

Es sei unwichtig, andere Themen seien wahrhaftig bedeutender (Klima, Ukraine, Hamas), aber man macht gerne mit dem Thema weiter. Das hat nun auch der Spiegel beobachtet. Ja, das könnte mit einem Gleichnis aus der Zahnarztpraxis beleuchtet werden: Zwar kĂŒmmert mich der Scheidungsprozess meiner Tochter ĂŒber alle Maßen, aber einstweilen wummert der Backenzahn immer ĂŒbler. Zur VerstĂ€ndnishilfe: Es gibt wichtige Probleme und es gibt dringende, und manche Probleme passen hier wie dort. Außerdem sind die ganz großen nicht so griffig, da kann man sich schon mal in dringendere Probleme verbeißen, also nach dem Besuch beim Zahnarzt. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthĂ€lt Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. MĂ€nner sind mitgemeint, das Gleiche gilt fĂŒr andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete BeitrĂ€ge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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