Infobrief vom 5. Oktober 2024: Dialekte angesehen, aber trotzdem rückgängig

1. Presseschau

Dialekte angesehen, aber trotzdem rückgängig

Die deutschen Dialekte befinden sich weiterhin im Abwärtstrend. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS). Demnach sprechen noch zwei Fünftel der Einwohner in Deutschland einen Dialekt – allerdings im bundesweiten Durchschnitt. Denn regional gibt es große Unterschiede – was allerdings keine neue Erkenntnis ist. Denn seit Jahrzehnten ist bekannt, dass in Süddeutschland mehr Dialekt gesprochen wird als in der Mitte oder im Norden. Von der Küste bis zu einer Ost-West-Linie nördlich von Kassel geben noch 22 Prozent der Befragten an, Platt zu beherrschen. Besonders wenige sind es in Westfalen und Ostwestfalen, womit sich auch noch einmal das Gerücht bewahrheitet, dass in Hannover das „beste“ Hochdeutsch gesprochen wird. Der Journalist und Sprachwissenschaftler Wolfgang Krischke erklärt dies mit der Sprachgeschichte: Die schwache Position des Niederdeutschen liege in seinem Abstand zum Hochdeutschen, welches die Norddeutschen früher wie eine Fremdsprache erlernen mussten. Laut der genannten Studie nähmen vor allem die Eltern großen Einfluss auf eine Dialektbiographie. Von den Befragten gaben rund 84 Prozent an, den Dialekt von den Eltern übernommen zu haben. Es zeige sich aber, dass die Dialektkenntnis bei der jüngeren Generation trotzdem weniger tief verankert sei, so Studienleiter Albrecht Plewina vom IDS. Aber die sprachliche Markierung einer regionalen Verankerung sei für viele erstrebenswert. (faz.net (Bezahlschranke))


Plattdeutsch-Zertifikat

Vor einem Jahr startete an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg der Studiengang Niederdeutsch. Nun hätten bereits drei Lehrer ein Sprachzertifikat auf dem C1-Niveau erworben, teilt das Kultusministerium mit. Die Sprachzertifikate seien vorgesehen, damit der Plattdeutschunterricht in den Schulen Niedersachsens vereinheitlicht werden kann. Schriftliche Prüfungen werden an den Schulen durch eine einheitliche Bewertung des Plattdeutschen überprüft, während im mündlichen Unterricht auch weiterhin alle regionalen Varianten erlaubt seien, erklärt die Kultusministerin Julia Willie Hamburg. Plattdeutsch durch die ausgebildeten und zertifizierten Lehrer an weiterführenden Schulen zu etablieren, sei ein wichtiger Schritt für die Anerkennung und den Erhalt der Sprache. (sueddeutsche.de)


Mehrsprachiger Zucker

Eine Packung Gelierzucker der Firma Agrana Beteiligungs-AG in Wien sorgt in Südtirol für Unmut. Die Inhaltsstoffe und die Verwendungsweise der unter dem Markennamen „Wiener Zucker“ vertriebenen Zuckerpackung sind auf Slowenisch, Ungarisch und Italienisch erklärt. Die in Südtirol gleichgestellte deutsche Sprache fehlt auf dem Etikett. „Es wäre höchst an der Zeit, bei den beinahe immer nur einsprachig italienischen Beschriftungen bei Lebensmitteln auch die deutsche Sprache einzufordern“, wird der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, zitiert. Auf Anfrage hat die Wiener Zucker-Firma erklärt, dass sie prüfen lässt, ob Deutsch auf den Zuckerpackungen ergänzt werden könne. (unsertirol24.com)


Bildungsbereitschaft abhängig vom Sprachniveau

Je höher das Sprachniveau in Deutsch, desto häufiger nehmen Menschen in Österreich Bildungsangebote wahr. Das ist das Ergebnis der Erwachsenenbildungserhebung 2022/23 der Statistik Austria. Dabei gilt das sowohl für den Bildungsbereich Schule und Hochschule, aber sogar noch stärker bei der beruflichen und privaten Weiterbildung. Knapp 59 Prozent der Befragten im sog. Haupterwerbsalter (25-64 Jahre) gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten vor der Befragung Weiterbildungsangebote wie Seminare, Vorträge oder Schulungen am Arbeitsplatz wahrgenommen zu haben. Auch bei Personen mit dem Sprachniveau C (kompetente, also fließende Sprachverwendung) war die Quote mit knapp 53 Prozent sehr hoch. Deutlich geringer war sie bei Sprechern mit Sprachniveau B (35 Prozent) sowie den Personen, die überhaupt kein Deutsch sprechen (37 Prozent). Beim Sprachniveau A (elementare oder äußerst eingeschränkte Sprachkenntnisse) lag sie mit rund 41 Prozent interessanterweise etwas höher. Die Forscher vermuten, dass es daran liegt, dass dieser Personenkreis deutlich häufiger vor allem Bildungsangebote in Anspruch nimmt, die sich auf das Erlangen von Sprachkenntnissen beziehen und diese Kurse überproportional häufig vom AMS (Arbeitsmarktservice Österreich) teilweise oder ganz finanziert werden. (science.apa.at)


2. Sprachspiele: Unser Deutsch

Blütenträume

Nicht alle Blütenträume reiften der Ampelkoalition in Berlin. So ließe sich die bekannte Zeile aus Goethes Gedicht ‚Prometheus‘ adaptieren. Den Hymnus in freien Rhythmen verfasste der junge Dichter in seiner Sturm- und Drang-Phase Anfang der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. So hatten auch die drei Koalitionäre ihre Träume, die nicht alle wahr wurden.

Was hat es mit dem Blütentraum auf sich? Das Wort begegnet uns tatsächlich erstmals in diesem Gedicht von Goethe. Später hat Augst von Platen es als erster aufgegriffen. Wann es sprichwörtlich wurde, ist nicht erforscht. Weder Büchmanns Geflügelte Worte erwähnen es noch die beiden Dudenbände Redewendungen sowie Zitate und Aussprüche. Immerhin verzeichnet es das Duden Universalwörterbuch unter dem Lemma Blütentraum und stellt fest: „meist in der Wendung nicht alle Blütenträume reifen (gehoben: nicht alles was man anstrebt, lässt sich verwirklichen)“.

Wie kommt diese Bedeutung zustande? Blütentraum ist ein metaphorisches Kompositum, wobei das erste Glied (Blüte) als Bildspender dient für das zweite, den Traum. Einfacher gesagt: Der Traum wird mit einer Blüte verglichen. Das allein sagt aber noch wenig. Der Clou dieser Wendung erschließt sich erst – wie das DUW richtig feststellt – mit dem Verb reifen. Nicht alle Blütenträume reifen heißt – um im Bild zu bleiben – die Blüte reifte nicht zur Frucht, wie der Traum nicht zur Wirklichkeit. Der Spender des Bildes ist nicht das Wort Blüte allein, sondern die Wendung eine Blüte reift (zur Frucht). Eine seltene, eine komplizierte Metapher, die Schöpfung eines kreativen Dichters. Darum gilt die Wendung noch heute als ‚gehoben‘, ist nicht jedermann geläufig. Und wenn wir feststellen nicht alle Blütenträume reiften der Ampelkoalition in Berlin, dann geben wir dem Misserfolg, dem Desaster, wie manche meinen, einen versöhnlichen Anstrich. Als seien ihre vielen Vorsätze ein schöner, jugendlicher Versuch gewesen, so wie die Blüte gleichsam die Jugend der späteren Frucht ist. Ja, Blütenträume welken früh in unerwarteter Pandemie, in plötzlichem Krieg, in Inflation und in der Not von Flüchtlingen, die bei uns Schutz, Hilfe und ein neues Leben suchen. Auch ihre Blütenträume können nicht alle reifen. Dennoch: Dies Wort von Goethe, diese Blütenträume, sie strahlen immer wieder Hoffnung und Zuversicht aus, wenn auch nicht für alle.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.

3. Kultur

Jacob-Grimm-Preis für Übersetzer Hans Wolf

Am vergangenen Samstag wurde in Baden-Baden zum 23. Mal der Kulturpreis Deutsche Sprache verliehen. Den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis erhielt der Übersetzer Hans Wolf. „Niemand wird so intim mit der Gedankenwelt eines Schriftstellers wie sein Übersetzer; er ist sein bester – und oft vielleicht einziger – Interpret“, beschrieb Wolf seinen Beruf. Die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Stefana Sabin sagte in ihrer Laudatio: „Übersetzer wie Hans Wolf sind Hauptfiguren der Literaturszene, ohne die es keine Literaturszene gäbe.“ Ausgezeichnet wurden außerdem der Kieler Literaturdidaktiker Steffen Gailberger für sein Konzept „Leseband“ zur systematischen Leseförderung und das in Koblenz und Darmstadt beheimatete „Liebesbriefarchiv“. Der Kulturpreis Deutsche Sprache wird jährlich von der Eberhard-Schöck-Stiftung (Baden-Baden) gemeinsam mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) verliehen. (zeit.de)


Sprachspielplatz in Rüsselsheim

Das Stadt- und Industriemuseum im hessischen Rüsselsheim eröffnet eine Mitmachausstellung zum Thema „Spielplatz Sprache“. In Zusammenarbeit mit dem pädagogischen Fachmagazin Was ist mit Kindern wurde die Ausstellung konzipiert, damit Kinder die Möglichkeit haben, Sprache spielerisch zu erleben und zu erforschen. Der Bürgermeister, Dennis Grieser, erklärt anlässlich der Ausstellungseröffnung, dass es neben der Ausstellung auch ein vielfältiges Begleitprogramm mit Seminaren sowie einem Erzähl- und Schattentheater gibt. Bis zum 2. Februar 2025 haben Kinder die Möglichkeit, die neuen Spielgeräte und Angebote zu besuchen, um ihre sprachlichen Fähigkeiten auszubauen. (main-spitze.de)


4. Berichte

„Völlig überwältigt“

Große Resonanz erzeugte der am vergangenen Samstag erstmals gefeierte „Daach der kölschen Sproch“. „Für viele Kölner es Kölsch en Hätzensanjelejenheit“, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker bei der Festveranstaltung im Rathaus. In deren Rahmen wurde in diesem Jahr auch der Lehrer-Welsch-Preis der Kölner VDS-Regionalgruppe verliehen. Ausgezeichnet wurden die vier früheren Puppenspieler des Hänneschen-Theaters Jacky von Guretzky-Cornitz, Charly Kemmerling, Udo Müller und Josef Schönberg. Insgesamt wurden rund 50 Veranstaltungen in Köln organisiert, die das Kölsche in den Mittelpunkt stellten, unter anderem Altstadt-Führungen, Vorträge der Polizei unter dem Titel „Pass op, do kütt de Schmier“ und kostenlose Kölsch-Kurse.

Die Initiatoren des Projektes, Günter „Bömmel“ Lückerath von der Band Bläck Fööss und Bernhard Conin vom Verein der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums, seien von der Resonanz auf den Aktionstag „völlig überwältigt“. Man darf sich schon heute auf den nächsten Tag der kölschen Sprache am 21.09.2025 freuen. (rundschau-online.de)


5. Soziale Medien

Süßes Missverständnis

Der schwedische Koch Niklas Ekstedt berichtet über Instagram, dass es während seines Sommerurlaubs in der Schweiz zu einem erstaunlichen Missverständnis kam. Auf Deutsch fragte er die Bedienung nach der Möglichkeit, mit Apple Pay, dem digitalen Zahlungssystem über das iPhone, zu bezahlen und bekam statt der Rechnung einen Apfelstrudel serviert. Wahrscheinlich verwechselte die Bedienung Apple Pay mit apple pie (engl. „Apfelkuchen“). Trotz alledem kommt der sprachliche Patzer im Internet gut an, Ekstedts Video auf Instagram gefällt fast 120.000 Nutzern. (focus.de, instagram.com/niklasekstedt)


Rolf Zuckowski

Seit Jahrzehnten verzaubert Rolf Zuckowski kleine und große Kinder mit seiner Musik – kein Wunder also, dass er die Sprache der Kinder besonders im Blick hat. Für unsere Aktion mit Zitaten von Prominenten hat er uns einen Einblick in seine Welt gegeben: „Was aus Kindermund erklingt, seien es Gedichte oder Lieder, ist ihre erste Poesie, ist verinnerlichte Sprachkultur.“ Wie auch andere Zitate von Prominenten kann dieses demnächst ebenfalls bei der VDS-Geschäftsstelle als Postkarte angefordert werden. (facebook.com/vds, instagram.com/vds)


Süttember-Gewinner

Den ganzen September über konnten Freunde alter deutscher Schriftarten bei unserem Süttember-Rätsel mitmachen. Über vier Wochen haben wir bei Instagram und Facebook Begriffe und Sprichwörter in Kurrent vorgestellt, die erraten werden mussten. Unter den Einsendern mit den meisten richtigen Antworten haben wir dann neun Gewinner gezogen, sie bekommen ein Callissima-Füllfeder-Set von Schneider Schreibgeräte. Die Gewinner sind bereits benachrichtigt worden. Wer nachträglich noch mitraten möchte: In den Highlights (Süttember II) auf Instagram sind die Rätsel noch einmal zusammengefasst. (instagram.com/vds, facebook.com/vds, instagram.com/vds (Highlights, Anmeldung erforderlich)


Boomer und Gen Z

In der VDS-Geschäftsstelle arbeiten Menschen jeden Alters, vom Boomer (Jahrgänge von Mitte 1950 bis Ende 1960) bis zur Gen Z (Jahrgänge von 1997 bis 2012) ist alles dabei. Wie sich vor allem die Mediennutzung dieser Generationen unterscheidet, haben wir in einem launigen Video zusammengestellt. (instagram.com/vds, tiktok.com/vds)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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