1. Presseschau
Kein „meine Damen und Herren“ mehr
Die Tagesschau will moderner und zuschauerfreundlicher werden – und ruft gerade damit Ärger hervor. Die Formulierung „meine Damen und Herren“ zu Beginn der täglichen Nachrichtensendung um 20 Uhr wurde abgeschafft, berichtet die Bild. Stattdessen begrüßen die Nachrichtensprecher die Zuschauer jetzt mit „Guten Abend, ich begrüße Sie zur Tagesschau.“ Die Sprecher orientierten sich jetzt am gesprochenen Wort statt an der formellen Schriftsprache, heißt es in einer Stellungnahme der ARD. Das sei die Reaktion auf eine qualitative Zuschauerbefragung, die gezeigt habe, dass man sich eine „authentische und zugängliche“ Ansprache wünsche.
Laut RND sei die Anrede mit „Damen und Herren“ mittlerweile sowieso eher die Ausnahme. Beim ZDF gebe es verschiedene Ansprachen, die ohne die direkte Adressierung auskämen. ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn sagte, der Sender möchte diskriminierungsfrei kommunizieren und achte dabei darauf, „wie sich Gesellschaft und Sprache verändern.“ Die Moderatoren würden selbst entscheiden, welche Form der Ansprache sie wählen. Vorgaben gebe es nicht. (nzz.ch, bild.de (Bezahlschranke), rnd.de)
Lumumba oder nicht Lumumba?
Die Diskussion um vermeintlich verletzende Sprache hat jetzt auch die Weihnachtsmärkte erreicht. In Frankfurt empfehlen die Organisatoren des Weihnachtsmarkts den Händlern, auf den Namen „Lumumba“ für heißen Kakao mit Rum zu verzichten. Kritiker sehen in dem Namen eine verhöhnende Anspielung auf den kongolesischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba, der in den 1960er Jahren erschossen wurde. Der „Kakao mit Schuss“ würde seine Hautfarbe und seinen Tod lächerlich machen. Die Frankfurter Tourismus und Congress GmbH schrieb daher an die Standbetreiber: „Sollten Sie ein Getränk im Angebot haben, welches Sie als ‚Lumumba‘ bezeichnen, möchten wir Sie eindringlich bitten, den Namen zu ändern und es auf Menükarten/Getränkekarten/Schildern unkenntlich zu machen.“ Als Alternativen wurden unter anderem „Kakao mit Schuss“ oder „Heiße Schokolade mit Rum“ vorgeschlagen. So sollen rassistische Stereotype umgangen werden.
Der Vorschlag kommt nicht überall gut an. Thomas Roie, Vorsitzender des Schaustellerverbands Frankfurt/Rhein-Main, sagte dem Hessischen Rundfunk, die Diskussion um den Namen sei „aberwitzig“. Der Name sei über 30 Jahre alt. „Ich weiß nicht, was daran verwerflich ist.“ Ein Großteil der Standbetreiber sei der Empfehlung gefolgt, so der Hessische Rundfunk.
Auf TikTok kritisiert der schwarze politische Aktivist und DJ Serge Menga (selbst im Kongo geboren, lebt seit knapp elf Jahren in Deutschland) die Pläne, das Wort Lumumba von den Getränkekarten zu streichen. „Wer erlaubt euch eigentlich immer, uns dunkelhäutige Afrikaner zu bevormunden?“, fragt er. Wer wirklich etwas gegen Rassismus tun wolle, solle lieber gegen latenten Rassismus kämpfen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Migrantenkinder in der Schule immer noch schlechter gefördert werden als deutsche Kinder. Man solle die Kirche im Dorf lassen. Durch das namensgleiche Getränk bleibe der Freiheitskämpfer Lumumba vielmehr am Leben. (hessenschau.de, tiktok.com/sergemenga)
Böse Zuschriften
Bereits vergangene Woche wurde eine Studie der Universität Hannover vorgestellt, deren Ergebnisse den Mythos zum Einsturz bringen, in der Region um Hannover werde das „beste Deutsch“ gesprochen. WELT-Redakteur Matthias Heine befragt dazu den Studienleiter François Conrad. Er habe „böse Zuschriften“ bekommen, berichtet dieser. Aber auch in Hannover und Umgebung gebe es Aussprachevarianten, die eben nicht hochdeutsch seien, beispielsweise alte niederdeutsche Kurzvokale („Dusche“, mit kurzem u) oder das gerundete i vor einem Konsonanten („Stüfte“, „Füsche“). Grund für den Mythos vom „besten Hochdeutsch“ sei vor allem gewesen, dass die Bewohner Norddeutschlands Hochdeutsch wie eine Fremdsprache lernen mussten. Die Norddeutschen sprächen heute noch so nahe am Standardhochdeutsch, weil ihre ursprüngliche Sprache so weit davon entfernt war. Zudem habe Hannover als Großstadt im Königreich Preußen hohes Prestige genossen. Deswegen „ist der Mythos supergespreadet worden“, so der Germanist Conrad. (welt.de)
Muttersprachlicher Türkisch-Unterricht unter der Lupe
Im baden-württembergischen Tuttlingen gibt es Ärger wegen des muttersprachlichen Türkisch-Unterrichts. Es gebe das Angebot auch für andere Sprachen, allerdings unterliegen laut der Schwäbischen Zeitung die Lerninhalte nicht der deutschen Schulaufsicht, vielmehr würden sie von den Konsulaten der Herkunftsländer organisiert. Im Falle der Türkei seien die Konsulate dem Staat unterstellt, und dieser sei zu großen Teilen auf Präsident Recep Tayyip Erdogan zugeschnitten. „Wir lassen es zu, dass ein islamistischer Autokrat direkt in unsere Klassenzimmer hineinwirkt“, schrieb der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck (CDU) in einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag von 2021 habe schließlich festgelegt, dass der Konsulatsunterricht abgeschafft werden und der muttersprachliche Unterricht in die staatliche Verantwortung übergehen sollte. Laut Beck würde das Misstrauen seitens der Schulen immer größer. „Viele Schulleiter haben ein ungutes Gefühl“, sagte ein ehemaliger Rektor aus Baden-Württemberg dem SWR. Er selbst hätte unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Negativ sei ihm ein türkischer Lehrer in Erinnerung geblieben: „Den habe ich sogar manchmal schreien gehört, wenn ich da am Unterrichtsraum vorbeiging.“ Aber als Schulleiter habe er keine Möglichkeit gehabt, Einfluss zu nehmen. (schwaebische.de)
2. Gendersprache
Korrektheitsstammler
Ein Richter des Wiener Handelsgerichts hat für Schnappatmung im Justizministerium gesorgt. Er verschickte Weihnachtsgrüße per E-Mail, allerdings nicht an eine kleine Gruppe, sondern an alle Beschäftigten des Justizapparats. Gleich in der Anrede machte er deutlich, wie er sich zum Gendern positioniert: „Grüß Gött:in, liebe Kolleg*innen und Mitarbeiter-/?innen!“ Weiter schrieb er: „Machen wir uns bereits jetzt ein Weihnachtsgeschenk und holen unsere schöne Sprache zurück.“ Denn diese würde von „Korrektheitsstammlern und Doppelpunktschreibern“ permanent verhunzt und zerstört. Am Ende wünschte er „einen guten Rutsch in ein ungegendertes Jahr.“
Die österreichische Justizministerin Alma Zadić (Grüne) reagierte verschnupft und antwortete mit „ein paar Gedanken zum Thema inklusive Sprache“. Sie verteidigt das Gendern: „Gerade in der Justiz setzten wir uns in unserer Arbeit jeden Tag zum Ziel, die Rechte aller Menschen in diesem Land zu schützen. Das soll sich auch in unserer Sprache abbilden.“ (krone.at)
Politik sollte Gender-Regeln festsetzen
Nach der abgewiesenen Bürgerabstimmung zum Gendern in Zürich fordert Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, klare politische Richtlinien beim Umgang mit gendergerechter Sprache im Unterricht. Während sie selbst früher das Gendersternchen abgelehnt habe, stehe sie ihm jetzt positiver gegenüber, sagte sie dem Blick: „Weil in den Schulen und auch in der Gesellschaft sichtbar wird, dass es sprachlichen Bedarf und entsprechende Anpassungen braucht, damit sich Menschen mit einer anderen geschlechtlichen Orientierung angesprochen fühlen.“ Sie glaube auch nicht, dass Sonderzeichen ein Problem für Kinder und Jugendliche beim Lernen darstellen. Allerdings vermisse sie eine politische Ansage, wie genau gegendert werden soll: „Niemand will so richtig offenlegen, wie Schulen mit Sonderzeichen oder gendergerechter Sprache umgehen sollen. Auch der Rechtschreibrat lässt uns allein. Wir haben kein Kletterseil, an dem wir uns halten können.“ (blick.ch)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Gendern plus
In der Tagesschau vom 6. September hat der Sprecher ein Gender-Übersoll erfüllt. Die Rede war von den Ländergesetzgeberinnen. Vielleicht gab es noch einen Hick vorm i, die gesprochene Variante von Ländergesetzgeber*innen mit Genderstern. Oder habe ich das überhört? Egal. Eines war klar: Das Wort Ländergesetzgeber wurde gegendert. Als sei der Ländergesetzgeber ein Mann. Mit Bart und anderen Geschlechtsmerkmalen. Mit -in wird er auch zur Frau, ohne Bart usw. Ist das eine alberne Folgerung? Was passt hier nicht? Gendern kann man, wenn man denn will, nur Bezeichnungen von Personen. Hier hilft das Movierungs-Suffix -in. Das gilt für die meisten Wörter auf –er wie Lehrer, Bürger, Tüftler. Daneben aber gibt es auch Schalter, Aufkleber, Wagenheber, die ein Instrument bezeichnen, oder eben Gesetzgeber, eine Institution – sie haben ein maskulines Genus, sind aber nicht männlich. Was hat den ARD-Redakteur zum verkehrten Gendern veranlasst? Vielleicht der Artikel die. Der hat allerdings doppelte Funktion: nicht nur feminin Singular (die Frau) sondern auch Plural für alle Genera (die Frauen, die Kinder, die Ländergesetzgeber). Sollte man nicht verwechseln. Hier hat es jemand besonders recht machen wollen. Ein Übersoll. Feministische Journalistenpflicht erfüllt.
Einen anderen Fall lernen wir in dem Buch ‚Zwischenwelten‘ von Juli Zeh und Simon Urban kennen. Ein Buch aus E-Mail- und Whatsapp-Dialogen zwischen dem Journalisten Stefan und der Bäuerin Theresa, Studienfreunden, die beruflich verschiedene Wege gingen. Alle E-Mails von Stefan sind gegendert, es wimmelt von Kolleg*innen, Stellvertreter*innen, Onliner*innen bis zum Ritter*innenschlag. Da ich das Buch vorgelesen habe, musste ich – um der Authentizität willen – auch den Stern mit Hick produzieren. Meine Zuhörerin fand es abstoßend. Der Clou des Genderns kommt am Schluss. Stefan wird Chefredakteur des bedeutenden Wochenblatts der BOTE (ein kaum verborgener Anklang an den SPIEGEL). Als Zeichen der Neuorientierung wird es umbenannt in die BOT*IN. Zeitgeist getroffen, Erfolg gesichert. Gelungene Satire auf Journalismus und Feministik.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.
4. Kultur
Merkel bleibt beim Deutschen
Laut Media Control ist die Autobiographie von Angela Merkel das bisher erfolgreichste Buch im Jahr 2024 auf dem deutschen Buchmarkt. Unter dem Titel „Freedom“ erscheint es nun auch in englischer Sprache und kein geringerer als Ex-US-Präsident Barack Obama stellte es vergangene Woche gemeinsam mit Merkel in Washington vor. Obwohl Merkel fließend Englisch spricht, blieb sie beim Deutschen. Obama erklärte: Merkel, die Wissenschaftlerin, wolle präzise bleiben. Martin Franke empfindet das in der FAZ als „altes Versäumnis“ deutscher Politiker. „Ich bewerbe mich um das Amt des Außenministers, nicht um das des Dolmetschers“ – diese Devise des früheren Außenministers Hans-Dietrich Genscher gebe es noch heute. Die Reihe der blamablen Auftritte auf Englisch reicht von Günther Oettinger über Guido Westerwelle und Christian Lindner bis hin zu Annalena Baerbock. Nur Angela Merkel habe sich nicht damit blamiert, in englisch anmutenden Sätzen einem anglophonen Publikum gefallen zu wollen, so Franke. (faz.net (Bezahlschranke), media-control.de)
Edda Moser zur deutschen Sprache
Die Opernsängerin Edda Moser, die Ehrenmitglied im VDS ist, berichtete im Mittagsmagazin über ihre Liebe zur deutschen Sprache. „Wenn wir keine Sprache mehr haben, dann sind wir niemand mehr“, so Moser, „unsere deutsche Sprache ist unser großer Besitz und unser Gewinn, und wir müssen einfach individuell bleiben.“ Anglizismen lehne sie nicht grundsätzlich ab, sie würden bei Fachbegriffen durchaus sinnvoll sein, aber in der Alltagssprache gebe es genügend deutsche Entsprechungen. Auch das Gendern lehnt sie ab, in der deutschen Sprache gebe es alles, was man ausdrücken möchte. (ardmediathek.de (verfügbar bis 29.11.2025))
5. Berichte
Brasilianisches Kino im Sprachhof
Am 30. Dezember 2024 lädt der Verein Deutsche Sprache Mitglieder und Interessierte zu einem Kinoabend samt Vortrag sein. Newton Schner, VDS-Mitglied aus Brasilien, präsentiert seinen Kurzfilm über den Einfluss der deutschen Kultur bei der Gründung der brasilianischen Stadt Ponta Grossa. Anschließend beleuchtet er in einem kurzen Vortrag Besonderheiten des Films, seine Entstehung und die Kultur in Ponta Grossa. Beginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei – wegen des begrenzten Platzangebots wird jedoch um Anmeldung gebeten unter info@vds-ev.de.
6. Denglisch
Englisch auf Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera
Auf den Balearen leben immer mehr Bewohner, deren Muttersprache nicht das Spanische ist. Mit einem Anteil von 8,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung liegen die Deutschen auf Platz 2 der ausländischen Gruppen – hinter den Marokkanern. Englisch entwickele sich zunehmend zur wichtigsten Verständigungssprache auf den Inseln, schreibt das Mallorca-Magazin und zitiert eine aktuelle Studie, nach der mehr als die Hälfte der Inselbewohner Englisch nutzen, um sich im Alltag zu verständigen. Spanische Sprachschützer warnen deswegen vor einer Verdrängung der lokalen Sprachen Spanisch und Katalanisch. (mallorcamagazin.com)
7. Soziale Medien
Lehrergewerkschaft ohne Deutsch-Kenntnisse
Ein VDS-Mitglied schickte uns ein Foto vom Fahrradstellplatz der Lehrergewerkschaft GEW in Hessen. Dort stand „Reserviert für Beschäftigte und GEW Kolleg:innen“. „Gendergaga in Kombination mit Deppenleerzeichen, Respekt!“ kommentierte Alexander Sazyma auf der VDS-Facebook-Seite, und @DrHoplitschek schreibt auf Twitter: „Grauenhaft! Da sieht man am Eingang schon, welcher Ideologie die Entscheider frönen. Niemals!!“ Die GEW Hessen äußerte sich bei Instagram zu dem Posting. Der Rechtschreibrat habe das Gendern mit Sonderzeichen zwar im Dezember 2023 nach wie vor als Abweichung von der orthografischen Norm bewertet, habe aber dennoch erkannt, dass die geschlechtergerechte Schreibung im Wandel sei und sich für eine „rezeptive Toleranz“ ausgesprochen. (instagram.com/vds, x.com/vds, facebook.com/vds)
Akkusativ gesucht!
Ein Autofahrer nutzte für die Einfassung seines Autokennzeichens den Spruch „Friss mein Staub“. Möglicherweise sollte es ein verunglückter Imperativ sein, bei dem das Komma vergessen wurde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Hersteller des Rahmens nicht wusste, dass hier ein Akkusativ nötig ist. „Friss meinEN Staub“ wäre korrekt, das fiel auch vielen Nutzern in den sozialen Medien auf. „Ich bin überzeugt, ganz viele wissen gar nicht, was da falsch ist.“ schrieb Kordula Siegrist-Orthen bei Facebook. (instagram.com/vds, x.com/vds, facebook.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Dorota Wilke, Stephanie Zabel