Infobrief vom 6. Mai 2024: Kafkas Macht der Sprache

1. Presseschau

Kafkas Macht der Sprache

Im Juni jährt sich Franz Kafkas Todestag zum 100. Mal. Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß wendet sich im Gespräch mit der Tagespost gegen die Klischees über Kafka und seine Werke. Demnach gelte der auf Fotos düster dreinblickende Kafka als „irgendwie deprimierter“ Autor, der über Schicksale von Menschen schreibt, die zum Opfer anonymer Mächte werden. Reuß ist Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg und Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe von Kafkas Werken. Er weist darauf hin, dass Kafkas Protagonisten nicht nur Opfer, sondern auch Täter in einem unterdrückerischen System seien, wie etwa in „Der Process“. Ein zentrales Thema in Kafkas Werken sei das Zusammenspiel von Sprache und Macht. Laut Reuß würden mit Hilfe von Sprache Wirklichkeiten geschaffen, Sprache sei ein Machtinstrument. (die-tagespost.de, welt.de)


Rettung bayerischer Ortsnamen

Der Bayerische Rundfunk berichtet über ein Projekt der Akademie der Wissenschaften zur Katalogisierung bayerischer Ortsnamen. Diese würden oft anders geschrieben als von Einheimischen ausgesprochen. Die Ursache dafür liege in Flurbereinigung von 1806. Damals arbeiteten fremde Landvermesser in Bayern, sie ließen sich die Namen der Orte nennen. Da sie nicht immer alle richtig verstanden oder nicht mehrfach nachfragen wollten, notierten sie, was sie verstanden, so die Forscher, und damit war der Ort dann „erfasst“ – einschließlich aller Hörfehler. So wird der Ort Halfing „Hoifin“ ausgesprochen, Krün wird von den Einheimischen „Kri“ genannt, und Klais heißt eigentlich „Kloas“. Mit der jetzt gestarteten Katalogisierung von 58.000 Ortsnamen per Tonaufnahmen will man verhindern, dass der Dialekt, der immer mehr verschwindet, auch zum Aus der alten Namen führt. Die Dialektbezeichnungen seien ein kulturgeschichtlicher Schatz, heißt es. (ardmediathek.de)


„Giraffensprache“ gegen Gewalt

Die Hamburger Elbinselschule bietet ein spezielles Kommunikationstraining für Grundschüler an. Ziel der sogenannten „Giraffenstunde“ ist die Konfliktlösung mithilfe des Erlernens von wertschätzender und gewaltfreier Sprache. Laut Isabel Reister und Leyla Akdeniz, die den Unterricht leiten, sind Schimpfwörter und gewaltvolle Sprache in Schulen mittlerweile ein weitverbreitetes Problem. Ein freundlicher Umgangston, insbesondere wenn die Kinder emotional aufgeladen sind, bilde die Ausnahme. Um dem entgegenzuwirken, hat die Elbinselschule die Giraffenstunde mit ihrer Giraffensprache eingeführt. Dieses Konzept gewaltfreier Kommunikation (GFK) stammt aus den 1960er Jahren, es wurde von dem Psychologen Marshall Rosenberg entwickelt. Anhand der GFK lernen die Schüler das Verhalten des Gegenübers zunächst zu beobachten, anstatt zu bewerten; sie äußern persönliche Bedürfnisse und Bitten anstelle von Vorwürfen und Beschimpfungen. Die Bezeichnung „Giraffensprache“ habe Rosenberg gewählt, weil das Tier aus der Höhe gut beobachten könne. Mit dieser Metapher wird der Giraffe Einfühlungsvermögen zugesprochen. Gewaltfreie Kommunikation sei ein effektives und populäres Kommunikationsmodell, berichten Reister und Akdeniz. Die Kinder in der Elbinselschule üben anhand fiktiver Szenarien, wie sie rücksichtsvoller miteinander sprechen können. Den Kindern stehen Handpuppen, Sprechkarten und weitere pädagogische Materialien zur Verfügung. Akdeniz berichtet von „beeindruckenden Gesprächen“ und „interessanten Gedanken“, die die Kinder durch das achtsame Sprechen entwickeln. (spiegel.de (Bezahlschranke))


Schwarzseher widerlegt

Australien, USA, Kanada, Großbritannien – im Wettbewerb um Arbeitskräfte folgt Deutschland laut einer Umfrage erst auf Platz fünf. Am beliebtesten ist Deutschland demnach bei Arbeitskräften aus Bosnien und Herzegowina sowie der Türkei, aber auch aus Pakistan, Ungarn und Ghana. Als Nachteil für deutsche Unternehmen wird genannt, dass Mitarbeiter aus dem Ausland Englisch als offizielle Arbeitssprache vorziehen. Dies dürfe aber bezweifelt werden, denn 2018 landete Deutschland bei der gleichen Umfrage auf Platz zwei. Und damals war Deutsch bekanntlich auch die Sprache, die hierzulande erwartet wird. (stern.de)


2. Gendersprache

Mehr Deutsch und besser ohne Gendern

Der seit Anfang des Jahres amtierende Kultusminister Hessens, Armin Schwarz, berichtet im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von den Herausforderungen des Bildungssystems und wie man die deutsche Sprache in den Klassen stärken könne. Schwarz betont, dass er mit seiner Politik bildungspolitische Priorität auf die deutsche Sprache setzen will. Hierfür gebe es ein Modell, das erlaubt, ab der 2. Klasse mehr Unterrichtsstunden für das Fach Deutsch freizuhalten. Die verschlechterte Lesekompetenz sowie die veränderte Schülerlandschaft, mit mehr Kindern und Jugendlichen aus migrantischen Familien, trage zu dieser Entscheidung bei. Neben den Themen Digitalisierung des Unterrichts und den Vorteilen der Künstlichen Intelligenz für Lehrer, spricht Schwarz auch über das Gendern. Er betont, dass seine Politik sich an dem orientiere, was die Mehrheit der Gesellschaft für richtig halte. Es gelte, was der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt. Auch Lehrer sollen somit auf das mündliche Gendern im Unterricht verzichten, denn Sprache müsse nachvollziehbar und verständlich bleiben. Eine künstliche Verkomplizierung durch das Gendern sei nachteilhaft für die Schüler. (faz.net (Bezahlschranke))


Endlich Klarheit

In Baden-Württemberg hat sich die Landesregierung, insbesondere auch infolge des von Klaus Hekking initiierten Volksbegehrens, zur amtlichen Rechtschreibung bekannt. Ämter und Schulen hätten sich künftig wieder daran zu halten. Dass klare Regelungen wirken, zeigt ein Bericht aus dem Badischen Tagblatt. Zu Wort kommt Angela Keppel-Allgeier, die Rektorin der Hans-Küng-Gemeinschaftsschule in Tübingen, die berichtet, dass an der Schule die Verwendung des Gendersternchens vorherrschte, bis sich kürzlich ein Vater beschwerte. Die Rektorin finde die nun üblichen Doppelformen zwar „lästig“, an der Schule befolge man aber die Weisung des Innenministeriums. Kurzum: In Baden-Württemberg ist Gendern nicht verboten, solange sich niemand beschwert. (tagblatt.de)


Rostocker Genderleitfaden

Die Hansestadt Rostock hat für ihre Verwaltung einen Genderleitfaden eingeführt. Dabei habe man sich an dem Leitfaden aus Lübeck orientiert, heißt es von der Pressestelle. 93 Begriffe sollen aus dem Vokabular der Verwaltungsmitarbeiter getilgt werden, außerdem wird das Gendersternchen als Alternative eingeführt. Aus dem „Amtsleiter“ wird der „Amtsleitende“, aus dem „Lotsen“ wird eine „lotsende Person“ (für weitere Wörter siehe Link unter „Soziale Medien“). Vorgelegt wurde der Leitfaden von der Gleichstellungsbeauftragten Cathleen Mendle-Annuschkewitz, im Vorwort schreibt sie: „In Rostock wollen wir alle Menschen mit unserer Ansprache erreichen. Frauen, Männer und jene, die sich nicht als solche beschreiben. Damit bringen wir allen Menschen unserer vielfältigen Stadtgesellschaft Respekt entgegen.“ Mit dem Leitfaden setze sich Rostock über die Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung hinweg, der Sonderzeichen wie das von der Stadt favorisierte Gendersternchen ablehnt, schreibt Andreas Meyer in der Ostsee-Zeitung. Der Genderleitfaden sei eine Empfehlung, so Stadtsprecher Ulrich Kunze, keine Verpflichtung. Niemand müsse Konsequenzen fürchten, wenn er sich nicht an die Regelungen halte. CDU-Landeschef Daniel Peters kritisiert den Leitfaden: „Das Gendern – also das absichtliche Falschschreiben – ist in erster Linie ein politisches Statement. Wer das machen möchte, hat dazu privat reichlich Gelegenheit. Ich erwarte aber, dass in staatlichen Einrichtungen nach den Regeln der deutschen Rechtschreibung kommuniziert wird.“ In einer Umfrage der Ostsee-Zeitung sprechen sich über 80 % der Teilnehmer gegen das Gendern aus. (ostsee-zeitung.de (Bezahlschranke), ostsee-zeitung.de)

3. Kultur

Sorbischer Sprachpreis verliehen

Die Schriftstellerin Eva-Maria Zschornack gewinnt in diesem Jahr den Zejler-Preis für sorbische Sprache. Die sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, lobt Zschornack für ihre Kreativität, ihr Engagement und ihre Zielstrebigkeit bei der Vermittlung der sorbischen Sprache. Zschornack hat bereits 15 Kinder- und Jugendbücher in sorbischer Sprache veröffentlicht. Auch eine rege Theaterarbeit präge ihr Werk. Ihr sorbisch geschriebener Name ist Jěwa-Marja Čornakec. Seit 2014 wird der mit 5000 Euro dotierte Zejler-Preis alle zwei Jahre für herausragende und beispielhafte Leistungen im Bereich Spracherwerb und Sprachgebrauch der sorbischen Sprache verliehen. Der Name leitet sich vom Dichter, Publizisten und Theologen Handrij Zejler (1804-1872) ab, er gilt als Begründer der modernen sorbischen Literatur. Die diesjährige Preisverleihung ist im Juni in der Klosterkirche St. Annen in Kamenz geplant. (welt.de)


Tod des US-Schriftstellers Paul Auster

Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Auster ist im Alter von 77 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Der Hamburger Rowohlt-Verlag trauert um den Bestsellerautor, der insbesondere für seine „New-York-Trilogie“ bekannt ist. Seine übersetzten Werke sind seit 1989 im Rowohlt-Verlag erschienen. Auster war einer der herausragenden Schriftsteller der Gegenwart. Er verfasste mehr als 30 Bücher und wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Die Handlung spielte meistens in New York. Bereits 1982 wurde er mit „Die Erfindung der Einsamkeit“ berühmt. Austers Figuren seien exzentrische und zerrüttete Charaktere, sie seien von seiner Lebensgeschichte beeinflusst, berichtet Spiegel Kultur. Typisch für seine Werke sind fantastische Wendungen und philosophische Betrachtungen über Kunst, Kultur, Identität, Leben und Tod. (spiegel.de)


Grimms verschollene Bücher

Historiker haben in Posen 27 verschollene Bücher aus der Privatbibliothek der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm entdeckt, darunter eine Erstausgabe des „Simplicissimus“. Die Werke tragen handschriftliche Anmerkungen auf den Umschlagseiten und in den Texten. Sie bieten einen Einblick in die Arbeitsweise der Sprachwissenschaftler und Märchensammler. Die Privatbibliothek der Grimms gilt als eine der bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Privatsammlungen des 19. Jahrhunderts, hier finden sich tausende historische und zeitgenössische Werke, die den Brüdern als Quelle für ihre Arbeit als Volkskundler und Sprachwissenschaftler dienten. Nach dem Tod der Brüder erwarb der Preußische Staat rund 6.200 Bände, sie sind Teil der Universitätsbibliothek der Berliner Humboldt-Universität. Nach dem 2. Weltkrieg galten weitere Teile als verschollen. Ein polnisches Forscherteam fand jetzt bei Recherchen in verschiedenen Archiven, Beständen und Verzeichnissen weitere 27 Bücher. Die Anmerkungen, die teils mit Tinte (Jacob Grimm), teils mit Bleistift (Wilhelm) verfasst wurden, könnten „signifikant zur modernen Grimmforschung beitragen“, heißt es. Sie könnten dabei helfen, die Gedankengänge der Brüder nachzuvollziehen. (wissenschaft.de)


Ostfriesisches Namensrecht wird novelliert

Ab Mai 2025 können Namen wieder nach ostfriesischer Tradition gebildet werden. Nachnamen können dann nicht nur aus dem Vornamen des Vaters gebildet werden (was früher üblich war), sondern auch aus dem Vornamen der Mutter. Die Möglichkeit der „Väter-Namensbildung“ war 1874 abgeschafft worden, jetzt wird sie in einer erweiterten Form wieder eingeführt. Damit wolle man helfen, die ostfriesische Identität zu bewahren, sagte Landschaftspräsident Rico Mecklenburg. Wenn z. B. Dirk und Anna Müller eine Tochter namens Julia bekommen, könnten sie sie Julia Dirks oder Julia Annen nennen. Die Bildung der Endungen folgt dabei einem bestimmten Schema. (zdf.de, bibliothek.ostfriesischelandschaft.de)


4. Berichte

Bergischer Sprachpreis im Radio

Die VDS-Mitglieder der Region Bergisch Land (PLZ 42) unter der Leitung von Hans-Ulrich Mundorf haben eine neue Radiosendung fertiggestellt. Inhalt der Sendung ist die Verleihung des 5. Bergischen Sprachpreises „Die Eule“ im Oktober 2023 an den als „Ne Bergische Jung“ bekannten Diakon und Humoristen Willibert Pauels. Die Preisverleihung fand im Deutschen Werkzeugmuseum in Remscheid-Hasten statt. Die Sendung wird ausgestrahlt am Sonntag, 12.05.2024, um 19:00 Uhr (nach den Nachrichten) und zwar hier: radiorsg.de.


5. Denglisch

Mehrsprachige Wissenschaft

Ulrike Freitag, Direktorin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient spricht sich im Tagesspiegel für die Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft aus. Zwar gebe es ein berechtigtes Interesse, möglichst viele Werke in der internationalen Wissenschaftssprache Englisch verfügbar zu machen. Aber die „Engführung der wissenschaftlichen Publikationen auf das Englische“ bedeute auch „eine bedenkliche Einebnung und Verflachung“, so Freitag. Je vielsprachiger Wissenschaft sei, desto besser ließen sich Ideen, Hypothesen und Theorien verstehen, mit denen gesellschaftliche Phänomene erfasst würden, schreibt Freitag in ihrer Kolumne. (tagesspiegel.de)


6. Soziale Medien

Sprachverwirrung in Rostock

Der neue Genderleitfaden in Rostock sorgt für Belustigung im Netz. Bei X (ehemals Twitter) hat der VDS Ausschnitte daraus hochgeladen. Sie zeigen Begriffe auf, die umbenannt werden sollen. Dabei wirken die meisten, vermeintlich geschlechtergerechten, Alternativen gewollt und gequält: fachkundig statt fachmännisch, Fahrende statt Fahrer, Maskenbildende Person statt Maskenbildner. Mehrere Begriffe stellen sich jedoch auch problematisch dar. So ist das Mitarbeitergespräch jetzt ein Beurteilungsgespräch. Das impliziert, dass jedes Gespräch mit einem Mitarbeiter automatisch eine Beurteilung beinhalten müsse, was aber vermutlich angesichts von Konferenzen, die ebenfalls Mitarbeitergespräche sind, inhaltlich nicht haltbar ist. Ebenso kritisch müssen Begriffe wie Schiffsführende (statt Kapitän) und Person mit juristischer Ausbildung (statt Jurist) gesehen werden. Im ersten Fall hat nicht jeder, der ein Schiff führen kann, ein Kapitänspatent; im zweiten Fall stellt sich die Frage, ob Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte sich wegen ihrer juristischen Ausbildung in Rostock jetzt ebenfalls Juristen nennen dürfen. (twitter.com/vds)


Doppelmoral bei hart aber fair

Im Politik-Magazin hart aber fair (ARD) ging es diese Woche um das Thema „Rechtsruck oder Kurs der Mitte: Soll Deutschland konservativer werden?“ Der stellvertretende Chefredakteur der Welt, Robin Alexander, stellte dort fest: „Die Leute hassen Gendern.“ Sprache sei etwas Latentes, man benutze sie, ohne über sie nachzudenken und sie sich bewusst zu machen. Wenn dieses Latente gestört wird, fänden die Leute das schrecklich, so Alexander. Philipp Türmer, Vorsitzender der Jusos, konterte: „Ich gendere, weil ich es richtig finde, und weil ich finde, dass alle Geschlechter in der Sprache vorkommen sollen.“ Interessant dabei ist allerdings, dass Türmer die von Alexander angesprochene Latenz selbst verinnerlicht hat, denn ein Zusammenschnitt, den der VDS erstellt und bei X und Facebook hochgeladen hat, zeigt: Türmer gendert gerade nicht. Vielmehr spricht er natürlich und ungezwungen von Bürgergeldempfängern, Muslimen und Menschenfängern. Doppelnennung oder Glottisschlag? Fehlanzeige. (facebook.com/vds)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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