1. Presseschau
Nicht Magier, sondern Handwerker
Vor 150 Jahren, am 6. Juni 1875, wurde Thomas Mann geboren. Beim Festakt zu seinem Ehrentag in der Lübecker St.-Aegidien-Kirche würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das dichterische Werk Manns, das sich von der familiären Saga der „Buddenbrooks“ über das philosophische Epos des „Zauberbergs“ bis zur Erzählung religiöser Mythen in „Joseph und seine Brüder“ spannt – stets gekennzeichnet durch stilistische Vielfalt, sprachliche Brillanz und tiefes humanistisches Verständnis. Mann habe sich als Schriftsteller nicht als Magier, sondern als Handwerker verstanden: diszipliniert, wissbegierig und tief geerdet in seiner Heimat und Herkunft. Steinmeier hob hervor, wie Mann politische Verantwortung über lange Jahre trug: von seinem klaren Bekenntnis zur Weimarer Republik und seinem frühen Einsatz gegen den Nationalsozialismus bis zu seinen Reden im Exil und den BBC-Ansprachen, in denen er Demokratie als ein nie fertiges, stets zu verteidigendes Gut bezeichnete. Wer sich von Thomas Mann verzaubern lasse, begebe sich auf eine Reise voller überraschender Erfahrungen – „zu höherer Heiterkeit“, zu Humanität und Freiheit, so Steinmeier. Und er resümierte mit Nachdruck: „Er ist das Beste, was Sie lesen können.“
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann stellt aus diesem Anlass in der ZEIT die neue Biografie „Thomas Mann. Ein Leben“ von Tilmann Lahme vor. Er lobt das Buch als „eine der packendsten Künstlerbiografien überhaupt, eine grandiose Lebenserzählung, in der uns der ‚Zauberer‘ zum ersten Mal als tragische und widersprüchliche Person entgegentritt“. (faz.net, zeit.de)
Kulturelle Muster der Schönheit
Wissenschaftler der Universität Mannheim und der ETH Zürich haben Assoziationen mit dem Wort Schönheit für 68 Sprachen analysiert, darunter europäische, asiatische und afrikanische. Mithilfe eines intelligenten Sprachmodells wollten sie herausfinden, wie eng Wörter wie „schön“ oder „hübsch“ mit Begriffen wie „erfolgreich“, „klug“ oder „vertrauenswürdig“ in der jeweiligen Sprache verknüpft sind. Ergebnis: Das Wort „Schönheit“ wird in fast allen Sprachen mit etwas Positivem verbunden. Deutliche Unterschiede bestanden allerdings in der Intensität dieser Wahrnehmung. So sei die Neigung, Schönheit positiv zu bewerten, in Sprachen wie Finnisch und Japanisch bis zu viermal so stark ausgeprägt wie im Englischen. In wenigen Sprachen, z. B. Vietnamesisch oder Rumänisch, werde „Schönheit“ sogar eher mit Misstrauen oder Misserfolg verbunden. (faz.net)
Immer mehr Sprachstörungen
Die Anzahl der Kinder mit Sprach- und Sprechstörungen nimmt immer weiter zu. Dies belegt auch eine aktuelle Auswertung der KKH-Krankenkasse, nach der sich der Anteil der betroffenen Sechs- bis 18-Jährigen seit dem Jahr 2008 um rund 77 Prozent erhöht hat.
Die Sprachstörungen umfassen sowohl Probleme bei der Laut- und Satzbildung als auch ein begrenztes Vokabular sowie Grammatikschwächen. Im Alltag fehle es den Kindern an Sprachreizen, zum Beispiel an Gesprächen, am Vorlesen von Geschichten oder am gemeinsamen Singen, erklärt Vijitha Sanjivkumar von der KKH. Auch der übermäßige Medienkonsum durch Smartphones trage zu der Negativentwicklung bei. Denn durch den Internetkonsum würden weder Wortschatz noch Grammatik weiterentwickelt und es fänden auch keine freien Gespräche statt. Vor allem kleine Kinder sollten Sprache so oft wie möglich direkt hören und sie ohne Druck selbst erproben, betont Sanjivkumar. (welt.de)
Abgehobene Politikersprache
Politiker sind sprachlich näher am Philosophen Jürgen Habermas als an der Normalbevölkerung. Das sagt der Politikwissenschaftler Daniel Bischof im Interview im Spiegel. Sie nutzten verhältnismäßig viele verschachtelte Sätze und Fachbegriffe und seien damit weit von der Alltagssprache derer entfernt, die sie gewählt haben. Laut Bischof liegt das daran, dass sie zwar die Bevölkerung repräsentieren, sie aber nicht personell abbilden. Im Bundestag säßen überdurchschnittlich viele Juristen, die in einer sehr akademischen Sprache unterwegs seien. Auch in ihrem Abgeordneten-Alltag hätten sie eher mit Menschen mit ähnlichen Bildungsbiografien zu tun. Eine Untersuchung habe aber gezeigt, so Bischof, dass Menschen Aussagen eher verstehen, wenn sie einfacher kommuniziert werden. Diese Art, Dinge vereinfacht darzustellen, könne aber auch eine Gefahr bergen, und zwar wenn Politiker die Sprache der einfachen Leute nachahmen, um ihre Stimmen zu erhalten. Gerade beim US-Präsidenten Trump lasse sich das nachweisen: „Er suggeriert ein Gefühl der Verbundenheit mit den einfachen Leuten und kaschiert, dass er alles andere ist als ein einfacher Bürger aus der Mittelschicht. (…) Mit der echten Mittelschicht hat er wenig Berührungspunkte und auch seine Steuerpolitik richtet sich gezielt an Wohlhabende. Trotzdem bekam er viele Stimmen aus einkommensschwachen Regionen und der Arbeiterklasse. Das hat nicht nur mit seiner Sprache zu tun, aber auch.“ (spiegel.de (Bezahlschranke))
Frühzeitige Förderung
Bundesbildungsministerin Karin Prien spricht sich für bundesweite Sprachtests bei allen Vierjährigen aus. Kinder mit Förderbedarf sollen laut Prien verpflichtend gefördert werden, notfalls durch eine vorgezogene Schulpflicht. Auch eine Kitapflicht halte sie für denkbar, weist jedoch auf die Zuständigkeit der Länder hin.
Prien betont die Verantwortung der Eltern und warnt vor den Folgen mangelnder Aufmerksamkeit im frühen Kindesalter. Immer mehr Kinder bräuchten kompensatorische Förderung, die aber nur im Zusammenspiel von Familie, Kita und Schule gelingen könne. Zudem erneuert sie ihre Forderung nach einem Handyverbot an Grundschulen. (spiegel.de)
Algerien verbannt Französisch
Die algerische Fluggesellschaft Air Algérie verkündet, dass der Ticketkauf und die offizielle Kommunikation künftig nur noch auf Arabisch und Englisch erfolgen. Damit verfolgt die Fluggesellschaft den Kurs der algerischen Regierung, die französische Sprache aus der Gesellschaft zu verdrängen. Seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft im Jahr 1962 wurde in Algerien ein Arabisierungskurs eingeschlagen. Neben der Berber-Sprache Tamazight ist nur Arabisch die offizielle Sprache des Landes, obwohl Französisch weiterhin stark verbreitet ist. Ein Sprecher der Fluggesellschaft erklärt, man habe sich neben Arabisch auch für Englisch entschieden, da es sich dabei um eine Weltsprache handle. Der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune wolle durch die sprachlichen Regelungen das Zugehörigkeitsgefühl und die nationale Identität im Land stärken. (aerotelegraph.com)
„Gibberlink“
KI-Sprachmodelle können eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen und sich auch untereinander verständigen, das zeigt ein neues Projekt britischer Entwickler. Auf der Videoplattform YouTube stellen die Programmierer Anton Pikuiko und Boris Starkov die Sprache der KI, das sogenannte „Gibberlink“ vor. Die Entwickler demonstrieren die Technik anhand eines Gesprächs zwischen zwei KI-Systemen, die zunächst auf Englisch kommunizieren und nach Feststellung ihrer künstlichen Natur automatisch auf „Gibberlink“ umschalten. Dabei handelt es sich um eine Abfolge von Pieptönen, die für den Menschen nicht verständlich sind, jedoch Datenmengen per Audiosignal übertragen. In dem Video demonstrieren die Programmierer, wie sich die beiden KI-Systeme untereinander austauschen und dadurch konkret eine Hotelzimmerbuchung durchgeführt wird. Der Name der Programmsprache, genauer gesagt des Kommunikationsprotokolls, setzt sich aus den englischen Wörtern „gibberish“ (Kauderwelsch) und „link“ (Verbindung) zusammen. (t3n.de)
2. Gendersprache
Gesetze entgendert
Im österreichischen Bundesland Steiermark verbannt die Regierung gendersprachliche Formen aus Gesetzestexten. Ziel sei es, Barrierefreiheit zu erreichen und die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Texte sowie die Rechtssicherheit zu erhöhen. Schrägstriche zwischen maskulinen und femininen Formen sowie feminine Funktionsbezeichnungen „die Universität als Arbeitgeberin“ soll es nicht mehr geben. „Wir setzen dabei auf den Hausverstand anstatt auf unlesbares Sinnlos-Gendern“, erklärte Landeshauptmann Mario Kunasek. (kleinezeitung.at)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Ältere Menschen
Ältere Menschen mögen es nicht, ältere Menschen genannt zu werden. Das versuchte ich meiner Thai-Masseurin zu sagen, als sie mir erklärte, „ältere Menschen drücke ich weniger“. Das war rücksichtsvoll gemeint, enthielt aber auch die unbeabsichtigte Mitteilung „Du gehörst zu diesen älteren Menschen.“
Wie kommt es zu dieser höflich-abgeschwächten Form, dieser Andeutung von weniger alt? Denn kurioserweise sind die älteren Menschen jünger als die Alten. Das muss erklärt werden. Eigentlich und fast immer drückt ja der Komparativ eine Steigerung aus: Dein Einkommen ist höher als meines. Der neue Bundeskanzler ist größer als sein Vorgänger. Typisch für solche Vergleiche ist auch die Vergleichspartikel als, die dem Komparativ folgt.
Ganz anders der vorliegende Fall. Hier drückt das Adjektiv älter keine Steigerung sondern eine Abschwächung, eine Minderung aus. Der ältere Mensch ist jünger als ein alter Mensch. Es ist eine höfliche, eine euphemistische Form, die Alten zu charakterisieren. Es fehlt auch die Vergleichspartikel. Stattdessen wird der Bezugspunkt (hier die Menschen) nach dem Adjektiv genannt. Meine Ausgabe der Dudengrammatik von 1998 erklärt es so: „Die Komparativform wird auch dann gebraucht, wenn sich der Vergleich nicht auf die Grundstufe des betreffenden Adjektivs bezieht, sondern auf eine allgemeine Erwartungshaltung, eine Gewohnheitsnorm, das Normale in einer bestimmen Situation“ (S. 299, die Neubearbeitung von 2022 verzichtet auf diese einleuchtende Erklärung). So sprechen wir von einer größeren Stadt, wenn die Gemeinde etwas weniger groß ist als eine Großstadt. Auch der höhere Betrag ist nicht hoch, aber höher als ein kleiner. Und die jüngere Dame liegt altersmäßig etwas über der Norm einer jungen Dame.
Der Fall zeigt, wie in einer Sprache gleiche Formen in unterschiedlichen Kontexten ganz Verschiedenes bedeuten können. Erinnern Sie sich an das sogenannte Generische Maskulinum? Teils generisch (geschlechtsunabhängig) gebraucht, teils spezifisch auf Männer bezogen, je nach Kontext so oder so gemeint und zu verstehen. So funktioniert Ökonomie der Sprache.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
4. Kultur
Bestsellerautor gestorben
Der britische Schriftsteller Frederick Forsyth ist im Alter von 86 Jahren gestorben. Der Bestsellerautor Forsyth war für seine Spionageromane bekannt. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Bücher wie „Der Schakal“ und „Die Hunde des Krieges“, welche in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Er verfasste mehr als 20 Romane und verkaufte über 70 Millionen Exemplare. (spiegel.de)
5. Denglisch
Altwerden im Wortschatz
Die Musikerin und Journalistin Christiane Rösinger (Jahrgang 1961) widmet sich dem Wortfeld rund um das Älterwerden. Im Reden und Schreiben über Ältere sieht sie eine Form der Diskriminierung. So spreche man zwar von einer „überalterten Gesellschaft“, weil die Lebenserwartung steigt, aber nie von einer „Unterjüngung“ durch niedrige Geburtenraten. „Rentnerschwemme“, „Rentnerflut“ und „Seniorenlawine“ erinnerten an „überwältigende Naturereignisse“, vor denen man sich schützen müsse. Das Adjektiv „alt“ sei vor allem bei Gegenständen positiv besetzt: alter Wein, alter Cognac, alte Münzen, altes Silber. Teilweise auch bei Männern: alter Schwede, alter Gauner und – wenn auch nicht immer– alter Sack. Denglische Beschönigungen wie „Golden Ager“, „Silver Ager“, „Mid Ager“ und „Best Ager“ konnten sich laut Rösinger im Deutschen kaum durchsetzen. (taz.de)
6. Soziale Medien
Lieblingswörter
Bei den Deutschen Sprachtagen in Gera waren im Mai auch viele unserer Mitglieder aus dem Ausland dabei. Sie haben uns ihre deutschen Lieblingswörter verraten. (instagram.com/vds, facebook.com/vds, x.com/vds, tiktok.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel