Infobrief vom 13. Oktober 2025: Über Sprachentwicklung

1. Presseschau

Über Sprachentwicklung

Die WELT stellt den Dresdner Sprachwissenschaftler Simon Meier-Vieracker als „Fußballlinguisten“ vor (so heißt sein Kanal auf TikTok). Dieser hält die gegenwärtigen Diskussionen um Sprachentwicklung nicht für ungewöhnlich: Den Streit um die Gendersprache gebe es schon lange und es habe immer schon Ereignisse, gesellschaftliche und technische Entwicklungen gegeben, die die Sprache verändert hätten. So sei mit dem Fernsehen auch die Durchsetzung des Standarddeutschen begünstigt worden. Noch heute seien die „Tagesschau-Sprecher der Inbegriff der Modellsprecher“, von denen man erwartet, dass sie besonders vorbildlich sprechen.

Für Meier-Vieracker verläuft Sprachwandel vor allem von oben nach unten: „Das Standarddeutsche, das wir heute kennen, ist letztlich das Ergebnis einer bewussten sprachpolitischen Durchsetzung“. Aber er hält es auch für möglich, dass Genderformen wieder zurückgehen werden, weil die Sprecher den Genderstern in ein paar Jahren als noch störender empfinden als heute.

Für viel bedeutsamer hält er dagegen die Einflüsse der Internet-Kommunikation und der Sozialen Medien auf die Sprachentwicklung. Das Schreiben und Lesen „in Quasi-Echtzeit, wie wir früher nur gehört und gesprochen haben“, stelle die Sprache vor neue Herausforderungen. Heute werde sogar das gesamte „Alltagsgebrabbel“ langfristig dokumentiert. (welt.de)


Schönes Deutsch

Der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt wirbt in der NZZ für die Schönheit der deutschen Sprache. Sie sei mitnichten hart oder unangenehm, was ihr oft von Nicht-Muttersprachlern vorgeworfen wird. Gerade die Konsonanten, die gemeinhin als metallisch und aggressiv wahrgenommen würden, zeigten den schönen Zweck: „Wer Deutsch lernt, bewundert die Leichtigkeit seiner Wortzusammensetzungen: Weltschmerz, Abendstille. Die Konsonanten am Silbenende, t und d, lassen uns die Wortgrenze erkennen. Welt-schmerz. Abend-stille. Weil wir die Konsonanten haben, können wir diese Grenze hören und sprechen“, so Kaehlbrandt. Er bedauert, dass heutzutage viele deutsche Wörter vom Englischen einerseits, aber auch von neuen, viel flacheren Versionen verdrängt würden. „‚Kummer‘ ist ein schönes Wort. (…) Wir sprechen auch nicht mehr von Einfühlungsvermögen und Einfühlsamkeit, was unglaublich präzise Empfindungswörter sind, sondern von Empathie. Alle sind empathisch, jeder zeigt Empathie. Das Wort hat einen medizinisch-therapeutischen Klang im Gegensatz zu den alten deutschen Empfindungswörtern.“ Das Deutsche sei elegant und hätte viele feine Nuancen zu bieten. Die Brüder Grimm schrieben zum Beispiel im „Froschkönig“ nicht vom „Wunsch“, sondern vom „Wünschen“ („In den alten Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat.“): „Das Wort ‚Wünschen‘ enthält noch eine deutliche Spur des aktiven Verbs. Dem ‚Wunsch‘ hingegen fehlt diese Handlungsdauer und Kontinuität. Das Wünschen erstreckt sich über längere Zeit im Vollzug einer Handlung. Das hat einen ganz anderen Klang.“

Auch in der Politik fände man regelmäßig Beispiele, wie nuancenreich das Deutsche sein könne, so Kaehlbrandt, zum Beispiel beim Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck, der ein Gespür für Ermutigung, Mahnung und Trost habe: „Er verwendete eine feierliche Sprache, war zugewandt und strahlte eine Nähe aus. Mit seiner rednerischen Fähigkeit verkörperte er die Würde des freiheitlichen Staates und historische Verantwortung.“ Die heute oft angesprochene Hassrede bediene sich zwar rhetorischer Figuren, diese würden aber zur Herabsetzung anderer genutzt. Damit würde dem antiken Prinzip, dass der Redner einen guten Charakter haben sollte, um seine guten Erkenntnisse erfolgreich zu verbreiten, keine Rechnung getragen. (nzz.ch)

Roland Kaehlbrandt: Von der Schönheit der deutschen Sprache. Eine Wiederentdeckung. Piper-Verlag, München 2025. 14 Euro


Deutsch in Belgien

Noch einen weiteren Tag der deutschen Sprache gibt es jährlich am dritten Mittwoch im Oktober. Gefeiert wird er in der belgischen Provinz Wallonien, in deren Osten die deutschsprachige Minderheit beheimatet ist. Deswegen ist Deutsch in Wallonien Amtssprache neben Französisch. Nun will die wallonische Regierung die deutsche Sprache in der gesamten Region sichtbarer machen. Mehrsprachigkeit sei echter Reichtum, den es zu pflegen und zu fördern gelte, so die deutschsprachige Regionalabgeordnete Christine Mauel. (grenzecho.net)


Wenn Worte die Entlassung ankündigen

Eine Studie von Forschern der Universität Ottawa beweist, dass sich die Sprache von Geschäftsführern in Betrieben ändert, wenn ihre Amtszeit dem Ende entgegengeht. Dr. Ali Akyol und Sahar Shabani untersuchten über acht Jahre hinweg mehr als 45.000 Konferenztranskripte und fanden heraus, dass Geschäftsführer, deren Entlassung bevorsteht, sich zunehmend selbstbezogener und analytischer ausdrücken. Sie verwenden öfter das Wort „ich“ und konzentrieren sich stärker auf die Gegenwart. Im Gegensatz dazu nutzen Führungskräfte, die keine Entlassung befürchten, eher emotionsgeladene Begriffe und sprechen häufiger in der dritten Person Plural, ihre Kommunikation drückt Authentizität und Entschlossenheit aus.

Besonders auffällig ist, dass bereits ein Jahr vor der tatsächlichen Entlassung subtile sprachliche Veränderungen erkennbar werden, die sich in den letzten Monaten vor der Kündigung deutlich verstärken. Die Forscher vermuten, dass Geschäftsführer instinktiv die Zeichen ihrer bevorstehenden Entlassung wahrnehmen und ihre Wortwahl anpassen, um sich selbst in einem besseren Licht darzustellen. Aus Sicht der Psycholinguistik fungiert die Sprache in diesen Fällen als eine Art „Frühwarnsystem“. (pharmazeutische-zeitung.de)


2. Gendersprache

Deutscher Kulturrat gegen Genderverbote

„Künstlerinnen, Künstler und Kulturinstitutionen sind frei in der Entscheidung, ob und wie sie gendergerechte Sprache anwenden“, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Der Kulturrat reagiert damit auf die Anweisung von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer im August, Gendersprache in seiner Behörde nicht mehr zu verwenden. Der Deutsche Kulturrat ist der Spitzenverband der deutschen Bundeskulturverbände mit Sitz in Berlin. (sueddeutsche.de)

3. Sprachspiele: Neues aus dem Wort-Bistro

Warum gibt man den Löffel ab?

Es war eine ganz alltägliche Situation: Ein Zugbegleiter der Deutschen Bahn fragte den Passagier in der Reihe vor mir nach der Fahrkarte. Der wollte sie auch vorzeigen. Problem nur: Die Batterie in seinem Smartphone war leer.

„Ich kann Ihnen leider kein Ticket zeigen, mein Handy hat den Löffel abgegeben“, entschuldigte sich der Fahrgast. Schlussendlich haben sich die beiden geeinigt. Aber seltsam ist es doch schon, dass wir alles in unser Handy auslagern, oder besser hineinlagern. Das Smartphone dient als Ticket, Bezahlkarte, Banking-Portal, Fotoapparat, Schlafmessgerät, Schrittzähler… Es soll ja ganz verrückte Menschen geben, die mit einem Handy sogar telefonieren. Das hat mir einmal jemand am Telefon erzählt. Doch der Befund bleibt: Andere Geräte liegen faul in der Ecke herum und das Handy muss die ganze Arbeit alleine verrichten. Ich habe schon Angst davor, dass ich nach Hause komme und der Fernseher, das Radio, die Armbanduhr, der Wecker und der Schrittzähler eine Demo im Wohnzimmer organisiert haben. „Wir wollen nicht outgesourct werden! Wir fordern Arbeit für alle!“. Sogar das Smartphone schreibt mir manchmal Nachrichten wie „Muss ich denn hier alles alleine machen?!“. Schon ulkig, was wir von diesem einen Gerät alles erwarten.

Gestern fragte ich in einem Technikladen, ob man mit dem neuesten Smartphone auch faxen kann und ob sich mit seiner Hilfe auch ein Telegramm schicken lässt. Der junge Verkäufer sah mich mit großen Fragezeichen in den Augen an. Es ist ein Kreuz, wenn man sämtliche Angelegenheiten über dieses kleine Technikwunder abwickelt. Wenn es dann nämlich keinen Strom hat und den Geist aufgibt, sind wir aufgeschmissen. Für die, die es gerne genau nehmen: Während Geräte ja eher den Geist aufgeben, geben Menschen den Löffel ab. Diese Redensart geht darauf zurück, dass früher jedes Familienmitglied einen eigenen Löffel hatte, meist aus Holz. Starb ein Familienmitglied, wurde sein Löffel gewissermaßen frei. Er oder sie gab den Löffel ab. Im Gegensatz zum Handy hatte ein Löffel damals nur eine einzige Funktion zu erfüllen. Noch heute können wir mit dem Löffel manch eine Suppe auslöffeln, die uns ein kaputtes Handy eingebrockt hat.

Philipp Kauthe

Radio-Journalist, Buchautor, Podcast „Schlauer auf die Dauer“ (philipp-kauthe.de)


4. Kultur

Verlag setzt sich für die Mehrsprachigkeit ein

Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Dieser Meinung ist auch der Autor Felix Walk, der in seiner Kinderbuchreihe „Die kleine Eins“ die Bedeutung von Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt betont. Im Spica Verlag sind die Geschichten inzwischen nicht nur auf Hochdeutsch, sondern auch auf Englisch und Niederdeutsch erschienen. Damit möchte Walk einen Beitrag zur Sprachförderung und zum Erhalt regionaler Identität leisten.

Zusammen mit dem Spica Verlag greift er ein Thema auf, das auch die Forschung beschäftigt, nämlich die Zweisprachigkeit von Kindern. Das lange verbreitete Vorurteil, Mehrsprachigkeit führe zu Verwirrung oder Lernnachteilen, gelte mittlerweile als überholt. Walk und der Spica Verlag betonen, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, flexibler denken, leichter Sprachstrukturen lernen und ein stärkeres Bewusstsein für andere Kulturen entwickeln. (presseportal.de)


5. Berichte

Modelleisenbahnausstellung auf dem Sprachhof

Das Modelleisenbahnmagazin Trainini ist 20 Jahre alt geworden – und hat das mit einer Ausstellung im Sprachhof und in der Kamener Kita Brausepulver gefeiert. Neben Winter-, Küsten- und Berglandschaften gab es auch eine Welt voller Serien- und Kinohelden. Außerdem wurden außergewöhnliche Modelle gezeigt wie „Helenensiel“ und „Waterkant“, die auch auf der renommierten Messe On traXS in Utrecht zu sehen sind. Ein weiterer Höhepunkt war der Vortrag von Vorstands-Mitglied Jörg Bönisch, der selbst Bahningenieur ist und den Gästen die humorvollen Seiten der Bahnsprache nahebrachte. Insgesamt kamen rund 750 Besucher und erlebten ein buntes und tolles Wochenende auf dem Sprachhof. Einen Film vom Modelleisenbahnwochenende gibt es in unseren Sozialen Medien. (hellwegeranzeiger.de (Bezahlschranke), instagram.com/vds, facebook.com/vds, tiktok.com/vds)


6. Denglisch

Sprachspagat in Berlin

Seit geraumer Zeit dominiert in Berlins Cafés, Restaurants, Fitnessstudios und jungen Betrieben die englische Sprache. Der Infobrief berichtete bereits mehrmals über die sogenannten Expats, also Personen, die ohne Einbürgerung und meist für eine bestimmte Zeit im Ausland leben. Der Tagesspiegel führt in einem ausführlichen Artikel mehrere Erfahrungsberichte von Anwohnern und Zugezogenen an, die zeigen, wie stark Sprache über Integration, Zugehörigkeit und Alltag in der Hauptstadt entscheidet.

Während sich viele internationale Neu-Berliner über mangelnde Akzeptanz oder gar Spott für ihr noch unsicheres Deutsch beklagen, empfinden manche Einheimische den Verlust der deutschen Sprache im öffentlichen Raum als befremdlich. Englisch sei zur bequemen Brückensprache geworden, gleichzeitig aber auch zum Symbol einer wachsenden Distanz zwischen den Lagern. Viele Zuzügler, wie die Australierin Leanne, kommen mit Englisch problemlos durch den Alltag und sehen kaum Anreize, Deutsch zu lernen. Fehlende Deutschkenntnisse seien in der Hauptstadt mittlerweile „kein Hindernis mehr“, berichtet auch der 39-jährige Inder Tom. Dabei seien sich die Expats der Tatsache bewusst, dass sie nicht in die deutsche Kultur integriert sind. (tagesspiegel.de (Bezahlschranke), tagesspiegel.de)


7. Buchwelt

Literaturnobelpreis für László Krasznahorkai

Der Ungar László Krasznahorkai erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis: Die Schwedische Akademie in Stockholm zeichnet ihn für sein visionäres Werk aus, heißt es. Der 71-jährige Krasznahorkai schreibt in einem düsteren, oft apokalyptischen Stil mit einer komplexen Sprache. Häufig seien das Leben in Krisensituationen sowie grundsätzliche Fragen der menschlichen Existenz Themen seiner Bücher, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt worden sind. Er ist damit nach Imre Kertesz (2002) der zweite Ungar, der den Literaturnobelpreis erhält. Der Preis ist mit 11 Millionen Schwedischen Kronen (ca. 1 Million Euro) dotiert und wird am 10. Dezember, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896), überreicht. (tagesschau.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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