Infobrief vom 16. März 2025: Deutsch unter Beschuss

1. Presseschau

Deutsch unter Beschuss

In der Welt beschreibt Matthias Heine sieben „Fronten“, an denen das Deutsche attackiert wird. Im Namen des Fortschritts, so Heine, „wollen Aktivisten die gesamte Struktur des Deutschen umprogrammieren, bis wir nicht mehr ‚falsch‘ sprechen und ‚falsch‘ denken können.“ Es sei ein riesiges Umerziehungsprojekt. Mittlerweile trenne ein Graben diejenigen, die Deutsch als Muttersprache und Kulturgut ansehen und sich durch sie als Teil einer Gemeinschaft fühlen, von denen, die Deutsch als Fahrplan betrachten, „der dringend geändert werden muss, weil der Bus nicht genau vor ihrem Haus hält. Sie halten das Deutsche für ein einziges Hindernis, das Emanzipation, Inklusion und ganz allgemein den Fortschritt aufhält.“ Es ginge ihnen um eine Optimierung des Deutschen, „für seine Schönheit sind sie taub und blind.“ Die Rechtschreibreform habe mehrere Hürden nehmen müssen, da nicht alle Bundesländer mitziehen wollten, das habe viele verunsichert. Einige Neuerungen seien zurückgezogen worden, aber komplett zur alten, bekannten Rechtschreibung sei man nicht zurückgekehrt. Beim Gendern, das von einer Minderheit als Heilsbringer für eine gerechte Welt angesehen werde, geht Heine davon aus, dass das generische Maskulinum missverstanden werde. Dass es sich im Sprachgebrauch etabliert hat, werde ignoriert und als rückwärtsgewandt gesehen. „Die Grenzen zur Lächerlichkeit werden dabei schnell überschritten. Als das ZDF 2021 die afghanischen Taliban, unter denen ja nicht viele Frauen zu finden sind, als Islamist:innen genderte, wurde höhnisch gefragt, ob das nicht vielleicht ‚Islamisierende‘ heißen müsse?“, so Heine. Analog zum Gendern seien Neo-Pronomen eine weitere Front der mutmaßlichen sprachlichen Entwicklung: „Es wird geradezu als Bürgerpflicht betrachtet, seine Pronomen bekanntzugeben.“ Dass ein vermeintliches Misgendern (also das Ansprechen mit dem falschen Pronomen) sogar juristische Folgen haben könnte, zeige diesen Bekenntniszwang noch einmal deutlicher. Dazu gehöre auch der Hinweis auf Wörter, die diskriminierend sein können und deswegen aus dem Sprachgebrauch zu tilgen seien. Dabei gehe es den Verfechtern dieser Bewegung nicht darum, eine tatsächliche Ungerechtigkeit zu bekämpfen, sondern als Stellvertreter für andere zu agieren und sich ungefragt zu ihrem Sprachrohr zu machen.
Auch Leichte Sprache sei nicht uneingeschränkt nur als positive Neuerung zu sehen: „Indem überall die Zugangsschwellen gesenkt werden, schafft man immer weniger Anreiz, sich um eine höhere Sprachkompetenz zu bemühen. Denn unter den 17 Millionen Kronzeugen der ‚Tagesschau‘, die angeblich einfache Sprache brauchen, sind gewiss ein paar Millionen, die eigentlich alle Voraussetzungen dafür mitbringen, auch Texte in normaler Nachrichtensprache zu verstehen.“ Anglizismen würden ebenfalls häufig an Stellen verwendet, wo es durchaus deutsche Ausdrücke gäbe, sie würden als globalisiert und modern empfunden, „Kritik an Anglizismen gilt unter Linken daher als rechts. Dabei müsste das Beharren auf verständliche, klare und nicht-verschleiernde Sprache eigentlich ein ur-linkes Anliegen sein.“
Mittlerweile hätten sich gegen die Verhunzung der Sprache verschiedene Initiativen gebildet, die zum Beispiel gegen das Gendern vorgehen, „Klagen von Menschen, die berufliche, schulische oder akademische Nachteile erlitten haben, weil sie nicht gendern, werden regelmäßig vom VDS unterstützt“, schreibt Heine. Er verweist auf das Buch „Sprachkampf“ des Sprachwissenschaftlers Henning Lobin, in dem behauptet wird, die „Rechten“ würden die Sprache „instrumentalisieren“. Dabei seien es gerade die linken Gruppen, die seit etwa 30 Jahren versuchten, „einer widerstrebenden Bevölkerungsmehrheit alle möglichen Sprachumbauten aufzuzwingen.“ (welt.de (Bezahlschranke))


Wortgefechte in den USA

Seitdem Donald Trump wieder Präsident in den Vereinigten Staaten von Amerika ist, geht es dort bemerkenswert häufig um die Sprache. Trump erklärte erst kürzlich Englisch zur offiziellen Staatssprache, Meeresgebiete sollen umbenannt werden und auch Sprachverbote könnte es geben. Die New York Times hat eine Liste von Wörtern erstellt, die von der neuen US-Regierung unterdrückt werden, nämlich alles, was mit Diversität, Rassismus und anderen „identitätspolitischen Diskursen“ zusammenhängt (siehe Bericht in der ZEIT). So lässt die Stadt Washington, D. C., jetzt einen „Black-Lives-Matter“-Schriftzug von einer Straße entfernen, weil die Republikaner zuvor gedroht hatten, der Stadt sonst Fördergelder zu entziehen. Präsident Trump behaupte, es gebe statt der Klimakrise einen Energienotstand. Auch der SPIEGEL greift das Thema auf, hält das Umdeuten von Begriffen und das Erlassen von Sprachverboten aber für ebenso fragwürdig wie den Einsatz für politisch korrekte Sprache. Denn „mit dem Begriff verschwindet bekanntlich auch das Problem, was auch die Bestrebung zu seiner Lösung obsolet macht“ – eine innovative Form der Problemlösung. (spiegel.de (Bezahlschranke), zeit.de (Bezahlschranke))


Sprachenstreit in Indien

In Indien gibt es insgesamt 22 anerkannte Sprachen und seit Wochen werden im Parlament heftige Debatten über die Rolle von Hindi als Verkehrssprache geführt. Besonders in Südindien, in Tamil Nadu, gibt es Widerstand gegen eine Bevorzugung von Hindi, da viele befürchten, dass ihre regionale Sprache und kulturelle Identität verdrängt werden könne. Der Chefminister von Tamil Nadu, M. K. Stalin, ist hierbei der Anführer des Protests im Parlament. Der Streit wurde durch eine Anweisung des Bildungsministeriums ausgelöst, die Fördermittel an die Umsetzung der Drei-Sprachen-Formel koppelt. Diese Formel sieht bereits seit den 1960er-Jahren vor, dass an allen Schulen mindestens drei Sprachen angeboten werden. In der Regel seien dies Hindi, oder die jeweilige Regionalsprache, sowie Englisch und eine weitere indische Sprache. Die Region Tamil Nadu weigert sich jedoch seit Jahrzehnten, Hindi als dritte Sprache neben Englisch und Tamil in den Schulen zu unterrichten. Chefminister M. K. Stalin erklärt, dass es keinen Bedarf für eine andere Verkehrssprache gebe, wenn in Nordindien die Englischkenntnisse weiter ausgebaut werden. Hinter dem Sprachenstreit stehe auch die Sorge der Südinder, durch Bevölkerungsverschiebungen politischen Einfluss auf nationaler Ebene zu verlieren. (nzz.ch (Bezahlschranke))


Baby-Gesänge

Vom Weinen zur Sprache: Babys experimentieren seit ihrem ersten Tag auf der Welt mit ihrer Stimme. Aus den kreischenden und weinenden Tönen entwickeln sich stimmliche Modulationen, die dem Kind zeigen, dass seine Eltern auf verschiedene Töne unterschiedlich reagieren. Babylaute hätten dabei ihr eigenes System und folgten einem klanglichen Ordnungsprinzip. Die Grundlagen seien dabei auf der ganzen Welt gleich und würden mit einem universellen und angeborenen Ur-Gesang beginnen. Je nach Muttersprache „singen“ sie dabei aber mit einem anderen Akzent. (srf.ch)


Obligatorische Tests in Bayern

Seit diesem Jahr führt Bayern eine flächendeckende Sprachauswertung für alle angehenden Vorschulkinder ein. Rund eineinhalb Jahre vor der Einschulung werden ihre Deutschkenntnisse getestet, um Förderbedarf frühzeitig zu erkennen. Sofern ein sprachliches Defizit erkannt wird, müssen die Kinder einen Kita-Vorkurs mit 240 Stunden Deutschunterricht besuchen, erläutert die Leiterin des Grundschulreferats im Kultusministerium, Maria Wilhelm. Das Verfahren stößt bei den Lehrern auf Zustimmung, sorgt aber auch für Unsicherheiten bei Eltern. Etwa ein Drittel der bisher getesteten Kinder zeigt Förderbedarf, besonders in den Städten. Kinder in staatlich geförderten Kitas, in denen bereits auf die sprachliche Kompetenz der Kinder geachtet wird, können eine Bescheinigung einreichen, um den Test zu umgehen. (spiegel.de)


2. Gendersprache

Bandwurm-Begriff

In Hessen sind Genderzeichen wie Sternchen und Doppelpunkte nicht mehr erlaubt. „Schülerinnen und Schüler“ ist dem Zentrum für Lehrerausbildung (ZLB) an der Universität Kassel aber nicht inklusiv genug. In offiziellen Dokumenten sollte es stattdessen lieber „Schülerinnen, Schüler, nicht-binäre Lernende an Schulen sowie solche, die sich keiner geschlechtlichen Kategorie zuordnen möchten“ heißen, so das ZLB. Eine Angehörige der Uni habe das selbst zunächst für einen Witz gehalten, so die FAZ. Ellen Christoforatou, Geschäftsführerin des ZLB, sieht in dem Bandwurm-Begriff kein Problem: „Natürlich ist es umständlicher, alle Geschlechter aufführen zu müssen“, sagt sie, die vorgeschlagene Formulierung sei jedoch juristisch geprüft worden und sei nur als eine mögliche Variante zu verstehen. Das Kultusministerium kennt den Vorschlag, hält sich aber bedeckt, es teilt lediglich mit: „Generell gilt, dass Texte, wie vom Rat für deutsche Rechtschreibung gefordert, gut lesbar und verständlich sein müssen und nicht aufgebläht werden, damit sie gut handhabbar bleiben.“ Es gelte die Freiheit von Forschung und Lehre, jenseits von amtlichen Texten – zu denen auch Staatsexamensaufgaben gehören – dürfen Professoren und Studenten weiterhin Dop­pelpunkte inmitten von Wörtern setzen. (faz.net (Bezahlschranke))


Gender-Gutachten

In der Welt fasst Stefan Beher drei große Gutachten zusammen, die in den vergangenen Jahren den Theorien der Gender-Befürworter stark widersprochen haben. Im März 2023 hatte die Linguistin Katerina Stathi (Universität Münster) für den Ausschuss „Kultur und Medien“ des NRW-Landtags ein Gutachten zum Thema Gendersprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfasst. Sprache sei laut Stathi gerade deswegen so leistungsfähig und praxistauglich, weil sie an vielen Stellen abstrahiere und nur das codiere, was für die Kommunikation wichtig sei: „Andernfalls werde die Kommunikation mit sinnlosen Informationen überfrachtet. Etwa dem unablässigen Bezug auf Geschlechtszugehörigkeiten.“ Auch die mantraartig wiederholte Theorie von Genderfreunden, das generische Maskulinum sei nicht neutral, weist sie ab. Das Wort „Apotheker“ meine alle Menschen dieses Berufs, unabhängig vom Geschlecht: „Nur eine neutrale Grundform lässt sich durch ein weibliches Suffix spezifizieren. Eine Spezifikation übrigens, die es nur für die weibliche Form gibt und daher Frauen, entgegen der landläufigen Einschätzung der feministischen Linguistik, in der deutschen Sprache ganz besonders sichtbar macht.“ Ob generisch oder sexusbezogen gesprochen wird, lasse sich im Kontext des Sprechens fast immer problemlos zuordnen. Auch sei Kürze ein Kernprinzip von Sprache, Gendern halte dies nicht ein. Mit einem natürlichen Sprachwandel habe das nichts zu tun, dieser finde immer im Verborgenen statt und zeichne sich dadurch aus, dass ihm kaum Widerstand seitens der Sprachgesellschaft entgegengebracht werde.
Der Bielefelder Philosoph Roland Kipke sieht den Anspruch auf Moral als Kernargument der Genderbefürworter. Wer eine moralische Pflicht zu „gendergerechter“ oder „diskriminierungsfreier“ Sprache fordere, belege latent, dass Nichtnutzer eine niedrigere Moral als sie selbst hätten. Kipke untersuchte, ob das Nicht-Verstehen des generischen Maskulinums ggf. einen subjektiven Charakter hätte. Psycholinguistische Studien hätten aber genau das gerade nicht bestätigt: „Falsches Verständnis sei zwar möglich, käme aber bloß fallweise und zudem nur in bestimmten, selten beachtlichen Ausprägungen vor. Konsequent als ‚männliche Form‘ werde das generische Maskulinum in keinem Fall interpretiert.“ Vielmehr sei die Realität von Relevanz: „Bauarbeiter“, „Kosmetiker“ oder „Ingenieure“ würden in der Realität von einem bestimmten Geschlecht dominiert, „sodass unterschiedliche Repräsentationen eher als Konsequenz von Weltwissen und weniger als Ausdruck von Diskriminierung zu verstehen seien.“ Zudem würde die Gendersprache ihr Versprechen nicht halten, Gerechtigkeit herzustellen. Die Beidnennung spreche nur Männer und Frauen an, lasse non-binäre Menschen außer Acht. Gerade hier würde das generische Maskulinum objektiv mehr Personen inkludieren.
Der Politologe Sebastian Jäckle untersuchte die soziologische Komponente des Genderns. Er stellte bei seiner Studie fest, dass sich auf seine Frage, in welcher Form die Studienfragen überhaupt gestellt werden sollen, drei Viertel der Befragten für das generische Maskulinum entschieden. Nur 21 % entschieden sich für eine gendergerechte Form, vor allem Frauen, Stadtbewohner, Sympathisanten von Parteien im linken Spektrum sowie Personen mit höherem Bildungsabschluss. Doch durch alle Gruppen hindurch war eine klare Mehrheit gegen die Gendersprache festzustellen: „Frauen lehnten sie ebenso deutlich ab wie Unter-30-Jährige oder Personen mit höherem Bildungsabschluss. Auch Sympathisanten von Grünen und Linkspartei waren eher dagegen. Sogar Personen, die sich selbst als ‚divers‘ bezeichneten, zeigten keine klare Präferenz für ‚gendergerechte‘ Sprache.“ Eine Präferenz für Gendersprache hatten vor allem solche Personen, „die sich als politisch weit links verorteten und darüber hinaus für starke staatliche Regulierungen eintraten.“ Gender-Befürworter waren in erster Linie nicht mal selbst betroffen, sondern eher Missionare, die ihre eigene Weltsicht durch die „richtige“ Verordnung auch auf ihre Mitmenschen übertragen wollten. Gendern werde also nicht durch selbst gesellschaftlich benachteiligte und schutzbedürftige Menschen gewünscht, sondern vielmehr von politischen Gruppierungen vorangetrieben. Die Konfliktlinie verlaufe mitnichten zwischen dem rechten und linken Lager, sondern vielmehr „zwischen einer extremen Minderheit von linken Aktivisten und dem großen Rest der Gesellschaft.“ (welt.de (Bezahlschranke), landtag.nrw.de (PDF-Datei), springer.com, springer.com)

Wie das Bistum Osnabrück gendert

Das Bistum Osnabrück führt in seiner Kommunikation eine Richtlinie für das Verwenden von Gendersprache ein. Der Generalvikar Ulrich Beckwermert gab im aktuellen Amtsblatt bekannt, dass alle Schrifterzeugnisse des Bistums demnach künftig „im Rahmen der geltenden und zu berücksichtigenden gültigen Regelungen geschlechtersensibel ausgestaltet werden“ sollen. Konkret bedeutet das, dass Doppelnennungen (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), „geschlechtsneutrale“ Ausdrücke (Beschäftigte, Mitglieder) und abstrakte Formulierungen (Kirchenverwaltung) den Gendersonderzeichen vorgezogen werden. Das generische Maskulinum bleibt nur erlaubt, wenn darauf explizit hingewiesen wird. Der Genderstern soll nur in besonderen Fällen, etwa in der Pastoral, genutzt werden. Verschiedene Bistümer haben bislang Richtlinien und Handreichungen zum Verwenden der Gendersprache herausgegeben, unter anderem die Diözesen Augsburg, Hildesheim und Rottenburg-Stuttgart. (katholisch.de)


3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit

Esoterik in der Sprache (am Beispiel der Raum-Esoterik)

In einem früheren Buch von mir hatte ich mir Ausdrücke angesehen, die von den politisch Korrekten übermäßig verwendet werden. Es sind oft dieselben Ausdrücke, die sinnhaft auf eine bestimmte Weise belegt werden; das trifft vor allem auf das positive Vokabular zu, das die Korrekten sprechen. Man kann es eigentlich nicht mehr als Jargon bezeichnen, da dieses Sprechen eben nicht esoterisch abgeschlossen ist, sondern geradezu zur Übernahme einlädt. Ich hatte mich dennoch dafür entschieden, den Ausdruck Esoterik beizubehalten, weil esoterisches Sprechen immer auch stark gefühlsbetonte Vokabeln und Phrasen benutzt. Und abgeschlossen bleibt weiterhin die Welt der so Sprechenden. Wir können noch einmal gemeinsam auf die Verwendung des Wortes Raum und der dazu gehörenden Vorstellungen blicken. Zunächst ein paar Beispiele: Man spricht gerne von Raum für Begegnung, von einem Raum für Menschen, von freien Debattenräumen und von alternativen Lebensräumen. Man soll seiner Wut Raum geben; nach dem Messeranschlag in Solingen hieß es, man wolle einen Raum für die Trauer freihalten. Man empfiehlt Männern im Coaching, Raum einzunehmen (desgleichen Frauen im Feminismus), man wolle politisch, besonders umweltpolitisch, Räume erhalten. Alexandra Lüthen, Verfechterin der Leichten Sprache, sieht auf ihrer Internetseite leicht gestaltete Texte als Raumöffner, und dem Bundespräsidenten Steinmeier ist der Plenarsaal der Paulskirche nicht einfach ein konischer Raum, sondern überhöht: ein Demokratieraum. Der beliebte Freiraum kann sprachspielerisch gestaltet werden als: freiRAUM, FREIraum oder Frei-Raum, wobei letztere Bildung durch die Lücke wenigstens auch formal den Inhalt unterstützt. Man soll seiner Stimme Raum geben (nicht bloß Volumen) und man soll Räume zur kreativen Entfaltung freihalten. Umkämpft ist der öffentliche Raum, der (wieder) sicher sein und der besonders Schutzräume für Frauen und Safer Spaces enthalten soll. Mit Raum assoziiert sind auch Redeweisen mit Ort, Verortung, Im-Hier-und-Jetzt-Sein, sogar die Bodenesoterik (sich erden, verwurzelt sein, gute Böden). Außerdem gibt es zahlreiche Themen im Zusammenhang mit Raum, die mit englischem Vokabular bedient werden: Inner Space, Safe Space, Place to Be, No-Go-Areas usw. Auch andere Ausdrücke bedienen sich positiv dieses Sinnfeldes: Neues Forum (ab 1989), Bürgerforum. Nach diesen Beispielen wollen wir jetzt aber sehen, warum das alles problematisch ist. Erstens ist Raum eine stark emotionalisierte Vokabel, die eigentlich kein negatives Pendant hat (etwa Zusammenbruch des Raums). Zweitens wird der Konflikt nicht gesehen: Wenn Männer Raum einnehmen sollen und Frauen auch, dann gibt es vielleicht Konflikte. Und wenn es Raum für alle gibt, dann gibt es vielleicht für niemanden mehr Raum. Oder: Wenn es besondere Schutzräume gibt, dann gibt es vielleicht Gerangel um Privilegien. Drittens: Die Metapher des Raumes und die konkrete Verwendung gehen fließend ineinander über, werden also sprachlich uneindeutig. Der Mann soll ja den Raum nur in einem übertragenen Sinne einnehmen, also keinesfalls dominant oder ein Platzhirsch oder Lokalmatador sein… Aber im wirklichen Sinne soll der öffentliche Raum (das sind eigentlich: öffentliche Plätze) von allen gleichermaßen beansprucht werden können. Viertens: Es dominiert die Phrase Raum für. Beispiele nannte ich oben, es gibt noch: Raum für Zweisamkeit / Wohlbefinden / Entfaltung / Diskurs / Kommunikation, dann aber auch Raum für Rückzug (alliterativ!). Die Vokabel für (ebenso wie pro) ist markant gutsprecherisch und stempelt das eigentlich abstrakte, technische Wort Raum zu einem positiv bewerteten Wort, obschon der Raum an und für sich ja sowohl für positive als auch für negative Dinge herhalten kann. Bei allen Raum-für-x-Phrasen ist Raum das sekundäre, das x das eigentlich Wichtige. Wie konnte eine so allgemeine Sache wie Raum eine solche überwertige Bedeutung erhalten? Wohl deshalb, weil Raum mit Freiheit, besonders mit Bewegungsfreiheit, assoziiert wird, oder mit Horizonten: Möglichkeitsraum, die Zukunft ist ein Raum usw. Ich möchte die Leser einladen, dasselbe nun für Zeit zu machen: Zeit der Zuversicht, Zeit für dich, Zeit für Zweisamkeit, Zeitenwende, lebe den Augenblick! usw.

Myron Hurna

Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues BuchAmoklauf am offenen Lernortist bei Königshausen & Neumann erschienen.


4. Kultur

Sprachhüter oder Kulturpfleger?

Im Deutschlandfunk geht es um die Académie française, die in Frankreich über die Entwicklung der französischen Sprache wacht. Die Académie (gegründet 1635) hat sicherlich dazu beigetragen, dass das Französische heute zu den Weltsprachen gehört, über Jahrhunderte die Sprache der Diplomatie war und als Fremdsprache sehr gefragt ist. Trotzdem trägt die Sendung den Titel „Elitär, konservativ, umstritten“ als Beschreibung für die Académie und ihre 40 Mitglieder. Zu Beginn des Beitrags wohnen die Hörer der Sprachkommission der Académie bei, die darüber entscheidet, welche neuen Wörter zur französischen Sprache gehören und welche nicht. Diskutiert wird über das englische Wort Jetset. „Manchmal ist es zu spät und das Wort ist schon im Sprachgebrauch verankert“, sagt ein Académie-Mitglied. In der restlichen Zeit der Sendung wird die Académie, eine der ältesten und prestigeträchtigsten Institutionen Frankreichs, mit Kritik überhäuft: Der Altersdurchschnitt der Mitglieder sei über 70 und bestehe überwiegend aus Männern, die keine Linguisten sind, und die französische Regionalsprachen unterdrücken wollen. „Die größte Gefahr für die französische Sprache ist die Académie française“, sagt eine Linguistin. (deutschlandfunk.de)


5. Berichte

Sprachnachrichten Nr. 105

Alle reden von Künstlicher Intelligenz (KI), aber was machen die intelligenten Programme mit unserer Sprache? Dieser Frage geht die Nr. 105 der Sprachnachrichten nach. Welchen Einfluss hat KI auf die Zukunft von Sprachberufen? Kann KI Gedichte schreiben? Die Redaktion der Sprachnachrichten ist dem nachgegangen. Aber das ist nicht das einzige Thema der aktuellen Ausgabe. Es geht unter anderem auch um die „Diskriminierungsskala“ der neuesten Duden-Ausgabe. In der Rubrik „Vergessene Dichter“ wird die Schriftstellerin Anselma Heine vorgestellt. Thema der „Sprachreisen“ ist ein besonderes Bundesland im Westen Österreichs: Vorarlberg. Und schließlich werden die VDS-Mitglieder zu den diesjährigen Deutschen Sprachtagen in Gera eingeladen. (vds-ev.de)


6. Denglisch

Anglizismen ausführlich erforscht

Auf der 61. Jahrestagung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim ging es in einem Vortrag um den „Multimethodenansatz zur Untersuchung von Neologismenakzeptanz“, also ab wann und warum ein neu gebildetes Wort zum deutschen Wortschatz gehört. Ein Ergebnis: Bis ein „markiertes“ neues Fremdwort, zum Beispiel mit Anführungszeichen oder mit der Erklärung „sogenannt“, im kollektiven Lexikon der Sprachgemeinschaft akzeptiert wird, vergehen etwa drei Jahrzehnte. Die IDS-Forscher stellten auch eine Befragungsstudie vor, bei der sich die Befragten zwischen zwei vorgegebenen Alternativen entscheiden mussten, und zwar zwischen einem neuen Wort, das aus deutschsprachigen Bestandteilen besteht, also einem „nativen Neologismus“ (Flachbildschirm, Empörungswelle) und einem neuen Lehnwort aus dem Englischen (Flatscreen, Shitstorm). Die Ergebnisse liefern Antworten auf die Frage, warum sich bestimmte Anglizismen im deutschen Wortschatz durchsetzen, andere wiederum in Vergessenheit geraten und stattdessen eine neues Wort aus der deutschen Sprache gewählt wird, z. B. Billigflieger, ein neuer Sachverhalt, der in den 80er-Jahren zunächst als low cost carrier im deutschen Wortschatz übernommen wurde. (ids-mannheim.de (PDF-Datei))


7. Soziale Medien

Gendern wider den Zuschauer

Bei X berichtet der ÖRR Blog (@OERRblog) über den RBB, der sich für eine gendergerechte Sprache in den Sozialen Medien entschieden hat, obwohl die Mehrheit der Menschen das Gendern ablehnt. @SandyJSchmitty schreibt süffisant: „Die gendern deshalb, weil es ca. 5 % Menschen in unserem Land gibt, die zu blöd sind, Genus und Sexus zu unterscheiden“ und @steven_kean1985 ergänzt: „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat doch schon viel zu oft bewiesen, dass sie die moralisch besseren Menschen sind. Es ist also nicht überraschend.“ (x.com/oerrblog)


Wahrsagerei

Unsere Mitarbeiter in der Geschäftsstelle kennen sich nicht nur in Buchhaltung, Mitarbeiterverwaltung und Archivarbeiten aus – einige haben auch ungeahnte Fähigkeiten … (tiktok.com/vds, instagram.com/vds)


8. Buchwelt

IFB Verlag packt für die Leipziger Buchmesse

Wussten Sie schon, dass der IFB Verlag Deutsche Sprache jetzt dem VDS gehört? Reiner Pogarell hat den Verlag, angelehnt an das Institut für Betriebslinguistik, 1997 in Paderborn gegründet. Der VDS hatte damit außer seiner Vierteljahreszeitschrift „Sprachnachrichten“ ein bedeutsames Sprachrohr gewonnen. Deshalb hat sich der VDS schon bald an dem Verlag beteiligt. Über die Sprachpolitik hinaus war der IFB Verlag Deutsche Sprache mit seinen Veröffentlichungen allgemein in Sachen Sprache und Kultur aktiv. Der IFB Verlag Deutsche Sprache ist als GmbH organisiert. Sein Büro ist nun beim VDS im Sprachhof in Kamen untergebracht. Geschäftsführer ist Dr. Holger Klatte in Personalunion mit seiner Funktion als Geschäftsführer unseres Vereins. Die praktische Verlagsarbeit führt die langjährige Mitarbeiterin Daniela Worm. Sie wird unterstützt von Katharina Etrich.

Künftig wollen wir Sie monatlich in unserer neuen Rubrik „Unsere Buchwelt“ über den Verlag und seine Arbeit informieren. Er leistet auch in diesem Jahr wieder aufwändige Öffentlichkeitsarbeit, indem er gemeinsam mit dem VDS vom 27.-30. März auf der Leipziger Buchmesse einen Stand betreibt. (ifb-verlag.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
 
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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