1. Presseschau
Sitzhase oder nicht Sitzhase?
Der „Sitzhase“ mischt die österliche Vorfreude auf. Bei einem Supermarkt war die Bezeichnung aufgetaucht, um einen Schoko-Osterhasen zu bewerben. Andere Bezeichnungen wie „Schmunzelhasen“ und „Goldhasen“ seien bisher nicht auf Gegenwehr gestoßen, schreibt Janina Fleischer in der Leipziger Volkszeitung, und auch die Bezeichnung „Hohlfigur“ sei bisher unspektakulär durch die Supermärkte gewandert. Gerade das Irritierende sei es oft, was Sprache ausmache: „Markiert von der Zeit, markiert sie die Zeit, benutzt von den Sprechern, dient sie ihnen.“ Man müsse wieder lernen, zwischen den Zeilen zu lesen und sich kreativ zu erweitern. „Dieser Spaß wird derzeit verleidet von einer Regelwut, die alles Mehrdeutige wegblendet.“ Das beraube die Menschen der Chance, die sich aus dem Spiel mit Sprache ergibt, um Realitäten kenntlich zu machen, so Fleischer. Auch Satiriker würden sich nicht selbst beschneiden oder ausgebremst werden wollen.
Die Komikerin Carolin Kebekus sieht das nicht unbedingt so: Sie sehe zwar beim vermutlich nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz durchaus Angriffsflächen, gerade beim Thema Feminismus. Dennoch liege ihr als Demokratin daran, dass er als Kanzler gut funktioniere. „Allerdings ist es gar nicht die Aufgabe der Satire, einen Kanzler möglichst unbeschadet an der Macht zu halten“, schreibt Fleischer, und dieses Missverständnis präge den Humorbetrieb, der in zwei Lager zerfällt. Dieter Hallervorden stehe auf der anderen Seite des Grabens. Er sehe die Sorge von Kulturschaffenden, auf der vermeintlich „falschen“ Seite zu stehen, schrieb er kürzlich bei Instagram: „Woke Menschen von heute versuchen ängstlich, nicht aus der Reihe zu tanzen, befolgen akribisch alle Social-Media-Gebote, um keine Likes aufs Spiel zu setzen, und verstehen keine Satire mehr, weil Satire aus Angst vor Missverständnissen nicht mehr vorkommt.“ Er sorgte kürzlich für mediale Empörung, weil er zwei Begriffe benutzt hat, die heute als diskriminierend empfunden würden. Es mangele an Mut, so Hallervorden, sich über die wirklichen Missstände zu erregen.
Laut Fleischer würde sich ein Teil der Öffentlichkeit in immer enger werdenden Kreisen um sich selbst drehen und nicht merken, wie das jede Auseinandersetzung, beispielsweise mit realer Diskriminierung, ersticke: „Dabei kaschiert die Annahme, dass von allen nicht alles gesagt werden dürfe, die eigene Illusion, nicht alles hören zu müssen. Denn das steckt hinter der beschränkten Kommunikation: Wer Sprache zum Feind erklärt, entzieht sich dem Denken. Zweifel zu vermeiden, macht irgendwann sprachlos.“ (lvz.de (Bezahlschranke), morgenpost.de)
Sprachmodelle sprechen nicht, sie raten
Sprachroboter wie ChatGPT klingen immer menschlicher, sie verwenden Interjektionen wie „Oh!“ und „Hm…“, klingen nachdenklich und können sogar verärgert sein. Man muss sie nur ausreichend darauf trainieren. Trotzdem ist und bleibt das Roboter-Kommunikation. Die Neue Zürcher Zeitung listet grundlegende Unterschiede in der Sprachverwendung von Mensch und KI auf. „Chatbots raten Wort für Wort für Wort. Dabei fehlt nicht nur das inhaltliche Verständnis, sie haben auch kein Verständnis von Grammatik oder Satzbau“, so die NZZ. Eine Künstliche Intelligenz könne auch nicht bewusst lügen – auch wenn sie häufig Unwahrheiten wiedergibt. Sie habe keine Referenz zu wahr oder falsch, erklärt der Neurowissenschaftler Sebastian Sauppe in dem Beitrag. Zudem nutzten Menschen die Sprache, um Beziehungen zu pflegen. „Sprachmodelle sind keine sozialen Akteure. Sie haben nur eine Aufgabe: Irgendwie den Prompt beantworten“, so Sauppe. Sie klingen menschlich, bleiben aber „statistische Papageien“. (nzz.ch (Bezahlschranke))
Vorsicht vor der Nudel!
Dass Jugendliche ihre eigene Sprache haben, ist nichts Ungewöhnliches. In Zeiten der Smartphones wird aber nicht mehr nur mit Text kommuniziert, sondern auch mit Emojis, also kleinen Bildern, die ein Wort oder eine Tätigkeit ersetzen. In Australien warnt die Polizei jetzt jedoch vor Nudel-Emojis, so die NZZ. Auch Maiskolben und Oktopusse könnten gefährlich sein, heißt es in einem Online-Glossar für Eltern. Diese Emojis könnten Hinweise darauf sein, dass Kinder online in sexuelle Handlungen hineingezogen werden.
Emojis kodieren häufig andere Dinge als die, für die sie auf den ersten Blick stehen. Viele haben eine sexuelle, rassistische oder frauenfeindliche Zweitbedeutung, die sich Eltern nicht sofort erschließt. „Dass die Elterngeneration die Sprache der Jugendlichen nicht versteht, ist kein neues Phänomen“, sagt Nina Hobi von der nationalen Plattform Jugend und Medien. Die Extremismusexpertin Mirjam Eser Davolio beschreibt, dass es jedoch neu sei, dass Kinder schon in der Schule radikales Gedankengut äußerten, damit verinnerlichten und auch ausführten. Laut Kriminalstatistik seien in der Schweiz sexuelle Übergriffe auf Mädchen und Heranwachsende seit 2020 um 36 Prozent gestiegen. Die Radikalisierung erfolge immer früher – und sie erfolge fast immer online. Das Problem bestehe darin, dass vor allem Erwachsene Emojis in ihrer Doppeldeutigkeit oft nicht erkennen könnten. Eine Wassermelone stehe seit anderthalb Jahren zum Beispiel nicht mehr für ein Obst, sondern diene wegen ihrer Farben als Ersatz für die palästinensische Flagge. (nzz.ch (Bezahlschranke))
2. Gendersprache
Verwechslung von Genus und Sexus
Der Deutschlehrer Gerald Ehegartner beschreibt in einem Gastbeitrag in der NZZ, dass das Gendern auf der irrigen Annahme beruhe, Genus und Sexus hingen zusammen. Schuld sei dabei Protagoras, der im 5. Jahrhundert v. Chr. als griechischer Grammatiker die Kategorie „Genus“ in Umlauf gebracht habe. Er ordnete die Kategorie in „männlich“, „weiblich“ und „unbeseelt“ und setzte sie irrtümlicherweise in Bezug zum biologischen Geschlecht. Im 17. Jahrhundert sei der Begriff „Genus“ noch korrekt mit „grammatisches Geschlecht“ ins Deutsche übersetzt worden, im Barock hätte „Geschlecht“ zudem noch eine breitere Bedeutung gehabt und hätte für „Gattung“, „Kategorie“ oder „Art“ gestanden. Über Jahrhunderte davor und danach entwickelten sich die Sprachen, Lautverschiebungen kamen hinzu, Sprachen, die vorher komplett ohne ein Genus auskamen, spalteten sich ab und bildeten diese Kategorie aus. Mit der Entwicklung des Femininum kam eine theoretisch weibliche Form dazu, praktisch wurde sie laut Ehegartner aber anders genutzt: „Und dieses wurde nicht dazu verwendet, biologische Frauen zu benennen, sondern dazu, Abstrakta und Kollektiva sprachlich abzubilden. Die grammatischen Geschlechter sind also völlig unabhängig von den biologischen Geschlechtern entstanden.“
Erst sehr viel später begann die Sprachgemeinschaft, die feminine Form mit Weiblichem zu verbinden, dennoch werden verschiedene Begriffe auch heute noch mit einem Artikel versehen, der nichts mit ihrem tatsächlichen Hintergrund zu tun hat, z. B. „der Busen“ oder „die Männlichkeit“. Das generische Maskulinum, wie wir es heute kennen, sei dabei das „Standardgenus“ geblieben. Erst mit dem Suffix -in würde abstrahiert. „Die Genera an sich und die generische Form als solche interessierten sich von Beginn an nicht für biologische Geschlechter. Es wäre wohl eher folgerichtig, die drei Genera mit «Nominalklasse 1, 2 und 3» zu benennen, statt ihnen ein biologisches Mäntelchen umzuhängen.“
Fragmentierungen durch Genderstern, Binnen-I oder Doppelpunkt, wie es sie seit der feministischen Linguistik gibt, „mögen gut gemeint sein, sie übermarkieren, sexualisieren und verkomplizieren jedoch die Sprache stark. Sie machen es den Sprachnutzern unmöglich, unabhängig vom Geschlecht zu formulieren.“ Der ideologische Umbau der Sprache würde nirgendwo sonst so stark und systematisch vorangetrieben wie im deutschsprachigen Raum. Dabei sei Deutsch eine in der Mitte der Gesellschaft verwurzelte Sprache, „die sich trotz lang andauernder Geringschätzung als Weltkultur- und Wissenschaftssprache etablieren konnte“, so Ehegartner. Würde man den Begriff „generisches Maskulinum“ durch die korrekte Bezeichnung „geschlechtsneutrales Standardgenus“ ersetzen, würde die Sprache entsexualisiert. (nzz.ch (Bezahlschranke))
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Move
Je mehr deutsche Journalisten und Politiker in die englischsprachige Welt reisen und des Englischen mächtig werden, je mehr sie Englisch lesen, sprechen und vielleicht sogar schreiben, umso mehr lockt es sie, ihre Zweisprachigkeit zu nutzen für die Einführung neuer Anglizismen im Deutschen. Move ist das Neueste aus dieser Ecke, geschickt eingebaut von Talkshow-Journalisten und ihren politischen Gästen. Move war Sportlern bisher bekannt als ein überraschender Spielzug, ein Manöver – jetzt dient es der Charakterisierung einer politischen Wende. Hat die SPD endlich einen Move, seit der Oppositionsführer die Brandmauer gegen die AfD einen Schlitz geöffnet hat? Anders gesagt, ein unerwartetes Momentum, das sie sofort weidlich ausgeschlachtet hat. Es sind vor allem die redegewandten Frauen aus der Journalistenbranche, die über Trump rätseln, sein Zollmanöver einordnen, den Ukrainekrieg erklären und den Erfolg der noch nicht gewählten neuen Regierung schon jetzt sachkundig in Frage stellen. Sie geben ihrem Redefluss gerne an entscheidenden Stellen den move eines neuen Fremdworts.
Man spricht das neue Wort möglichst fremd aus, mit weichem Labiodental am Schluss, wie es das Englische vorschreibt, das Deutsche aber eigentlich verbietet. Bei uns gilt die sogenannte Auslautverhärtung. Neben /lo:ben/ (mit weichem b) steht /lo:p/ (mit verhärtetem b, also p), zu /li:gen/ gehört /la:k/, zu /le:zen/ das Imperfekt /la:s/, wobei dieser Stimmtonverlust im Auslaut in der deutschen Rechtschreibung missachtet wird, um die Einheitlichkeit der Wortform wenigstens in der Schrift zu bewahren.
Bisweilen allerdings gerät der move ulkigerweise zum Muff, auch ein Lehnwort, das über französisch moufle, gekürzt aus lateinisch muffula, zu uns gekommen ist, aber als ‚Hülle aus Pelz zum Warmhalten der Hände‘ kaum noch bekannt ist.
Im Englischen hat move zahlreiche weitere Bedeutungen, z. B. auch den Zug beim Schachspiel oder den Umzug, entsprechend dem Verb to move. Im Englischen kann man ja fast alle Verben (wie to move) ohne ein Suffix als Substantiv benutzen. Wir brauchen dazu die Wortbildung. Im übrigen bleibt move bei uns isoliert, das macht seine Fremdheit aus, aber auch seine Neuigkeit, die manchen zu seinem Gebrauch reizt. Das kann eine Chance sein oder ein Handicap, das zu schnellem Untergang führt. Dann hat es sich ausgemoved.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.
4. Kultur
Kinderbücher retten
Eine gemeinsame Initiative der Vereinten Nationen und des International Board on Books for Young People (IBBY) fördert den Erhalt von Kinderbüchern in bedrohten Sprachen. Verlage, Bibliotheken, Institutionen und Privatpersonen können dazu Bücher in indigenen und weiteren gefährdeten Sprachen einreichen. Die Initiative der beiden Kooperationspartner will damit ebenfalls die Lesekompetenz von Kindern fördern. Die Buchsammlung soll die Kategorien Bilderbuch, Roman, Biografie, Sachbuch und „Graphic Novel“, also Comics im Buchformat, umfassen. Die Sammlung wird erstmals 2026 auf dem IBBY-Weltkongress in Ottawa präsentiert und später auf der Frankfurter Buchmesse gezeigt. Fast die Hälfte der rund 6000 Sprachen weltweit ist vom Aussterben bedroht, besonders die Sprachen der 5000 indigenen Völker. Weitere Informationen zur Initiative findet man unter der Netzseite der SOS-Kinderdörfer. (fnp.de)
5. Denglisch
Anglizismus? Zahlen, bitte!
Anglizismen haben sich bereits vor Jahren hartnäckig im deutschen Sprachgebrauch etabliert. Das erklärt auch Johannes Winterhagen in seinem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Insbesondere in der Geschäftswelt finde man Anglizismen amerikanischen Ursprungs wie „Leads“ (Kontakt mit einem potentiellen Kunden), „Impact“ (geschäftlicher Einfluss) oder „Deep Dive“ (gründliche Analyse eines Problems durch Mitarbeitergespräche). Aber auch die deutsche Grammatik sei Opfer der Anglizismuswelle, denn wer mit etwas „fein ist“ oder wenn etwas „Sinn macht“ dann handelt es sich hierbei um Satzkonstruktionen aus dem Englischen. Winterhagen plädiert für deutsche Alternativen zu englischen Begriffen. Man könne im Heimbüro statt im Homeoffice arbeiten und von dort aus elektronische Briefe anstelle von E-Mails verschicken. Wer weiterhin darauf besteht Anglizismen zu verwenden, der solle fortan einen „Wortzoll“ zahlen. Zwar ist Winterhagens Vorschlag nicht ganz ernst gemeint, jedoch könnte man mit einem solchen „Wortzoll“ für Anglizismen sicherlich das eine oder andere Projekt finanzieren. (faz.net)
6. Soziale Medien
Save the Date – aber auf Deutsch
Bei Threads fragt @martinantische_autorin nach Tipps, um das englische „Save the Date“ deutsch auszudrücken. Es geht bei der Frage nicht nach einem Hinweis, um sich einen Hochzeitstermin freizuhalten (der Spruch wird häufig dafür verwendet), sondern um den Termin für eine Personalversammlung. Die Ideen dazu waren vielfältig, unter anderem wurden „Zeitraum vormerken“, „Datum freihalten“ und „Terminankündigung“ vorgeschlagen. (threads.net/martinanitsche_autorin)
Von Gäst*innen und Auslaufmodels
Der @OERRBlog teilte diese Woche auf X ein Foto der neuen Sendung von Sarah Bosetti bei 3Sat. Bosetti begrüßt ihre „Gäst*innen“ und fragt sie, „warum Ehrlichkeit in der Politik zum Auslaufmodel geworden ist.“ Dabei sorgte in den Kommentaren nicht nur der Genderstern für Gelächter, sondern auch das fehlende l bei „Auslaufmodel“. (x.com/oerrblog)
Wikinger!
In der Zufahrt zum Wikingermuseum in Haithabu gibt es seit kurzem eine Ampel mit einem Wikingermännchen. Die Tagesschau berichtet über dieses „Wikingerampelmännchen“, unterlässt es aber, es zu gendern, so wie sie es sonst in den Sozialen Medien tut. Immerhin: Die „Fußgänger:innen“, die diese Ampel nutzen, wurden ordnungsgemäß gegendert. (instagram.com/vds, facebook.com/vds)
St(r)andort
Über Instagram erreichte uns das Foto über einen charmanten Wortwitz: Am Strand von Behrensdorf gibt es eine Orientierungskarte mit einem Punkt, der den St(r)andort kennzeichnet. (instagram.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel