Infobrief vom 27. September 2025: Wegfall der Schreibschrift?

1. Presseschau

Wegfall der Schreibschrift?

Der eine schreibt sauber und schnörkelig, der andere hat eine „Sauklaue“ – und doch schreibt jeder Mensch individuell. Das ist das Ziel, das sich Schulen und Lehrer gesetzt haben. Doch wie entwickeln Kinder eine individuelle Handschrift? Aktuell lernen Kinder das Schreiben über die Druckschrift, erst später gehen sie zur verbundenen Handschrift über, die schließlich eine individuelle Handschrift herausbilden soll. In Bayern will man mit dem Pilotprojekt „FlowBy“ den Zwischenschritt jetzt auslassen und direkt von der Druck- zur individuellen Handschrift kommen. 43 Grundschulen sollen in „Schreibwerkstätten“ angeleitet werden, individuell passende Buchstabenverbindungen auszuprobieren. In der zweiten, dritten und vierten Klasse werde die Handschrift der Kinder dann beurteilt, und zwar nach Kriterien wie Formklarheit, Leserlichkeit, Flüssigkeit und Geschwindigkeit. Denn Studien hätten gezeigt, dass Kinder mit einer komplett verbundenen Schreibschrift deutlich langsamer schreiben würden als die mit einer teilverbundenen Schrift, und auch langsamer als die mit einer reinen Druckschrift. (mz.de)


Tag der Gebärdensprache

Am 23. September wurde der internationale Tag der Gebärdensprache gefeiert. In Deutschland gibt es rund 80.000 gehörlose Menschen, welche die Deutsche Gebärdensprache (DGS) nutzen. Neben verschiedenen Veranstaltungen zum Aktionstag fordert unter anderem der Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V., das Recht auf Gebärdensprache als festen Bestandteil der Menschenrechte ernst zu nehmen. Auch wird ein Unterrichtssystem mit zwei Lehrern gefordert, jeweils einen für die Lautsprache und einen für die Gebärdensprache, denn Gebärdensprache gehöre zum Alltag, auch an den Schulen. (frankenfernsehen.tv)


Neues zum Forum Deutsche Sprache

Auf dem Alten Meßplatz in Mannheim entsteht das Forum Deutsche Sprache. Bereits vor fünf Jahren wurde entschieden, dass das Projekt von der Klaus Tschira Stiftung finanziert und vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) betrieben wird. Der Direktor des IDS, Henning Lobin, gab während einer Informationsveranstaltung in der vergangenen Woche bekannt, dass man mit einer Eröffnung des Forums im Sommer oder Herbst 2028 rechne. Die Einrichtung solle zudem kein klassisches Museum zur deutschen Sprache werden, sondern eine interaktive Ausstellung. Innerhalb einer geplanten Sprachwerkstatt können Besucher dann beispielsweise ihre eigene Alltagssprache aufzeichnen lassen. Mit dem Projekt wolle man das Bewusstsein für sprachliche Vielfalt und den Sprachwandel stärken, erklärt Henning Lobin. (swr.de)


WhatsApp kann Nachrichten übersetzen

Der Nachrichtendienst WhatsApp führt im Rahmen einer neuen Systemaktualisierung die Übersetzungsfunktion ein. Nutzer können damit ab sofort Nachrichten direkt in der App übersetzen lassen. Durch einen langen Fingerdruck auf die Nachricht kann man die Sprache auswählen und die Übersetzung starten. Laut Anbieter sei die Funktion sowohl in Einzel- als auch in Gruppengesprächen und bei Kanalmeldungen verfügbar.

Nutzern mit einem iPhone stehen 19 Sprachen zur Auswahl, darunter Italienisch, Französisch, Russisch, Englisch, Türkisch und Deutsch. Nutzer mit einem Android-Gerät können zwischen sechs Sprachen (Englisch, Spanisch, Hindi, Portugiesisch, Russisch, Arabisch) wählen. Der Metakonzern, der die App betreibt, betont, dass für diese Übersetzungen vorhandene Infrastrukturen der jeweiligen Plattform verwendet würden und Nachrichten somit nicht mitgelesen werden könnten. Seit dem 23. September wird die Funktion schrittweise für die mehr als drei Milliarden Nutzer weltweit eingeführt, weitere Sprache sollen folgen. Wann Deutsch für Android-Nutzer verfügbar sein wird, ist nicht bekannt. (blick.ch)


Schleswig-Holstein will Englisch als Amtssprache

Aus den Reihen der FDP kam in den vergangenen Jahren häufiger der Vorschlag, Englisch als Verwaltungssprache einzuführen, damit beispielsweise Arbeitskräfte aus dem Ausland einen leichteren Einstieg hätten. Der Vorschlag war aber nicht zu Ende gedacht, denn es darf bezweifelt werden, dass Zuwanderer statt Deutsch alle auf gutem Niveau Englisch sprechen. Außerdem müssten die Verwaltungsbehörden sprachlich umgeschult werden. Nun schlägt Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) vor, Englisch als fünfte Amtssprache in seinem Bundesland einzuführen, neben Hochdeutsch, Niederdeutsch, Dänisch und Friesisch. „Natürlich ist die Sprache das größte Hemmnis für eine gelungene Integration“, schreibt das RedaktionsNetzwerk Deutschland dazu und meint damit das Deutsche – wobei man die Aussage auch umdrehen könnte: Wer gut Deutsch beherrscht, hat den entscheidenden Schritt zur Integration vollzogen. Zudem wird hier offenbar übersehen, dass die übrigen Amtssprachen in Schleswig-Holstein eine vollkommen andere historische Verankerung haben, die mit der Einführung von Englisch auf den Ämtern kaum vergleichbar ist. (rnd.de)


2. Gendersprache

Hessische Gründlichkeit

An Hessens Schulen gilt seit dem Frühjahr 2024 wieder die amtliche deutsche Rechtschreibung – Gendersonderzeichen dürfen weder in der Schulverwaltung noch im Unterricht verwendet werden. Dies führt nun mitunter auch zu dienstlichen Anweisungen, wenn Schulen zum Beispiel in ihren Netzauftritten solche Genderzeichen verwenden. Die Frankfurter Rundschau berichtet über einen solchen Fall an der Heinrich-von-Kleist-Schule in Eschborn. Die Schulleitung musste dafür sorgen, dass Genderzeichen auch in älteren Einträgen auf dem Instagram-Konto der Schule verschwinden. Informatiker der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) hätten dafür nun ein Programm entwickelt, das sämtliche Genderzeichen aus dem Veranstaltungsarchiv der hessischen Lehrkräfteakademie entfernt. Die Grünen im Landtag kritisierten solche Maßnahmen wegen des hohen Aufwands. (fr.de)

3. Sprachspiele: Unser Deutsch

prioritär

Wenn das Geld knapp ist, wenn das Personal fehlt, etwas zu erledigen, die Sache aber trotzdem dringlich ist – kommt neuerdings immer häufiger das Wörtchen prioritär ins Spiel. Jetzt wird eine Rangfolge aufgestellt. Ganz oben findet sich, was besonders wichtig und eilig ist. „Wir behandeln Ihr Anliegen prioritär“, heißt es dann beruhigend. Soll heißen: Du bist als erster dran. Die Sache hat absoluten Vorrang.

Das Adjektiv ist wohl eine deutsche Eigenbildung mit dem Suffix -är aus dem Substantiv Priorität, das schon im 17. Jahrhundert aus französisch priorité entlehnt wurde. Die weitere Vorgeschichte führt zu mittellateinisch prioritas, eine Ableitung von prior, dem Komparativ von primus ‚der erste‘. Prior wurde schon im 13. Jahrhundert entlehnt, in der speziellen Bedeutung ‚Vorstand eines Klosters‘, die heute kaum einer mehr kennt. Daneben begegnet Prior als umgangssprachliche Kurzform von Priorität. Die Deutsche Post hatte sich das zu eigen gemacht. Als Prior (zum Aufpreis) konnten Briefe schneller befördert werden. In meinem Postladen war aber immer nur von prioritär die Rede. Ab 1.1.2025 hat die Post diesen Service wieder eingestellt. Die Konkurrenz der digitalen Medien sei zu groß. Wer seine Briefpost trotzdem eilig ans Ziel bringen will, muss sie per Einschreiben (teurer als das frühere Prio) aufgeben. Das nützt aber gar nichts, wenn der Briefträger es nicht bis zum Briefkasten schafft. Ist seine zulässige Arbeitszeit erreicht, liefert er die restliche Post bei seiner Packstation wieder ab. Da bleibt sie bis morgen liegen. Bei uns, am Stadtrand einer kleinen Großstadt, kommt sie nur noch alle zwei, drei Tage. Hier hat offenbar die Fürsorge für die Postboten den Vorrang vor regelmäßiger Zustellung erhalten. Eine verdeckte Form von Priorität.

Was die Post bei Prior einfach verordnet hat, vollzieht sich bei dem Wortpaar Priorität und prioritär auf schleichendem Wege. Aus dem Versprechen von Vorrang und Dringlichkeit, das so Fremdwort-veredelt auftrat – der Duden nennt es ‚bildungssprachlich‘ – ist ein leeres Versprechen für Besserung, eine blasse Entschuldigung geworden. Und alles andere, was eben nicht prioritär ist, hat das Nachsehen. Wäre es nicht besser, alles zügig zu erledigen, den bürokratischen Wust zu entschlacken und auf schön klingende Ausreden zu verzichten?

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Berichte

Elbschwanenorden in Hamburg verliehen

Der Autorin, Übersetzerin und Sekretärin Heide Sommer ist am 24. September der Elbschwanenorden des VDS Hamburg verliehen worden. Der VDS zeichnet mit Sommer stellvertretend auch eine ganze Berufsgruppe aus, die im Hintergrund dafür sorgt, dass Literatur entsteht, Zeitungsartikel orthographisch richtig sind und Texte den letzten Schliff bekommen. Sommer ist dabei eine der exponiertesten Vertreterinnen ihres Berufs. Sie arbeitete für Theo Sommer bei der ZEIT, aber auch für Carl Zuckmayer, Rudolf Augstein, Joachim Fest, Günter Gaus, Fritz Raddatz, Helmut und Loki Schmidt sowie für Klaus von Dohnanyi. In ihrer Autobiographie „Lassen Sie mich mal machen“ berichtet sie über ihre Zeit bei diesen Persönlichkeiten der Literatur und Gesellschaft. Darüber hinaus ist sie auch als Übersetzerin von 21 Büchern und Theaterstücken hervorgetreten.

Übergeben wurde der Preis von Dr. Claudia Guderian, der Hamburger Regionalleiterin des VDS. Der Elbschwanenorden existiert seit 1656 und wird seit 2005 vom Verein Deutsche Sprache erneut vergeben. Bisherige Preisträger waren unter anderem Hermann Schreiber, Hellmuth Karasek, Bastian Sick und Ursel Scheffler. Fotos von der Preisverleihung gibt es in unseren Sozialen Medien: facebook.com/VDS, instagram.com/VDS, x.com/VDS)


5. Denglisch

Mehr Englisch für die Fachkräfte

Auch in Oberösterreich macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. In den kommenden Jahren droht ein Mangel von über 80.000 Fachkräften, insbesondere im IT-Bereich. Der Rat für Forschung und Technologie Oberösterreich (RFT OÖ) sieht die Lösung darin, das Land für internationale Talente attraktiver zu machen. Eine Hilfe soll hierfür die englische Sprache sein.

Englisch sei eine Schlüsselkompetenz, die als zweite Arbeitssprache verankert werden müsse, rät der RFT OÖ. Jedoch nicht nur in den Betrieben soll Englisch stärker vertreten sein. Auch in den Gemeinden, Vereinen und Clubs sollen Informationen und Angebote zusätzlich auf Englisch angeboten werden, um die internationalen Fachkräfte langfristig zu binden. Der Wirtschafts- und Forschungslandesrat Markus Achleitner unterstützt dieses Vorhaben. (ooe.orf.at)


6. Soziale Medien

Wallah Bruder, oben staubsaugen!

Wenn Eltern so sprechen wie ihre Kinder, wird’s peinlich – und zwar für die Kinder selbst! Denn die merken plötzlich, wie ungewohnt Jugendsprache wirkt, wenn sie nicht von Jugendlichen kommt. Auf TikTok zeigt die Nutzerin @blonderschmetterling was passiert, wenn sie elterliche Ansagen zum Zimmer aufräumen in der Sprache ihrer Kinder macht. (tiktok.com/blonderschmetterling)


Elmexsprutten

Der SWR und die Comedy-Gruppe Luksan Wunder haben bei Instagram weitere Wörter vorgestellt, die es im Deutschen unbedingt geben sollte. So fehle zum Beispiel „Elmexsprutten“. So sollten am besten die Zahnpastaspritzer auf dem Spiegel genannt werden. Weitere fehlende Wörter gibt es hier: instagram.com/swr3online.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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