1. Presseschau
Deutsch-deutsche Nationalausgabe
Nach 85 Jahren Arbeitszeit ist mit dem nun vorliegenden 43. Band die „Schiller-Nationalausgabe“ abgeschlossen. Ganze Generationen von Germanisten haben daran gearbeitet. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die DDR-Ideologen haben versucht, das Werk für sich zu instrumentalisieren.
Die Manuskripte und Briefe Schillers mussten anfangs mühsam zusammengesucht werden. Man habe nach dessen Tod 1805 „kleine Schnipsel als Andenken verteilt“, erklärt der Direktor des Goethe-und-Schiller-Archivs Christian Hain im Interview mit der WELT. Die Originaltexte waren „verschenkt, zerschnitten, gefälscht“, denn Schiller war schon zu Lebzeiten berühmt. Während der Zeit des Kalten Krieges war die Nationalausgabe eines der wenigen gemeinsamen Kulturprojekte der DDR und der BRD, weil die Bearbeiter in Weimar und Marbach wirkten.
25 Teilbände machen allein die rund 2.200 Briefe von und an Schiller aus. Im letzten erschienenen Band enthalten ist auch Schillers sogenannte Fieberschrift „Über den Unterschied zwischen entzündlichen und fauligen Fiebern“, die er 1780 als zweite Prüfschrift an der Hohen Karlsschule in Stuttgart einreichte. „Man staunt bei der Lektüre dieses Textes: nicht nur angesichts von Schillers souveräner Beherrschung der differenzierten Fachsprache (in die ein umfangreiches Glossar einführt), sondern auch angesichts seiner beeindruckenden Kenntnisse des medizinischen Schrifttums seit der Antike“, schreibt Frieder von Ammon in der FAZ.
Ist die „Nationalausgabe“ für das eigene Wohnzimmer gedacht? Eher nicht, gesteht Archivdirektor Hain: „Sie richtet sich schon an ein Fachpublikum.“ (faz.net, welt.de)
Studenten fällt das Lesen schwer
Der Osnabrücker Leseforscher Christian Dawidowski erklärt, dass die Lesekompetenz von Studenten in den vergangenen Jahren stark gesunken sei. Als Grund hierfür sieht er das digitale Arbeiten an den Universitäten. Durch das Lesen von Texten am Bildschirm lasse die Konzentration nach. Er vermutet zudem, dass das Ablenkungspotential beim Arbeiten mit digitalen Geräten zu groß sei. Auch das Merkvermögen sinke, wenn man Texte digital liest.
Feinheiten wie das Lesen zwischen den Zeilen und somit auch die tiefergehende Bedeutung eines Textes gingen ebenfalls verloren, erklärt Dawidowski. Auch das Nutzen Künstlicher Intelligenzen (KI) trage hierzu bei. Die Studenten nutzten die KI-Programme, um Texte zusammenzufassen, Literaturrecherche zu betreiben oder ganze Aufsätze zu formulieren. Tiefergehende Gedanken entstünden somit nicht mehr, da KI-Systeme oftmals nur oberflächlich arbeiten und nicht zwischen den Zeilen lesen können.
Die Universität Osnabrück berät sich momentan, wie man die klassischen Hausarbeiten anpassen könne, um derartige Probleme zu vermeiden. Ein Verzicht auf schriftliche Hausarbeiten sei nicht möglich, jedoch überlege man, ob man die schriftlichen Arbeiten fortan mit mündlichen Prüfungen kombinieren könne. (ndr.de)
Menschen passen sich den Maschinen an
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung liefert nun Belege dafür, dass KI-Modelle wie ChatGPT menschliche Sprache beeinflussen und verändern. Forscher vermuteten dies bereits, nun beweisen die neuen Forschungsergebnisse diese Theorie. Die internationale Forschergruppe um Hiromu Yakura durchsuchte rund 280.000 englischsprachige Youtube-Videos akademischer Institutionen nach „typischen KI-Wörtern“. In früheren Studien wurde bereits festgelegt, dass Wörter wie „to delve“ (ergründen), „realm“ (Bereich), „meticulous“ (akribisch) oder „adept“ (versiert) typischer „KI-Sprech“ seien. Diese Annahme galt bisher jedoch nur für schriftliche Aufsätze. Die neue Studie zeigt, dass die Verwendung dieser Begriffe auch in der gesprochenen Sprache teilweise um bis zu 51 Prozent gestiegen sei. Zudem gab es bei den untersuchten Videos keine Anzeichen des Ablesens, die KI-Sprache wurde spontan übernommen. Diese Erkenntnis sei bemerkenswert, da sich allmählich das menschliche Verhalten an die Maschinen anpasse, nicht umgekehrt. (heise.de)
Verkanntes Französisch
Nur knapp 15 Prozent der Schüler in Deutschland lernen Französisch. Dabei verbesserten Französischkenntnisse die Karrierechancen und seien ein gefragtes Gut auf dem Arbeitsmarkt, berichtet das Handelsblatt. Zwar sei Französisch noch vor Latein und Spanisch die am zweithäufigsten belegte Fremdsprache nach Englisch, jedoch gebe es im gesamten Bundesgebiet weiterhin nur knapp 1,3 Millionen Französischlerner. Auch innerhalb der Bundesländer schwanken die Zahlen deutlich. Im Saarland lerne jeder zweite Schüler Französisch, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg jeder vierte. Im gesamten Rest der Republik sei das Interesse an Französisch viel geringer und auch Schüleraustauschprogramme nach Frankreich hätten immer weniger Teilnehmer: Die meisten Schüler zögen es vor, ins englischsprachige Ausland zu reisen. Dabei seien gute Französischkenntnisse oder längere Lernaufenthalte in Frankreich gefragt und eine besondere Eigenschaften für den Arbeitsmarkt. Multinationale Unternehmen wie Peugot, Opel, L’Oréal oder Axa und auch EU-Institutionen legten Wert auf Französischkenntnisse. (handelsblatt.com)
2. Gendersprache
Gendern verärgert Zuschauer
Die Kriminalfilmreihe Polizeiruf 110 wird seit 1971 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt und erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Die neueste Episode, die am vergangenen Sonntag ausgestrahlt wurde, sorgte jedoch für Verärgerung bei den Krimi-Liebhabern. Grund dafür ist die Verwendung der Gendersprache. Die Kommissare forderten im Laufe der Episode, dass „ein paar Kolleg*innen“ gerufen werden sollen. Im Internet äußerten sich Zuschauer verärgert über die Sprache der fiktiven Kommissare. „Bis auf das Gendern war das ein sehr guter Krimi“, sagt die Zuschauerin Ute Pohl. (t-online.de)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Altparteien
Das Wort wird immer im Plural benutzt, ein Schmähwort der AfD für alle übrigen Parteien der Bundesrepublik. So sehen es die Betroffenen. Oder ist es gar keine Schmähung? Ist es nur eine Charakterisierung aller Parteien, die es gab, bevor die AfD gegründet wurde, als ‚Alternative‘ – eben zu jenen Parteien?
Was es mit alt- auf sich hat, zeigen die vielen Verwendungen. Es gibt zwei Hauptgruppen. Bei der einen erhalten Amtsbezeichnungen diesen Zusatz, um einen ehemaligen Amtsinhaber zu benennen: Altbundeskanzler, Altbundespräsident, Altkanzler usw. Der betreffende ist nicht mehr im Amt, alt steht hier für ‚ehemalig‘, für ‚gewesen‘. Es geht immer um Ämter und Personen. Anders bei der häufigsten Verwendung, wo Materialien wie Eisen, Glas, Papier, Wasser das Grundwort bilden in Alteisen, Altöl, Altglas, Altwasser usw. Hier erhalten die Produkte durch alt- eine zusätzliche Bedeutung. Altöl ist verbrauchtes Öl, ebenso Altglas und Altpapier, das man nur in den Altglasbehälter oder in die blaue Tonne werfen kann. Es hat sich hier schon eine präfixartige reihenmäßige Verwendung gebildet. Hier kann Altparteien anschließen. Parteien, die ihren Zweck erfüllt haben, jetzt unbrauchbar sind. In dieser Parallele liegt offenbar die abschätzige Verwendung durch die AfD. CDU und CSU, SPD, Grüne, Linke – sie alle sollen damit als ehemalige, als verbrauchte, heute nicht mehr benötigte Parteien dargestellt werden. Sozusagen das Alteisen aus früheren Parlamenten. Zum Glück ist es nur ein Schimpfwort, das auch ihre Verwender charakterisiert.
Ähnlich steht es mit dem Wort Lügenpresse.Dass Zeitungen angeblich lügen, ist ein alter Vorwurf, seit es Zeitungen gibt. Das Kompositum Lügenpresse begegnet uns aber erst, seit das Grundwort Presse in der Bedeutung ‚Gesamtheit gedruckter Zeitungen und Zeitschriften‘ um 1850 aus französisch presse entlehnt wurde. Als erste nutzen katholisch-konservative Kreise das Wort Lügenpresse in ihrer Polemik gegen alles, was die neue Pressefreiheit seit der Märzrevolution erlaubte. Im Ersten Weltkrieg diente Lügenpresse als Vorwurf gegen ausländische Zeitungen, die den Deutschen Kriegsverbrechen vorwarfen. In der Nazizeit werden alle liberalen und linken Zeitungen damit gebrandmarkt. Die DDR benötigt Lügenpresse gegen alle westdeutschen Zeitungen. Später schimpften Pegida-Protestanten gegen die Lügenpresse. 2014 wird Lügenpresse zum Unwort des Jahres gewählt. Die kleine Auswahl an Verwendungen, die durch Wikipedia gut dokumentiert ist, zeigt: Dies Schimpfwort ist eine vielseitig verwendete Waffe gegen unliebsame Publikationen einer gegnerischen Seite. Auch hier gilt: Wer Lügenpresse benutzt, will nur schimpfen, nicht argumentieren.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
4. Kultur
Intensiv Niedersorbisch
Das Sprachprojekt Zorja im brandenburgischen Dissen zeigt, wie eine bedrohte Sprache wie das Niedersorbische durch gezielte Förderung wiederbelebt werden kann. Unterstützt durch ein Stipendium lernen die Teilnehmer zehn Monate lang von montags bis freitags in Intensivkursen die bedrohte Sprache. Projektleiter Maximilian Hassacky bezeichnet es als ein „einzigartiges Pilotprojekt“. Ziel des Projekts sei es, bis 2050 rund eintausend neue niedersorbische Sprecher auszubilden. Die Teilnehmer der bald endenden zweiten Auflage hätten dabei unterschiedliche Voraussetzungen mitgebracht: Einige seien Anfänger ohne Vorkenntnisse gewesen, andere jedoch hätten die Sprache bereits in der Schule oder von den Eltern gelernt, erklärt Hassacky. Im Herbst startet die dritte Runde des Projekts. Zorja wird über Strukturwandelmittel des Bundes finanziert und laut Organisatoren sei die Anfrage auf die begehrten Plätze hoch. (rbb24.de)
KI versteht Jugendsprache nicht
Sheesh, Künstliche Intelligenz kommt auf Jugendsprache low key gar nicht klar. Oder auch: Die Künstliche Intelligenz (KI) hat Probleme, Jugendsprache zu verstehen. Damit hat sie das gleiche Problem wie die Elterngeneration der aktuellen Gen Alpha (Generation Alpha, seit 2010 Geborene). Das liegt aber nicht nur an bestimmten Wörtern, wie es sie schon immer in der Jugendsprache gab, um sich von den älteren Generationen abzugrenzen. Vielmehr nutzen junge Menschen heute eine Mischung aus deutschen und englischen Begriffen sowie Memes (also kleine Bilder, die eine Situation darstellen) bzw. deren verschriftlichte Form.
Eine 14-Jährige untersuchte 100 typische Phrasen und ließ sie von mehreren KI-Programmen sowie Eltern auf ihre Verständlichkeit hin prüfen. Das Ergebnis: Die KI-Programme und Eltern schnitten ungefähr gleich schlecht ab, sie konnten viele Phrasen nicht korrekt einordnen. Das Problem wird vor allem dann deutlich, wenn es um Gefahrenerkennung im Internet geht: „Wenn weder Menschen noch Maschinen wirklich verstehen, was in der Kommentarspalte eines 12-Jährigen abgeht, bleibt Online-Mobbing oft unentdeckt“, heißt es auf dem Onlineportal watson.de. (watson.de)
5. Berichte
Noch freie Plätze für Online-Seminar „Erfolgreich verhandeln“
Für das Online-Seminar „Erfolgreich verhandeln“ am Samstag, dem 12. Juli (9:00 Uhr bis ca. 16:00 Uhr) sind noch Plätze frei (30 Euro für Vereinsmitglieder, 50 Euro für Externe). In 4 x 90 Minuten erhalten die Teilnehmer wertvolle Tipps für ihren Alltag: Sie erfahren etwas über Verhandlungs-Bremsen, psychologische Verhandlungsmodelle, weiche und harte Techniken der Verhandlungsführung sowie über Manipulationstechniken. Prof. Dr. Bruno Klauk, kooptiertes Mitglied des Bundesvorstands und Außenbeauftragter des VDS, wird das Seminar in interaktiver Form leiten. Im Nachgang der Veranstaltung erhalten die Teilnehmer eine
Teilnahmebescheinigung.
Das Seminar wird am Samstag, dem 22. November 2025 erneut angeboten.
Die Anmeldung (bis 1. Juli) erfolgt über die Netzseite des VDS: vds-ev.de.
Neue Radiosendung
Die VDS-Regionalgruppe Bergisch-Land hat eine neue Radiosendung fertiggestellt. Es geht darin um zwei Themen: Bei einem Spaziergang durch Remscheid werden denglische Namen und Schilder kommentiert. Im zweiten Teil folgt ein Gespräch über die Gendersprache mit Dr. Matthias Holzbach. Pressezitate, Hörerzuschriften und deutschsprachige Musik runden die Sendung ab. Die Sendung läuft am Sonntag, 29.06.2025, um 19 Uhr (nach den Nachrichten) auf Radio RSG auf UKW (FM) 92,2 Mhz, 94,3 Mhz, 107,9 Mhz oder im Webradio des Senders.
6. Denglisch
No English in Russland please
In Russland steht ein Gesetz gegen Anglizismen kurz vor der Verabschiedung. Mehrere Lesungen hat es dazu bereits in der Staatsduma gegeben, vor zwei Jahren war es erstmals eingebracht worden. Dem russischen Präsidenten geht es dabei vor allem um Wörter aus dem englischen Sprachraum, die in der Geschäftswelt Fuß gefasst haben, wie z. B. „sale“, „coffee“ oder „special offer“. Putin verlangte in einer Duma-Sitzung, historische kyrillische Buchstaben zu verwenden, „keinen Brei aus lateinischen und anderen Symbolen“.
Kritiker wenden ein, dass Sprache sich wandle, zudem würden englische Begriffe auch von Touristen verstanden und so die Attraktivität der Geschäfte gesteigert. Rein russische Begriffe, dann noch mit kyrillischen Schriftzeichen, wirkten ablehnend, das gelte es zu verhindern. Im kommenden März will der Föderationsrat endgültig über das Gesetz entscheiden. (sueddeutsche.de)
7. Soziale Medien
Von Felsgrütze und Reisschlamm
Das Satireportal Postillon hat zur Erheiterung der Internetgemeinde einen etwas älteren Artikel erneut gepostet. Darin wurden italienische Wörter auf eine humoreske Art übersetzt, um sie anschaulicher zu machen. Aus Lava wurde Felsgrütze, die Mafia wurde zur Drohgenossenschaft. (der-postillon.com, facebook.com/vds, x.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel