1. Presseschau
Deutsch in Namibia
Die heute in Namibia lebenden Nachfahren von Einwohnern der von 1884 bis 1915 bestehenden Kolonie Deutsch-Südwestafrika pflegen Deutsch als Muttersprache im ansonsten vielsprachigen Namibia. Deutsch hat dort die Stellung einer Minderheitensprache und wird von rund 20.000 Personen gesprochen, das ist 1 % der Gesamtbevölkerung. Es gibt eine deutsche Kirche, deutsche Straßennamen, deutsche Geschäfte und eine deutschsprachige Zeitung. Ein aktuelles Forschungsprojekt der Fern-Universität Hagen fragt nach dem sprachlichen Selbstverständnis der Minderheit. Die Historikerin Almut Leh interessiert vor allem, ob es in dieser Gruppe eine gemeinsame Identität gibt und was für sie Deutsch- oder Namibier-Sein bedeutet. Dazu befragte sie auf einer Forschungsreise 24 Gewährspersonen. Manche hätten gar keine Verbindung nach Deutschland – aber allen sei die deutsche Sprache wichtig, so die Forscherin. Besonders durch die Nutzung deutschsprachiger Medien sei die Variante des Deutschen sehr aktuell. (nachrichten.idw-online.de)
Schreibschrift? Pah, Humbug!
Matteo Feind, Vorsitzender des Landesschülerrats (LSR) Niedersachsen, hält die Schreibschrift für „überholt und realitätsfern“: „Statt doppelte Energie in eine auslaufende Schriftform zu stecken, sollte gezielt der sichere Umgang mit digitalen Schreibwerkzeugen gefördert werden.“ Tastaturen hätten den Stift in vielen Fällen schon abgelöst. Seine Stellvertreterin Liv Grohn sieht die Grundschrift ebenfalls als ausreichend an, um Schülern eine individuelle Handschrift zu ermöglichen: „Wir warnen davor, die Schreibschrift künstlich als Kulturgut zu verklären. Kultur bedeutet auch, sich weiterzuentwickeln.“ Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Niedersachsen kann diese Sicht nicht teilen. Mit der Hand zu schreiben habe eine große Bedeutung für den gesamten Bildungs- und Lernprozess der Kinder und Jugendlichen, sagt der Landesvorsitzende Franz-Josef Meyer. Die Druckschrift reiche eben nicht aus, um die Kinder zum flüssigen und individuellen Schreiben zu befähigen, die Abschaffung der Schreibschrift hätte fatale Folgen für die Entwicklung der Schrift und der Schreibkompetenz.
Der VDS hat zu dem Thema auf der Delegiertenversammlung ein eigenes Positionspapier entwickelt, siehe Berichte. (news4teachers.de, bild.de)
Tag der Leichten Sprache
Der MDR hat zum Tag der Leichten Sprache am 28. Mai einen neuen WhatsApp-Kanal für Nachrichten in Leichter Sprache gestartet. „MDR leicht“ sei bislang einzigartig in der Medienlandschaft und richte sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten, an funktionale Analphabeten und an gehörlose Menschen. Er gilt als Ergänzung der bisherigen Online-Kanäle und bringt Nachrichten zu den Themen Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Die Stadt Potsdam hat den Tag der Leichten Sprache zum Anlass genommen, um zu prüfen, wie barrierefrei die Stadt in diesem Bereich ist. Seit 2018 schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz vor, dass öffentliche Stellen auch Leichte Sprache verwenden sollen. Die Internetseite der Stadt nutze Leichte Sprache, ebenso die Stadt- und Landesbibliothek. Auch mehrere Museen und die Universität Potsdam nutzen Leichte Sprache auf ihrer Internetseite bzw. bieten entsprechende Führungen an. Anders sehe es bei Behördenleistungen aus: Bisher seien nur wenige Anträge in Leichter Sprache erhältlich. Problematisch ist manchmal, dass die Übersetzungen in Leichte Sprache nicht von Betroffenen geprüft würden. „Da werden dann manchmal Texte produziert, die an der Zielgruppe vorbei gehen“, sagt Manuela Schulz, ausgebildete Dolmetscherin für Leichte Sprache. Auch das Auffinden von Angeboten in Leichter Sprache sei nicht immer einfach, so Schulz: „Es ist schön, wenn es zum Beispiel Programmhefte oder Ähnliches in Leichter Sprache gibt, aber die Frage ist, wie die Zielgruppe mitbekommt, dass es diese Angebote überhaupt gibt?“ (mdr.de, tagesspiegel.de (Bezahlschranke))
Mangelnde Lesekompetenz der Studenten
Michael Sommer, Professor für Alte Geschichte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, bemängelt im Gespräch mit der Welt die massiven Defizite der Studenten beim Lesen und warnt vor einer „Gesellschaft von strukturellen Analphabeten“.
An den deutschen Universitäten sei ein allgemeiner Leistungsabfall zu beobachten, erklärt der 55-Jährige, und ein Großteil der Studenten sei nicht mehr kompatibel mit den Erwartungen, die eine akademische Institution an Studenten habe. Viele Studenten erfüllten die Grundvoraussetzungen nicht und hätten auch kein Entwicklungspotential. Die Ursachen hierfür seien vielfältig, aber insbesondere Schwierigkeiten beim Lesen erschwerten den Studenten den Universitätsalltag. Jüngere Studenten schafften es laut Sommer nicht mehr, sich mit mittelschweren Texten auseinanderzusetzen.
Neben der mangelnden Leseförderung im frühkindlichen Bereich sieht Sommer auch die „Leistungsfeindlichkeit“ in Deutschland als zunehmenden Faktor für das sinkende Niveau. Sommer argumentiert sogar, dass es besser wäre, die Anzahl der Studenten um etwa die Hälfte zu verringern, um ein funktionsfähiges, universitäres System aufrechtzuerhalten.
Die Krise des Lesens sei Teil eines größeren Problems: das Fehlen von intellektuellen Ambitionen. Durch die mangelnde Lesekenntnis sei nicht nur die Leistungsfähigkeit der Studenten verringert, sondern auch das kritische Denken bzw. die Kritikfähigkeit nähmen stetig ab, so Sommer. (welt.de (Bezahlschranke))
Psalmen in Leichter Sprache
Sonja Hillebrand, Theologin im Bischöflichen Münsterschen Offizialat (BMO) Vechta, hat ihre Doktorarbeit den Psalmen gewidmet. Sie möchte die Bibel auch jenen zugänglich machen, die geringe Sprachkenntnisse haben oder beim Lesen oder Hören beeinträchtigt sind. In den Psalmen werde ein sehr bildlicher Sprachstil verwendet, so Hillebrand: „Sie weisen Merkmale auf, die auf den ersten Blick allen Anforderungen der Leichten Sprache widersprechen.“ Man spreche über etwas, an das man glaube, und das sei oft nur mit Bildworten möglich. Leichte Sprache fordere vom Übersetzer, auf Metaphern zu verzichten, dabei gleichzeitig aber den Text sprachlich zugänglich zu machen, ohne seine theologische Aussage und sein poetisches Wesen zu verfremden.
Im Kontext von Werbung habe sich die Methode der Transkreation etabliert. Der Begriff ist ein Kunstwort aus den englischen Wörtern „Translation“ für Übersetzung und „Creation“ für den schöpferischen Prozess. Am Beispiel von Psalm 113 zeige sich, wie die Methode angewendet wird. „Halleluja“ sei für viele Gläubige nicht nur ein Wort, auch eine bestimmte Stimmung schwinge mit. Das Gefühl zu transportieren sei wichtiger als eine wörtliche Übersetzung. Hillebrand übertrug den Passus also wie folgt in Leichte Sprache: „Ich lobe Gott. Ich singe Halleluja.“ (om-online.de)
2. Gendersprache
Keine Energie
Die Krimi-Autorin Donna Leon bricht auch in der deutschen Version ihres neuen Buches „Backstage“ eine Lanze für die geschlechtsübergreifenden Standardformen des Deutschen und schreibt etwa „Schriftsteller“ oder „Leser“. Sie habe keine Energie, sich über Sprachformen aufzuregen, die es seit ein paar tausend Jahren gibt, so Leon gegenüber der dpa. (merkur.de)
Ursprung der doppelten Anrede
Die taz greift einen älteren Artikel aus der WELT an, in dem behauptet wurde, Adolf Hitler habe die Doppelform „Volksgenossen und Volksgenossinnen“ als Anrede erfunden. Dieses „beschworene sprachpolitische Ereignis“ sei keines, so die taz. Auch auf SPD-Parteitagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei die Anrede „Genossen und Genossinnen“ selbstverständlich gewesen. Dies sei in Wortlautprotokollen belegt, die über die Netzseite der Friedrich-Ebert-Stiftung abrufbar seien. Allerdings entkräftet dieser Fund nicht die in dem WELT-Artikel zitierte Interpretation der Historikerin Sibylle Steinbacher, die in der Doppelnennung eine agitatorische Absicht Hitlers sah. (taz.de)
3. Sprachspiele: Neues aus dem Wort-Bistro
Aus dem Nähkästchen plaudern
An dieser Stelle muss ich Ihnen einmal etwas aus meinem Privatleben erzählen. Ja, ich plaudere jetzt tatsächlich einmal aus dem Nähkästchen, wenn ich Ihnen erzähle, dass mir ein Umstand wie ein zentnerschweres Walross am Bein hängt. Es fällt mir schwer, Entscheidungen zu treffen. Bis ich mich im Supermarkt entschieden habe, welche Marmeladensorte ich mitnehme, ist das Verfallsdatum abgelaufen. Da stehe ich stundenlang am Regal und betrachte ein Marmeladenglas nach dem anderen, prüfe, überlege, die Lichter gehen aus, der Laden schließt, sie gehen wieder an, der Laden öffnet und ein Student, der im Geschäft seinen Frühdienst schiebt, sagt überrascht: „Ach, Sie sind ja gar keine Schaufensterpuppe“.
Kürzlich habe ich in einem Kiosk eine Servicezeitschrift erblickt. Das Titelthema lautete „Entscheidungen treffen“. Mein erster Gedanke: „Prima, genau das Richtige für mich. Diese Zeitschrift muss ich haben“. Zweiter Gedanke: „Aber, naja, … eigentlich ahne ich ja schon, worüber die schreiben. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung, die schlechteste Lösung ist, nichts zu entscheiden, blabla, … ich brauche die Zeitschrift nicht. Außerdem kostet sie fast zehn Euro“. Gleich darauf aber kam mir ein dritter Gedanke: „Aber vielleicht ist in dieser Ausgabe ein erstklassiger Tipp zum Thema, der mir neu ist“. Sie merken, wie hin- und hergerissen ich war. Da stand ich nun, zögerte und zauderte, eine Zeitschrift mit dem Titelthema „Entscheidungen treffen“ zu kaufen. Der Titel war einfach falsch gewählt. Er hätte lauten müssen: „Kauf das, Du Depp!“. Dann hätte ich sicherlich zugegriffen.
Da ich nun aus dem Nähkästchen geplaudert habe, darf ich mit Ihnen noch die Herleitung zur Redensart teilen. Offenbar geht sie auf Damen zurück, die im 19. Jahrhundert geheime Briefe oder Zettel, die niemand sehen sollte, in ihrem Nähkästchen abgelegt haben, wo der Herr Gemahl niemals nachsehen würde. Ich als Gatte hätte vermutlich damals entscheidungsschwach vor dem Nähkästchen gestanden und hätte gedacht: „Soll ich öffnen? Oder nicht?“. Bis dahin hätte ich gewiss den Faden verloren.
Philipp Kauthe
Radio-Journalist, Buchautor, Podcast „Schlauer auf die Dauer“ (philipp-kauthe.de)
4. Berichte
Deutsche Sprachtage in Gera
Drei vortreffliche Tage mit abwechslungsreichem Programm sind vorbei. Am vergangenen Wochenende trafen sich knapp 180 Delegierte aus Deutschland und aller Welt zu den Deutschen Sprachtagen in Gera. Die Bildungsfahrt am Donnerstag führte von der Osterburg Weida bis zur Köstritzer Schwarzbierbrauerei, am Freitag gab es Arbeitsgruppen, u. a. zu Lyrik, Anglizismen und zum Deutschunterricht an Schulen. Anschließend folgte die offizielle Eröffnung der Sprachtage im Rathaus der Stadt Gera mit einem kundigen Vortrag von Bernd Kemter von der Goethe-Gesellschaft, untermalt von Musikern der Musikschule Heinrich Schütz.
Am Samstag schließlich wurde auf der Delegiertenversammlung der neue Bundesvorstand des VDS gewählt, außerdem wurde eine Erklärung zur Schreibschrift verabschiedet. Fotos und einen Film vom Wochenende gibt es auf unseren Kanälen in den Sozialen Medien. (facebook.com/vds, facebook.com/vds, instagram.com/vds, instagram.com/vds, tiktok.com/vds)
Schreibschrift vor Druckschrift!
Schreibschrift soll wieder die erste Schrift sein, die an Schulen gelehrt wird. Das ist die Forderung der Delegierten auf der diesjährigen Delegiertenversammlung am vergangenen Wochenende in Gera. Schulen sollten als erstes die verbundene Schreibschrift lehren, um das Potenzial von Kindern nicht zu vergeuden. „Die verbundene Handschrift ist essenziell wichtig, um Wörter als eine echte Einheit zu begreifen“, sagt Claus Günther Maas, Leiter der AG Deutsch in der Schule, „die Schreibschrift schult zudem die Feinmotorik der Hand und sorgt dafür, dass Gedanken besser aufs Papier fließen können.“ (vds-ev.de)
5. Denglisch
Verbal Identity
Firmen nutzen Künstliche Intelligenz (KI), um Werbebanner zu entwickeln, Grafiken zu erstellen und ihre Netzseiten zu entwerfen. Doch einigen Unternehmern ist dies noch nicht genug. Julius Jäger, Strategiedirektor der Werbeagentur Jung von Matt, erklärt, dass Künstliche Intelligenz auch eine sprachliche Markenidentität schaffen könne. Zusammengefasst hat er dies unter dem englischen Begriff „Verbal Identity“.
Die „Verbal Identity“ einer jeden Firma sei laut Jäger eine Grundbedingung für gelungene Markenkommunikation. Diese sprachliche Markenidentität beziehe sich nicht nur auf die Kommunikation mit den Kunden oder der Zielgruppe, sondern solle auch für die interne Kommunikation, also automatisch generierte E-Mails, Chatverläufe und Systemhinweise gelten. Das Entscheidende hierfür seien klare sprachliche Vorgaben, die der KI zugeführt werden müssen. Denn Generative Sprachmodelle wie ChatGPT wählten nur das wahrscheinlichste nächste Wort und die dadurch entstehenden Texte hätten keinen besonderen Wiedererkennungswert oder Individualität.
Die sogenannte „Verbal Identity“ könne laut Jäger dafür sorgen, dass Marken eigenständig und besonders bleiben. Für diese sprachlichen Richtlinien eines Unternehmens, die man im Deutschen auch „Tonalitätsvorgaben“ nennen könnte, benötige man keine sprachlich versierten Mitarbeiter, sondern die Künstliche Intelligenz könne diese Aufgabe gänzlich übernehmen. (markt-kom.com)
6. Soziale Medien
KI versagt
Dass die Künstliche Intelligenz (KI) nicht immer unbedingt intelligent ist, zeigt bei Threads die Nutzerin @susanne.m.riedel. Sie fragte, welches Wort sich im Deutschen auf „Monsun“ reimt. Laut der KI, die sie genutzt hat, sind das Uhr, Fahrrad und Garten. (threads.com/susanne.m.riedel)
Katoffenschif
Bei Threads postete die Grundschullehrerin @zimtsternla.81 das Foto eines Zettels, auf das ein Kind „Katoffenschif“ geschrieben hatte. Sie sei als Lehrerin bereits einiges gewohnt, aber das habe länger gebraucht, um von ihr entziffert zu werden. Auflösung: Es sollte „Kartoffelchips“ heißen. In den Kommentaren schwankten die Menschen zwischen humoristischem Kopfnicken und der Frage, warum Kinder heutzutage so schlecht schreiben können. (threads.com/zimtsternla.81)
Boomerwort des Jahres 2025
Vor einem Jahr suchte der Student Levi Penell, der vor allem bei Instagram und TikTok aktiv ist, das Boomerwort des Jahres. Das sollte ein Wort sein, das die typische Boomer-Generation (zwischen ca. 1946 und 1964 Geborene) widerspiegelt. Vergangenes Jahr wurde es „Sportsfreund“, der diesjährige Sieger ist „Baujahr“ als Ersatz für das Geburtsjahr eines Menschen. (instagram.com/tagesscheiss-levipenell, rp-online.de)
Dolnisch
Bei TikTok erklärt der Nutzer Mateusz (@stach_mat), wie er als Deutsch-Pole beide Sprachen wahrnimmt. Auf dem Kanal von @kokopol.eu sagt er, dass viele seiner eigenen Videos mit dem „Dolnisch“ zu tun haben, also einer Verschmelzung des Polnischen mit dem Deutschen, das viele ausgewanderte Polen in Deutschland sprechen. Die „Tüte“ (im Sinne von Einkaufstasche) wird zu „Tutka“, bei Hinweisen, dass man irgendwo hingeht, wird eine auf einen Vokal endende Verlängerung angefügt, z. B. idę do Aldika, idę do Arbeitsamtu – dies wiederum werde in Polen nicht verstanden, weil es dort eigene Wörter dafür gibt. Er selbst liebe diese Wörter, so Mateusz, es sei ihm eine wahre Freude, sie zu suchen. (tiktok.com/kokopol.eu)
7. Buchwelt
Aus Versehen Stasi-Täter
Er galt jahrzehntelang als Stasi-Täter und war in Wirklichkeit ein Opfer. Und das nur, weil ein Journalist ein Buch nicht richtig erfassen konnte. Kurz nach der Wende schrieb unser VDS-Mitglied Reinhardt O. Hahn die Novelle „Ausgedient: Ein Stasi-Major erzählt“. Darin erzählt er die Geschichte eines Nachbarn, der Beamter im Ministerium für Staatssicherheit gewesen war. Im Zusatz zum Titel stand „Notiert von Reinhardt O. Hahn“. Ein Journalist der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) rezensierte das Buch, verstand aber nicht, dass nicht Hahn der Stasi-Beamte war, sondern eine andere Person. In der Rezension wurde dann Hahn als Ich-Erzähler markiert, die Geschichte seines Nachbarn wurde zu seiner.
Jahrzehntelang ist ihm das nicht aufgefallen, erst im Oktober 2024, als sein Name in den Topf zum Lutherpreis „Das unerschrockene Wort“ geworfen wurde, nahm die Enthüllung ihren Lauf. Schnell wird er abgelehnt, nach der Sitzung verrät ihm ein Bekannter mit gutem Draht zum Stadtrat, er solle mal nach Leichen in seinem Keller suchen. Hahn sucht und wird fündig: bei der Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft, die die Opposition der DDR beleuchtet und auch Unterlagen über Täter der DDR-Zeit sammelt. Und hier fiel den Rechercheuren irgendwann der Artikel über Hahns Buch in die Hände, seitdem wurde er als Täter geführt. Hahn selbst kann sich jetzt erklären, warum ihm in den letzten 30 Jahren so oft Steine in den Weg gelegt wurden. Es gab keine Einladungen zu Lesungen, selbst Kredite wurden ihm nicht eingeräumt, mutmaßlich, weil die potenziellen Kreditgeber ebenfalls auf seine vermeintliche Biografie stießen.
Nach Rückfragen bei der Havemann-Gesellschaft räumte diese den Fehler schnell ein und entschuldigte sich bei Hahn, im Welt-Artikel selbst klingt dies jedoch nur halbherzig. Tragisch ist die Geschichte vor allem, weil Hahn genau das Gegenteil vom Täter war. Als Halbwaise plötzlich hinter dem Grenzzaun gefangen, wollte er fliehen, wurde gefasst und verprügelt. Später ist sein literarischer „Hauskreis Hahn“ der Stasi suspekt, er wird zur Bezirksleitung gebracht, wo man ihm klarmacht: Wenn der literarische Kreis nicht endet, droht ihm der Stasi-Knast. Mittlerweile hat Hahn mehrere Bücher zur Verfolgung in der DDR-Diktatur geschrieben, kennt er sich damit doch tragischerweise bestens aus. (welt.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel