1. Presseschau
Deutschkenntnisse von Kindern
In der Sendung von Markus Lanz berichtete kürzlich eine Grundschullehrerin aus Wiesbaden, dass Schulkinder die deutsche Sprache kaum noch beherrschen würden, selbst einfache Begriffe seien für sie unverständlich. Viele wüssten nicht, was eine Hecke oder ein Bach sei, Kinderbuch-Klassiker wie „Pünktchen und Anton“ oder „Emil und die Detektive“ würden von Grundschülern nicht mehr verstanden. Neben der sozialen Entwicklung seien auch die sprachlichen Fähigkeiten immer mehr ins Hintertreffen geraten. Teilweise könnten Kinder bis zum Ende der Grundschule weder richtig lesen noch schreiben.
Einer der Gründe sei sicherlich die Migration, so die Lehrerin, aber auch Kinder, die in Deutschland geboren sind, seien der Sprache oft nicht mächtig. Sie kritisiert, dass viele Eltern ihre Kinder sprachlich vernachlässigten, ihnen vieles nicht erklärten, nicht genügend mit ihnen in die Natur gingen, wo es etwas zu entdecken gebe. Kinder würden verstärkt sich selbst überlassen. Gerade Kinder, die zugewandert seien, müssten früh genug in den Kindergarten, um auch sprachlich auf die Schule vorbereitet zu werden, sagte der Integrations-Experte Ahmad Mansour, der ebenfalls Gast der Lanz-Sendung war. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) pflichtete ihm bei. Sie forderte, dass Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschten, eine verpflichtende Sprachförderung bekommen – entweder vor der Einschulung im Kindergarten oder zu Beginn der Grundschule.
Im Bild-Interview am Tag darauf konkretisierte Prien ihre Forderungen. Die einzelnen Länder müssten mehr in die frühkindliche Bildung investieren, um den Kindern einen erfolgreichen Bildungsweg zu ermöglichen. Sprachstandserhebungen seien nötig, um den anschließenden Förderbedarf zu erfassen, für die Umsetzung seien dann die Länder zuständig. Generell bemängelte sie, dass Kinder heute weniger von dem können, was früher selbstverständlich war: „Schuhe zubinden, Fahrrad fahren, schwimmen. Wir müssen gesellschaftlich in eine Debatte kommen, was Aufgabe von Eltern ist: Vorlesen, mit Kindern Ball spielen.“ Kommunikation innerhalb der Familie sei unverzichtbar. (bild.de, bild.de)
Verharmlosungen in Kriegszeiten
Die Sprache rund um Kriege und deren Auswirkungen ist steril geworden. Zu diesem Schluss kommt Nils Minkmar in der Süddeutschen Zeitung. Begriffe wie „Kollateralschaden“ oder „zivile Opfer“ spiegelten nicht die Grausamkeiten wider, die wirklich hinter ihnen steckten, das Grauen würde herausgefiltert. Als einen Grund sieht Minkmar die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der die Sprache geradezu darauf aus war, die Gefühle anzusprechen und Menschen vom Krieg zu überzeugen. Die Nazis „nutzten alle Register der aufwühlenden Kommunikation, pflegten den Opferkult, missbrauchten Mitleid und schürten Angst und Hass, wo es nur ging. Seitdem ist in der deutschen Politik eine sachliche, nüchterne Sprache Pflicht.“ Mit den Jahrzehnten sei eine Distanz entstanden, die sich auch in der Sprache über Krieg niederschlage. (sueddeutsche.de (Bezahlschranke))
KI richtig nutzen
KI-generierte Texte klingen oftmals sperrig und gestelzt. Dieser Auffassung ist auch die Journalistin und Sprachberaterin Anne-Kathrin Gerstlauer. Im Gespräch mit t3n.de erklärt sie jedoch, dass dies meist an der falschen Nutzung der KI-Programme liege und man tatsächlich seinen eigenen Sprachgebrauch durch KI-Systeme verbessern könne. Zunächst müsse die KI erfolgreich trainiert werden, denn die Programme lernen durch vorgegebene Texte. Sie empfiehlt vier bis fünf Beispieltexte hochzuladen, an denen sich das System orientieren könne. Weiterhin seien einige grundlegende Sprachregeln zu befolgen. Sie empfiehlt kurze Sätze, keine Füllwörter im Text, aktives Schreiben und die Vermeidung des Nominalstils. Ebenfalls müsse man sich mit den einzelnen KI-Programmen genauer vertraut machen. So sei Microsoft Copilot nicht für die Texterstellung geeignet, sondern für Präsentationen. Das KI-Programm Claude generiere zudem bessere Texte als ChatGPT, welches insbesondere durch seine Oberflächlichkeit beim Verarbeiten und Generieren von Texten auffällt. Grundsätzlich schade das Verwenden von KI dem eigenen Sprachgebrauch nicht, meint Gerstlauer. (t3n.de)
Neues Sprachgesetz in Kirgistan
Ein neues Gesetz in Kirgistan sieht vor, dass mindestens 60 Prozent der Fernseh- und Radiobeträge in der Nationalsprache Kirgisisch ausgestrahlt werden sollen. Das Gesetz wurde am 25. Juni vom Parlament angenommen und versteht sich als eine Stärkung der kirgisischen Sprache. Innerhalb des neuen Gesetzes sind ebenfalls die Klauseln enthalten, dass Ortsnamen künftig auf Kirgisisch genannt werden sollen und Werbung in kirgisischer Sprache größere Buchstaben als russischsprachige Werbung enthalten müsse
In Kirgistan genießt sowohl die kirgisische als auch die russische Sprache den offiziellen Status. (novastan.org)
Spielplatz
Die Stadt Köln plant, die Beschilderung auf über 700 Spielplätzen zu erneuern und das Wort „Spielplatz“ durch „Spiel- und Aktionsfläche“ zu ersetzen. Begründet wird diese Entscheidung mit der Aussage, dass der Begriff „Spielplatz“ zu einschränkend sei. Der Hintergrund der Aktion liegt in einer Entscheidung des Jugendhilfeausschusses von vor fast zwei Jahren, der neue, inklusivere Schilder für die Kölner Spielplätze gefordert hatte. Doch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker äußerte bereits ihr Unverständnis über die Umbenennung der Spielplätze. „Spielplatz“ sei klar und verständlich. Zudem betont sie, dass die Verwaltung in Zeiten aktueller Herausforderungen nicht mit der Umgestaltung von Schildern beschäftigt werden solle. In der Welt sagte Dr. Holger Klatte, Geschäftsführer des VDS, dass der Begriff „Spiel- und Aktionsfläche“ umständlich und wenig sinnvoll sei: „Der Aufwand für eine solche Neubenennung ist sprachlich kaum gerechtfertigt.“ (spiegel.de, welt.de (Bezahlschranke))
Hüttenstreit in Südtirol
Der italienische Alpenverein Südtirol (AVS) will die Berghütten in Südtirol umbenennen. Viele haben noch deutsche Namen, da Tirol einst zu Österreich-Ungarn gehörte. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs gehört es zu Italien, und das soll sich laut AVS auch in den Namen der Hütten niederschlagen. Die Bild greift die Idee in einem satirischen Beitrag auf und schlägt vor, sämtliche italienischen Einflüsse in der deutschen Sprache ebenfalls zu beenden. Das Schloss Belvedere („Schöne Aussicht“) in Potsdam sollte in „Da kiekste!“ umbenannt werden, die Reste des Römer-Grenz-Limes würden zum „Staketenzaun“. Und auch das Essen müsste natürlich mitziehen: Spaghetti aglio e olio („kann eh keiner aussprechen“) hießen dann „ölige Scharf-Nudeln“, und Gnocchi würden dann ganz einfach deutsch ausgesprochen: Knottschies. (bild.de, bild.de)
2. Gendersprache
Kein Gendern für Ministeriumsbeamte
Im Bildungs- und Familienministerium des Bundes wird es ab sofort keine Gendersternchen, Doppelpunkte und andere Genderzeichen mehr geben. Ministerin Karin Prien (CDU) hat eine neue Hausordnung ausgegeben, die für die interne und externe Kommunikation gilt, also auch für E-Mails, Vermerke und Gesetzesvorlagen. Ab sofort gelten die Regeln des Rechtschreibrates. Doppelnennungen wie „Lehrerinnen und Lehrer“ seien möglich, da sie lesbar seien. Prien sagte, Beamte sollten im Hinterkopf haben, „dass wir für die Bürgerinnen und Bürger da sind“. Deshalb solle die Kommunikation adressatengerecht erfolgen. (bild.de)
Nicht gegendert? Kündigung!
Eine Mitarbeiterin strich Genderformen in ihrem Arbeitsvertrag durch, ihr Arbeitgeber, eine Einrichtung der Lebenshilfe, schickte ihr daraufhin die Kündigung. Die Betroffene hat sich über die Beschwerdeplattform auf stoppt-gendern.de gemeldet und ihren Fall geschildert. Warum genau die Lebenshilfe glaubt, dass die Nutzung einer korrekten Sprache nicht mit der Arbeitsstelle vereinbar sei, ist nicht überliefert. Klar ist jedoch: Das ist ein weiteres Beispiel für den Druck, den all jene zu spüren bekommen, die auf eine korrekte Sprache Wert legen. (stoppt-gendern.de)
Das vielleicht einzige wahre Volkseigentum
So bezeichnet der Autor und Journalist Matthias Heine die deutsche Sprache in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, in dem er auch sein neues Buch „Der große Sprachumbau“ vorstellt. Heine sieht die deutsche Sprache gefährdet: „Man will die Struktur der Sprache verändern, das ist etwas anderes als frühere Sprachregelungen. So weit sind nicht einmal die DDR und die Nazis gegangen“, sagt er in der NZZ. Heute gehe der Sprachumbau „von kleinen Interessengruppen aus, welche die Gesellschaft über die Sprache formen wollen“. Besonders nerven Heine Partizipformen wie die „Zufussgehenden“ oder die „Klavierspielenden“, weil sie so aufgeblasen und bürokratisch wirken. Aber am schlimmsten findet er die abwechselnden weiblichen und männlichen Formen im selben Text: „Wenn man Berufsgruppen aufzählt, spricht man von Bäckern und Fleischerinnen, Handwerkern und Richterinnen“. Totale Verwirrung!
Matthias Heine las aus seinem Buch in der vergangenen Woche auch auf einer VDS-Veranstaltung in Cottbus. (nzz.ch (Bezahlschranke), maerkischer-bote.de)
3. Sprachspiele: Neues aus dem Wort-Bistro
Warum versteht man nur Bahnhof?
Bei mir war es der Physikunterricht. Wenn es um Gleichstrom und Wechselstrom ging, war bei mir der Ofen aus. Wenn Fliehkräfte berechnet wurden, nahm ich an mir eine Fliehkraft wahr, die mich heraus aus dem Klassenzimmer zog. Nur zwei Dinge sind mir noch aus dem Physikunterricht geläufig. Erstens: Bei Wärme dehnen sich Körper aus. Das kenne ich aus eigener Erfahrung: Heiße Pizza, heiße Pommes Frites und heißer Glühwein machen mich immer pummeliger als vorher. Zweitens: Warme Luft steigt nach oben. Das kenne ich aus meinem Berufsleben: Wer heiße Luft absondert, macht Karriere. Von diesen beiden Lehrsätzen abgesehen habe ich aber in der Physikstunde meist nur Bahnhof verstanden. Und damit wäre die krampfhafte Überleitung in diesem Text geglückt.
Warum versteht man nur Bahnhof, wenn man in einen Überschwang von Orientierungslosigkeit verfällt? Ich hatte früher einmal angenommen, man verstehe nur Bahnhof, weil man gerade dort auf besonders viele suchende Menschen trifft, die lauter Fragezeichen im Gesicht haben. Ist Ihnen dies auch schon einmal aufgefallen? Selten sieht man so viele Menschen, die erhobenen Hauptes von einer Anzeigetafel zur nächsten schauen, den Kopf von einer Textwand zur anderen hin- und herbewegen. Eigentlich sehen die Reisenden an Bahnhöfen aus wie kleine Erdmännchen, die ihren Hals in die Höhe recken und nach links und dann nach rechts gucken.
Aber die Herkunft des Ausspruchs „ich verstehe nur Bahnhof“ liegt offenbar im Ersten Weltkrieg und es gibt zwei Erklärungen. Zum einen haben die Soldaten den Heimaturlaub und die Rückkehr herbeigesehnt. Wurde über andere Themen gesprochen, brüllten die Soldaten ihre Kameraden nieder mit den Worten „Still, ich verstehe nur Bahnhof“. Zum anderen gehörte „Bahnhof“ wohl zu den wenigen Wörtern, die die Soldaten in der Sprache ihrer Einsatzorte aussprechen konnten. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat mussten sie zugeben, dass sie im Einsatz oft nur Bahnhof verstanden. Ich jedenfalls weiß eines: Wenn ich in eine Situation gerate, in der ich nur Bahnhof verstehe, ist für mich der Zug abgefahren.
Philipp Kauthe
Radio-Journalist, Buchautor, Podcast „Schlauer auf die Dauer“ (philipp-kauthe.de)
4. Berichte
VDS Landesverband Niedersachsen gegründet
Die sieben niedersächsischen Regionalgruppen des Vereins Deutsche Sprache haben sich im Juni zum „VDS Landesverband Niedersachsen“ zusammengeschlossen. Sie sollen enger zusammenarbeiten und sich gegenseitig bei Veranstaltungen unterstützen. So soll es zum Beispiel zum Tag der deutschen Sprache am 13. September in der Region Hannover eine zentrale Veranstaltung geben. Außerdem will der Landesverband die rot-grüne Landesregierung dazu bringen, von der Gendersprache in Schule und Verwaltung abzurücken, dazu soll eine Verfassungsklage geprüft werden, sollte das neue geplante Gleichstellungsgesetz tatsächlich so beschlossen werden, wie es von der Landesregierung in den Landtag eingebracht wurde. (vds-ev.de)
Der VDS auf dem Dresdner Elbhangfest
Auf dem traditionsreichen Elbhangfest in Dresden sind die Mitglieder des VDS mit ihrem Infostand in jedem Jahr Stammgast. Regionalleiter Jörg-Michael Bornemann hatte auch in diesem Jahr eine Standbesatzung zusammengestellt, die von morgens bis abends den Standbesuchern die Ziele des VDS erklärte. „Es mag nicht überraschend sein, dass uns überwiegend ältere Bürger ansprachen“, berichtet Bornemann. Oft sei die Ansicht geäußert worden, dass man sich wieder verstärkt um gutes Deutsch bemühen sollte. „Insbesondere Lehrer beklagten, dass die Schüler teilweise manche Wörter nicht mehr kennen“, so Bornemann. Jüngere Standbesucher hätten berichtet, dass sie von ihren Arbeitgebern unter Druck gesetzt würden, Genderformen zu verwenden.
Regionalleiter Bornemann bedankte sich bei seinen Mitstreitern mit einem Schreiben. Fotos vom Elbhangfest gibt es bei uns auf Facebook und Instagram. (elbhangfest.de, facebook.com/vds, instagram.com/vds)
Noch freie Plätze für Online-Seminar „Erfolgreich verhandeln“
Für das Online-Seminar „Erfolgreich verhandeln“ am Samstag, dem 12. Juli (9:00 Uhr bis ca. 16:00 Uhr) sind noch Plätze frei (30 Euro für Vereinsmitglieder, 50 Euro für Externe). In 4 x 90 Minuten erhalten die Teilnehmer wertvolle Tipps für ihren Alltag: Sie erfahren etwas über Verhandlungs-Bremsen, psychologische Verhandlungsmodelle, weiche und harte Techniken der Verhandlungsführung sowie über Manipulationstechniken. Prof. Dr. Bruno Klauk, kooptiertes Mitglied des Bundesvorstands und Außenbeauftragter des VDS, wird das Seminar in interaktiver Form leiten. Im Nachgang der Veranstaltung erhalten die Teilnehmer eine
Teilnahmebescheinigung.
Das Seminar wird am Samstag, dem 22. November 2025 erneut angeboten.
Die Anmeldung erfolgt über die Netzseite des VDS: vds-ev.de.
5. Denglisch
Gerichtsverhandlungen auf Englisch
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt können internationale Unternehmen ihre Wirtschaftsstreitigkeiten jetzt auf Englisch verhandeln. Am „Commercial Court“ können Prozesse ab einem Streitwert von 500.000 Euro bereits in der ersten Instanz auf Englisch verhandelt werden. So will sich Hessen als Justizstandort im globalen Wettbewerb behaupten. (faz.net)
6. Soziale Medien
Tag der Architektur
Tolles Wetter und viele Besucher: Rund 120 Interessierte haben am vergangenen Wochenende die Gelegenheit genutzt, um auf dem Sprachhof in Kamen vorbeizuschauen, der Geschäftsstelle des VDS. Der VDS nahm in diesem Jahr am Tag der Architektur teil, an dem neue und umgebaute Gebäude präsentiert werden. Eine filmische Übersicht über die beiden Tage gibt es in unseren Sozialen Medien: instagram.com/vds, facebook.com/vds, tiktok.com/vds)
7. Buchwelt
Ein Autor im Gespräch: Kurt Gawlitta
Herr Gawlitta, Ihr neues Buch „Ein anderes Leben“ liegt jetzt vor. Können Sie den Lesern einen kleinen Überblick über die Handlung geben? Eine alleinerziehende Mutter verlässt die gemeinsame Wohnung und zieht zu ihrer Lebenspartnerin in den Nachbarort. Sie versorgt den zwölfjährigen Sohn mit dem Nötigsten durch gelegentliche Lieferungen. Der Junge lebt nun alleine, fällt damit aber weder bei den Nachbarn, noch in der Schule auf. Er geht seinen Interessen nach, entwickelt eine frühe Selbständigkeit und schließt sich an seinen Schulfreund Tobias an. Die abenteuerlustigen Jungen nehmen Kontakt zu einem Wildhüter und einer Falknerin auf. Daraus entsteht ein für den Harz ungewöhnliches Projekt zur Artenvielfalt.
Wo und wie haben Sie die Inspiration für Ihren Roman gefunden? Im Januar 2024 ging eine Meldung über einen Strafprozess in der Nähe von Bordeaux durch die Medien, wonach eine Mutter ihren neunjährigen Sohn allein in der Wohnung zurückgelassen hatte. Der Junge bewältigte die Situation so gut, dass zwei Jahre lang weder seine Nachbarn, noch die Schule bemerkten, in welch verzwickter Lage das Kind steckte. Dann fiel einer Nachbarin auf, dass der Fernseher oft zu laut durchs Haus dröhnte. Nun lebt der Junge in einer Pflegefamilie. Man hätte gern mehr erfahren, vor allem, wie der Junge es geschafft hat, seinen Alltag zu leben und sein Geheimnis zu wahren. Das Jugendamt hat jedoch seine persönliche Sphäre gegenüber den Medien konsequent abgeschirmt. So musste ich eben meine eigene Geschichte erfinden!
War es für Sie als Autor schwierig, sich in die Mentalität und das Erleben von Kindern einzufühlen? Darin liegt tatsächlich eine ziemliche Herausforderung. Wir empfinden ja nicht selten das Verhalten von Kindern wegen ihrer Spontaneität als undurchschaubar. Dazu ihre geringe Aufmerksamkeitsspanne und der schnelle Wechsel der Interessen! Ihr noch kaum entwickeltes Verständnis komplexerer Zusammenhänge, je nach Altersgruppe, macht die Sache auch nicht einfacher. Die Erinnerung an die eigene Kinderzeit ist nur noch rudimentär, ebenfalls an das Aufwachsen der eigenen Kinder. Das Pädagogikstudium hilft für lebendiges Erzählen auch nicht besonders viel. Dennoch haben es immer wieder Autoren versucht, so etwa Charles Dickens, Astrid Lindgren, Erich Kästner, Nicolai Gogol, François Truffaut. Seit ich meine Enkeltochter (7 Jahre) erlebe, ist meine Aufmerksamkeit für Kinder fühlbar gewachsen. Ich versuche, mit meinen Erinnerungen und Beobachtungen behutsam und selbstkritisch umzugehen und nicht zu viel in die Figuren hineinzugeheimnissen oder Lebensfremdes von ihnen zu erwarten. Das Risiko, dabei zu überziehen, bleibt mir freilich bewusst.
Das Gespräch führte Katharina Etrich.
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Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel