1. Presseschau
Sprache der Lüge
Auf ihrer diesjährigen Herbsttagung hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung an ihre erste Preisfrage im Jahre1965 erinnert, ob Sprache die Gedanken verbergen könne. Beantwortet und den Wettbewerb gewonnen hatte der damals 38-jährige Sprachwissenschaftler Harald Weinrich (1927-2022) mit seiner Schrift „Linguistik der Lüge“. Darin erklärt Weinrich, der bis zu seinem Tod auch Mitglied im VDS war, die Linguistik für zuständig, zu beschreiben, „was sprachlich geschieht, wenn die Wahrheit zur Lüge verdreht wird“.
Mit seinem Vortrag „Wie viel Lüge braucht der Mensch?“ eröffnete der Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein die Tagung in der vergangenen Woche und gab zur Antwort: „dass es noch ein paar andere Güter gebe, gegen welche die Forderung nach unbedingter Wahrheit abgewogen werden dürfe.“ Der Berichterstatter der Süddeutschen Zeitung findet „Kann Sprache die Gedanken verhindern?“ sei vielleicht die zeitgemäßere Frage und bezieht sich damit insbesondere auf das Grußwort von Kulturstaatsminister Weimer, das wohl nichts dazu beigetragen hat, „die Akteure zu benennen und die Konflikte zu durchschauen“.
Schließlich wurden auf der Tagung auch die wichtigsten deutschen Sprach- und Literaturpreise verliehen: der Georg-Büchner-Preis an die Schriftstellerin Ursula Krechel, der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa an den israelisch-deutschen Historiker Dan Diner und der Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay an die Kritikerin und Übersetzerin Ilma Rakusa. Wer die Beiträge zur „Linguistik der Lüge“ nochmal mitverfolgen will, findet sie auf dem Video-Kanal der Akademie. (sueddeutsche.de (Bezahlschranke), youtube.com)
Sprechen statt tippen
Wer generative Künstliche Intelligenz (KI) verwendet, tippt seine Aufgaben und Anforderungen in die Tastatur und wartet auf die Ergebnisse. Eine Studie des dänischen Audiogeräteherstellers Jabra und der London School of Economics and Political Science zeigt nun, dass gesprochene Sprache in wenigen Jahren die Hauptschnittstelle zwischen Mensch und Maschine werden könnte. Sprache sei schnell, intuitiv, spontan und schaffe Vertrauen: So sei bei Steuerung durch Sprache und durch Sprachbefehle das Vertrauen der Nutzer in KI-Systeme um rund 33 Prozent höher als bei getippten Anfragen.
Aufgrund dieser Entwicklung sei es möglich, dass sich ganze Arbeitsprozesse neu gestalteten: KI-Systeme könnten Konferenzen mithören und auf Grundlage des Gesagten Protokolle erstellen, Aufgaben verteilen oder sogar eigene Informationen und Inhalte beisteuern.
Es gibt jedoch weiterhin Hindernisse. Bei sprachlich komplexen argumentativen Aufgaben sinke die Leistung der KI-Systeme um knapp 20 Prozent, da mündliche Gedanken schwerer zu strukturieren seien. Zudem bestünden Datenschutzbedenken, wenn die KI dauerhaft mithöre. Professor Michael Muthukrishna von der London School of Economics and Political Science erklärt, dass sprachgesteuertes Arbeiten in Büros bald das eigenständige Lesen und Tippen ergänzen oder sogar ersetzen könnte. (bigdata-insider.de)
Unzureichende Dialektförderung im Fernsehen
In einem offenen Brief an die BR-Intendantin Katja Wildermuth wandte sich der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte (FBSD) an den Bayerischen Rundfunk. Der Verein bemängelt, dass das Bayerische Fernsehen und der Hörfunk keine ausreichende Förderung des Dialekts bieten. Besonders traditionelle Formate wie der „Komödienstadel“ oder die Volksmusiksendung „Musi und Gsang im Wirtshaus“ wurden abgesetzt oder laufen nur noch in Wiederholung.
Der FBSD fordert, dass der BR seine Rolle als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wahrnimmt und die bayerische Identität in all ihren Facetten abbildet. Sprache, so der Verein, sei ein zentraler Bestandteil dieser Identität und müsse aktiv gefördert werden. Das gelte sowohl für das Altbairische als auch für die anderen regionalen Dialekte wie Alemannisch und Fränkisch.
Darüber hinaus fordert der FBSD, dass neben traditioneller Volksmusik auch moderne Musik-, Kabarett-, und Theaterformate in bayerischen Dialekten gesendet werden. Zudem solle der BR dem Beispiel vieler EU-Länder folgen und ein Drittel seiner Musiktitel in der Landessprache senden.
In seiner Antwort verteidigt Corbinian Lippl, Leiter der BR-Redaktion Heimat, die Neuausrichtung des Senders. Der BR habe weiterhin ein großes Angebot rund um Volksmusik und bayerisches Brauchtum. Gleichzeitig setze der Sender auf digitale Formate, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. (tz.de)
2. Gendersprache
Norderstedt: Gendersternchen soll weg
Mit der Abwahl der früheren Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD) will die FDP im Rat jetzt auch eins ihrer Herzensprojekte kippen, und zwar den 2021 eingeführten „Leitfaden zu genderbewusster Sprache“, in dem es heißt, in Mitteilungen der Verwaltung solle das Gendersternchen genutzt werden. Die FDP argumentiert, dass in Norderstedt so mit zweierlei Maß gemessen würde: Während die Stadt die Gendersternchen nutze, würden diese in Klassenarbeiten als Fehler angestrichen. Das Land Schleswig-Holstein hat das Gendern mit Sonderzeichen an Schulen verboten und hält sich damit an die Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung. Dieses Verbot will die FDP nun auch für die Kommunikation im Norderstedter Rathaus durchsetzen.
Das Gendern mit Sonderzeichen ist an Schulen zwar verboten, in den Landes- und Stadtverwaltungen ist es allerdings erlaubt. In einem Leitfaden des Sozialministeriums aus 2024 heißt es: „In Texten, in denen Personen bezeichnet oder angesprochen werden, sind Frauen und Männer sichtbar zu machen.“ Dort, wo neutrale Formulierungen existieren, sollen sie verwendet werden, außerdem seien Stereotype zu vermeiden. (abendblatt.de (Bezahlschranke))
3. Kultur
Rapper überrascht mit Reinhard Mey
Rap und lyrische Texte – passt das zusammen? Für den Rapper Haftbefehl (bürgerlich Aykut Anhan) durchaus. Er hat für die Netflix-Doku „Babo – die Haftbefehl-Story“ aus seinem Leben erzählt und dabei eine persönliche Krise, die ihn an einen Tiefpunkt gebracht hat, aufgegriffen. Während dieser Zeit habe er das Reinhard-May-Lied „In meinem Garten“ gehört, das Beziehungssorgen und Verlustängste thematisiert. Der kurze Ausschnitt sorgte nicht nur für ein Hochschnellen des Liedes bei Spotify, sondern auch für viele verdutzte Mienen, hatte man doch einem Rapper nicht die Liebe zu solch poetischen Zeilen zugetraut. Die Germanistin Julia Ingold (Universität Bamberg) kann die Verblüffung fachlich nicht nachvollziehen. Sie forscht über Rap-Musik und sagt, Mey mache Texte, mit denen man sich identifizieren könne, die eine allgemeinverständliche Not und Melancholie ausdrückten. Es gehe ihm um Sozialkritik, um das Leben der „kleinen Leute“. Auch Rap sei lediglich eine andere Art von Lyrik, die von jüngeren Menschen dafür als weniger „angestaubt“ wahrgenommen werde. Der Deutsch-Rap habe sich seit den 1990ern zu einer echten deutschen Kunstform entwickelt, und auch der Rapper Haftbefehl habe sie durch seine Sprache mitgeprägt. Durch Beimischung anderer Sprachen wie Kurdisch, Arabisch, Türkisch oder Italienisch habe er seinen Liedern eine neue Nuance hinzugefügt. (deutschlandfunk.de)
Wie man Kinder am besten fördert
Im schwäbischen Krumbach, im Kindergarten St. Gabriel Niederraunau, fand kürzlich ein praxisorientierter Vortrag statt, der sich mit der sprachlichen Förderung von Kindern beschäftigte. Beate Böhme, Heilpädagogin, Heilpraktikerin, Musikpädagogin und Yogalehrerin, leitete die Veranstaltung und informierte Eltern sowie Erzieher darüber, wie Sprache auf spielerische und alltagsnahe Weise gefördert werden kann.
Neben den Vorteilen von Liedern, Reimen und Fühlspielen, um Wortschatz und Ausdruck zu fördern, wurde auch das Vorlesen als wichtiger Baustein für den Alltag und die sprachliche Entwicklung vorgestellt.
Auch der Verein Deutsche Sprache beteiligt sich in diesem Jahr anlässlich des bundesweiten Vorlesetags mit einem besonderen Programmangebot in Kooperation mit dem Lernserver-Bildungsprojekt. Zusammen mit Experten verschiedener Fachbereiche gehen wir der Bedeutung des Vorlesens für einen bildungsorientierten Spracherwerb auf den Grund. (augsburger-allgemeine.de)
Weitere Informationen zu den Veranstaltungstagen (21./22. November) finden Sie hier: vds-ev.de.
4. Berichte
„Mein Weg zu und mit Hermann Hesse“
Das nächste Treffen der VDS-Region Ortenau (Postleitzahlengebiet 77) am 15. November steht ganz im Zeichen des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse. Der Acherner Autor (und stellvertretende Regionalleiter) Klaus Huber wird seinen ganz persönlichen Weg zu und mit Hermann Hesse schildern. Unter dem Titel „Mein Weg zu und mit Hermann Hesse“ lädt Huber dazu ein, Hesses Werk aus einer sehr persönlichen Perspektive neu zu entdecken. (regio-ortenau.de)
Lenau-Tagung in Temeswar
Am vergangenen Wochenende fand an der Politehnica-Universität in Temeswar die Internationale Nikolaus-Lenau-Tagung anlässlich des 175. Todestages des Dichters statt. Auf dem Programm standen Vorträge, Lesungen und Forschungen über Lenaus Werk, seine Rezeption in Mitteleuropa und die Bedeutung seines Schaffens in der Gegenwart.
Veranstalter waren die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft Temeswar, das Demokratische Forum der Deutschen im Banat und das Nikolaus-Lenau-Lyzeum. Gefördert wurde die Konferenz vom VDS und von der Stiftung Deutsche Sprache. (adz.news)
5. Denglisch
Fremdwörter sind eine Provokation
Zum 80-jährigen Jubiläum der Nationalen Akademie der Wissenschaften Aserbaidschans widmete Präsident Ilham Aliyev seine Rede der Landessprache. Mehr als 50 Millionen Menschen sprächen Aserbaidschanisch als Muttersprache und die Sprache sei reich und vielfältig genug, sodass keine Notwendigkeit für Fremdwörter bestehe, erklärte Aliyev. Zwar existieren ein internationaler Wortschatz und Lehnwörter, doch der Präsident spricht sich dafür aus, die aserbaidschanischen Alternativen zu verwenden. Die mutwillige Ersetzung muttersprachlicher Begriffe durch Fremdwörter sei „entweder ein Fehler oder eine Provokation.“ (azertag.az)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel
