Infobrief vom 3. Juli 2020: Lewitscharoff kritisiert weichgespülte Predigten

1. Presseschau

Lewitscharoff kritisiert weichgespülte Predigten

Bild: Adobe Stock / Wheat field

Die Sprache von Predigten sei „verkommen“, kritisiert Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Eine Predigt müsse zwar verständlich sein, solle sich gedanklich aber nicht an den Allerdümmsten wenden. „Es ist einfach so eine Weichspül-Orgie der Sprache“, so Lewitscharoff, „als wäre die Predigt in Lenor gewaschen.“ Auch die Religion habe jede Form von Schärfe eingebüßt, beispielsweise von Sünde spreche kein Mensch mehr. Obwohl die studierte Religionswissenschaftlerin sich selbst nicht als fromm bezeichnet, ist sie überzeugt davon, dass sie eine bessere Predigt formulieren könne – eine, die geistig anspruchsvoll ist und trotzdem von einfachen Menschen verstanden wird. Trotz aller Kritik gebe es natürlich auch positive Beispiele – ob in Predigten, Vorträgen oder Büchern –, besonders hebt sie den katholischen Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück hervor. (deutschlandfunk.de)


Gender-Schlagabtausch im Deutschlandfunk

Im Deutschlandfunk haben die Autorin Judith Sevinç Basad und der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch darüber gestritten, ob und warum Gendersternchen in der deutschen Sprache nötig sind. Basad argumentierte unter anderem, dass eine vermeintlich geschlechtergerechte Sprache ein „ultradefizitäres Frauenbild“ erstelle: Das Gendersternchen würde Frauen erst recht als hilfsbedürftig darstellen, da es suggeriert, dass sie nur so sichtbar würden. Zu einer Veränderung in der Gesellschaft trage es nichts bei. Das generische Maskulinum sorge dafür, dass „das Männliche in unserer Vorstellung zum Normalfall wird.“, bemängelte Stefanowitsch. (deutschlandfunk.de)


Deutsch-Russische Nachrichten als Lernhilfe

Der russischstämmige Publizist Vadim Feldmann hat in Cottbus einen Verein gegründet, um Sprachförderung zu betreiben und die politische Bildung zu verbessern. Dafür werden regelmäßig auf einem Youtube-Kanal Nachrichten in deutscher und russischer Sprache vorgelesen. So sollen Rezipienten ein besseres Gefühl für die deutsche Hermeneutik und Aussprache bekommen. (youtube.com, facebook.com)


Bundesverfassungsgericht: Sparkassen müssen nicht gendern

Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage einer Sparkassen-Kundin wegen Mängeln in der Begründung abgewiesen. Sie hatte verlangt, in Schriftstücken der Bank als „Kundin“ angeredet zu werden, nicht als „Kunde“. In einem vorhergehenden Urteil hatte der Bundesgerichtshof 2018 entschieden, „dass das sogenannte generische Maskulinum im Sprachgebrauch üblich sei und keine Geringschätzung gegenüber Menschen anderen Geschlechts zum Ausdruck bringe“, heißt es in der FAZ. Die Klägerin sei nicht auf die Argumentation des Bundesgerichtshofs eingegangen, dass auch das Grundgesetz keine Gendersprache verwende, erklärte das Bundesverfassungsgericht. (faz.net, welt.de, bundesverfassungsgericht.de)


2. Unser Deutsch

Hotspot

Dies Wort ist ein semantisches Chamäleon. In jüngster Zeit bezeichnen hotspots die Brennpunkte der Corona-Epidemie, mit großen Zahlen von Infizierten oder ‚positiv‘ getesteten Menschen. Zuvor waren WLAN-hotspots die Punkte, an denen ein freier Zugang zum Internet möglich ist. Diese Verwendung wird verschwinden, sobald es auch in Deutschland flächendeckendes WLAN gibt.

Hotspot taucht seit Ende der 90er Jahre in der deutschen Presse auf, zunächst in Verwendungen, die das Wort bereits im Englischen hatte. Die älteste ist die geologische. Wörtlich übersetzt ist die ‚heiße Gegend‘ ein Brennpunkt vulkanischer Aktivität zwischen Erdmantel und Erdkern. Durch Erdschlote dringt heiße Magma bis an die Erdoberfläche. Schon im Englischen wird hotspot übertragen gebraucht für politische Krisenherde oder Aktivitäten des Kultur- oder des Nachtlebens. So auch im Deutschen: Die Salzburger Festspiele wurden als „heißester hotspot der Kulturschickeria“ bezeichnet, San Francisco und die Insel Lesbos als „hotspot des Homolebens“. Zur Zeit leiden besonders die „hotspots des Berliner Nachtlebens“ unter der Corona-Krise. Die weiteste Verbreitung erreichte hotspot im Zuge der Digitalisierung und des Zugangs zum Internet. Häufig hat es bereits die Bedeutung ‚Ort mit drahtlosem Zugang zum Internet‘ fürs Handy angenommen.

Im Englischen ist hotspot nur eine von vielen Zusammensetzungen mit dem Adjektiv hot wie hotplate ‚Kochplatte, hotseat ‚elektrischer Stuhl‘, hotline ‚heißer Draht‘, hot pants ‚enge kurze Damenhosen‘, hotdog ‚ heiße Würstchen, Angeber‘, hotline ‚Kundentelefon(nummer)‘. Insofern ist auch hotspot eingebettet in eine vielfältige Wortfamilie.

Im Deutschen fehlt diese Bindung und diese Motivation, es ist darum einerseits freier verwendbar, kann aber auch untergehen, sobald die Anlässe der Verwendung verschwunden sind. Hoffen wir darauf.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Suhrkamp wird 70 Jahre alt

„Der Suhrkamp-Verlag verlegt keine Bücher, sondern Autoren“ – ein Satz, der auf Siegfried Unseld zurückgeht. Über einen Zeitraum von 43 Jahren leitete er den Suhrkamp Verlag und prägte ihn maßgeblich. Vielfältige Literatur wurde in den vergangenen 70 Jahren im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht – von Soziologie über Philosophie bis hin zu Lyrik und Drama. Auch jüngere Literatur stand und steht noch immer im Zentrum des Verlags, sowie Biografien, Essays und Werkausgaben. Gegründet wurde der Verlag am 1. Juli 1950 vom Namensgeber Peter Suhrkamp – erst neun Jahre später, nach Suhrkamps Tod, wurde Siegfried Unseld alleiniger Verleger. Fest steht: Ohne den Suhrkamp-Verlag sähe die deutsche Literaturlandschaft heute anders aus. „Freiräume der Literatur und Wissenschaft, des Denkens zu erhalten ist essenziell“, sagt der heutige Verlagsleiter Jonathan Landgrebe. „Mit den Autorinnen und Autoren, die ihre Bücher bei uns publizieren, ob in der Literatur oder den Wissenschaften, bündelt sich bei uns bis heute ein gewichtiger Teil des geistig-intellektuellen Lebens dieses Landes.“ (hz.de, fr.de)


Brüder Grimm auf Niederländisch

Vor 200 Jahren (1820) erschien in Amsterdam unter dem Titel „Sprookjes Boek voor Kinderen“ (Märchenbuch für die Kinder) die erste niederländische Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Aus diesem Anlass zeigt die Brüder Grimm-Gesellschaft vom 1. Juli bis 30. August 2020 eine Ausstellung in niederländischer und deutscher Sprache im Deutschordensschloss zu Alden Biesen (Belgien). Mit mehr als 250 Exponaten wird das Leben und Wirken der Kasseler Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm sowie die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte ihrer Märchensammlung dargestellt. (grimms.de)


4. Berichte

VDS am Chiemsee

Unter dem Titel „Verschandelt die deutsche Sprache nicht! – Heiteres und Nachdenkliches“ hatte die südostbayerische Regionalgruppe des VDS einen Themen- und Diskussionsabend zur deutschen Sprache geplant. Wegen der Pandemie konnte er leider nicht stattfinden – zu Wort kam der Leiter der Region, Professor Dr. Wolfgang Hiller, aber trotzdem. Die Chiemgau-Zeitung sprach mit ihm über Denglisch, Geschlechtergerechtigkeit und die Wertschätzung der eigenen Muttersprache. „Wir wenden uns […] gegen überflüssige Anglizismen, also Begriffe, die man auf Deutsch genauso gut oder sogar präziser ausdrücken kann“, erklärt Hiller. So sei der Begriff „Home Office“ eine unnötige Erfindung der Deutschen – in englischsprachigen Ländern kenne man den Begriff fast gar nicht. Stattdessen könne man einfach „Heimbüro“ sagen. Die eigene Muttersprache sei ein großes Geschenk, so Hiller. Verglichen mit dem Erlernen von Fremdsprachen, für das es viel Mühe brauche, fasziniere es ihn, mit welcher Leichtigkeit man sich dagegen in der eigenen Muttersprache bewegen könne mit all ihren subtilen Nuancen und Eigenheiten. (ovb-online.de)


5. Denglisch

Automobil-Ausstellung erstmalig in München

„Auto is coming home“, verkündigt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und weist damit auf die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) hin, welche im kommenden Jahr nicht mehr in Frankfurt, sondern erstmalig in München stattfinden soll. Die Autobranche sei das „Herzstück der bayerischen Industrie“ und die IAA werde zum „Role Model in Deutschland“, so Söder. Warum Söder die deutsche Sprache in seiner Heimat so fremd ist, bleibt ein Rätsel. Auch Hildegard Müller, die Chefin des Autoverbands, befürwortete die Entscheidung, die Ausstellung in der bayerischen Hauptstadt stattfinden zu lassen und kommentierte ebenfalls auf Denglisch: „München ist der Place to be.“ (businessinsider.de)


6. Termine

6. Juli, Region Österreich (Wien)
Stammtisch des Jungen VDS
Zeit: 12:00 Uhr
Ort: Café Diglas, Schottengasse 2, 1010 Wien, Österreich

9. Juli, Region 25 (West-Schleswig-Holstein)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Hotel Alter Kreisbahnhof, Königstr. 9, 24837 Schleswig

10. Juli, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

13. Juli, Region 06/39 (Halle/Magdeburg)
REDEZEIT – Treffen von Referenten und interessierten Sprachfreunden mit Vortrag
Thema: Sprache und Wirtschaft
Referent: Prof. Dr. Walter Krämer
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Leucorea, Collegienstr. 62, 06886 Lutherstadt Wittenberg

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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