Infobrief vom 8. Mai 2021: Frankreichs Schulminister: Gendern grenzt aus

1. Presseschau

Frankreichs Schulminister: Gendern grenzt aus

Bild: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Zu kompliziert und ausgrenzend – Frankreichs Schulminister Jean-Michel Blanquer will das Gendern an den Schulen verbieten, so die Bild-Zeitung. Er hat Sorge, dass vor allem Kinder mit einer Lese- und RechtschreibschwĂ€che leiden. Über Gendersprache sagte er dem Journal du Dimanche: „Sie ist nicht inklusiv, sondern sie grenzt aus.“ Französisch habe bereits eine komplizierte Grammatik, an der viele SchĂŒler scheitern, heißt es, da mĂŒsse man die Sprache nicht noch mehr „kneten und zerfleddern“. In Frankreich nutzen Gender-BefĂŒrworter den Medianpunkt (‱). Er ergibt ein zusĂ€tzliches Problem, er ist auf der französischen Tastatur nicht hinterlegt und nur ĂŒber komplizierte Tastenkombinationen oder die MenĂŒpunkte des Schreibprogramms zu erreichen – wie auf deutschen Tastaturen ĂŒbrigens auch. (bild.de)


Klage gegen Gendern bei Audi

Der Genderstreit bei Audi geht in die nĂ€chste Runde. Ein VW-Mitarbeiter – er hat bei seiner Arbeit starke Überschneidungen mit dem Tochterkonzern Audi – wehrt sich gegen den Gender-Leitfaden des Autoherstellers. Audi hatte um VerlĂ€ngerung der UnterlassungsverfĂŒgung gebeten, diese aber nicht unterschrieben. Nun legen die AnwĂ€lte des Mannes jetzt Klage beim Landgericht Ingolstadt ein. „Wir wollen ein Grundsatzurteil erstreiten, um diesem opportunistisch-heuchlerischem Gender-Wahn einen Riegel vorzuschieben“, sagen die AnwĂ€lte Burkhard Benecken (Marl) und Dirk Giesen (DĂŒsseldorf).

Der VDS unterstĂŒtzt den KlĂ€ger dabei – er ĂŒbernimmt die Kosten des Rechtsstreits. „Es ist unglaublich, mit welcher Arroganz Audi hier agiert und die Bedenken der Menschen, die wichtige Arbeit fĂŒr sie leisten, nicht ernst nimmt. Das Aufzwingen einer Sprache, die keine rechtliche Grundlage hat, erinnert doch stark an Unrechtssysteme wie das der DDR oder an Dystopien wie ‚1984’ von Orwell“, sagt der VDS-Vorsitzende Prof. Walter KrĂ€mer.

Die GrĂŒnen in Bayern stĂ€rken dem Autobauer Audi indes den RĂŒcken. Dem Donaukurier liegt ein Schreiben an die GeschĂ€ftsfĂŒhrung vor. In diesem begrĂŒĂŸen die GrĂŒnen den Genderleitfaden und sehen in ihm einen wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Entscheidung zu gendern strahle „weit ĂŒber die Werkstore hinaus“, heißt es in dem Schreiben. Dass im Ausland ĂŒber die Genderdebatte eher mĂŒde gelĂ€chelt wird, ignorieren die GrĂŒnen gekonnt. Immerhin hat die GrĂŒnen-Landeschefin Eva Lettenbauer dem Donaukurier auf Anfrage einen sehr klugen Satz gesagt: „Unsere Sprache muss zur Wirklichkeit passen.“ Der VDS empfiehlt Frau Lettenbauer dringend den Blick auf mehrere Umfragen zum Gendern, die es in den vergangenen Jahren voneinander unabhĂ€ngig gegeben hat. Denn die Wirklichkeit in Sachen Sprachgendern ist: Die Sprachgemeinschaft lehnt es ab – je nach Fragestellung in der Umfrage liegt die Ablehnung bei 60 bis 80 Prozent. (bild.de, donaukurier.de)

Weitere Prozesse sind in Vorbereitung. Wer sich an den Kosten beteiligen will, ist dazu herzlich eingeladen: vds-ev.de.


Pisa-Studie: MĂ€ngel bei der Lesekompetenz

Eine neue Pisa-Teilstudie bestĂ€tigt bekannten Kummer. Sie beruht auf Daten von 2018, worin im OECD-LĂ€ndervergleich 15-jĂ€hrige SchĂŒler verglichen werden. Das Ergebnis: Mehr als die HĂ€lfte der SchĂŒler kann in Texten nicht sicher zwischen Meinungen und Fakten unterscheiden. Auch wie man im Internet nach Informationen sinnvoll recherchiert, wie man gute und seriöse Quellen unterscheidet, ist vielen SchĂŒlern nicht klar. Deutschland schließt im LĂ€ndervergleich der OECD-Staaten leicht unterdurchschnittlich ab. Nicht nur die FĂ€higkeiten zur Textanalyse sind schwach. Auch das allgemeine Leseniveau und die Lesefreude nehmen ab.

Claus Maas, Leiter des VDS Arbeitsbereichs Deutsch in der Schule ĂŒberrascht daran nur, dass endlich jemand danach fragt. Im Deutschunterricht werde seit Jahrzehnten die Reflexion sprachlicher Logik vernachlĂ€ssigt – etwa durch Übungen zu einer korrekten Wiedergabeperspektive mittels der indirekten Rede (zum Beispiel „Er behauptet, ich sei
“). Deshalb vermischten sich Wiedergabe und eigene Darstellung fĂŒr die SchĂŒler praktisch unbemerkt ĂŒber die ganze Mittelstufe hinweg, und bis in Abiturarbeiten hinein werde es versĂ€umt, eine perspektivisch falsche Wiedergabe von Textinhalten im Indikativ (zum Beispiel „Er behauptet, ich bin“) als gedanklichen Fehler zu werten. Ein typischer Fehler, zumal in den sozialen Medien, mit dem eine Vermutung als bewiesene Tatsache dargestellt wird. Auch die gedankliche Durchdringung von Sachverhalten durch (dialektisch) erörternde Problemlösungswege werde kaum mehr praktiziert. Die in Abituraufgaben verbreitete Aufgabenstellung „Nehmen Sie Stellung!“ werde meist nicht mehr als Aufforderung zur differenzierenden, abwĂ€genden Urteilsbildung, sondern einfach nur als Impuls zur eigenen MeinungsĂ€ußerung wahrgenommen. Selbst die zentral vorgegebenen Bewertungsaspekte verlangten den Aspekt der Differenzierung praktisch nicht mehr, sondern erfassten nur die MeinungsĂ€ußerung und deren einfache argumentative BegrĂŒndung. (aachener-nachrichten.de, oecd.org)


KrĂ€mer begrĂŒĂŸt Merz-Vorschlag

Der CDU-Politiker Merz hat sich kĂŒrzlich dafĂŒr ausgesprochen, die öffentlich-rechtlichen Sender per Gesetz dazu anzuhalten, auf die vermeintlich gendergerechte Sprache zu verzichten. Es sei traurig, dass man diese Anstalten per Gesetz dazu bringen muss, sich an die Regel der deutschen Rechtschreibung zu halten, sagt der Vorsitzende des VDS, Prof. Walter KrĂ€mer, in einem Gastbeitrag in der Tagespost. Eine weitere, aktuelle Umfrage habe erneut ergeben, dass 60 Prozent das Gendern ablehnen und den Merz-Vorschlag befĂŒrworten. Eine kleine „Clique entschlossener Genderideologen“ habe „inzwischen eine ganze Kulturnation zum Affen gemacht“, so KrĂ€mer. Daher sei es begrĂŒĂŸenswert, dass sich endlich ein hochrangiger Politiker gegen die grassierende politische Korrektheit stellt und deutliche Worte fĂŒr die totalitĂ€ren Eingriffe in den Sprachgebrauch findet, sagt KrĂ€mer. (die-tagespost.de, nordkurier.de)

Genderstreit an der Uni Bremen

Unter der Überschrift „Chauvinistische Sprache“: Bremer Student soll Notenabzug bekommen berichtet das Portal Nordbuzz ĂŒber einen weiteren Fall des versuchten Notenabzugs. Der Student hatte ein Referat nicht gegendert und musste es komplett ĂŒberarbeiten. Das sorgte fĂŒr Unruhe in der Uni, berichtet Nordbuzz: „Viele Stimmen werden laut, die die Verwendung der gendergerechten Sprache als vereinzelt-aufgefĂŒhrten Bewertungsmaßstab stark kritisieren.“ Dass der Student am Ende keine schlechtere Note bekam, ist dem Eingreifen seines Konrektors Thomas Hoffmeister zu verdanken. Er stellte klar: „Eine Notenverschlechterung bei Nichtverwendung gendergerechter Sprache gibt es an der UniversitĂ€t Bremen nicht.“ Der Leitfaden der Uni sei keine „unbedingt einzuhaltende Vorschrift“, sondern eine Orientierungshilfe. Starre Regeln vertrage die Sprache nicht. (nordbuzz.de, nordbuzz.de)

Red.: Eine gewagte Unterstellung bleibt, dass ein Chauvinist sei, wer das Gendern ablehnt. Sie könnte als ĂŒble Nachrede aufgefasst werden, nĂ€mlich auf Seiten des Betroffenen.


2. Unser Deutsch

is zu!

Wo sonst die Tagesgerichte angezeigt werden, auf der Tafel eines beliebten Studentenlokals, steht jetzt einfach: is zu. Alltagssprache ersetzt hier das hochsprachliche geschlossen auf dem benachbarten Theatereingang, die lapidare KĂŒrze steht fĂŒr das totale Verbot der abendlichen Kneipenkultur, fĂŒr die leeren, langen Tische, das Schweigen in den RĂ€umen, die sonst jeden Abend erfĂŒllt sind mit den immer lauter werdenden Stimmen. Is zu fĂŒr immer?

Die Umgangssprache ist knapp, sie verkĂŒrzt das standardsprachliche ist zu einfachem is und verzichtet auf das grammatische es in dem Satz es ist zu. Dies ist gesprochene Sprache im Kontrast zur geschriebenen oder gewĂ€hlten Sprache. Manchmal hat dies auch eine soziale Seite. Wer die Schriftsprache nicht in der Schule kennengelernt hat, verfĂŒgt nur ĂŒber gesprochene Varianten, oft mit lokalem Kolorit. Bei vielen Ă€lteren Immigranten kommen Interferenzen ihrer Muttersprache und die Fehler mangelhafter Spracherlernung hinzu.

In anderen Kulturen sind gesprochene und geschriebene Sprache in Wortschatz und Grammatik viel verschiedener. Soziolinguistische Forschung beschreibt dies mit dem Fachterminus Diglossie, einer besonderen Art von Zweisprachigkeit in einer Gesellschaft. Im deutschsprachigen Raum ist die Schweiz ein Paradebeispiel: Gesprochen werden die alemannischen Mundarten, geschrieben und gelesen das Hochdeutsche. Bei uns geht dies Nebeneinander immer mehr verloren. Auch Plattdeutsch gilt als aussterbende Sprache. Dauerhaft aber sind die lexikalischen Alternativen. Dazu einige Beispiele: der Fernseher ist defekt – er ist im Arsch/im Eimer, die Vase ist zerbrochen – sie ist kaputt, mir wurde das Portemonnaie gestohlen – es hat mir einer geklaut, sie wurde betrogen – ĂŒbers Ohr gehauen/beschissen, hier ist nix los – nichts los. Die Lexikographie vermerkt die gesprochenen Varianten als ‚umgangssprachlich‘. Dies vereinfacht die Vielfalt und AusdrucksstĂ€rke der gesprochenen Alltagssprache, die manchmal auch mit der Hand auf eine Tafel geschrieben wird. Hoffen wir bei unserer Kneipe auf ein baldiges is auf!

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor fĂŒr Germanistische Sprachwissenschaft an der UniversitĂ€t Erlangen-NĂŒrnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. ErgĂ€nzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Literatur zwischen Draußen und Drinnen

Wie erleben Gefangene ihren Alltag? Was beschĂ€ftigt sie? Das beantworten Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Dresden seit 20 Jahren in der Zeitschrift „Der Riegel“. Die besten dieser Texte haben es nun in ein Buch geschafft. Ob persönliche Schilderungen, Alltagsreportagen, Buchrezensionen oder satirisch-poetische Texte – das Buch ist von literarischer Vielfalt und thematisch breit gefĂ€chert. Es geht nicht nur um den „Knastalltag“, um Konflikte untereinander und mit dem Justizpersonal. Wiederkehrende Themen sind MenschenwĂŒrde, Angst, Drogen, Resozialisierung, TĂ€ter und Opfer, das Feiern von Festen und die Verbindung zwischen „draußen und drinnen“. Die Texte zeigen, die besten Erlebnisse fĂŒr die Inhaftierten sind solche, die den Kontakt zur Welt außerhalb des GefĂ€ngnisses herstellen – zum Beispiel Konzertbesuche, Lehrveranstaltungen, AusflĂŒge oder Fußball gegen Besucher von draußen. Das GefĂ€ngnis verliert fĂŒr eine Zeit lang seinen Charakter als totale Institution, zwei getrennte Welten begegnen einander. Literarisch besonders behandelt wird das GefĂŒhl der verlorenen und der wieder zu erlangenden Freiheit. Die Texte „spiegeln den Lebensrhythmus des GefĂ€ngnislebens“, heißt es im Vorwort. „Sie schildern Erinnerungen an das Leben vor der Inhaftierung und sie formulieren WĂŒnsche und Hoffnungen fĂŒr die Zeit danach.“ (fr.de, hammerweg.eu)


Dialekte als Sprachkultur

Ob FrĂ€nkisch, SchwĂ€bisch oder Alemannisch – Dialekte verschwinden. Die neue Landesregierung in Baden-WĂŒrttemberg hat sich nun die Förderung und den Erhalt von regionalen Mundarten vorgenommen. „Wir wollen Dialekte als Teil der Sprachkultur in Kitas und Schule stĂ€rken“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Initiative des Landes solle fortgesetzt werden, außerdem werde ein Internet-Wettbewerb konzipiert, um fĂŒr das Thema zu werben. Da kommt es gelegen, dass die Vertreter der Landesregierung selbst Dialekt sprechen: Sowohl MinisterprĂ€sident Winfried Kretschmann, als auch der neue CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, sind fĂŒr ihre schwĂ€bische Ausdrucksweise bekannt. Auch Sozialminister Manne Lucha hat seinen oberbayerischen Dialekt nie abgelegt. (sueddeutsche.de)


4. Denglisch

Anglizismen in Stellenausschreibungen

In einer Glosse fĂŒr die Neue ZĂŒrcher Zeitung setzt sich die Journalistin Claudia Rey mit der schönen neuen ArbeitsmarktrealitĂ€t auseinander. „In Stellenanzeigen wimmelt es von Anglizismen“, so die Journalistin und gibt Beispiele der Verenglischung: Aus der „ChefsekretĂ€rin“ wird flugs der „Head of Verbal Communication“. Der „Fusspfleger“ verwandelt sich in den „Foot Health Gain Facilitator“. Englische Berufsbezeichnungen sollen die Bedeutung des Berufes bis ins Unfassbare aufblĂ€hen. Bei einer entsprechenden Gehaltsverbesserung ist das vielleicht willkommen, zunĂ€chst aber verwirrt derlei Geschwurbel. FĂŒr wie dumm hĂ€lt man die Bewerber? (nzz.ch)


Der VDS-Infobrief enthĂ€lt Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. MĂ€nner sind mitgemeint, das Gleiche gilt fĂŒr andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete BeitrĂ€ge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Dorota Wilke, Alina Letzel, Frank Reimer, Oliver Baer

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