Infobrief vom 19. Juni 2022: „Gemma Kino“

1. Presseschau

„Gemma Kino“

Das in Österreich gesprochene Deutsch unterscheidet sich vom Standarddeutschen (was man vor den Weltkriegen als Reichsdeutsch bezeichnete, neuerdings als Bundesdeutsch, oder gar Norddeutsch) in vielem: im Wortschatz, durch grammatikalische Besonderheiten, in der Schreibweise und in der Aussprache. Auf die Unterschiede legt man in Österreich großen Wert. Im Jahr 1994 wurden vorsorglich allein 23 Begriffe für Speisen oder Lebensmittel (z. B. die Marille) beim Beitritt Österreichs zur EU vertraglich geschützt. Österreich sollte nicht durch EU-Recht zur Verwendung fremder Begriffe gezwungen werden können. Gleichwohl sorgen sich die Österreicher um die Zukunft ihrer Sprachvarietät. Der Jugend wird der Vorwurf gemacht, besonders viel „piefkedeutsch“ zu reden, denn in der Schule werde häufig das Hochdeutsche bevorzugt. In einem Beitrag in der Wiener Zeitung Die Presse kommen zwei junge Wienerinnen und zwei Sprachwissenschaftler zu Wort. Stefan Dollinger, ein Österreicher, der im kanadischen Vancouver Sprachwissenschaft unterrichtet, plädiert für Mut zum Österreichischen und weist, das mag verwundern, das sprachliche Selbstbewusstsein der Deutschen als Vorbild aus. (diepresse.com (Bezahlschranke), dasbiber.at)


Neuer Name für Pockenvariante

Die Weltgesundheitsorganisation WHO sucht gemeinsam mit Wissenschaftlern nach einem neuen Namen für das Affenpocken-Virus. 30 Wissenschaftler haben in einem Forderungspapier eine Namensänderung der Viruskrankheit verlangt, die nicht diskriminierend oder stigmatisierend sein dürfe. In den Medien und in der Literatur herrsche nämlich die Auffassung vor, die Affenpocken stammten aus Afrika, obwohl der aktuelle geografische Ausbruchsursprung keineswegs gesichert sei. Auch die Verwendung von Fotos afrikanischer Patienten zur Darstellung der Pocken sei diskriminierend. Die historischen Assoziationen des Begriffs seien rassistisch, sie sollten mit der Änderung der Bezeichnung überwunden werden. Durch die Namensänderung sollen „unnötige negative Auswirkungen auf Nationen, geografische Regionen, Volkswirtschaften und Menschen minimiert und die Entwicklung und Verbreitung des Virus berücksichtigt werden.“ Tatsächlich gibt es weniger kontroverse Benennungen von Viren, zum Beispiel mit Buchstaben des griechischen Alphabets. (n-tv.de)


Micky Maus auf Ukrainisch

Das Micky-Maus-Magazin gehört zu den weltweit erfolgreichsten Kinderzeitschriften. Nun haben die Macher der deutschen Ausgabe ein kostenloses Sonderheft für Flüchtlingskinder aus der Ukraine produziert. Der Egmont Ehapa Verlag möchte durch die 36-seitige Sonderausgabe „ukrainischen Kindern ein Stück Vertrautheit, Freude und Leichtigkeit in ihrem neuen und noch ungewohnten Alltag in Deutschland bringen“. In der Ukraine war das Micky-Maus-Magazin zwischen 1993 und 2011 erschienen, wurde dann jedoch eingestellt. (spiegel.de)


Sprachenvielfalt

Im SWR Podcast 1000 Antworten stellt sich der Linguist Martin Haspelmath der Frage, wie viele Sprachen es auf der Welt tatsächlich gebe. Bekanntlich geht es um rund 7.000 Sprachen. Haspelmath erläutert, dass vor allem Afrika, bis auf Somalia und Malawi, sprachlich sehr vielfältig sei. Um den Äquator herum gebe es besonders viele unterschiedliche Sprachen. Neben Afrika betrifft dies auch Südamerika und Amazonien. Die größte Sprachendichte lässt sich in Südostasien beobachten. Auf Inseln oder sogar in einzelnen Dörfern mit weniger als 5.000 Einwohnern finden sich eigenständige Sprachen. Haspelmath erklärt, dass es auch in Europa eine größere Sprachenvielfalt gab, nämlich vor der Zeit der großen Reiche. Durch die Ausbreitung des Römischen Reichs habe allerdings das Lateinische die meisten Sprachen verdrängt. Bis zum 20. Jahrhundert blieben das Amazonasgebiet und Neuguinea von Einwanderung unberührt, weshalb die Sprachenvielfalt erhalten blieb. (swr.de)


Mit Kondomen dem Sorbischen dienen

Um die sorbische Sprache vor dem Aussterben zu bewahren, hat sich die Illustratorin Karen Ascher aus Lübeck etwas Originelles einfallen lassen. Sie hat die Minderheitensprache Sorbisch, die von in der Lausitz ansässigen Sorben gesprochen wird, auf Kondomverpackungen untergebracht. Diese sind nun mit dem Satz „Ja lubujom tebje!“, also „Ich liebe dich“ versehen. Mit dieser Aktion möchte die Illustratorin vor allem junge Menschen erreichen, denn auf der Rückseite der Kondome befindet sich ein QR-Code, eine bei den Jüngeren gut etablierte Form der Kommunikationsanknüpfung, in diesem Fall mit Informationen, wie man das Sorbische erlernen kann. Ascher möchte die ersten Exemplare auf Festivals und in Cottbusser Diskotheken verteilen. Je nach Nachfrage könnten in Zukunft auch andere Sätze auf den Packungen stehen. (rbb24.de)


2. Gendersprache

Audi verwirft Gender-Vergleichsvorschlag

Am 14. Juni haben sich vor dem Landgericht Ingolstadt Audi und ein VW-Mitarbeiter getroffen, der gegen die Genderrichtlinie bei Audi vorgeht. Der Kläger, Alexander B., will in Schreiben an ihn kein Gender-Gap (also den Unterstrich, der auf andere Geschlechter verweisen soll) sehen. Auch für das anwesende Publikum, das hauptsächlich aus bundesweiten Pressevertretern bestand, zeigte er eindrucksvoll, was die Gendersprache für ihn im Alltag bedeutet: „Der_die BSM-Expertin ist qualifizierte_r Fachexpert_in“, las er aus einer an ihn adressierten Mail vor. Der Vorsitzende Richter schlug einen Vergleich vor, demzufolge Audi in der Kommunikation mit dem Kläger sicherstellen könne, dass in Mails, Schreiben usw. an diesen keine Genderzeichen enthalten sein sollen; Audi solle „halt normal schreiben“, so die Welt. Die Audi-Anwälte lehnten dies aber ab – es sei nicht praktikabel und handhabbar. In der Hauptverhandlung stellen die Anwälte des Klägers klar, dass es ihrem Mandanten um eine Einzelfallentscheidung geht, die nur für ihn gelte. Er sehe sich in seinem Persönlichkeitsrecht beschnitten, darauf müsse auch ein Unternehmen wie Audi Rücksicht nehmen. Audi argumentierte, an dem Leitfaden hätten mehrere Experten mitgearbeitet, der Text sei sehr umfassend formuliert. Dass einer der Audi-Anwälte dabei selbst „Experten“ sagte, fiel auch dem Anwalt des Klägers auf: „Sie haben nicht gesagt: Expert_innen!“ warf er mit einem süffisanten Unterton ein und unterstrich so, dass in der Alltagssprache durchaus bekannt sei, wer mit welcher Ansprache gemeint ist. Der Kläger stellte nach dem abgelehnten Vergleich daher einen Antrag auf Unterlassung, den der Vorsitzende Richter zusammenfasste mit: „Der Gender Gap muss weg.“ Ein Urteil will das Gericht am 29. Juli verkünden. (welt.de, br.de)

3. Kultur

das goethe

Der stellvertretende Chefredakteur des Hamburger Abendblattes, Matthias Iken, ist wenig begeistert über das Kulturmagazin des Goethe-Instituts, konkret das goethe, die Nummer 1/2022 mit dem Schwerpunkt Feminismus. Iken hat (vermutlich weil er ein alter weißer Mann sein könnte) vor der Veröffentlichung seiner aktuellen Kolumne seine Frau gefragt, die über die Frauenbewegung immerhin promoviert hat. „Der deutsche Dichterfürst (dürfte) im Grabe rotieren, wenn er lesen müsste, was da in seinem Namen geschrieben steht“, meint Iken. Seltsamer Titel, Gendersprache, „Berge von Anglizismen und Gebirge von Fachbegriffen“, „Sätze wie Ungetüme“. – Für Iken ist das goethe ein Heft, „das Journalisten eben so machen, wenn sie kein bisschen mehr an ihre Leser denken müssen und ganz in den Untiefen der Identitätspolitik versinken.“ Feminismus verdiene eine seriösere Behandlung. Iken fragt sich, wie das Goethe-Institut, das seit 71 Jahren für die deutsche Sprache zu werben hat, mit solchen Veröffentlichungen ein angemessenes, aktuelles Deutschlandbild vermitteln möchte. (abendblatt.de)


4. Berichte

Mainuferfest Offenbach

An diesem Wochenende (18./19. Juni) findet in Offenbach das traditionelle Mainuferfest statt. Entlang des Mains und in der Innenstadt werden Bühnen und verschiedene Stände aufgebaut; internationale Speisen gehören genauso zum Programm wie verschiedene Tanz- und Musikdarbietungen. Auch der VDS wird wieder dabei sein. Samstag und Sonntag ist er mit einem Infostand vertreten, jeweils von etwa 11 bis 19 Uhr, gegenüber dem Eingang zum Büsing-Palais, an der Stadtbibliothek. Peter Ambros, Regionalleiter für die Region 61/63, blickt mit Vorfreude auf das sonnige Wochenende: „Wir freuen uns schon auf viele Besucher und interessante Gespräche. Es ist im Kontakt mit den Standbesuchern immer wieder spannend zu sehen, wie sehr ‚Sprache‘ uns alle verbindet.“ (offenbach.de, offenbach.de)


5. Denglisch

Licht und Schatten bei der automatischen Übersetzung

Peter Littger stellt in der Wirtschaftswoche das „weltberühmte“ Übersetzungsprogramm DeepL eines Kölner Anbieters vor. Die Programmentwickler behaupten: „… mit Hilfe von neuronalen Netzen menschliche Möglichkeiten zu erweitern, Sprachbarrieren zu überwinden und Kulturen einander näherzubringen“. Bei der Denglisch-Kultur im Deutschen kommt das Programm allerdings an seine Grenzen, stellt Littger an einigen Beispielen fest: Zum denglischen Satz „Ich arbeite im Home Office“ kommt der Übersetzungsvorschlag: „I work in a home office.“ Das sei in den meisten englischsprachigen Ländern unbrauchbar. In Großbritannien sagt man zumeist „remote work“ oder „work from home“. Das Programm erkennt auch Pseudo-Anglizismen, die es im Englischen gar nicht gibt. „Ich trage einen Smoking“ lautet im Vereinigten Königreich: „I wear a dinner jacket“ und in den USA: „I wear a tuxedo.“ (wiwo.de)


Edelrümpel und Sonderbeischlaf

Gottseidank wird wieder eingedeutscht. Früher war das selbstverständlich, da wurde aus dem strike der Streik, aus dem bureau wurde das Büro. Auf diese Weise wird die Schreibung von Fremdwörtern der deutschen Laut-Buchstaben-Zuordnung angeglichen. In anderen Sprachen geschieht das weiterhin, hierzulande weiß kaum noch einer, dass es so etwas gibt. Nun aber kümmert sich mit dem gebührenden Ernst das Magazin Postillon. Zwar verwechselt die Redaktion die Eindeutschung mit der Verdeutschung (bei dieser ermittelt man für das Fremdwort eine deutsche Entsprechung), aber ihr treffliches Bemühen verdient die Vorstellung einiger ihrer Kreationen: für Vintage fand sich das Wort Edelrümpel, für den One-Night-Stand der Sonderbeischlaf. Da weiß man doch. Gut trifft das Wort Strauchfirma den Problemkern des Hedgefonds und Grunge als Pfuhlmusik zu verdeutschen grenzt ans Geniale, während die Verjetzlichungsstrahle (für den Live-Stream) geradezu ins Metaphysische verweist. Die komplette Sammlung ist zu finden bei der-postillon.com.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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