Infobrief vom 24. September 2022: Kein schönes Wetter mehr

1. Presseschau

Kein schönes Wetter mehr

Der ZDF-Moderator Özden Terli verbannt das „schöne Wetter“ aus seinem Wortschatz. „Was ist denn schön daran, wenn draußen alles gelb ist vor Trockenheit und die Bäume leiden?“ begründet er laut Welt seine Entscheidung. Angesichts des menschengemachten Klimawandels müsse man Wetterphänomene „kontextualisieren“, sie in einen größeren Zusammenhang stellen. In der Klimakrise müssten Hitzetage anders beleuchtet werden, „da reicht es nicht zu sagen: Juhu, wir gehen alle ins Schwimmbad.“ Heißt es demnächst also: „Am Nachmittag traurig bis wolkig“, fragt Richard Kämmerlings dazu in seinem Kommentar. Egal wie man zu diesem „volkspädagogischen Ansatz“ stehe, verrate es doch ein Missverständnis über ästhetische Urteile. Jeder nimmt das Wetter auf seine Weise wahr. Einer mag die „wolkenlose Langeweile“, dem anderen sagen Regen und Kälte zu. Das Schöne sei nicht identisch mit dem Guten, so Kämmerlings: „Ein prächtiger Barockpalast kann mit der bitteren Armut der Untertanen erkauft sein.“ Von „schönem Wetter“ zu reden, heiße also nicht automatisch, dieses Wetter auch gut und das Klima prima zu finden. (welt.de (Bezahlschranke))


Bastian Sick mit Elbschwanenorden geehrt

Der Autor und Journalist Bastian Sick ist mit dem Elbschwanenorden ausgezeichnet worden. Der Preis wird von der Hamburger Regionalgruppe (VDS) vergeben. Der breiten Öffentlichkeit ist Sick durch seine Spiegel-Kolumne „Zwiebelfisch“ bekannt, worin er mit Witz und Ironie Zweifelsfälle der deutschen Grammatik und Rechtschreibung beleuchtet. In seinem Grußwort betonte Dr. Holger Klatte, Geschäftsführer des VDS, die Bedeutung Sicks für die öffentliche Wahrnehmung von Sprache: „Mir fallen nicht viele Sprachwissenschaftler an deutschen Universitäten ein, denen es gelungen ist, mit Themen zur deutschen Syntax oder Morphologie Beifallsstürme auszulösen.“
Bastian Sick freute sich über die Auszeichnung: „Der Elbschwanenorden ist eine große Ehre für mich, weil es dabei nicht um den kommerziellen Erfolg geht, sondern um das, was man tatsächlich erreicht und bewirkt hat. Der Schwan wird bei mir zu Hause natürlich einen würdigen Platz bekommen – dafür muss ich vermutlich ein wenig umräumen, denn einen Trophäenschrank oder dergleichen habe ich nicht – in Ermangelung von Trophäen. Aber da wird sich schon ein schönes Plätzchen finden.“
Die VDS-Regionalgruppe „Hamburg und Umland“ zeichnet seit 2005 regionale Einrichtungen und Persönlichkeiten, die sich um unsere Sprache in besonderer Weise verdient gemacht haben, mit dem undotierten Sprachpreis „Elbschwanenorden“ aus. Bisherige Preisträger sind u. a. die Hamburger Wasserwerke, der Autor und Literaturkritiker Prof. Hellmuth Karasek sowie der Liedermacher Achim Reichel und der Hamburger Verein „Leseleo“. (vds-ev.de)


25 Jahre Ainu Times

Ihre Abonnenten-Zahl ist überschaubar: 80 Menschen lesen die Ainu Times, die nur zwei bis drei Mal im Jahr erscheint. Dennoch feiert die japanische Zeitung mit Außenseiter-Charakter jetzt ihr 25-jähriges Jubiläum. Gedruckt wird sie in lateinischen Buchstaben, aber auch in Katakana, der japanischen Silbenschrift. Dass es die Sprache Ainu noch gibt, ist eine historische Besonderheit. Sie gehört zu dem gleichnamigen Volk, das auf der Insel Hokkaido im Norden Japans beheimatet ist. Das Wort „Ainu“ bedeutet so viel wie „Mensch“. Mittlerweile gelten die Ainu als „einheimische Bevölkerungsgruppe“, die hierzulande vor allem in Kreuzworträtseln vorkommt. Ainu wird als „isolierte Sprache“ bezeichnet, sie weist keine genetischen Verwandtschaften zu anderen Sprachen auf. Während der Meji-Ära (1868 bis 1912) wurden die Ainu zur Verwendung des Japanischen gezwungen, wodurch ihre Sprache rasch an Bedeutung verlor, so das Portal sumikai.com, sie wird heute nur noch von wenigen nativen Menschen, alle über 60 Jahre alt, gesprochen. Shiro Kayano, der Vorsitzende der Organisation zur Wiederbelebung der Sprache und Direktor des Ainu-Museums in Biratori (Präfektur Hokkaido) ist der Sohn des ersten Ainu-Abgeordneten im japanischen Nationalparlament. Er selbst kannte in seiner Jugend nur wenige Wörter dieser Sprache. Bei einer Studienreise nach Kanada erfuhr er von einem indigenen Volk, das eine Zeitung in der eigenen Sprache herausgibt – das inspirierte Kayano, es den kanadischen Ureinwohnern gleichzutun. Zurückgekehrt nach Japan, kündigte er seine Stellung und gründete 1996 mit Freunden den Ainugo Pen Club mit dem Ziel, „Ausdruck und Veröffentlichung in der Ainu-Sprache zu fördern.“ (sumikai.com)


2. Gendersprache

Sprache bildet keine Gerechtigkeit ab

Prof. Dr. Katerina Stathi von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) hat mit anderen Sprachwissenschaftlern den Aufruf an den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) unterschrieben. Auf der Internetseite der WWU versichert Stahi als erstes, sie sei selbstverständlich nicht gegen Geschlechtergerechtigkeit. „Aber Sprache hat nicht die Funktion, Gerechtigkeit abzubilden, sie kann nicht das Spielfeld dieser Diskussion sein.“

Schon die Begriffe „geschlechtergerecht“ oder „geschlechtersensibel“ führen in die Irre, denn sie „implizieren – und das sollen sie wohl auch ausdrücklich –, dass diejenigen, die diese Praxis mitmachen, gerecht und sensibel sind. Das sind allerdings moralische Kategorien, die in dieser mittlerweile ideologisch geprägten Diskussion fehl am Platze sind.“ Stathi plädiert für neutrale Begriffe wie „gendern“ oder „gegenderte Sprache“ und fordert „eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs auf ,sprachwissenschaftlicher Grundlage‘.“ Daran fehle es, die Debatte werde stattdessen moralisch-ideologisch geführt.

In Sätzen wie „Ich gehe zum Arzt“, sei das Geschlecht zumeist unerheblich, in solchen Fällen tendiere der Sprachgebrauch zur sprachökonomisch kürzesten Form. Sprache sei grundsätzlich unterspezifiziert: „Das heißt, dass wir in der Kommunikation sehr viele Details auslassen. Die Pragmatik, also der Kontext und unser Weltwissen, reichern die Bedeutung in einer konkreten Gesprächssituation an.“ Was das bedeutet, lasse sich auf die Formel bringen: „je mehr Bedeutung, desto mehr Form.“ Ist das Geschlecht unwichtig, tendiere die Sprache zur kürzesten Form. Wolle man das Geschlecht, beispielsweise des Arztes, hervorheben, gebe es dafür die entsprechende sprachliche Option mit der Endung ‚in‘. „Jeder Sprecher kann entscheiden, welche und wie viele Informationen relevant sind.“

Stathi widerspricht dem Eindruck, dass sich immer mehr Menschen, ganz unabhängig von der wissenschaftlichen Bewertung, für eine Abkehr vom generischen Maskulinum entscheiden. Diese Praxis gebe es in manchen Medien, der Politik und in akademischen Gruppen. „Aber wenn Sie den Menschen auf der Straße zuhören, dann ist das generische Maskulinum nach wie vor der Normalfall. Ich kenne auch viele Kolleginnen und Kollegen aus meinem beruflichen Umfeld, die genervt sind, dass man von ihnen erwartet, diese oder jene Form zu verwenden.“ Das gelte auch für viele Studenten. Bei der Gendersprache handle es sich nicht um Sprachwandel, bei dem neue Formen auf natürliche Weise entstehen, sondern um Vorgaben und Anordnungen. Natürlicher Sprachwandel sei nicht abrupt, er brauche Zeit und er könne nicht verordnet werden. das sei kein Sprachwandel, sondern Sprachpolitik.

Die Kritik, dass Gegner des Genderns rückwärtsgewandt und konservativ seien, lässt Stathi nicht gelten, sie sei „unfair und unsachlich. Und es ist geradezu traurig, dass einige Nachwuchswissenschaftler offenbar aus Angst vor einer derartigen Stigmatisierung und aus Sorge um ihre berufliche Zukunft sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen“, so die Sprachwisenschaftlerin. (uni-muenster.de)


Chefredakteur hält Sprache für ein Lebewesen

Nachdem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund der Verwendung von Gendersprache kritisiert hat, meldet sich nun der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, zu Wort und weist die Kritik von sich. Merz hatte die Sender aufgefordert, sich an die Regeln der deutschen Sprache zu halten, schließlich seien sie keine „Volkserziehunganstalten“. Frey verteidigt die Verwendung der Gendersprache. Vor allem junge Frauen würden die Sprachgewohnheiten aus dem Studium in den Sender einbringen. Frey argumentiert, dass es sich nicht nur um eine sprachliche Diskussion handle. Die Repräsentanz von Frauen in der Öffentlichkeit spiele eine entscheidende Rolle. Frey fügt hinzu: „Sprache ist etwas, was sich verändert, was lebt. Ich glaube, dass wir am Ende Formen finden, mit denen sich alle repräsentiert fühlen“. (faz.net)

Schweizer Hochschule erlaubt Notenabzug

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZAHW) hat sich einen Genderleitfaden gegeben. Der Rektor wünscht sich eine „inklusive Anrede“, vermeintlich geschlechtsneutrale Pronomen wie „they/them“ oder „sier“ sollen genutzt werden, auf die Anrede „Herr“ oder „Frau“ solle verzichtet werden; die Verwendung des generischen Maskulinums sei nicht erwünscht und dürfe von Professoren und anderen Lehrkräften nicht vorgeschrieben werden. Laut Leitfaden können Dozenten das Nicht-Gendern sogar mit einem Notenabzug sanktionieren, wie ein ZHAW-Sprecher gegenüber dem Tages-Anzeiger bestätigte. Der Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Felix Uhlmann hält den Leitfaden an dieser Stelle für nicht haltbar, schreibt die NZZ: „Examensnoten spiegeln die Leistung der Kandidatin oder des Kandidaten wider. Ein gängiger Sprachgebrauch, wie er auch von der Bundeskanzlei verwendet wird, darf nicht negativ berücksichtigt werden“, so Uhlmann. Eine Rechtsgrundlage dafür gebe es nicht, die ZHAW blende mit dem Leitfaden die „grundrechtlich geschützte Meinungsäusserungsfreiheit der Studierenden“ aus. (nzz.ch (Bezahlschranke), insideparadeplatz.ch)


3. Kultur

Hollywoods Fantasiesprachen

US-amerikanische Sendungen glänzen nicht nur durch hohen, technischen Aufwand, sondern begeistern auch mit ihren Fantasiesprachen. In „Star Trek“ gab es bereits 1979 die Fantasiesprache „Klingonisch“ und in der neuen Serie „House of the Dragon“, dem Ableger des „Game of Thrones“, wird „Hochvalyrisch“ gesprochen. Viele Anhänger der Sendung lernen die erfundene Sprache, denn anhand dieser gewinnt die fiktive Kultur an Tiefe und Authentizität. Die Fantasiesprache für „Game of Thrones“ wurde durch einen Wettbewerb entwickelt, den David J. Peterson, ein 41-jähriger Linguist, gewann. Er erfand Aussprache, Grammatik und lieferte 1.700 Wörter. Der hohe Aufwand wird belohnt, die Fantasiesprache „Valyrisch“ wird von Machern und Zuschauern als großer Erfolg gefeiert. Peterson hat auch ein Lehrbuch mit weiteren Wörtern, Phrasen und Vokabeln veröffentlicht. (srf.ch)


Ingwer, Qualle und Elch

Emojis, diese kleinen Bildchen und Gesichter, sind aus der Kommunikation mit dem Mobiltelefon kaum noch wegzudenken. Das Unicode-Konsortium, das für die Einführung dieser Symbole zuständig ist, hat jetzt 20 weitere Emojis angekündigt. Ab Oktober werden sie nach und nach verfügbar sein. Unter anderem gibt es dann eine Ingwerknolle, eine Qualle, einen Elch, Maracas und eine Gans. (welt.de)


4. Berichte

VDS stiftet Novalis-Gedenktafel

Zu Ehren des 250. Geburtstages Friedrich von Hardenbergs haben Christoph Schulze, Bürgermeister der Solestadt Bad Dürrenberg, und Arne-Grit Gerold, Leiterin der VDS-Regionalgruppe Sachsen-Anhalt, am ehemaligen Assessorenhaus eine Gedenktafel enthüllt. Heute beherbergt das Haus den städtischen Kindergarten „Am Kurpark“ im Bischofsweg. Den würdigen Rahmen bot das diesjährige Sole-Schacht-Fest, denn der Bergmann, Geologe, Salinentechniker und Jurist von Hardenberg lebte und arbeitete in den Jahren 1796 bis 1800 als Assessor (Salinendirektor) in Bad Dürrenberg. Bekannt wurde er vor allem als Schriftsteller, Philosoph und Romantiker unter dem Namen Novalis. Die von der Künstlerin Heike Lichtenberg gestaltete Gedenktafel hat der VDS gestiftet. Bürgermeister Schulze sagte dazu: „Salz, das ,weiße Gold‘, hat die Geschichte der Solestadt Bad Dürrenberg geprägt. Diese Geschichte ist mit dem Wirken von Novalis eng verknüpft; dass nun eine Gedenktafel an dieses Wirken erinnert, erfüllt einen lang gehegten Wunsch.“


Kabarett und Musik zum Tag der deutschen Sprache

Fast 100 Besucher erlebten zum Tag der deutschen Sprache in Dresden eine Veranstaltung des VDS-Dresden mit dem Kabarettisten und ehemaligen Intendanten der Dresdner Herkules-Keule, Wolfgang Schaller, der Kammersängerin Barbara Hoene und der Lautenspielerin Anne-Kathrin Tietke. In seiner einleitenden Ansprache erklärte der Regionalleiter Jörg-Michael Bornemann, uns sei gar nicht bewusst, welchen Schatz uns die Mütter geschenkt haben, die Muttersprache. „Lassen wir uns das Einzige, was uns wirklich persönlich gehört, also unser persönliches Eigentum ist, nämlich unsere Muttersprache, nicht von anderen zerstören oder gar stehlen“, sagte Bornemann.


Süttember

Der September steht wieder ganz im Zeichen der alten Handschriften. Im „Süttember“ gibt es mehrere Vorträge, Mitmachaktionen und Rätsel. Auf der Plattform Instagram werden noch nächste Woche Wörter in Sütterlin präsentiert, welche die Nutzer erraten können. Nach Sütterlin-Treffen in Hirsau und Mainz geht es nächste Woche nach Bielefeld (NRW) und Leinefelde (Thüringen). Die Sütterlinstube der AWO Bielefeld lädt zu einer offenen Sprechstunde ein, und in Leinefelde erfahren Neugierige alles zu der alten Schrift beim Sütterlin-Klub Eichsfeld. Mehr Informationen gibt es hier: vds-ev.de/suettember.


5. Kommentar

Nur ja nichts Falsches lesen

„Jenseits von Winnetou“ in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) vom 24.9.2022 ist einer von ungezählten, aktuellen Artikeln über Stereotype wie „heißblütige Italiener“, „lustige Dicke“, „gewalttätige Moslems“, „mutige Jungs“, „schüchterne Mädchen“, mit denen Festschreibungen befördert würden, die unserem gesellschaftlichen Leben schaden. Bekanntlich finden sich üble Zuschreibungen auch in „Pippi Langstrumpf“, die es nun zu vernichten gilt, und „Huckleberry Finn“ sollte schon gar nicht mehr im Regal zu finden sein. Schade! Das dort über 200mal verwendete, unsägliche Wort mit dem anstößigen Anfangsbuchstaben könnte aber das Gegenteil von dem bewirkt haben, was ihm nachgesagt wird, denn gut geschriebene Literatur, wenn sie von Stereotypen auch nur so strotzt, sogar der Kitsch bei Karl May, hat uns Kindern dazu verholfen, Moral zu entfalten: aus eigenem Antrieb. Das war und ist allemal mehr wert, als Moral, die durch Filter trieft, wie beim „Struwwelpeter“. Professor Richard Stang, Leiter des Instituts für Kindermedienforschung, gesteht uns zu, dass Typisierungen stattfinden. Dazu neige der Mensch, „um seine Welt zu ordnen.“ Darüber müsse man eben nachdenken und reden. Er sieht auch eine Gefahr: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles auslöschen, was irgendwann einmal problematisch war, und das damit auch in der Geschichte verloren geht“ (zitiert in der WAZ). Anders gesagt: Wenn alles stimmt, woher weiß man, was nicht stimmt? Es muss nun mal, was falsch ist, sagbar bleiben. Vorzugsweise in Maßen, sonst ersetzt Naserümpfen das Reden, die Sprache, die Verständigung.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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