Infobrief vom 5. November 2022: Le Doppelwümms

1. Presseschau

Le Doppelwümms

In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) nimmt sich Reinhard Mohr die Leichtfertigkeit der Politiker im Umgang mit der Sprache vor. Sie reiche von einer Wortwahl, mit der man kleine Kinder belustigt, bis zur Sättigung des „Diskurses“ mit Worthülsen zum Wohlfühlen. Zwar bildeten „sinnfreie Formulierungen, rhetorische Ausweichmanöver, die im Nirgendwo enden, und hohl klingende Allgemeinplätze immer schon Teil der politischen Sprache“, was dann als sogenannte Kommunikation gilt, aber mit dieser habe sie wenig gemeinsam, sagt Mohr. Es gab bereits die Bazooka – eine rückstoßfreie Panzerabwehr-Handwaffe – zur Vernichtung pandemiebedingter Benachteiligungen. Nun ist es der Wumms, gefolgt von seiner Steigerung, die Oliver Welke in der Heute Show französisch ausspricht: „Le Doppelwümms“, weil Olaf Scholz dieses Gerät seinem Kollegen Emmanuel Macron erst noch schmackhaft zu machen hatte.

Der Politik gehe es in aller Regel keineswegs um Dialog, „sondern um autoritäre Botschaften, die gezielt unters Volk gebracht werden müssen“, sagt Mohr. Dem dienten „kreative Wortschöpfungen wie Mietendeckel, Rettungsschirm und Gaspreisbremse“  – Hauptsache das Wort macht Laune. Derweil forderten die Gewerkschaften „gute Arbeit und gute Löhne für gutes Geld – wer wäre allerdings schon für miese Arbeit und Hungerlöhne?“ fragt Mohr und fügt mit einiger Schärfe hinzu: „Talkshow-erprobte Zauberbegriffe wie Integration und Weltoffenheit suggerieren, mit der positiv besetzten Benennung eines Themas bereits erschöpfende, gleichsam kinderleichte Antworten auf schwierige Fragen zu liefern.“ Er schließt mit den Worten eines hohen Militärs: „Die politische Führung muss sich an ihre Bevölkerung wenden, als würde sie mit Erwachsenen reden, damit das Land besser vorbereitet ist.“ (nzz.ch, zdf.de (bei Min. 1:28))


Dramatikerpreis wird nicht vergeben

Das Schauspiel Stuttgart hat die Vergabe des mit 75.000 Euro dotierten Europäischen Dramatikerpreises an die Britin Caryl Churchill zurückgezogen. Die 84-Jährige sollte ihn für ihr Gesamtwerk erhalten, so der SWR. Wegen Antisemitismus-Vorwürfen war die Vergabe-Entscheidung jedoch in die Kritik geraten. Der Dramatikerin Churchill wird vorgeworfen, sie habe sich in der internationalen Israel-Kulturboykott-Bewegung BDS engagiert, und sie verwende antisemitische Klischees, etwa in ihrem 10-Minuten-Stück „Seven Jewish Children“, heißt es vom Schauspiel Stuttgart. Gespräche über die Verwendung des Preisgeldes sollen noch geführt werden, gab das Schauspiel bekannt. (swr.de)


Duzen und Siezen im Journalismus

In den traditionell eher gesetzten, konservativen Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen Medien scheint sich die Ansprechhaltung zu wandeln, schreibt Steffen Grimberg in seiner Kolumne für die taz. In den Tagesthemen sprächen sich die Redakteure vor der Kamera immer häufiger mit „Du“ an. Das sei nicht schlimm, so Grimberg, denn das „Du“ schaffe nicht automatisch eine „Gleichmacherei“; auch beim Duzen könne man eine professionelle Distanz wahren: „Im britischen Journalismus sind selbst Minis­te­r*in­nen ‚on first name terms‘, ohne dass dies britischen Journalismus gegenüber der Politik besonders handzahm oder unkritisch gemacht hätte.“ Auch der persönliche Bereich zeige, dass ein „Du“ keinen konfliktfreien Raum schaffe. Und spätestens seit die Welt durch das Internet weiter zusammenrückt sei klar: Siezen? Das ist ‚out‘. (taz.de)


Geliebtes Deutsch

Langweilig und out – vor allem auf dem Gebiet der Wissenschaften. So wird die deutsche Sprache oft selbst von Muttersprachlern wahrgenommen. Der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt (Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft) hält dagegen: Das Deutsche sei vor allem für seine „einfühlsamen und ausdrucksstarken“ Formulierungen bekannt. In seinem Buch „Deutsch – Eine Liebeserklärung: Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“ erklärt er, welche Vorteile das Deutsche bietet und wie charmant wir darin kommunizieren können. Zum Beispiel gebe es viele unscheinbare Partikelwörter („Wo bleibt sie bloß?“ „Nun warte halt noch – da kommt sie ja.“), von denen das Deutsche mehr habe als andere Sprachen, so Wolfgang Krischke in der FAZ. Sie verliehen dem Redefluss feine Tönungen und viele emotionale Nuancen. Auch die Möglichkeit, durch das Zusammensetzen verschiedener Wörter neue Begriffe zu kreieren, sei bemerkenswert. Sprachungeheuer „wie das berühmte Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ mal außen vor gelassen, würden aber Wörter wie „Lästermaul“ oder „Trümmerfrau“ die Vielseitigkeit der deutschen Sprache aufzeigen.

Ambivalent sei das Verhältnis zu Anglizismen, so Kaehlbrandt. Viele Wörter würden sich grammatikalisch vorbildlich integrieren lassen: Aus einem Import wie „downloaden“ könne schnell das einheimische Partizip „downgeloadet“ gemacht werden. „Allerdings verlaufe die Anpassung neuer Fremdwörter nicht immer ganz so reibungslos, wie es bei Kaehlbrandt erscheint“, befürchtet Krischke. So zeige eine Studie, dass Sprecher beträchtliche Probleme hatten, frisch entlehnten Anglizismen wie Applet, Constraint oder Jam ein Genus zuzuordnen. Auch sperrige Formen wie das unlimited Datenvolumen zeigten die Grenzen der Assimilation. (faz.net)


2. Gendersprache

Bosbach warnt vor dem Kipppunkt

Anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Buches „Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können“ hat der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach dem Kölner Stadtanzeiger ein Interview gegeben. Darin warnt er vor einem Vertrauensverlust der Politik. Sie wecke bei den Wählern hohe Erwartungen, die im Alltag kaum erfüllt werden könnten. Zudem äußerte er sich zum Gendern, das er als potenzielle Gefahr für gesellschaftliche Spaltung ansieht: „Versuche von Volkserziehung und Umerziehung stießen anfänglich in der Regel auf ein geteiltes Echo, aber irgendwann wird es den Leuten zu viel. Und dann kippt es in Ablehnung: ‚Das lasse ich mir jetzt nicht mehr bieten.‘“ Er selbst wolle so schreiben und sprechen, wie er es selbst für richtig halte: „Ich möchte nicht, dass ich mir jedes Wort dreimal überlegen muss, damit sich nur ja niemand aufregt.“ Eine klare Trennlinie verlaufe aber da, wo Menschen vorsätzlich diskriminiert oder herabgesetzt würden. (presseportal.de, ksta.de (Bezahlschranke))


3. Kultur

Peinliche Kindernamen

Bei der Wahl eines Namens für das eigene Kind empfiehlt sich der Vorsatz: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Einige Namen, die einen schönen Klang aufweisen, können übersetzt in andere Sprachen unangenehme Bedeutungen haben. Das Portal familie.de hat hierfür eine Liste mit Namen zusammengestellt, die mehrere, gar peinliche Bedeutungen haben können. „Fanny“ kann die abgewandelte Form von Franziska sein. Umgangssprachlich entspricht in England die „fanny“ jedoch der Muschi und in den USA dem Po. Der gängige Name „Mark“ bedeutet auf norwegisch „Wurm“ oder „Made“. „Kiki“ kann hierzulande als Vor- oder Spitzname für Mädchen verwendet werden. Auf Japanisch ist „Kiki“ jedoch die „Krise“. (familie.de)

Endlich Frieden an der Teilchen-Theke

Das Satire-Magazin Der Postillon hat die Bäcker-Zunft befriedet. Mit weniger Pathos lässt sich der Beitrag zur Frage „Krapfen oder Berliner“ wohl kaum beschreiben. Seit Jahren – ach: Jahrhunderten! – tobe in der Republik schließlich der Streit um die korrekte Bezeichnung der mit Marmelade gefüllten und mit Zucker bestreuten Hefeteilchen. „Dass ein Gebäckstück in verschiedenen Regionen unter völlig unterschiedlichen Begriffen bekannt war, sorgte immer wieder für viel Verwirrung“, heißt es in einer Stellungnahme des vom Postillon spontan für diesen Zweck erfundenen Deutschen Rechtschreibrates DRSR. „Zum Teil gab es sogar Fehllieferungen bei landesübergreifenden Pfannkuchen-Bestellungen.“ Daher habe man aus den gängigsten regionalen Namen (Krapfen, Berliner, Kräppel, Pfannkuchen) das Kofferwort „Krapfberläppelkuchen“ geschaffen. Das sei ab dem 1. Januar verbindlich zu nutzen. Eine weitere Aufgabe habe sich der DRSR bereits ebenfalls vorgenommen: Man wolle sich um einen einheitlichen Namen für das Endstück eines Brotlaibs kümmern. (der-postillon.com)


4. Berichte

VDS beim „Phrasendrescher“

Der Youtube-Blogger „Phrasendrescher“ interviewt VDS-Kulturbeauftragter Rigo Neumann über seinen Arbeitsalltag in der Geschäftsstelle des Vereins Deutsche Sprache. Themen sind die Geschichte des VDS, der Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache, die Gendersprache und was Philipp von Zesen, eifriger Wortneuschöpfer des 17. Jahrhunderts mit dem VDS zu tun habe. „Phrasendrescher“ ist Student der Philosophie in Wien und produziert vor allem Videos zu philosophischen Themen, insbesondere interessieren ihn die Schriften Friedrich Nietzsches. (youtube.com)


ARD-Sendung zur Gendersprache

„Streitfall Gendern – der Krieg ums Sternchen“ ist der Titel einer kommenden Sendung des Filmemachers Claus Hanischdörfer. Mit dabei sind VDS-Vorstandsmitglied Sabine Mertens und die Moderatorin und Buchautorin Petra Gerster. Erstausstrahlung: Mittwoch, 9. November, 20:15 Uhr im SWR. (ard.de)


Tag der deutschen Sprache in Benin

In der Stadt Lokossa im westafrikanischen Benin feierte Regionalleiter Mahuwèna Crespin Gohoungodji mit seinen Studentinnen am „Lycee des jeunes filles“ den Tag der deutschen Sprache am 2. November. Es gab Preise für gute Leistungen, die Studentinnen sangen und trugen Texte vor. „Wir sind zuversichtlich, dass wir durch diese besondere Initiative mehr Lernende gewinnen, die sich entscheiden, Deutsch in der Schule fleißig zu lernen“, erklärte Gohoungodji. Benin (vormals das Königreich Dahomey) zählt zum frankophonen Sprachraum in Afrika.


5. Denglisch

Oxford-Wörterbuch der afroamerikanischen Sprache

Die englische Sprache enthält viele Ausdrücke aus dem afroamerikanischen Sprachgebrauch. Das Hutchins Center for African and African American Research an der Harvard Universität möchte hierfür bis zum Jahr 2025 ein neues Oxford-Wörterbuch zusammenstellen. Das Wörterbuch entstehe jedoch nicht nur durch den Fleiß von Forschern, auch schwarze Amerikaner seien dazu aufgerufen, Worte und Formulierungen einzusenden. Das „African American Vernacular English“ (Kurzform AVE oder AAVE) ist Forschern schon seit Jahrzehnten bekannt. „Um ihre eigenen Empfindungen und ihre Identität widerzuspiegeln, haben Afroamerikaner die englische Sprache an sich angepasst und neu erfunden“, erklärt der Historiker Henry Louis Gates Jr.. Auch hierzulande sind einige Ausdrücke aus dem AVE vor allem in der Jugendsprache vertreten. „Side hussle“, also der Nebenjob, der Ausruf „girl!“ oder „sister“ seien in die allgemeine Sprache übergegangen. Das Forschungsprojekt der Harvard Universität beschäftige sich vor allem mit dem Ursprung von Wortneuschöpfungen und Besonderheiten in der Grammatik, die lange als „falsches Englisch“ galten. Der Historiker Gates sieht in dem Projekt einen wichtigen Beitrag zur schwarzen Geschichtsschreibung. Auch das politische Schlagwort „woke“, das heutzutage in Debatten rund um die Löschkultur (Cancel Culture) verwendet wird, entstamme dem AVE. Mit dem Ausruf „stay woke“ erinnerten sich Afroamerikaner seit den 1930er Jahren daran, wachsam im Kampf gegen den umgebenden Rassismus und die politische Ungerechtigkeit zu bleiben. (faz.net)


6. Soziale Medien

Engländer beim Gendern in Cambridge

Andrew Doyle sprach bei GB News mit Oliver Baer (Mitglied des VDS-Vorstands) über die Kurse an der Cambridge-Universität, in denen ein vermeintlich geschlechtergerechtes Deutsch gelehrt wird. „Man sollte das Werkzeug ‚Sprache‘ nicht durch das Gendern abstumpfen lassen“, so Baer. „Die Menschen wollen einfach nicht gendern“, sagt er, die meisten lehnten es ab. Lediglich bestimmte Gruppierungen würden sich dafür stark machen, „aber nicht mal bei den Grünen gibt es eine Mehrheit dazu.“ Baers Sorge: „An den Unis macht sich eine Ideologie breit, dabei sollten Studenten eigentlich lernen, rational zu denken und wissenschaftlich sauber zu arbeiten.“ (facebook.com)


7. Kommentar

Auf Distanz

Auf Abstand? Oder doch lieber vertraute Nähe? Das erste Aufeinandertreffen zweier Menschen kann zu einem Vabanquespiel werden. Ein kurzer Blick, ein Lächeln umspielt die Lippen, und dann sagt einer: „Grüß dich!“ Im lockeren Beisammensein beim Sport, unter flüchtig Bekannten, fällt es vermutlich nicht auf. Man ist auf einer Ebene, Gleicher unter Gleichen. Doch sobald die Waage kippt, kommt meist Unbehagen auf. Gehört es sich, das Gegenüber zu duzen? Es ist vielleicht älter, beruflich auf einer höheren Hierarchiestufe. Das Du suggeriert jedoch Vertrautheit, Nähe, die der andere vielleicht gar nicht will. Bis heute gilt das Sie als höfliche Andredeform, das Du gehört meist in den Freundeskreis oder zu Kollegen, mit denen man eng zusammenarbeitet. Spätestens durch den Eintritt des Möbelhauses Ikea auf den deutschen Markt findet jedoch ein Umdenken statt. Vor allem Jüngere sehen im Du eine Möglichkeit, umständlich lange Kennenlernphase mit peinlichen Momenten zu überbrücken. Unabhängig vom Alter ist jedoch auch die Umgebung des Du entscheidend für die Akzeptanz. Die SPD nutzt das sog. Genossen-Du: Egal an welcher Position in der Partei man steht, jeder duzt.

Auch im Berufsleben gibt es Branchen, in denen das Du üblich ist. Als Journalistin weiß ich aus meinem Berufsalltag: Journalisten duzen sich nahezu immer, denn im Redaktionsalltag muss es schnell gehen, da kann man meist auf persönliche Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Da viele Chefredakteure in Zeitungen oder Radiosendern eben nicht in Elfenbeintürmen sitzen, sondern aktiv in der Redaktion mitarbeiten, haben sie auch regelmäßig Bezug zu den Mitarbeitern und Praktikanten – und werden von ihnen dann meist auch geduzt. Bei Mitarbeitern untereinander verschwinden Hierarchien dann sowieso komplett. Daher ist der gedämpfte Aufschrei, den die taz (siehe oben: Duzen und Siezen im Journalismus) aufgreift, auch eher eine Luftnummer. Die Kollegen, die abends auf den Fernsehbildschirmen zu sehen sind, saßen bis kurz vor der Sendung noch zusammen im Pausenraum oder in der Redaktion und haben sich geduzt. Ein Sie vor der Kamera mag dem ein oder anderen vielleicht als höfliches Miteinander erscheinen – de facto ist es jedoch geheuchelt. Das Miteinander vor der Kamera, das an den Zuschauer gerichtet ist, ist eins – das Miteinander mit den Kollegen ist jedoch Ausdruck eines Teams, das kurz vor der Sendung noch zusammen gelacht oder sich über Themen ausgetauscht hat. Wer glaubt, dass das Duzen zweier Nachrichtensprecher untereinander schlechter Stil sei, sollte sich selbst erst mal fragen: „Will ich eine Sprechpuppe? Oder will ich jemanden, der mir auf Augenhöhe die Welt erklärt?“ (Doro Wilke)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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