Infobrief vom 9. Oktober 2022: Beinahe gelungene Dokumentation

1. Presseschau

Beinahe gelungene Dokumentation

Zur besten Tageszeit um 19:20 Uhr, hat 3sat am Samstag 8. Oktober eine ältere, nun überarbeitete Dokumentation gezeigt: „Krieg der Sternchen – Die Debatte um gendergerechte Sprache“. Lohnt sich der Besuch der Mediathek, oder haben wir alle Argumente für und gegen das Sprachgendern bereits vernommen?  Doch, die 37 Minuten kann man sich antun, schon wegen Nele Pollatschek. Ihr Einwand – „Gendern ist sexistisch“ – zählt zu den stärksten in der Debatte und ihr Lösungsvorschlag hat den Vorteil, dass er in anderen Sprachen längst praktiziert wird, beispielsweise in dem hierzulande so beliebten Englisch. Auf Pollatscheks Worte wird erfahrungsgemäß selten oder nie näher eingegangen, auch nicht in dieser Doku, deren Macher sich immerhin um Fairness bemüht haben. Interessant sind Peter Eisenbergs Anmerkungen, immerhin die eines der wichtigsten Linguisten im Lande. Aber ihm wurde beim Schneiden offenbar übel mitgespielt. Übrig bleibt der Eindruck: Ein alter weißer Mann, was kann man schon von ihm erwarten! Ähnlich wird Josef Lange, Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung, durch eine süffisante Bemerkung des beliebten Claus Kleber abgeschossen. Unter dem Strich bleibt hängen, was man offenbar schon immer wusste: Wer gegen das Gendern ist, beweist ja nur, dass er nicht fertig wird mit der neuen Wirklichkeit. (3sat.de)


Jugendwort des Jahres

Die Wahl zum Jugendwort des Jahres 2022 geht in die nächste Phase. Nach der Vorauswahl von zehn Wörtern im August gab der Langenscheidt-Verlag in Stuttgart nun die drei Kandidaten für den Titel bekannt. „Smash“ (wörtliche Übersetzung „zertrümmern“) wird von Jugendlichen im Kontext des Partyspiels „Smash or Pass“ verwendet, in welchem die Mitspieler mögliche Sexpartner ablehnen („pass“) oder begeistert annehmen („smash“). Für das Wort, das als Nomen oder Verb dienen kann, ergibt sich also eine neue Bedeutung. So könnte „smash“ in diesem Zusammenhang als „jemanden abschleppen“ übersetzt werden. Als weitere Anwärter für den Titel gelten „bodenlos“, gemeint ist schlecht, mies oder unglaublich, und „Macher“, also jemand, der Dinge umsetzt ohne zu zögern. Die Entscheidung fällt am 25. Oktober. Im letzten Jahr gewann der Anglizismus „cringe“, also fremdschämen, die Wahl zum Jugendwort. (tagesspiegel.de)


„Mahlzeit“ und seine Bedeutung

Der Gruß „Mahlzeit!“ ist normalerweise nur zur Mittagspause geläufig und das vor allem in Firmen- und Betriebskantinen. In der Arbeitswelt ist der Gruß Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs. „Mahlzeit“ als Gruß ist typisch deutsch und in keiner anderen Sprache anzutreffen. Die Grußformel hat nämlich einen historischen Hintergrund. „Gesegnete Mahlzeit“ wurde in der Vergangenheit in den Klöstern zu Beginn des gemeinsamen Gebets gesprochen. Die verkürzte Form „Mahlzeit!“ hat es bis in das moderne Berufsleben geschafft. (chip.de)


2. Gendersprache

„Elterinnen“ im SRF

Das Schweizer Radio und Fernsehen (SFR) überrascht neuerdings seine Zuhörer mit dem Fantasiewort „Elterinnen“. Thomas Renggli bezeichnet diesen Fehltritt in der WELTWOCHE als „verzweifelte Bemühung um politische Überkorrektheit“. Renggli erinnert daran, dass beim Gendersprechen die deutsche Sprache auf der Strecke bleibe. Wortneuschöpfungen wie „Elterinnen“ oder auch „Mitgliederinnen“ höre man nun vermehrt im staatlichen Rundfunk. Renggli warnt davor „wer die Sprache Goethes und Schillers zur politischen Kampfmaßnahme degradiert, begeht einen schweren Fehler und zerstört eines unserer wertvollsten Kulturgüter.“ (weltwoche.ch)


Neopronomen im bei der Telekom

Der Telekom-Konzern hat in der vergangenen Woche ein sogenanntes „Transgender Handbuch“ veröffentlicht. Es soll Richtlinien und Hilfestellungen beim Umgang mit transgeschlechtlichen Personen liefern. Unter anderem enthält das Handbuch ein Kapitel über Personalpronomen. darin wird die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen anstelle des gängigen er/ihn und sie/ihr empfohlen. Die Telekom schlägt „nin“ und „nimse“ als „Neopronomen“ vor. Ein „geschlechtsneutraler“ Satz könnte also so lauten: „Raheem arbeitet bei der Deutschen Telekom. Nimse Arbeitsumgebung unterstützt nimse Transition. Nin arbeitet gern mit nimsem Team zusammen.“ Als Nachtrag gab die Sprecherin der Telekom Michaela Schwinge auf Twitter vorsorglich bekannt, dass der Konzern keine Neopronomen empfehle, sondern lediglich den fairen Umgang der Mitarbeiter fördern wolle. Die vorgeschlagenen Fantasiepronomen „nin“ und „nimse“ sollten jedoch verwendet werden, falls eine Person explizit danach fragt bzw. darum bittet. (telekom.com)


3. Kultur

Vortragsreihe „Neusprech“

„Wissen teilen“ ist das Motto der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart. Aktuell geht es auch um Wissen rund um die Sprache. Eine Vortragsreihe befasst sich mit Sprachwandel, Gendern, Jugendsprache, mit dem Einfluss digitaler Medien und der Verrohung der Sprache. „Wie und wieso verändert sich Sprache? Welche Einflussmöglichkeiten haben verschiedene Akteure, Verbreitungskanäle und Kommunikationssituationen?“, wird gefragt. Den nächsten Vortrag hält die Sprachwissenschaftlerin Carolin Müller-Spitzer vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim am Donnerstag, 20. Oktober 2022, 18 Uhr. Ihr Thema: „Geschlechtergerechte Sprache Zumutung, Herausforderung, Notwendigkeit?“ Die Vorträge finden in Präsenz im WLB-Vortragssaal statt und werden im Internet übertragen. (wlb-stuttgart.de)

Plattdeutsch-Fest im Dreiländereck

Im Dreiländereck Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen findet vom 21. Oktober bis zum 5. November das „Kleine Platt-Festival NoordNoordOost“ statt. Der Lüneburgische Landschaftsverband in Niedersachsen, das Zentrum für Niederdeutsch in Holstein und der Heimatverband MV organisieren das Fest als Gemeinschaftsprojekt. In den Spielorten Lüneburg, Boizenburg und Lauenburg werden plattdeutsche Lieder vorgetragen, Poetry-Slams veranstaltet und Geschichten vorgelesen. (ndr.de)


Deutscher Schulbuchpreis wird verliehen

Das „Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis“ wird am Montag, 10. Oktober (Beginn: 17 Uhr), im Spiegelsaal der Eichstätter Residenz den Deutschen Schulbuchpreis 2022 an Professor Helmut Zöpfl verliehen. Damit wird Zöpfls pädagogisches, belletristisches, feuilletonistisches und lyrisches Lebenswerk gewürdigt. Die Laudatio hält Professor Walter Schweidler von der Katholischen Universität Eichstätt (KUE). Der Deutsche Schulbuchpreis, den es seit 1990 gibt, wurde bislang an so renommierte Träger verliehen wie den Historiker Michael Wolffsohn, den Wiener Philosophen Konrad-Paul Liessmann, die 13 internationalen Autoren des „Europäischen Geschichtsbuches“ und zuletzt an den Dichter Reiner Kunze. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist frei. Interessierte sind eingeladen, am etwa eineinhalbstündigen Festakt teilzunehmen. (schulbuchpreis.de)


4. Berichte

Interview mit Walter Krämer

Dem VDS, mitunter auch seinem Vorsitzenden Walter Krämer, wird immer wieder einmal vorgeworfen, politisch irgendwo „rechts“ zu stehen, meist in der Bedeutung „extrem weit rechts“. Den neuen Leiter der VDS-Region Ostwestfalen-Lippe Peter Bender störte das. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des VDS hat er den VDS-Vorsitzenden direkt befragt. „Of­fenbar haben manche ein Problem damit, dass jemand die eigene Sprache und Kultur schätzt“, konstatiert Krämer in dem Interview. Aber auch: „Wir sind jederzeit zu Gesprächen mit allen bereit, denen es um die deut­sche Kultur und Sprache geht.“ Das gesamte Interview gibt es zum Nachlesen auf der VDS-Netzseite.


Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt

Mit einer musikalischen Matinée eröffnete Kammersängerin und VDS-Mitglied Edda Moser am 2. Oktober im Historischen Kursaal der Goethe-Stadt Bad Lauchstädt das diesjährige Festspiel der deutschen Sprache. Benjamin Moser (Klavier), Ivan Karizna (Cello) und die Violinistin Liza Ferschtman spielten mit der Kammersymphonie Leipzig unter Leitung von Matthias Foremny Werke von Beethoven und Mozart. Auf dem Programm stehen bis Ende Oktober Konzerte, szenische Lesungen und Gespräche. (mdr.de)


5. Denglisch

Gefühlt englisch

Wer sprachlich emotional wird, verfällt schnell ins Englische, behauptet die Berner Zeitung. „Wenn wir uns aufregen, schämen, freuen, wenn wir begeistern, motivieren, besänftigen wollen, dann greifen wir gern zu englischen Vokabeln.“ Das lässt sich Redakteur Martin Fischer von der Sprachwissenschaftlerin Christa Dürscheid an der Universität Zürich erklären. Sie sieht vor allem die Internet-Medien als riesiges Einfallstor für englische Wörter. Es würden besonders gern Inhalte geteilt, die Emotionen transportieren oder wecken: „Wow-Momente, Frust, Ängste, Schicksale, Shitstorms“. „Das Englische nimmt zu, weil es immer wieder neue Sachverhalte gibt, die bezeichnet werden müssen“, so Dürscheid. Bei allem bleibe die Grammatik konservativ, es würden nur Wörter übernommen, aber die Satzstrukturen blieben unverändert. Warum diese neuen Sachverhalte dann nicht gleich auch auf Deutsch bezeichnet werden, diese spannende Frage beantwortet auch Dürscheid nicht. (bernerzeitung.ch)


6. Soziale Medien

Schwarze Wolle

Die Nordsee-Zeitung berichtet über eine Ermahnung von Sulmez Dogan, Vizepräsidentin der Bremer Bürgerschaft, an drei Abgeordnete. Sie findet: Der Begriff „schwarze Schafe“ sei nicht mehr zulässig. Der Wortlaut ist auf Youtube zu finden (Dauer: 26 Sekunden). (nordsee-zeitung.de (Bezahlschranke), youtube.com)


7. Kommentar

Ganz nett, aber lebensfern

Die ganze Debatte um das Sprachgendern krankt an ihrem verrückten Ausgangspunkt: Dass mithilfe der Sprache eine bessere Welt zu schaffen sei. Gerechtigkeit in der Gesellschaft und die Manipulation der Sprache haben aber nur so viel oder so wenig miteinander zu schaffen, wie man mit Gewalt gerade noch hinein interpretieren kann. Das ist, als müsste man eine vegane Küche und den professionellen Basketball unter einen Hut bekommen. Kann man machen, da kommt Stimmung auf. Das stärkste Argument zur Beendigung der Debatte ohne Sieger und Verlierer wäre die Erkenntnis: Alle noch so raffinierten Vorschläge, welche Schräubchen an der Sprache anzubringen und wie sie zu drehen wären, damit die Welt gerechter werde, scheitern, denn die Ideen sind hochgradig abstrakt, lebensfern: „Elterinnen“, „nin“ und „nimse“, wer mag das ernst nehmen, ihre Verwendung hält keiner durch! Weil Sprache so nicht funktioniert. Sprache wird nicht durch Zwang und Nötigung entwickelt, Veränderung geschieht langsam, mühsam. Allenfalls ließe sich etwas durch Vorbilder lenken. Fernsehmoderatoren, die das Volk mit dem Glottisschlag belehren, sind keine Vorbilder, sondern Gouvernanten. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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