Infobrief 378 (36/2017): Deutsch für alle – auch für den Berliner Flughafen

8. September 2017

1. Presseschau vom 1. bis 7. September 2017

  • Deutsch für alle – auch für den Berliner Flughafen
  • VDS und der Tag der deutschen Sprache
  • Streit um Start des Fremdsprachenunterrichts in Baden-Württemberg
  • Moral und Sprache

2. Unser Deutsch

  • „Ich bin der Horst“

3. Berichte

  • Lehrer-Welsch-Preis 2017
  • „Elefantinnen im Porzellanladen“

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • „Zugangsbuch zur modernen Frau“

 

 

1. Presseschau vom 1. bis 7. September 2017

Deutsch für alle – auch für den Berliner Flughafen


Foto: VDS Berlin

Zum Tag der deutschen Sprache 2017 macht der Verein Deutsche Sprache noch einmal auf die Beschriftung am neuen Flughafen Berlin-Brandenburg aufmerksam. An dessen Eingang prangt groß die Aufschrift „Berlin Brandenburg Airport Willy Brandt“. „Warum wechselt man auf dem neuen Hauptstadt-Flughafen plötzlich die Sprache?“, fragt Prof. Dr. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS. Mit einer englischsprachigen Beschriftung würde man bei den ankommenden Fluggästen nur den Eindruck erwecken, dass man in Deutschland seine eigene Sprache nicht schätzt. Der Tag der deutschen Sprache am morgigen Samstag ist ein guter Anlass, um auf der BER-Baustelle nicht nur das Brandschutzsystem zu verbessern, sondern auch die Beschriftungen auf der Seite zum Flugfeld.“

Auch die VDS-Mitglieder Prof. Dr. Michael Wolffsohn, bekannter Publizist und Hochschullehrer des Jahres, sowie Dieter Hallervorden sind mit einem englischen Namen nicht einverstanden und finden ihn „sprachlich unauthentisch“, so Wolffsohn. „Die deutsche Sprache ist wichtigster Ausdruck unserer Kultur. Sie bedarf deshalb ebenso der Pflege und des Schutzes wie Wasser, Boden und Luft. Sicherlich hätten wir in Willy Brandt auch einen Befürworter der Bezeichnung ‚Flughafen‘ gefunden“, betont Hallervorden. (vds-ev.de/pressemitteilungen)

 

VDS und der Tag der deutschen Sprache

Mit zahlreichen Veranstaltungen, vom Informationsstand bis zur Preisverleihung, in Deutschland und im Ausland macht der VDS auch 2017 auf die Stellung der deutschen Sprache in unserer Gesellschaft aufmerksam. Seit Dienstag läuft bereits eine Neuauflage des Festspiels der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt. Festspielleiterin Edda Moser ist bedauerlicherweise erkrankt und kann nicht teilnehmen. Im westfälischen Saerbeck lädt der VDS zu einem literarisch-musikalischen Abend ein mit dem Titel: „Wunderbares – aus aller Welt“. In Halle (Saale) beschäftigt sich VDS-Vorstandsmitglied Dr. Reiner Pogarell mit der Sprache Martin Luthers. Der VDS in Wolfsburg und Braunschweig beleuchtet am Tag der Niedersachsen die Sprache der Autobauer kritisch. Im polnischen Białystok gibt es ein Konzert mit Stücken von Robert Schumann, Johannes Brahms und Franz Schubert.

Alle anderen Termine zum Tag der deutschen Sprache gibt es hier: vds-ev.de

(mz-web.de, mz-web.de, wn.de, wolfsburger-nachrichten.de, volksstimme.de)

 

Streit um Start des Fremdsprachenunterrichts in Baden-Württemberg

Der Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1. der Grundschule steht in Baden-Württemberg vor dem Aus. Hierfür plädiert die CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann. Sie möchte erreichen, dass Fremdsprachen erst ab der dritten Klasse gelehrt werden. Gründe sind der Lehrermangel und das schlechte Abschneiden der Schüler in Bildungsstudien.
Die GRÜNEN hingegen lehnen die geplante Änderung ab. Sie möchten Schulen die Gelegenheit geben, ihr Profil zu stärken, bestehende Kooperationen für Schüleraustauschprogramme weiterhin zu nutzen und selbstständig zu entscheiden. Die Qualität des Unterrichts habe sich zudem durch den Einsatz von Fachlehrern gebessert, und der Lehrermangel sei auf Dauer so nicht zu beheben. Eisenmann hingegen will die 630 durch die Neuregelung freiwerdenden Stellen zur Stärkung der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen einsetzen. (news4teachers.de, stuttgarter-nachrichten.de, news4teachers.de)

 

Moral und Sprache

Ein internationales Team von Psychologen an der Universität von Chicago kam in einer Studie mit 200 Probanden zu neuen Erkenntnissen über die Kriterien, nach denen moralisch schwierige Entscheidungen getroffen werden. Ein klassisches Beispiel für eine Entscheidungssituation ist das „Zug-Dilemma“. Bei dem Gedankenspiel soll sich der Proband entscheiden, ob er durch Umstellen einer Weiche einen herannahenden Zug umlenkt, wodurch statt einer Gruppe von fünf Personen eine einzelne Person getötet wird.
Bisher gingen Forscher davon aus, dass Menschen, die in einer Fremdsprache auf eine solche Entscheidungsfrage antworten, stärker auf das Wohl der Allgemeinheit fokussiert sind. Dies sollte daran liegen, dass der Formulierungsprozess länger dauere und so mehr Zeit für eine eher zweckorientierte Abwägung vorhanden wäre.
Die Studie zeigte hingegen, dass die Reaktion der Probanden, eher einen Einzelnen für eine größere Gruppe zu opfern, auf die größere emotionale Distanz zurückgehe. Man könnte das Ergebnis so deuten: Wer vor schwierigen Entscheidungen steht, sollte die Möglichkeiten auch in einer Fremdsprache orientieren. (welt.de)

 

2. Unser Deutsch

„Ich bin der Horst“

So stellt sich der agile Moderator der Kölner Trödelschau gerne vor und seine Gäste freuen sich, auch selber geduzt zu werden. Nur manchmal betont Horst Lichter den älteren, der das Vorrecht habe, das vertrauliche Du anzubieten. Meist aber braucht es diese Förmlichkeit gar nicht. Alle erwarten längst, endlich sein Freund zu werden. Im Anbieten, Bewerten und Versteigern von Kunst und Krempel, von Püppchen und Bronzen, alten Werkzeugen, antikem Schmuck und allerlei Herumstehchen gehen alle Klassen- und Altersunterschiede unter. So auch die Distanz, die das traditionelle deutsche Sie erzeugt.

Wird hier das Ende des Siezens eingeläutet? Büßen wir damit die Unterscheidung von höflicher Distanz und vertraulicher Nähe ein? Noch ist das Sie die unmarkierte Normalform unter Erwachsenen. Kinder und Jugendliche duzten sich schon immer, oft auch Sportsfreunde, Vereinsmitglieder, Parteifreunde, Arbeitskollegen – eben ein Ausdruck von Solidarität oder gewachsener Vertrautheit im gemeinsamen Umfeld. Aber neuerdings wird das via Fernsehen auch öffentlich. Sportreporter, Talkshow-Moderatoren, selbst Nachrichtensprecherinnen plaudern mit Karl und Sabine, Eveline und Hans irgendwo in Übersee oder am benachbarten Tresen.

Was hat es mit diesem binären System der Anrede auf sich? Sprachgeschichtsforscher sind dem Phänomen seit langem auf der Spur, weil es Abbild sozialer Verhältnisse ist. Seine Ursprünge liegen in der Ständegesellschaft. Aus indirekter Nennung („Haben Ihre Hoheit …“) wurde eine pronominales Sie der Ehrerbietung. Erst das städtische Bürgertum des 19. Jahrhunderts hat dies umfunktioniert zu einem generellen Du/Sie-System. Auf dem Lande herrscht oft noch heute das einfache Du vor. Vielleicht hat die 68er Revolte der Jugend gegen die bürgerlichen Eltern die Wende ausgelöst. Seitdem dokumentieren Umfragen den Niedergang des Sie, im Generationenschritt. Denn Sprachwandel geht langsam. Wird das demnächst den Umgang der Deutschen zu steter Freundlichkeit revolutionieren? Kaum zu hoffen. Denn die Abschaffung sprachlicher Unterschiede kann soziale Distanzen nicht beseitigen. Der Wegfall des Sie schafft nur scheinbare Gleichheit. Aber vorerst funktioniert die Illusion, dass ein schnelles Du gute Freunde macht.

Horst Haider Munske
Die Artikel der Rubrik „Unser Deutsch“ bieten häufig Anlass zur Diskussion. Wer mitdiskutieren möchte, ist im VDS-Rundbriefforum herzlich dazu eingeladen: http://rundbrief.vds-ev.de.

 

 

3. Berichte

Lehrer-Welsch-Preis 2017

Wegen seiner Verdienste um den kölschen Dialekt hat die Regionalgruppe in Köln des Vereins Deutsche Sprache am 5. September den Mediziner und Autor Prof. Dr. med. Gerhard Uhlenbruck mit dem Lehrer-Welsch-Preis ausgezeichnet. Besonders in seinem Buch über „Humor als kölsche Lebensphilosophie“ sei es ihm gelungen, „streng wissenschaftlich, aber höchst vergnüglich medizinische und soziale Einsichten in die kölsche Lebensartˮ zu gewähren, schreibt die Kölnische Rundschau. Auch der Regionalleiter Dietmar Kinder lobte den Preisträger: „Wir ehren einen großen Kölner, der auf vielen Gebieten Außergewöhnliches geleistet hat – in der Medizin, dem Sport und der Literatur für die Bewahrung unserer malerischen kölschen Sprache.“ (rundschau-online.de)

 

„Elefantinnen im Porzellanladen“

So lautet der Titel der aktuellen Ausgabe der Sprachnachrichten. Das grammatische und biologische Geschlecht eines Substantivs haben in der deutschen Sprache nichts miteinander zu tun. Das macht die aktuelle Ausgabe der Sprachnachrichten schwerpunktmäßig und mit mehreren Beiträgen noch einmal deutlich. Es geht um Gender-Studiengänge an den Universitäten, Folgen der Gendersprache für die Grammatik sowie um das Genus im Niederländischen und Dänischen.

Im Interview erzählt Norbert Leisegang, der Gründer und Sänger der Band Keimzeit, warum sich Texte von Wilhelm Busch gut singen lassen.

Kurt Gawlitta hat das Deutsche Institut für Normung besucht und wundert sich, warum niemand die deutschen Entsprechungen für englische Wörter gebraucht, die dort in mühevoller Arbeit vorgeschlagen werden.

Die Sprachnachrichten gibt es auch an Kiosken und in Buchhandlungen zu kaufen. Eine Liste der Verkaufsorte ist hier.

 

4. VDS-Termine

11. September, Region 42 (Wuppertal, Remscheid)
Mitgliedertreffen (jeden zweiten Montag im Monat)
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

12. September, Region 80, 81, 82 (München, Garmisch-Patenkrichen, Oberbayern)
Mitgliederversammlung mit Wahl der Regionalleitungen für die PLZ-Regionen 80, 81, 82
Zeit: 19:00 bis 21:30 Uhr
Ort: EineWeltHaus, Raum 211/212, Schwanthalerstraße 80, 80336 München

14. September, Region 58 (Hagen/Ennepe-Ruhr, Mark)
Wolfgang Dahlmann, Prof. Dr. Bruno Klauk: „Wahrnehmung und Wirkung: Für den ersten Eindruck hast du keine zweite Chance“
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Humpert am Höing“, Fleyer Straße 123, 58097 Hagen

16. September
Konzert der romantischen deutschsprachigen Lieder, unter anderem von Robert Schumann, Johannes Brahms und Franz Schubert
Eintritt: 1 złoty
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Rathaus in Białystok, Rynek Kościuszki, Białystok, 15-426 Polen

 

 

5. Literatur

„Zugangsbuch zur modernen Frau“

2011 bekam die Lyrikerin Nora Gomringer vom VDS und von der Eberhard-Schöck-Stiftung den Kulturpreis Deutsche Sprache. Nun gibt die Poetry-Slammerin zusammen mit Clara Nielsen den Sammelband „Lautstärke ist weiblich“ heraus, der Texte der 50 besten Slam-Poetinnen Deutschlands enthält. Die veröffentlichte Lyrik und Prosa umfasst Themen wie Feminismus, Liebe, Diskriminierung, aber auch Mathematik. Dabei unterscheiden sich die Texte nicht nur inhaltlich von denen männlicher Kollegen, sondern auch grammatisch, findet Gomringer, die den Band als „Zugangsbuch zur modernen Frau“ bezeichnet.

Zugleich steht ein Gedicht Eugen Gomringers, des Vaters Nora Gomringers, in der Kritik, sexistisch zu sein. Der Achtverser mit dem Titel „Avenidas“ (zu deutsch: Alleen) an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule soll auf Anfrage des AStA der Hochschule entfernt werden. Das Gedicht „wiederhole das patriarchale Muster ‚Mann guckt Frau als Muse an und wird dadurch schöpferisch tätig‛“, lautet die Begründung der Studentenvertretung. Inzwischen hat sich auch das PEN-Zentrum zu der Debatte geäußert: „Wir sind zutiefst beunruhigt über eine Entwicklung, die darauf abzielt, der Kunst einen Maulkorb vorzuspannen oder sie gar zu verbieten“, so die PEN-Präsidentin Regula Venske.

Wie Nora Gomringer sich zu dem Gedicht ihres Vaters äußert, können Sie sich hier ansehen.

(deutschlandfunkkultur.de, spiegel.de, tagesspiegel.de, deutschlandfunkkultur.de)


 

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