Infobrief 392 (50/2017): Wörter des Jahres

15. Dezember 2017

1. Presseschau vom 8. bis 14. Dezember 2017

  • Wörter des Jahres
  • Deutsches Gezwitscher
  • Sprachschutz in Österreich
  • Diskussion über Gendersprache

2. Unser Deutsch

  • Mutmaßlich

3. Berichte

  • Sprachnachrichten beim BRF

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Der kleine Gernhardt

6. Denglisch

  • Merry X-mas

 

1. Presseschau vom 8. bis 14. Dezember 2017

Wörter des Jahres

© wilhei (pixabay) / CC0

Die Wahl zum „Wort des Jahres 2017“ fiel in Deutschland auf „Jamaika-Aus“. Die Entscheidung fällte eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache. Auch die Österreicher wählten ein Wort aus dem politischen Umfeld: „Vollholler“. Seine Meinung zu der Forderung nach der Schließung der Mittelmeerroute durch seinen Kontrahenten Kurz fasste der österreichische Bundeskanzler Christan Kern in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten während des Wahlkampfs in die Worte: „Das ist, ehrlich gesagt, der nächste populistische Vollholler“. „Vollholler“, ein bis dato informeller Ausdruck, bedeutet dabei in etwa „grober Unsinn“. Nun habe sich der Begriff im öffentlichen Sprachgebrauch etabliert, so die Jury zur Begründung.
In den USA wurde „feminism“ (Feminismus) zum „Wort des Jahres“ gekürt. Das Interesse der Bevölkerung an diesem Begriff hatte sich durch die erhöhte Anzahl an Suchanfragen im Internet ausgedrückt. Hierzu kam es insbesondere nach den Frauenmärschen in New York und anderen Städten nach der Amtseinführung des Präsidenten und seit Beginn der Aktion „#MeToo“ (Schlagwort „Auch ich“), bei der Menschen weltweit ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Missbrauch veröffentlichten. „#MeToo“ kam auch in Deutschland in die engere Auswahl zum „Wort des Jahres“. Sieger wurde es im deutschsprachigen Teil der Schweiz. (derstandard.at, edition.cnn.com, ard-wien.de, sueddeutsche.de, hessenschau.de, watson.ch, zeit.de)

 

Deutsches Gezwitscher

Nicht nur Donald Trump nutzt den Internetdienst Twitter („Gezwitscher“), um sich öffentlich zu äußern. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besitzt ein eigenes Nutzerkonto. Hierüber bedankte er sich für die Auszeichnung mit dem Aachener Karlspreis, der im Mai verliehen wird. Macron erhält den Preis für seinen Einsatz als „Vordenker für die Erneuerung des Europäischen Traums“. Das Besondere an seiner Dankesbotschaft: Der Präsident verfasste sie in deutscher Sprache. „Herzlichen Dank für diese Ehre. Europa verdient es, verteidigt und neu begründet zu werden!“, schrieb er am vergangenen Freitag. Auch eine französischsprachige Version der Kurzmitteilung wurde veröffentlicht. (wr.de, twitter.com, twitter.com)

 

Sprachschutz in Österreich

Der Einfluss der deutschen Hochsprache auf den österreichischen Dialekt ist durch die Medien so groß wie nie. Auch in den Schulen wird immer mehr mit Lehrmaterialien aus Deutschland gearbeitet, wodurch landesspezifische Ausdrücke verloren gehen. Dabei könne man diese Mittel nutzen, um auf sprachliche und kulturelle Unterschiede hinzuweisen und für die Vielfalt beider Länder zu sensibiliseren, rät die Sprachwissenschaftlerin Jutta Ransmayr. Voraussetzung dafür sei jedoch eine entsprechende Qualifizierung der Lehrkäfte, an der es oft mangele. Hochschulen müssten stärker auf die unterschiedlichen Standardvarietäten des Deutschen eingehen und den Lehrkräften ihre Rolle als Sprachvorbild und „erste normative Instanz“ deutlicher machen. Die Schule sei „der Ort, wo ein Bewusstsein für die verschiedenen, gleichwertigen Spielarten des Deutschen entstehen kann und soll“, betont Ransmayr. (orf.at)

 

Diskussion über Gendersprache

„Wie lange wird es Deutsch noch geben?“, lautet eine Frage in der WELT an den Linguisten Herbert Genzmer, der in den USA Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Die Antwort: „Es gibt die Sprache, solange es Leute gibt, die sie sprechen wollen. Es kommt uns manchmal so vor, als gäbe es viele Kräfte, die daran interessiert sind, diese Zeit zu verkürzen.“ Genzmer begrüßt die Diskussion über die Gendersprache, hält aber bisherige Umsetzungsvorschläge für eine „Provokation“.
Ähnlich äußerte sich auch VDS-Geschäftsführer Holger Klatte bei Radio Eins. Eine Mehrheit der Bevölkerung sei verwirrt und unsicher mit gender- und geschlechtergerechten Formulierungen. (welt.deradioeins.de)

 

2. Unser Deutsch

Mutmaßlich

„Der mutmaßliche Mörder hat seine Tat gestanden“, hieß es in den Nachrichten. Wieso eigentlich ‚mutmaßlich‘? Er war‘s doch. Was gibt es hier noch zu mutmaßen? Darf dem Täter die Tat erst zugeschrieben werden, wenn das Oberlandesgericht in 3. Instanz das Urteil bestätigt hat? Hier hat sich ein Redakteurstil (oder soll man besser sagen: Redakteurinnenstil) entwickelt, der das Persönlichkeitsrecht von Straftätern, korrekt gesagt: mutmaßlichen Straftätern, bis ins Lächerliche zelebriert. Alternativ gibt es das Sollen. Die Übeltäter ‚sollen‘ etwas getan haben. Als sei das ein Gerücht und nicht ein dringender Verdacht, der Grundlage einer Anklage wurde. Nachrichten, die sich minutiös genauester Korrektheit befleißigen, wirken fade wie Suppe von gestern, wie kastriertes Agentur-Wissen.
Was hat es mit dem Wörtchen mutmaßlich auf sich? Es geht auf das Verb mutmaßen zurück, dieses auf ein untergegangenes mittelhochdeutsches mutmasse ‚Abschätzung, Überschlag‘, das später durch Mutmaßung ersetzt wurde. Die Zusammensetzung ist nicht durchsichtig. Das Adverb gilt in den Wörterbüchern als ‚gehobene‘ Variante von vermutlich. Dies bildet mit vermuten und Vermutung die neutralen Alltagsworte. Damit kommen wir der besonderen Verwendung von mutmaßlich auf die Spur. Es ist kein Wort der Alltagssprache, der täglichen Rede. Von Mördern redend würde es heißen: Das hat er wohl getan. Oder: Vermutlich war er‘s. Und nach dem Geständnis natürlich: der Mörder. Gerne taucht mutmaßlich auch bei Angaben über die Vaterschaft auf: der mutmaßliche Erzeuger. Das ist Amts- und Gerichtssprache. Im Gespräch würde es heißen: Er ist der Vater.
Warum gibt sich die Nachrichtensprache so gehoben, auf Stelzen, mit Schlips oder toupiertem Haar? Soll den Berichten damit mehr Verbindlichkeit, eben Amtlichkeit verliehen werden? Oder ist es der Zwang, möglichst viel Information in die Texte zu packen? Die Farbigkeit der Realität geht im komprimierten Bericht verloren. Wort-Schablonen sind schnell zur Hand, um den 7-Uhr-Nachrichtentext zu basteln und ablesefertig aufzubereiten. Wenn man dazu dann noch über zehn Jahre die gleiche routinierte Intonation und den gleichen Augenaufschlag ertragen muss, wird einem das harmlose mutmaßlich zum Ärgernis.

Von Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Sprachnachrichten beim BRF

Die Nachrichtenseite des Belgischen Rundfunk- und Fernsehzentrums der Deutschsprachigen Gemeinschaft (BRF) greift das Interview mit Parlamentspräsident Alexander Miesen in der aktuellen Ausgabe der Sprachnachrichten auf. Die Mehrsprachigkeit in Belgien sorge dafür, dass man als Ostbelgier stärker für seine Sprache eintreten müsse. (brf.bevds-ev.de)

 

4. VDS-Termine

17. Dezember, Region 10-14, 16 (Berlin, Potsdam)
Prof. Dr. Dagmar Schmauks, TU Berlin: „Von Dienstwegen, Sackgassen und Stolpersteinen – Redewendungen zur Fortbewegung und zu allerlei Hindernissen.“
Zeit: 14:30 Uhr
Ort: Webhaus Kloster Zinna, Berliner Straße 72, 14913 Jüterbog

18. Dezember, Deutsches Musikradio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Stefan Ludwig und Holger Klatte
Sendungseite: www.deutschesmusikradio.de
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

 

5. Literatur

Der kleine Gernhardt

Robert Gernhardt wurde bekannt als Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“ in den 60er Jahren. Kennzeichen seines Werks war stets der Humor, den er auch als Co-Autor verschiedener Otto-Shows und Drehbücher der Otto-Filme zeigte. Noch gut in Erinnerung ist VDS-Mitgliedern seine Laudatio für Loriot 2004 bei der Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache. Gernhardts ausgeprägte Beobachtungsgabe lässt die Zusammenstellung aus seinen Notizbüchern erkennen, die Andrea Stoll nun herausgegeben hat. Bis zu seinem Tod 2006 füllte Gernhardt 675 Schulhefte mit Notizen und Zeichnungen, in denen er anscheinend fast alles festhielt, was ihm begegnete. Die Auszüge aus dieser Fülle an Dichtung und Aufzeichnung sind säuberlich nach Stichworten geordnet nun unter dem Titel „Der kleine Gernhardt“ (S. Fischer Verlage) nachzulesen. (deutschlandfunkkultur.de)

 

6. Denglisch

Merry X-mas

Gerade zu Weihnachten ist vor der Denglisch-Flut in Einkaufsstraßen und Kaufhäusern kein Entkommen mehr. Besonders in Aalen sei die Lage schlimm, wie die Schwäbische Zeitung beklagt. „Vom Christmas-Sale bis zu den Winter Moments – überall machen sich die Floskeln breit“, heißt es dort. Der Versuch, möglichst viele Kunden mit möglichst „kreativen“ Sprüchen anzulocken, scheitert dabei wohl kläglich. Die einen verstehen die meist „hanebüchenen Stilblüten“ nicht, andere sind von der falschen Grammatik der sinnlosen Werbesprüche schlichtweg genervt. (schwaebische.de)

 


RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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