Infobrief 393 (51/2017): Heinrich Böll zum 100.

22. Dezember 2017

1. Presseschau vom 15. bis 21. Dezember 2017

  • Heinrich Böll zum 100.
  • US-Regierung verbietet Wörter
  • Fraktur im Einsatzwagen
  • Imperativ im Aufwind
  • Schwaches Verb

2. Unser Deutsch

  • Urlaub

3. Berichte

  • VDS in Togo

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Die schönsten Bände
  • Deutsch-Punkrock

 

1. Presseschau vom 15. bis 21. Dezember 2017

Heinrich Böll zum 100.

Bundesarchiv, B 145 Bild-F062164-0004 / Hoffmann, Harald / CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons

Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll wäre in diesem Jahr, genauer: am 21. Dezember, 100 Jahre alt geworden. Böll gilt als einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Für Böll war es eine Selbstverständlichkeit, als Autor auch eine kritische Rolle einzunehmen, weshalb er sich oft öffentlich zum politischen Geschehen, aber auch zu Haltung und Wirken der katholischen Kirche äußerte und eine Gegenposition zum restaurativen Zeitgeist der Adenauer-Ära einnahm. Hierbei eckte er häufig an, ihm wurde sogar vorgeworfen der „geistige Vater der RAF“, „ein Terroristenversteher“ zu sein.
Bekannte Werke Bölls sind „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Und sagte kein einziges Wort“ und „Haus ohne Hüter“. Hierin tauchen immer wieder Protagonisten auf, die zerrissen sind, moralisch nicht einwandfrei, Personen mit Identifikationspotenzial, und es wird die Tendenz zum Egoismus thematisiert.
Bezogen auf die Sprache, beobachtete Böll in dieser Auseinandersetzung, dass gedankenloser Gebrauch der Sprache der sicherste Hinweis auf eine Gesellschaft sei, die gefühllos und intolerant vor allem mit ihren schwächeren Mitgliedern umgehe. Es brauchte aber gerade „eine bewohnbare Sprache in einer bewohnbaren Welt“, Worte, „die nicht verletzen, sondern trösten und helfen“. (deutschlandfunk.de, deutschlandfunkkultur.de, taz.de, reportage.wdr.de, tagesspiegel.de)

 

US-Regierung verbietet Wörter

Die Mitarbeiter der US-Seuchenbehörde CDC wunderten sich vergangene Woche über eine Anordnung aus dem Gesundheitsministerium, bestimmte Wörter und Formulierungen in offiziellen Dokumenten nicht mehr zu verwenden, darunter: verwundbar, Diversität, auf wissenschaftlicher Grundlage. Statt „auf wissenschaftlicher Grundlage“ oder „auf der Grundlage von Beweisen“, sollten die Mitarbeiter der Behörde schreiben: „Die CDC basiert ihre Empfehlungen auf Wissenschaft unter Berücksichtigung öffentlicher Standards und Wünsche.“
Aufgaben der CDC sind die Vorbeugung vor ansteckenden Krankheiten, die Nahrungsmittelsicherheit und die Bekämpfung von Volkskrankheiten wie Krebs. (spiegel.de)

 

Fraktur im Einsatzwagen

Eine Stickerei auf dem Polsterbezug des neuen Anti-Terror-Fahrzeugs „Survivor R“ der Polizei Sachsen sorgt derzeit für Wirbel. Unter dem in Frakturschrift geschriebenen Wort „Spezialeinsatzkommando“ steht ein Fantasie-Logo mit Eichenlaub sowie das Wort „Sachsen“ (allerdings fälschlicherweise mit rundem s). Besonders auf Twitter gab es nach der Veröffentlichung von Fotos viel Kritik, die die Stickerei in Zusammenhang mit Symbolen der Nazi-Zeit stellte. Dass Landeskriminalamt Leipzig kündigte nun an, das Logo von den Sitzen zu entfernen: „Auch wenn das Logo weder Ausdruck einer rechten Gesinnung ist noch anderweitige ideologische Attitüden erkennen lassen soll, ist der in Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommene Kontext unter allen Umständen zu korrigieren.“ (mdr.de, stuttgarter-nachrichten.de)

 

Imperativ im Aufwind

Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Cortana halten Einzug in viele Haushalte. Musikwissenschaftler Holger Schulze warnte jetzt davor, dass die sprechenden Maschinen Sprechgewohnheiten beeinflussen könnten. Besonders dramatisch sei die Wirkung auf Kinder, denen durch die weibliche Stimme, die nicht in den Geräteeinstellungen geändert werden kann, nicht nur ein falsches Frauenbild vermittelt würde, sondern auch dazu führe, dass sich die Kinder einen Befehlston aneigneten. Die Sprachassistenz bestehe nicht auf Höflichkeitsmarkierungen wie „bitte“ oder „danke“, bevor sie einen Auftrag ausführe, der so den Charakter eines Befehls erhalte nach dem Motto: Du bekommst alles, wenn du nur laut und klar genug danach verlangst. Kinder könnten durch die Gewöhnung Gefahr laufen, nicht nur Maschinen, sondern auch Menschen herumzukommandieren. Die Unfähigkeit der Sprachassistenten, andere als imperative Sätze zu verstehen, zwinge zudem zu einer „Stimmdeformation“, so Schulze. Diese erfordere eine „permanente Professionalisierung des Sprechens“, wodurch „das familiäre, müde, privatistische, intime vor sich Hinnusscheln“ verdrängt würde. (deutschlandfunkkultur.desprachass.de, tagesspiegel.de)

 

Schwaches Verb

Jamaika-Aus ist das Wort des Jahres 2017. Die gescheiterten Koalitionsverhandlungen brachten aber noch eine weitere Wortschöpfung hervor: lindnern. Geradezu über Nacht ging dieses schwache Verb in den Sprachgebrauch über. Gerade junge Menschen scheinen auf ein treffendes Wort dafür gewartet zu haben, wenn jemand „eine geplante Gruppenaktivität zum letztmöglichen Zeitpunkt absagt“. Unzuverlässig würde dieses Verhalten wohl mancher alternativ nennen wollen, doch in lindnern schwingt der unausgesprochene Vorwurf mit, die zurückgenommene Zusage ursprünglich gar nicht in der Absicht gegeben zu haben, tatsächlich zu erscheinen, sondern nur, um sozial dafür angesehen zu werden. Christian Lindner selbst, auf dessen taktisches Verhalten bei den Verhandlungen zur Bildung einer Jamaika-Regierung lindnern zurückgeht, zeigt sich humorvoll: „Es ist doch wunderbar, wenn man den Menschen Anlass zur Freude, vielleicht auch zu ein bisschen Spott und Satire liefert.“ (n-tv.de, faz.net, ksta.de)

 

2. Unser Deutsch

Urlaub

Der Deutschen liebstes Wort hat seinen Ursprung in dem Verb erlauben. Urlaub war ursprünglich die ‚Erlaubnis sich zu entfernen‘, dann speziell die ‚Erlaubnis sich vom Dienst zu entfernen‘, besonders vom militärischen. Das lebt in Heimaturlaub, Fronturlaub fort. Der Urlauber war ursprünglich ein ‚Soldat auf Urlaub‘. Heute sind wir alle Urlauber, sobald wir die Sachen zur Reise gepackt haben. Urlaub ist ‚Befreiung von der täglichen Arbeit‘, in Tarifverträgen zugesichert, nach Werktagen gezählt, das Gehalt läuft weiter. Hinzukommen die Sonntage und die Feiertage, Brückentage werden genutzt. Das summiert sich zu wochenlanger Freizeit. Wer es sich leisten kann, verreist. Daheimbleiben ist kein richtiger Urlaub. Darin hat sich der Sinn des Wortes gewandelt. Urlaub ist jetzt von zuhause wegfahren und anderswo Sonne, Meer, Berge genießen.
Auch die Rentner und Pensionäre nehmen Urlaub, obwohl sie außer ihrem Geldbeutel niemanden mehr um Erlaubnis fragen müssen. Die rüstigen Seniorinnen und Senioren sind jetzt die bevorzugte Zielgruppe der Reiseveranstalter. Zu erholen brauchen sie sich nicht. Sie wollen unterhalten, beschäftigt, bedient werden. Schon am Flughafen von der fähnchentragenden Helferin empfangen, mit dem Transfer zum Hotel, um alsbald mit Bussen zu den Sehenswürdigkeiten gekarrt zu werden. Es stört sie nicht die Schlange am Büfett, sie lernen Handtücher früh verteilen, mit anderen Handtuchlegern streiten. Und abends bespaßt zu werden. Daheim endlich kann man sich erholen von der anstrengenden Reise. Umkehrung der Bedeutung. Jetzt endlich ist Urlaub vom Urlaub: ausschlafen, beim Frühstück die Zeitung lesen, selber kochen, Mittagsschläfchen und einfach entspannen. Dabei stellen wir beruhigt fest: Wir sind noch immer dieselben. Auch im Urlaub hatten wir uns selber mitgenommen und nun wieder heimgebracht.

Von Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

VDS in Togo

Über eine große Veranstaltung mit Tanz und Gesang zum Tag der deutschen Sprache in Togo berichtete das Fernsehen in Lomé. VDS-Regionalleiter Egbatao Djato sagte: „Wir haben eine Vereinigung der Frankophonie, die Förderung des Englischen durch den Commonwealth. Wir möchten mit unserem Tag der deutschen Sprache dazu beitragen, dass mehr Studenten und Schüler in Togo Deutsch lernen.“
Der Fernsehbericht (auf Französisch) ist im Youtube-Kanal des VDS zu sehen.

 

4. VDS-Termine

25. Dezember, Deutsches Musikradio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Stefan Ludwig und Holger Klatte
Sendungsseite: deutschesmusikradio.de
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

 

5. Literatur

Die schönsten Bände

Vor zehn Jahren starb Celestino Piatti. Von 1961 bis in die 90er Jahre hinein gab der Schweizer Künstler über 6000 Taschenbüchern ihr prägnantes Aussehen und war für das gesamte grafische Erscheinungsbild des dtv-Verlags zuständig. Die einheitliche Gestaltung der unterschiedlichen Werke spielte zusammen mit dem damaligen Konzept der Verlagszugehörigkeiten der Autoren. Buchhandlungen gruppierten die Bücher nach Verlagen, nicht nach Autoren. Charakteristisch für die Taschenbücher waren die einheitlichen weißen Einbände, auf denen dann mit Feder, Blei- oder Filzstift, Aquarellpinseln oder Kleber kleine Gemälde und Collagen entstanden. Diese wurden häufig von klaren schwarzen Konturen sowie stets durch den Verlagsschriftzug und den Titel begrenzt, was zu einem hohen Wiedererkennungswert führte.
Auch über 70 Bücher Heinrich Bölls wurden im dtv verlegt und liebevoll von Piatti gestaltet. Das Zusammenspiel zwischen grafischer Bucheinbandgestaltung Piattis und der Texte Bölls hat die Stadtbibliothek Köln in dem Band „Jedes Buch hat ein Gesicht“ (Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner) herausgearbeitet. (welt.de)

 

Deutsch-Punkrock

Die ibbenbürener Band Donots bringt im Januar 2018 ihr zweites deutschsprachiges Album heraus. Nach „Karacho“ von 2016 folgt nun „Lauter als Bomben“. Der Name sei eine Übersetzung eines Albumtitels von „The Smiths“ und komme in zwei Liedern auch als Textzeile vor. Er bedeute einerseits, dass ihre Herzen „lauter als Bomben“ schlügen, so Sänger Ingo Knollmann, andererseits wendet sich die Band so gegen die „aktuelle Kriegstreiberei überall auf der Welt“. Ein Titel des Albums, „Keiner kommt hier lebend raus“, wurde bereits im vergangenen Mai veröffentlicht und kündigt an, dass sich die Donots weiterhin auf energischen Punkrock und meinungsstarke Texte konzentrieren werden. (rp-online.de, visions.de, universal-music.de)

 


RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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