Infobrief vom 3. Januar 2020: Lagarde lernt Deutsch

1. Presseschau

Lagarde lernt Deutsch

Bild: Andreas Hermsdorf / PIXELIO

Seit dem 1. November 2019 ist Christine Lagarde Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) – deren Hauptsitz in Frankfurt am Main ist. Als neue Chefin über Euro, Zinsen und Co. ist es hilfreich, die Sprache des Landes zu kennen, in dem man demnächst häufig arbeiten wird. Deswegen nimmt sie nun Privatstunden. Auch Fachbegriffe wie „Inflationssteuerung“ oder „Eigenmittelanforderungen“ werden auf ihrem Stundenplan stehen. Damit geht sie einen anderen Weg als ihr Vorgänger Mario Draghi, der sich vehement weigerte, Deutsch zu lernen. Vielleicht verbessert sich jetzt auch das nicht immer einfache Verhältnis Deutschlands zur EZB, weil deren Leiterin versteht, was die Deutschen denken. (cash.ch)


Lübeck jetzt mit geschlechtsneutralen Verwaltungstexten

Alle Männer in Lübeck müssen sich jetzt an eine neue Anrede gewöhnen – sie sind ab sofort „Lübecker:innen‟. In der Silvesterbotschaft der Stadtspitze tauchte diese Formulierung das erste Mal auf. In der Verwaltung gilt ab dem 1. Januar 2020 die neue Regelung, Texte geschlechtsneutral zu verfassen. Neben dem Doppelpunkt in „Lübecker:innen“ schließt das auch Formulierungen wie „Es gab 20 Teilnehmer“ mit ein – hier heißt es dann beispielsweise: „Teilgenommen haben 20 Personen.“ Die neue Regelung gilt für jeden Schriftverkehr, also nicht nur Briefe und E-Mails, sondern auch für Broschüren, Hausmitteilungen und Rechtstexte. Ob es eigentlich rechtens ist, den Angestellten der Behörde amtlich falsche Schreibweisen zu verordnen, fragt der VDS bereits seit längerem und bietet den Stadtbediensteten Prozesskostenhilfe an.

Neue Formen der Gendersprache hat auch der Blogger Martin Dietze beobachtet, allerdings nicht bei einer Behörde, sondern beim Goethe-Institut, das bekanntlich die deutsche Sprache im Ausland vermitteln und befördern soll. „Die Anwendung des Gendersternchens ist nicht nur am Goethe-Institut am weitesten verbreitet, es wird auch vom Rechtschreibrat zur Aufnahme in den Duden weiterhin diskutiert, auch wenn es bislang zu keiner abschließenden Empfehlung gekommen ist‟, beantwortete jemand vom Goethe-Institut eine Anfrage Dietzes. Warum das Goethe-Institut das Sternchen benutzt, obwohl der Rat für deutsche Rechtschreibung es gerade nicht empfiehlt, bleibt offen. „Das Gendersternchen ist (…) Stand jetzt schlicht und einfach falsch. Und Sie konfrontieren Menschen, die gerade beginnen, die deutsche Sprache zu lernen, damit‟, schreibt Dietze. (hl-live.de, martins-braindumps.de)


Regionale Begriffe in Deutschland rückläufig

In Europa ist Deutsch in mehreren Ländern Amtssprache – die bekanntesten sind wohl Deutschland, Österreich und die Schweiz. Doch trotz dieser Tatsache sind regionale Begriffe für die verschiedensten Dinge auf dem Rückzug. Vor allem in Deutschland ist die Nutzung von Dialekten rückläufig. Unterschiedliche regionale Bezeichnungen z. B. fürs Fußballspielen seien nicht mehr so geläufig wie früher und würden aufgegeben. Vor allem in Deutschland sei dieser Trend zu erkennen. In Österreich gebe es weniger „aussterbende“ regionale Begriffe – am stärksten würden Schweizer an ihnen festhalten, so eine Studie der Uni Salzburg. Hier sei der Stellenwert von Dialekten deutlich höher, heißt es. (kurier.at)


Italienische Redewendungen auf Deutsch übersetzt

„Ich bin gekocht“ – so merkwürdig das für unser deutsches Ohr auch klingen mag, in Italien findet sich diese Aussage im gewöhnlichen Sprachgebrauch und bedeutet so viel wie „ich bin fix und fertig“. Auch die deutsche Redewendung „alles über einen Kamm scheren“ ist der italienischen Sprache nicht unbekannt, nur drückt man sie dort anders aus. Wer alles über einen Kamm schert, macht „aus allen Kräutern ein Bündel“ (zu italienisch: „fare di tutta l‘erba un fascio“). Ungefähr deckungsgleich mit dem deutschen Ausdruck „Jacke wie Hose“ ist in Italien der Satz „Wenn es keine Suppe ist, ist es nasses Brot“. An manchen Stellen scheint die italienische Sprache außerdem bildhafter als die deutsche zu sein. Wenn jemand vor einer Herausforderung steht, wünschen wir ihm hierzulande einfach „Viel Glück!“, im Italienischen hingegen sagt man „Dem Wolf in den Mund!“ (zu italienisch: „In bocca al lupo!“).

Weitere übersetzte Redewendungen aus dem Italienischen sind hier zu finden: ze.tt.


2. Unser Deutsch

durchwachsen

Auf die freundliche Frage „Wie geht es Dir?“ mag mancher antworten: durchwachsen. Er könnte auch sagen: so la la oder mittelprächtig oder geht so. Woher kommt dieses Bild? Frauen, die regelmäßig zum Fleischer gehen (neuerdings erobern auch Männer diese Domäne), kennen den durchwachsenen Speck, Geräuchertes vom Bauch, mit abwechselnd fetten und mageren Fleischschichten. Auch andere Teile können – in Abgrenzung zu mageren Stücken – als durchwachsen gekennzeichnet werden. Meister der Küche schätzen diese als besonders schmackhaft. Die Übertragung auf das menschliche Befinden knüpft an das weniger ansprechende Bild von Fleischstücken an, die unregelmäßig von fetten Streifen durchzogen sind. Das gelblich-weiße steht für das Misslungene, das Störende – im Gegensatz zu dem saftig rosafarbigen Stück, das sich dem Käufer als das optisch Bessere anbietet. Immerhin: Wer sein Befinden, seinen Erfolg als durchwachsen kennzeichnet, sieht doch auch das halb Gelungene. Er meidet die totale Klage, das Jammern. Durchwachsen klingt eher wie ‚Es ist wie es ist‘.

Ähnliches meint wohl, wer auf ein „Wie geht’s?“ antwortet: mittelprächtig. Die Wörterbücher charakterisieren es als ‚scherzhaft‘ und nennen ‚mittelmäßig‘ als Synonym. Wie kommt es zu dieser Bedeutung? Was ist neu an ihr? Es gibt zahlreiche Zusammensetzungen mit –mittel als Erstglied wie Mittelschule, Mittelweg, Mittelalter, die alle auf etwas zwischen vorne und hinten, oben und unten, vorher und nachher verweisen, alles Substantive, mit Ausnahme von mittelmäßig, der Ableitung von Mittelmaß. Nur hier hat sich aus dem Mittleren eine Wertung, ein weniger Gutes gebildet – nicht schlecht, nicht gut, eben mittelmäßig. Hier knüpft mittelprächtig an. -mittel ist, vielleicht in Anknüpfung an mittelmäßig, auf dem Wege zu einem Präfix, das eine leichte Abwertung ausdrückt. So wird das Prächtige wie auf einer Notenskala auf ein mittleres Niveau herabgestuft. Ein mittelprächtiges Abitur ist eben doch ein Abitur, auch wenn es nicht zum Medizinstudienplatz reicht. Und wenn von einem mittelprächtigen Remis in der Bundesliga die Rede ist, dann ist eben doch ein Punkt gewonnen. Insofern liegt mittelprächtig wohl noch über durchwachsen, das einen konstitutiven, einen grundsätzlicheren Mangel andeutet.

Metaphorik hier, Komposition dort – das sind zwei konkurrierende, sich ergänzende Mittel der Kreation neuer Bedeutungen. Ein Drittes finden wir in der Wendung so la la, mit der man die Frage nach dem werten Befinden in ähnlicher Weise beantworten kann. Mit so la la kommt lautmalerische Wortschöpfung ins Spiel. Lautmalerisch, weil mit der leichten Zungenbewegung bei halboffenem Mund eine schwächliche Artikulation ausgeführt wird, gleichsam ein Remis des Sprechens, ein Ausdruck von halbem Wollen und Vermögen.

Vielleicht sind das drei treffende Wörter für den Start der neuen CDU-Vorsitzenden, die schulischen Leistungen der deutschen Kinder, und vor allem das Ringen um den Klimaschutz im ausgehenden Jahr 2019.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Verlag will Bücher in Leichter Sprache aus dem Nischendasein holen

Wer Schwierigkeiten beim Lesen und Lernen hat, aber trotzdem gerne Bücher lesen möchte, hat oft ein Problem: Häufig werden diesen Menschen Kinderbücher empfohlen, da diese leicht verständliche Texte haben. Wer aber kein Kinderbuch lesen möchte, weil es einfach nicht seiner Lebenswelt entspricht, hat es schwer, etwas Entsprechendes zu finden. Der Verlag Edition Naundob geht einen neuen Weg. Er veröffentlicht Belletristik für verschiedene Zielgruppen – in Leichter Sprache. Lange, verschachtelte Sätze werden vermieden. Komplizierte Wörter, die nicht unbedingt jeder kennt, werden verständlicher ausgedrückt. So sollen Hemmschwellen abgebaut werden. Dabei ist es dem Verlag wichtig, dass Bücher in Leichter Sprache als Literatur wahrgenommen werden – häufig würden sie selbst im Buchhandel ein Nischendasein fristen. (boersenblatt.net)


Russischer Autor über die deutsche Sprache

Der Autor Wladimir Kaminer ist in Russland geboren und aufgewachsen, lebt aber seit seinem 23. Lebensjahr in Deutschland. Obwohl seine Muttersprache Russisch ist, schreibt er auf Deutsch – eine bewusste Entscheidung, die er damals traf, um die deutsche Leserschaft zu erreichen. Auf die Frage, ob Deutsch nicht eine schwierige Sprache sei, antwortet Kaminer: „Ich finde, Deutsch ist eine Supersprache.“ In einer fremden Sprache zu schreiben, habe eine Menge Vorteile, erzählt er. Man kontrolliere sich mehr und könne sich dadurch klarer und deutlicher ausdrücken, im Gegensatz zur Muttersprache, in der man schneller vom Thema abschweife. „In einer fremden Sprache ist man eher geneigt, jedes Wort und jeden Satz exakt abzuwägen […].“ (kreiszeitung.de)


4. Denglisch

Influencer, Superfood und Co. – weg damit!

Einige Wörter und Floskeln sind überflüssig wie ein Kropf – und die meisten davon sind Denglisch. Airpods zum Beispiel. Wenn sie mal versehentlich in einer Menschenmenge aus dem Ohr fallen, sind sie weg. Einfach weg. Was waren das für gute Zeiten, in denen man den herausgefallenen Kopfhörer einfach am Kabel wieder hoch ins Ohr ziehen konnte. Und „nice“ ist nicht die nice‘igste Aussage, die man treffen kann/muss/soll. Noch schlimmer ist eigentlich nur „Nicenstein“. Und wer braucht schon Influencer? Es reicht doch, zum örtlichen Drogeriemarkt zu gehen, sich die Palette an Lippenstiften anzugucken und zu entscheiden: DER ist es. Dafür braucht man definitiv kein 10-Minuten-Video auf Youtube.

Das gilt aber nicht nur für viele neue Anglizismen: Die F.A.Z. hat die Unworte aus dem Büroalltag aufgeschrieben, auf die wir 2020 verzichten können: maßgeschneiderte Lösungen („inflationär gebraucht‟), abholen („nervt gewaltig‟), commitment („will keiner mehr hören‟). In diesem Sinne: Weg damit! (srf.ch, faz.net)


5. Termine

9. Januar, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

16. Januar, Region 10 – 16 (Berlin/Brandenburg)
VDS-Jugendstammtisch in Berlin mit Besuch des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor
(offen für Mitglieder und Noch-nicht-Mitglieder bis 40 Jahre)
Weitere Details folgen.
Zeit: 16:30 Uhr

24. Januar, Region Österreich (Wien – Verein Muttersprache)
Hauptversammlung des Vereins Muttersprache mit anschließendem Festvortrag: Der Reformator Martin Luther – Formator der deutschen Sprache
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Bezirksmuseum Floridsdorf, Prager Str. 33, 1210 Wien, Österreich

28. Januar, Region 01 (Dresden, Riesa)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstr. 3, 01326 Dresden

29. Januar, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

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