Infobrief 399 (5/2018): Grundschullehrer werden knapp

02.02.2018

1. Presseschau vom 26. Januar bis 1. Februar 2018

  • Grundschullehrer werden knapp
  • Lernen ist wie Käse reiben
  • Karriere oder Identität?
  • Schreiben am Rechner
  • „Die“ Medien

2. Unser Deutsch

  • Görlitz

3. Berichte

  • Anglizismus des Jahres

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Philosophische Sammelwut

6. Denglisch

  • Auf Deutsch, bitte!

 

1. Presseschau vom 26. Januar bis 1. Februar 2018

Grundschullehrer werden knapp


Fotolia / #89543410 / weseetheworld

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass bis zum Jahr 2025 bundesweit 35.000 Grundschullehrer fehlen werden. Lehrervertreter versetzt das in helle Aufregung: „Es ist ein Armutszeugnis, dass eine Stiftung die Hausaufgaben der Politik machen muss, um zu einer realistischen Lehrerbedarfsprognose zu kommen“, so Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung. Bildungspolitiker bleiben bisher gelassen: „Alle 16 Länder sind sich der Lage bewusst und ergreifen bereits landesspezifische Maßnahmen“, sagt der Präsident der Kultusministerkonferenz Alexander Lorz. Die Bertelsmann-Stiftung schlägt als Sofortmaßnahmen vor, die Stundendeputate von Teilzeitlehrern zu erhöhen sowie mehr pensionierte Lehrer und Quereinsteiger einzusetzen. Dies wird allerdings bereits in allen Bundesländern gemacht. Ob dies jedoch ausreichen wird, um den Grundschulkindern angemessene Kenntnisse im Leitfach Deutsch zu vermitteln, bleibt fraglich, insbesondere weil mehr Kinder Deutsch als Zweitsprache erlernen. Die Stadt Essen beispielsweise rechnet 2018 mit einem Anteil von 35 Prozent an Kindern in Kindertagesstätten, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen. (spiegel.de, waz.de)

 

Lernen ist wie Käse reiben

Die Freiburger Erziehungswissenschaftlerin Elisabeth Wegner suchte in einer Umfrage an Universitäten und Schulen nach Umschreibungen für das Lernen. Viele der Befragten verglichen das Lernen mit dem Sortieren einer Bibliothek. Für andere war Lernen wie Wandern: „Es macht nicht immer Spaß, aber wenn man am Ziel ist, dann fühlt es sich sehr gut an.“ Ein besonders drastisches Bild: die „Käsereibe, mit der man sich über die Stirn hobelt‟. Wegner erhofft sich mit der Umfrage Aufschluss darüber, ob das Lernen durch eigene Motivation geschieht oder von außen aufgezwungen wird. Zum zweiten Bild gehört die Bezeichnung „Bulimie-Lernen‟. Es bedeutet, dass zumeist kurz vor einer Leistungsüberprüfung sämtlicher Stoff gepaukt, dann auf den Testatbogen ausgeschüttet und danach sofort wieder vergessen wird. (deutschlandfunk.de)

 

Karriere oder Identität?

Dass einige Dialekte beliebter sind als andere, haben schon viele Umfragen bestätigt. Eine schweizer Sprachtrainerin spricht sogar davon, dass bestimmte Dialekte regelrechte „Karrierekiller‟ seien. Sie bietet deshalb beruflich an, ihren Klienten den Dialekt durch verschiedene Übungen „abzutrainieren‟. Die Stimme wird dabei als Werkzeug betrachtet. Die Formung der Laute sei durch Übung veränderbar, ähnlich wie Bewegungsabläufe beim Sport eingeübt werden können. Sportliche und musikalische Menschen seien deshalb im Vorteil, weil sie solche Übungen mit bewusstem Einsatz der Muskulatur bereits gewohnt und für die motorischen Veränderungen sensibilisiert seien. Neben dem Dialekt könnten Kunden auch ihren deutschen Akzent beim Englischsprechen loswerden. Auch dieser sei im Ausland nicht immer beliebt. (welt.de)

 

Schreiben am Rechner

Die FAZ beklagte vergangene Woche, dass Schulen immer weniger auf die Handschrift, stattdessen auf das „zeitgemäßere“ Schreiben mit der Tastatur setzten (siehe Infobrief 398). Die Süddeutsche Zeitung präzisierte nun dieses Bild. Inzwischen müssten nur noch in wenigen Berufen Texte verfasst werden, meist reiche das Zusammenkopieren von Textbausteinen aus. Hierfür seien eher Kompetenzen im Formatieren, Bearbeiten und Gestalten von Texten vonnöten. Das Schreiben mit Rechnertastaturen gehe gegenüber der Verwendung von Kontaktbildschirmen auf Mobilgeräten zurück. Daraus folge auch, dass das Fach Maschinenschreiben kaum noch unterrichtet werde – an bayerischen Hauptschulen noch in den Klassen 5 und 6. Der Fokus in Schulen und Ausbildungsbetrieben liege auf dem Umgang mit den unzähligen Bearbeitungsmöglichkeiten mithilfe von Textverarbeitungsprogrammen. Auch VHS-Kurse im Tast- oder Maschinenschreiben seien nach einem Höhepunkt im Jahr 2012 drastisch zurückgegangen. Selbst Menschen in Berufen, die mit dem Schreiben ihr Brot verdienen, in Verlagshäusern beispielsweise, würden keinen Wert mehr auf die Anschlagsgeschwindigkeit beim Tippen legen. (sueddeutsche.de)

 

„Die“ Medien

Bei der Debatte um die Glaubwürdigkeit von Nachrichten schließt die Bezeichnung „Medien“ nicht nur professionellen Journalismus ein, sondern auch Plattformen wie Facebook oder Twitter – zum Leidwesen der seriösen Berichterstattung. Mit dem Schlagwort „Lügenpresse“, 2014 zum Unwort des Jahres gewählt, wurden alle Nachrichten-Vermittler mit einem Misstrauensverdacht versehen. Diese „Lügenpresse-Hysterie“ sei inzwischen wieder abgeebbt, wie die Erhebungen der Langzeitstudie „Medienvertrauen“ belegen, berichtet der Tagesspiegel. Die vom Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz jetzt veröffentlichte Studie ergab, dass 2017 nur noch 13 Prozent der Befragten sich systematisch von den Medien belogen fühlten – im Gegensatz zu den 20 Prozent des Vorjahres. Ein Grund dafür sei die offene Kommunikation der Journalisten über ihr Vorgehen, meint Nikolaus Jackob, Mitglied der Forschergruppe der Johannes-Gutenberg-Universität. „Durch die Diskussion haben Journalisten immer häufiger angeboten, ihre Arbeit zu erklären. Dieser Moment des Hosen-Runterlassens war gar nicht schlecht. Wir sehen einen echten Debatteneffekt.“ (tagesspiegel.de, meedia.de, welt.de)

 

2. Unser Deutsch

Görlitz

Namen sind Wörter besonderer Art. Sie fehlen in den meisten Wörterbüchern, dennoch sind uns viele im Alltag präsent wie Brot und Butter. Sie sind unentbehrlicher Teil jeder Rede und prangen von unzähligen Plakaten unserer Städte. Warum stehen so wenige im Duden? Nur Wikipedia vergisst keinen. Das Problem ist die Bedeutung. Sprachwissenschaftler sagen, sie hätten keine, wie eben Brot oder Butter, ihre Rolle sei es, ein Objekt (und nur eines) zu identifizieren, mit einem Namen-Etikett zu versehen. Sie kennzeichnen Orte, Personen, Flüsse, Seen und vieles andere. Was es mit diesen inhaltlich auf sich hat, steckt nicht im Namen. Dennoch verbindet jeder Benutzer einiges Wissen über das so Etikettierte, hat vielleicht auch eigene Erfahrungen, die gleichsam am Namen kleben. Namen sind wie Schwämme, die Wissen aufsaugen und speichern können, aber jeder Benutzer hat daran unterschiedlichen Anteil.

Nehmen wir ein Beispiel: Görlitz, Stadt in der Oberlausitz, erstmals 1071 als goreliz belegt, eine slawische Siedlung. Nachfahren der Sorben bilden noch heute eine geschützte Minderheit in der Region. Die Stadt gehört heute zu Sachsen, war früher Teil Niederschlesiens. Im Krieg unzerstört, eins der schönsten Ensemble historischer Baukunst von der Spätgotik bis zum Jugendstil, Stein gewordene Erinnerung an die einstmals reiche Handelsstadt zwischen Breslau, Prag und Erfurt. Eine touristische Perle, gern genutzt als Staffage der Filmindustrie (darum spöttisch Görliwood genannt), außerdem geschätzte Immobilie westdeutscher Rentner.

Geographen wissen darüber hinaus, dass der 15. Meridian, Bezugshalbkreis der Mitteleuropäischen Zeit, durch die Görlitzer Altstadt verläuft, exakt unterhalb der Stadthalle, Gegenstück zum englischen Greenwich.

Der Stadt ging seit Kriegsende viel verloren: die Bezirke östlich der Neiße wurden polnisch, heute Zgorzelec. Nach der Wende erwarb Bombardier die traditionsreiche Waggonwagenfabrik (die Doppelstöcker vieler S-Bahnen), jetzt werden Arbeitsplätze eingespart. Siemens übernahm die eingesessene Turbinenfabrik und will sie nun stilllegen. Die Braunkohle, einst Motor der Industrialisierung, wird bald ganz aus der Region verbannt sein. Steht Görlitz wirtschaftlich vor dem Ruin?

Zur Ruhmesgeschichte der Oberlausitz gehört der kleine Ort Herrnhut, wo Graf von Zinsendorf 1722 böhmische Glaubensflüchtlinge unter des ‚Herren Hut‘ aufnahm, heute Kern einer weltweiten Brüdergemeinde. Später waren Flüchtlinge im nahen Hoyerswerda unwillkommen.

Ist das alles nur enzyklopädisches Wissen? Nicht doch ein fluktuierender Kranz von Bedeutungen, die mit dem Namen aufgerufen werden können, gepflegt, gehütet, erinnert, wie hier durch einen, dessen Großvater ein halbes Leben lang Lehrer war in dieser Stadt. Sein kerniges Schlesisch begegnet mir noch heute bei Besuchen in Görlitz.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Anglizismus des Jahres

Den Begriff „Influencer“ hat eine Jury um den Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch zum Anglizismus des Jahres 2017 gewählt. Er bezeichnet „meist jüngere Menschen, die allein durch ihre große Reichweite in den sozialen Medien in der Lage sind, die öffentliche Meinung zu beeinflussen“, erklärt Deutschlandfunk Kultur. Im Interview begrüßt Holger Klatte, Geschäftsführer des VDS, die Aktion „Anglizismus des Jahres“ zwar, weil sie die Diskussion um Einflüsse auf die deutsche Sprache befördere, wünscht sich aber die deutsche Entsprechung Werbemultiplikator. So entstehen auch keine Missverständnisse, wenn der BR witzelt: „Der Influencer ist nicht zu verwechseln mit der Influenza“. (anglizismusdesjahres.de, deutschlandfunkkultur.de, br.de)

 

4. VDS-Termine

5. Februar, Deutsches Musikradio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Stefan Ludwig und Holger Klatte.
Schwerpunkt: Anglizismus des Jahres
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

8. Februar, Region 57 (Siegen)
Wilhelm-Busch-Lesung mit Günter Trunz
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Haus der Siegerländer Wirtschaft, Spandauer Straße 25, 57072 Siegen

26. bis 27. Februar, Akademie für politische Bildung Tutzing
„Die Sprache von Forschung und Lehre. Lenkung durch Konzepte der Ökonomie?“
Gemeinsame Tagung des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache e. V. (ADAWIS) und des Zentrums für Europäische Bildung in der Akademie für politische Bildung Tutzing.
Referenten u.a. Prof. Dr. Ralph Mocikat, Bundestagsvizepräsident a.D. Johannes Singhammer, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Prof. Dr. Harald Lesch
apb-tutzing.de

 

5. Literatur

Philosophische Sammelwut

Die Universität in Frankfurt am Main erwarb für ihre Bibliothek eine 5250 Bücher starke Sammlung zu Jürgen Habermas, die Primär- und Sekundärliteratur über den Philosophen in mehr als 30 Sprachen enthält. Zusammengetragen hat sie in 40 Jahren Arbeit der Amsterdamer Philosoph Rene Görtzen, der im kommenden Jahr eine umfassende Habermas-Bibliografie veröffentlichen will. Unter anderem gehören zur Sammlung 216 Aktenordner mit kopierten Zeitschriftenaufsätzen. (deutschlandfunkkultur.de)

 

6. Denglisch

Auf Deutsch, bitte!

Ausschließlich in Englisch verfasste Internetseiten schrecken Nutzer ab, zu diesem Ergebnis kam nun eine Umfrage des Unternehmens One Hour Translation. Dies träfe auch auf diejenigen zu, die grundsätzlich über sehr gute Englischkenntnisse verfügen. Die eigene Muttersprache werde jedoch immer bevorzugt. Rund 56 Prozent mehr Zeit verbringen Nutzer auf Internetseiten, die in der eigenen Sprache verfasst sind. (wallstreet-online.de, computerwelt.at)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Ann-Sophie Roggel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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