1. Presseschau vom 28. September bis 4. Oktober 2018
- Authentizität statt Hörqualität
- Nachhilfe für Eltern
2. Unser Deutsch
- Ende mit Schrecken
3. VDS-Termine
4. Literatur
- Leseratten im Exzellenzcluster
5. Denglisch
- Nicht immer, aber meistens unnütz
1. Presseschau vom 28. September bis 4. Oktober 2018
Authentizität statt Hörqualität
Man muss nicht unbedingt unter Hörproblemen leiden, um beim Tatort nur mit Mühe den Dialogen der Protagonisten folgen zu können. Gerade deshalb beklagen besonders ältere Zuschauer seit einigen Jahren die Hörqualität moderner Film- und Fernsehproduktionen, wie die Berner Zeitung berichtet. Mit den technischen Entwicklungen haben sich auch die Möglichkeiten der Tontechnik erweitert, erklärt Elisabeth Bodenseh, Toningenieurin beim SWR. Die Überartikulation, wie sie zu Beginn der ersten Tonfilme noch nötig war, weicht heute dank empfindlicher Mikrophone einer authentischen Kommunikationsdarstellung. Gleichzeitig verändere dies jedoch auch die Sprechstilistik: Anders als beim Theater sei die undeutliche Aussprache nämlich kein Nachteil mehr, sondern vielmehr eine Modeerscheinung, wie beispielsweise bei dem deutschen Schauspieler Til Schweiger, sagt Askan Siegfried, Tonmeister beim NDR. Nicht selten würden „Darsteller in Fernsehfilmen gedrängt, mehr Realität in ihrem Spiel zu zeigen, die sich nach Ansicht der Regisseure an einer eher undeutlichen Artikulation festmachen lässt“, so auch in Krimis. Ein weiterer Grund für den Verlust der Tonqualität sei die Einsparung von Kosten durch immer weniger Nachvertonungen und -synchronisationen bei gleichzeitig steigenden Hintergrundgeräuschen. An einer langfristigen Lösung für das Problem arbeitet das Fraunhofer-Institut derzeit bereits, das ein System entwickelt, mit dem man Dialoge und Hintergrundtöne unabhängig voneinander justieren kann. Bis die Abspielgeräte jedoch mit einem solchen Standard ausgestattet sind, muss sich die Filmproduktion selbst ändern. Mit seinen Zehn goldenen Regeln für Sprachverständlichkeit im Fernsehen hat Siegfried einen Leitfaden für Bewegtbildproduktionen herausgegeben, die gemeinsame Empfehlungen der Öffentlich-Rechtlichen enthalten. (bernerzeitung.ch)
Nachhilfe für Eltern
Ein Pilotprojekt des Landes Hessen soll Kindern den Alltag in der Schule erleichtern und den Eltern helfen, ihre Kinder in der Schule zu unterstützen. Das Neue daran: Die Eltern drücken selbst noch einmal die Schulbank, gemeinsam mit ihrem Nachwuchs. Die sogenannten Familienklassen richten sich speziell an Schüler mit Förderbedarf. Das Modell sieht vor, dass die Eltern ihre Kinder einmal in der Woche begleiten, um dort mit professioneller Hilfe das Verhalten des Kindes zu trainieren und durch gemeinsame Erfolgserlebnisse die Bindung zu stärken. „Im Kern wird darauf abgezielt, dem Kind Wege zur Mitarbeit aufzuzeigen, die es ihm erleichtern, seine individuellen Lernziele zu erreichen. Außerdem geht es darum, die Eltern in der Übernahme ihrer Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder wertschätzend zu begleiten und ihnen Möglichkeiten anzubieten, wie sie förderlich auf das Verhalten ihres Kindes einwirken können“, erklärt das Bildungsmagazin news4teachers. Erste Erfolge ließen sich bereits belegen, berichtet Hessens Kultusminister Alexander Lorz, eine Ausweitung des derzeit im Dill-Lahn-Kreis erprobten Projektes auf das ganze Bundesland werde angestrebt. (news4teachers.de, faz.net, hna.de)
2. Unser Deutsch
Ende mit Schrecken
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Diesen alten Spruch ziehen politische Beobachter immer häufiger aus der Tasche, um die verkorkste politische Lage der letzten Monate fatalistisch zu kommentieren. Woher kommt er? Wie entsteht seine Wirkung?
Es war Ferdinand von Schill, der kühne Freikorpskämpfer gegen Napoleon, der am 12. Mai 1809 auf dem Marktplatz von Arneburg an der Elbe eine flammende Rede mit dieser Wendung befeuert hat. Damit brachte er seine Entschlossenheit zum Ausdruck, ein schnelles Ende eines Konflikts herbeizuführen, auch wenn dies größere Nachteile zur Folge hat. Schill überlebte seine Kühnheit nicht. Napoleon wurde aber dennoch besiegt.
Woher die Wirkung, die dem Spruch so langes Leben beschert hat? In der Stilkunde wird diese rhetorische Figur Chiasmus genannt, nach dem griechischen Buchstaben X (Chi), in dem sich zwei Linien überkreuzen. In unserer Wendung sind es die Wörter Schrecken und Ende, die in den beiden Satzteilen kreuzweise vertauscht sind. Aus dem Ende mit Schrecken wird im zweiten Teil ein Schrecken ohne Ende. Zwei weitere Merkmale sind charakteristisch für diesen Chiasmus: die Wiederholung der Kernwörter in einer parallelen syntaktischen Konstruktion und der Kontrast, durch den sie mit den gegensätzlichen Präpositionen mit und ohne verbunden sind. So entsteht eine prägnante Antithese. Weitere berühmte Beispiele des Chiasmus sind:
Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen. (Marx)
Hier werden in ähnlicher Weise die gleichen Wörter, Waffe und Kritik, als Substantiv und Genitivattribut vertauscht und durch nicht ersetzen kontrastiert.
Etwas anders ist dieses bekannte Zitat konstruiert:
Die Kunst ist lang. Und kurz ist unser Leben. (Goethe, Faust I)
Die Kernwörter der beiden parallelen Sätze sind Kunst und Leben, die durch die Adjektive lang und kurz kontrastiert werden.
Ähnlich das folgende Beispiel:
Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit. (Schiller, Wallensteins Tod)
Wir sehen: Die syntaktische Parallelität der beiden Sätze ist ein Kern der Wirkung. Der zweite Punkt ist die Verschränkung, die Überkreuzstellung der Satzglieder, der dritte der semantische Kontrast in den Wörtern mit und ohne, kurz und lang oder – weniger wirkungsvoll – durch das Verb ersetzen. Es ist der kunstvolle Widerspruch gegen das Parallele, der die Wirkung ausmacht.
Eine komplizierte Erklärung für einfache Worte? Das mag so scheinen. Aber nach diesem Muster kann man nun rhetorisch kreativ werden. Oder den Spruch zu deuten versuchen. Wird die politische Gemengelage aus Parteienstreit und Eitelkeit, die Ungelöstheit der Migrantenfrage und des Dieselskandals wirklich so auf den Punkt gebracht? Oder soll sie nur die Alternativen des Misslingens aufzeigen und zur Besserung mahnen?
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. VDS-Termine
8. Oktober, Region 42 („Bergisch Land“ – Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Stammtisch (Gesprächsthemen: die nächsten Projekte)
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte Kaiser-Treff, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal
10. Oktober, Region 04 (Leipzig)
Mitgliederversammlung und Vortrag von Prof. Dr. Herbert Grunau über „Politische Sprache und Medien“
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Raum S 122 der Universität Leipzig, Universitätsstraße 1, 04109 Leipzig
13. Oktober, Region 34 (Kassel)
Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache an Die Fantastischen Vier, die Kampagne Sprechen Sie lieber mit Ihrem Kind des Netzwerks Frühe Hilfen des Jugend- und Sozialamtes der Stadt Frankfurt am Main und das Bundessprachenamt.
Mitglieder und Freunde des Vereins Deutsche Sprache sind herzlich eingeladen. Einladungen zur Preisverleihung erhalten Sie unter kulturpeis@vds-ev.de oder telefonisch unter 0231/7948520.
Zeit: 16:00 Uhr
Ort: Kongress Palais, Holger-Börner-Platz 1, 34119 Kassel
4. Literatur
Leseratten im Exzellenzcluster
Gerade erst hatte sie zwei Exzellenzcluster erworben, nun sorgte die Stuttgarter Universität mit negativen Schlagzeilen für Aufsehen. Durch Abwasserrohre in die Universitätsbibliothek gelangte Ratten haben rund 7800 Bücher der Fachbereiche Jura, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften verunreinigt. Der Schaden der aus diesem Grund vernichteten Literatur beläuft sich auf etwa 200.000 Euro, berichtet die FAZ. Ein erneuter Vorfall sei nicht ausgeschlossen, heißt es dazu im SPIEGEL ONLINE: „Zum einen ist das Bibliotheksgebäude sanierungsbedürftig, zum anderen würden Feiernde im Stadtgarten immer wieder Abfälle und Essensreste liegen lassen und damit den Ratten Nahrung bieten“. Bereits zuvor hatte die Universität auf das Müll- und das daraus resultierende Rattenproblem hingewiesen, die Mittel für Maßnahmen könne die Stadt vor 2020 jedoch nicht aufbringen, so die FAZ. (spiegel.de, faz.net)
5. Denglisch
Nicht immer, aber meistens unnütz
Die lange Arbeit des Vereins Deutsche Sprache fruchtet; immer mehr Medien und Redaktionen setzen sich mit den Auswirkungen des Englischen auf die deutsche Sprache auseinander. So auch das Internetportal Merkurist, das mit VDS-Geschäftsführer Oliver Baer über Anglizismen und Denglisch gesprochen hat, der erklärt: „Sie reichen von modischem Schnickschnack bis zum koketten Selbsthass, verbunden mit Protzverhalten oder Verschleierung in der Sprache der Unternehmensberater.“ Wenn es im Deutschen keine äquivalente Bezeichnung zum Englischen gebe, sei die Verwendung von Anglizismen nicht falsch, betont Baer und verweist auf den Anglizismen-Index, der bei der Suche nach deutschen Entsprechungen hilft. Häufig jedoch würden die „Muttersprachen verflacht. Man sagt es lieber falsch über die englische Sprache als, um Präzision bemüht, in der eigenen“. Nicht bei der Sprache selbst läge die Pflicht, sondern bei ihren Benutzern, behutsam mit ihrer Sprache umzugehen. (focus.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.
RECHTLICHE HINWEISE
Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch
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