1. Presseschau
Neologismen im Zeichen der Klimadebatte
Aktuelle Debatten prägen die Gesellschaft – und auch die Sprache. Das zeigt das neue Lexikon der Neologismen des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. So sind dort neue Wortschöpfungen vertreten, die ihre Wurzeln in der Klimadebatte haben. Neben „E-Scooter“, also einem Elektro-Tretroller, hat es auch der „Unverpacktladen“ in den täglichen Sprachgebrauch geschafft. Zwar nicht alltäglich, aber immerhin bekannter geworden ist der Begriff „Flugscham“, laut Mannheimer Institut das „unangenehm quälende Gefühl, dass man wegen des hohen CO2-Ausstoßes beim Fliegen empfindet beziehungsweise empfinden sollte.“ Neu dabei ist auch das Wort „Plogging“, das sich aus „Jogging“ und „plocka“ (schwedisch für „sammeln“) zusammensetzt. Dabei geht es darum, beim Joggen auch noch etwas für die Umwelt zu tun und Müll, der einem im Wald oder Park begegnet, aufzusammeln und wegzuschmeißen. (hz.de)
Klassische Vornamen weiterhin beliebt
Viele Eltern lassen bei der Benennung ihrer Kinder nicht übermäßig ihre Phantasie spielen. Nach ersten Stichproben der Gesellschaft für deutsche Sprache seien klassische Namen wie Paul oder Marie weiterhin beliebt. Eine Änderung der elterlichen Vorlieben sei nicht anzunehmen. Bei den Mädchen könne man damit rechnen, dass wie im Jahr 2017 und 2018 Marie, Sophie und Maria unter den beliebtesten Namen seien. Die endgültige Auswertung wird im Frühjahr 2020 veröffentlicht. Neben der statistischen Auswertung der Namensdaten gibt die Gesellschaft für deutsche Sprache Empfehlungen für mögliche Vornamen heraus. So könnten – aufgrund einer verstärkt globalisierten Gesellschaft – Namen wie Curly-Fay, Bear, Magic oder Filian akzeptiert werden. Die Namenswünsche Regenbogen, Seestern oder Lord seien hingegen nicht akzeptabel, da davon auszugehen sei, dass Kinder unter dem Namen leiden würden. „Wir überlegen, ob sich das Kind – in welchem Kulturkreis auch immer – mit dem Namen wohlfühlt und nicht gehänselt wird“, so GfdS-Sprachberater Lutz Kuntzsch. (sueddeutsche.de)
Sprache ist früher entstanden als vermutet
Bisher ging die Forschung davon aus, dass der Spracherwerb sich erstmalig vor 200.000 Jahren entwickelt hat – zu diesem Zeitpunkt sei die geistige Entwicklung unserer Vorfahren erstmals soweit gewesen, entsprechende Muster zu entwickeln. Eine neue Studie von US-Forschern legt jetzt nahe, dass diese Entwicklung bereits früher eingesetzt haben könnte und nicht die kognitiven, sondern anatomischen Voraussetzungen dafür ausschlaggebend waren. Bislang nahm man an, Affen könnten nicht sprechen, weil ihr Kehlkopf höher sitzt als der des Menschen. Röntgenaufnahmen von Makaken haben jetzt aber gezeigt, dass deren Kehlkopf ähnlich tief sitzt wie unser – sie müssten also theoretisch in der Lage sein, Sprachlaute zu bilden. Damit könnte die Sprache als Kommunikationsmittel bereits vor 20 Millionen Jahren angefangen haben, sich auszubilden. (deutschlandfunknova.de)
2. Unser Deutsch
artgerecht
Zusammensetzungen mit gerecht und Gerechtigkeit haben Konjunktur im aktuellen Deutsch. Es ist die Grundidee des Sozialstaates, jedem Bürger gerecht zu werden. Jeder soll sich entfalten und ein selbständiges, ein erfülltes Leben führen können. Die Lasten des Gemeinwesens sollen gerecht verteilt werden. Alle Bürger haben gleiche Rechte. Dies alles ist im Grundgesetz verankert. Gerechtigkeit hat dabei zwei Angelpunkte: die Gleichheit untereinander und die Menschenwürde als übergeordnete Maxime, als Ausdruck dessen, was dem Menschen als Mensch zusteht.
Dieser zweite Aspekt von Gerechtigkeit wird im Wort artgerecht auf unseren Umgang mit Tieren übertragen. Das Wort taucht erst Mitte der 80er Jahre auf und bezieht sich in der Regel auf die Nutztierhaltung. Schweine, Rinder und Geflügel sollen auch in der Massentierhaltung gemäß der Lebensform ihrer Art behandelt werden. Das betrifft auch die Fischzucht, welche etwas euphemistisch als Aquakultur bezeichnet wird. Für die artgerechte Tierhaltung gibt es neuerdings ein weiteres freundliches Wort: das Tierwohl. Damit nähern wir uns gleichsam einem Grundgesetz für Tiere.
Was ist das Richtige, was das Fragwürdige an diesen Leitwörtern? Mit diesen Wörtern erkennen wir an, dass all diese Tiere, die wir züchten, schlachten und verzehren, eine Würde als Lebewesen besitzen. Wir nehmen ihnen diese Würde, indem wir sie wie leblose Produkte industriell erzeugen, verarbeiten und vermarkten. Die Frage ist: Kann dieser Umgang mit Tieren durch gesetzliche Vorschriften über Mindestlebensraum, über Fütterung, tierärztliche Versorgung und die Art der Tötung tatsächlich in eine artgerechte Form gebracht werden? Können wir damit der natürlichen Lebensart der Tiere auch nur annähernd gerecht werden? Wer unsere Schlachthäuser besucht und sich diese ganze Technologie der Tierverarbeitung vor Augen geführt hat, kann Zweifel und Ekel schwer verdrängen. Aus solcher Erfahrung leitet sich die vegane Bewegung ab, die grundsätzliche Abkehr von der Tiernahrung und damit von jeglicher Tierproduktion.
Am Schluss noch ein Nebengedanke: Wie artgerecht ist eigentlich unsere, die menschliche Lebensform? Was schulden wir unserer Art? Wie sieht zum Beispiel eine artgerechte Wohnungspolitik, eine artgerechte Altersversorgung, ein artgerechtes Sterben aus? Das wohlklingende Adjektiv ist vielseitig verwendbar.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Berichte
Gender-Aufruf im Jahresrückblick
Der Mitteldeutsche Rundfunk weist in seinem Rückblick auf die Kulturereignisse des Jahres 2019 noch einmal auf den Aufruf des VDS „Schluss mit dem Gender-Unfug‟ im März hin. Mehr als 100 Prominente aus Kultur, Wissenschaft und Medien hatten den Aufruf als erste unterzeichnet, darunter Dieter Hallervorden, Sibylle Lewitscharoff und Dieter Nuhr. Ihnen folgten bis heute fast 75.000 weitere. (mdr.de, vds-ev.de)
4. Kultur
Sprache als Schlüssel zur Integration
Vertrieben, verfolgt, ermordet – und doch überlebt. Die Geschichte der Juden zeugt von Durchhaltewillen und dem Glauben daran, es überall auf der Welt schaffen zu können. Obwohl sie durch die Jahrhunderte hindurch ausgegrenzt wurden, waren sie doch immer Teil der Gesellschaft. Ihre Fähigkeit, stets das Beste aus beiden Welten vereinen zu können, hat ihre Existenz gesichert. Während andere Gruppen sich teilweise in die selbst gewählte Isolation flüchteten, wählten die Juden in ihren neuen Heimatländern die Integration. Mit der Erringung der Bürgerrechte Ende des 19. Jahrhunderts fassten sie auch Fuß in gesellschaftlichen Schichten und Berufen, die ihnen bislang verwehrt waren. Der Schlüssel für ihren Erfolg war dabei die Sprache. Neben dem Hebräischen, das sie als Glaubensgemeinschaft alle sprachen, lernten sie auch immer selbstverständlich die Sprache des Landes, in dem sie jeweils lebten. Dazu kam, dass ihre Kinder – egal welcher internen Schicht sie angehörten – zur Schule gingen und lesen und schreiben lernten; ein Privileg, dass lange Zeit nicht allen Kindern christlicher Eltern zugutekam. Lesen und Schreiben diente als Schlüssel für Erfolg – sowohl auf persönlicher wie auch gesellschaftlicher Ebene; beides erlaubte eine Integration in der europäischen Gesellschaft ohne Identitätsverlust. (tagesspiegel.de)
Stadt der Liebe und Literatur
Paris ist allgemein bekannt als die Stadt der Liebe. Aber nicht ausschließlich – denn auch in der Literatur findet die französische Hauptstadt immer wieder Erwähnung. In den vergangenen Monaten ist eine Vielzahl an deutschen Büchern erschienen, die sich Paris widmen. Walburga Hülk beispielsweise würdigt in ihrem Buch „Der Rausch der Jahre“ den Pariser Aufstieg zur Kulturmetropole im 19. Jahrhundert und die imperiale Pariser Architektur. Ergänzend dazu findet man im Fotoband „Frankreich um 1900“ mehr als 600 Seiten Farbaufnahmen aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Nicht zu vergessen natürlich auch neu-übersetzte Klassiker wie Baudelaires „Der Spleen von Paris“. Ebenso finden sich auch Sachbücher und Comics unter der Literatur zur französischen Hauptstadt. (deutschlandfunkkultur.de)
5. Denglisch
Ärger über vermeintlichen Anglizismus
Immer wieder stolpert man über das Wörtchen „in“ als Präposition vor Jahreszahlen. Statt „im Jahr 2019“ oder einfach „2019“ sagt man neuerdings „in 2019“. Ein neuer Anglizismus, den wir wieder mal unbedacht übernommen haben? So scheint es auf den ersten Blick und auch der Duden bestätigt das: „In der Wirtschafts- und Werbesprache wird gelegentlich die aus dem englischsprachigen Raum stammende Verbindung der Präposition in mit einer Jahreszahl verwendet“. Allerdings werde dieser Anglizismus nicht allgemein akzeptiert. Schaut man genauer hin, erkennt man, dass der Ausdruck aber gar nicht so neu ist. Der älteste Beleg stammt aus dem Jahr 1732. In „Die Löbliche Herren Herren Stände Deß Ertz-Herzogthumb Oesterreich ob der Ennß“ heißt es: „der Seelen selig abgeleidigte Leib der Wohl-Gebohrnen Frauen Frauen Annæ … ist gestorben zu Aggstein den 3ten Februar. nach 12. Uhr Vormittag in 1617.“ Und dies ist nur eines von mehreren Beispielen. Ob das damals schon am Wirtschaftsdenglisch lag? Fest steht auf jeden Fall, dass die Präposition „in“ hier keine neue Erscheinung ist. Aber ob „in 2019“ nun schön klingt oder nicht, darüber lässt sich wohl streiten. (sueddeutsche.de, duden.de)
6. Termine
9. Januar, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock
16. Januar, Region 04 (Leipzig)
Mitgliedertreffen
Details folgen
16. Januar, Region 10 – 16 (Berlin/Brandenburg)
VDS-Jugendstammtisch in Berlin mit Besuch des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor (offen für Mitglieder und Noch-nicht-Mitglieder bis 40 Jahre)
Zeit: 16:30 Uhr
Weitere Details folgen.
24. Januar, Region Österreich (Wien – Verein Muttersprache)
Hauptversammlung des Vereins Muttersprache mit anschließendem Festvortrag: Recht und Sprache
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Bezirksmuseum Floridsdorf, Prager Str. 33, 1210 Wien, Österreich
29. Januar, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Frank Reimer, Dorota Wilke
© Verein Deutsche Sprache e. V.